1. Integrationsmanagement ist entscheidend für den Erfolg von M&A-Projekten
Der Transaktionsmarkt nimmt wieder volle Fahrt auf, nachdem er in jüngerer Vergangenheit eher ruhigere Zeiten erlebt hat. Viele Unternehmen melden sich zurück, neue kaufinteressierte Firmen kommen dazu. Einerseits fördern volle Kriegskassen, tiefe Zinsen und Wechselkurseinflüsse die Akquisitionslust, andererseits sind betriebliche Notwendigkeiten dafür verantwortlich, wie der Ausbau einer limitierten Position im Heimmarkt, der Zugang zu internationalen Beschaffungsmärkten oder die Reaktion auf strukturelle Veränderungen in den jeweiligen Branchen.
Wer ein Unternehmen kauft, trifft eine weitreichende und risikobehaftete Entscheidung. Die Vorbereitung und die Durchführung einer Firmenübernahme erfordern viele Ressourcen und spezifische Fähigkeiten. Es ist ein hoher finanzieller und personeller Einsatz notwendig, wenn Shell die britische BG Group akquiriert oder der Schliesstechnik-Konzern Kaba mit der deutschen Firma Dorma fusioniert.
Jüngste Beispiele wie der Zusammenschluss von Holcim und Lafarge oder Sika und Saint Gobain verdeutlichen, dass die Herausforderungen keineswegs kleiner werden. Internationale Transaktionen oder das Zusammengehen von Partnern auf gleicher Augenhöhe können die Komplexität eines solchen Vorhabens erheblich steigern.
Eine Fusion oder Übernahme – ein Merger oder eine Acquisition, M&A – umfasst verschiedene Phasen: Anbahnung, Interessentensichtung, Risikoprüfung (Due Diligence), Vertragsvorbereitung, Vertragsabschluss und Integration. Die Chancen, die eine Übernahme bietet, sollen maximiert, die Risiken minimiert werden. Die Leitungsgremien eines Unternehmens versuchen mit umsichtiger Vorbereitung, detailliertem Ausführungsplan und stringenter Umsetzungsdisziplin dieses Vorhaben zu erreichen. Eine Akquisition birgt deutlich grössere Risiken als andere unternehmerische Investitionen, wie zum Beispiel die Entwicklung und die Einführung neuer Produkte. Deshalb fand in den vergangenen Jahrzehnten eine Professionalisierung der M&A-Kompetenz statt. In die entsprechende Schulung des Managements und der Spezialisten wurde viel Geld und Zeit investiert, und viele Unternehmen kennen die transaktionsbezogenen M&A-Techniken.
Die Komplexität und besonderen Umstände jeder M&A-Transaktion erfordern spezifische Fähigkeiten, welche weit über die rein fachlichen Kompetenzen hinausgehen. Im Umgang mit fremden Kulturen oder in der Zusammenarbeit mit ebenbürtigen Partnern sind «Soft Skills» entscheidend. Wenn zudem ein M&A-Projekt Eingang in die Medien findet, ist das Management umso mehr gefordert, die richtigen Prioritäten unter hohem Zeitdruck anzugehen. Viele Fusionen und Übernahmen zeigen, dass letztlich der Faktor Mensch eine massgebende Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund ist das Management herausgefordert, sich so zu verhalten, dass zusammen mit den neuen Partnern die gewünschten Ziele erreicht werden.
Operativer Fokus, permanenter Kostendruck und hohe Führungsansprüche machen es dem Management nicht leicht, solch ausserordentliche und komplexe Projekte umzusetzen. Vor allem kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) sind im Bereich der M&A-Kompetenz vielfach sehr schlank organisiert. Für sie ist es eine Herausforderung, die für die Bewältigung von M&A-Transaktionen notwendigen Kapazitäten aufzubauen und zielführend einzusetzen. Die hohen Erwartungen, die mit der für einen Firmenzukauf notwendigen, hohen Investitionssumme einhergehen, erlauben keinen Misserfolg.
Aber vielfach erfüllen sich die Ziele und Erwartungen nicht. Die Hälfte aller M&A-Transaktionen verläuft nicht erfolgreich und trägt nicht zur Wertsteigerung des eigenen Unternehmens bei1. Ein aktueller Erfahrungsbericht langjähriger CFO’s bestätigt, dass sich die Integrationsphase als entscheidend für die eigentliche Wertschöpfung einer Fusion oder Übernahme erweist2. Im folgenden werden die Erkenntnisse dieser Praxisberichte zusammengefasst, zunächst die Gründe für Erfolg und Misserfolg im Integrationsmanagement und daraus abgeleitet die wichtigsten Schritte im Integrationsmanagement.
2. Erfolgsfaktoren und Stolpersteine im Integrationsmanagement
In der Unternehmenspraxis lassen sich bestimmte Muster erkennen, welche häufig für Erfolg oder Misserfolg einer Integration bestimmend sind (siehe Abbildung).
Starke Unternehmerpersönlichkeiten haben aufgrund Ihrer Charaktere und Führungsphilosophie einen dominanten Einfluss auf die Firma und insbesondere auf strategische Projekte, wie beispielsweise Übernahmen. Akquisitionen erweisen sich immer wieder als nicht erfolgreich, da die damit erworbenen Potentiale aufgrund der personellen Konstellationen nicht optimal ausgeschöpft werden.
Oft ist es ein Vorteil, wenn die Verantwortlichen für den Übernahmeentscheid auch im Rahmen des Integrationsprozesses eine wichtige Rolle übernehmen, idealerweise jenes des Promotors. Ein Vertreter des Management Teams, welcher in der Mutterorganisation gut verankert ist und den Kaufentscheid voll mitträgt, ist ein Garant, dass die ursprünglich gesetzten Integrationsziele auch umgesetzt werden.
Der Umgang mit der Ausschöpfung von Synergien im Integrationsprozess ist entscheidend für Erfolg oder Misserfolg. Dabei ist das richtige Augenmass entscheidend. Man kann Synergiegewinne verlieren, wenn nur ein Aneinanderschieben der Organisationen erfolgt. Demgegenüber kann aber auch die Strapazierung der Synergienutzung zu Friktionen zwischen den Firmen führen. Es ist hilfreich, wenn im Rahmen der Due Diligence und Unternehmensbewertung Synergiepotentiale identifiziert und zu wichtigen Zielgrössen bestimmt werden.
Firmenübernahmen sind bedeutende Ereignisse in der Unternehmensentwicklung und lösen Veränderungsprozesse aus, welche sich auf das Gesamtunternehmen auswirken, weit über das eigentliche Akquisitonsprojekt hinaus. Im Rahmen der Interationsarbeiten können beispielsweise schon lange anstehende Altlastenproblemen elegant behoben werden. Leider verpufft zuweilen die mit einer Akquisition ausgelöste Schubkraft. Ein Grund dafür kann darin bestehen, dass sich die Integration in einem kleinen Kreis abspielt; nur das Top-Management ist involviert und die operativen Schlüsselleute werden nicht eingebunden oder mit wichtigen Entscheiden wird zulange zugewartet. In einer solchen Situation können die kritischen Stimmen gegenüber einem Integrationsprojekt Überhand nehmen und den Integrationserfolg gefährden.
In KMU’s kann die ohnehin schlanke Organisation durch die intensive M&A-Tätigkeit überfordert werden. Es wird der richtige Zeitpunkt verpasst, die erforderlichen Ressourcen rechtzeitig bereitzustellen. Oft erweisen sich die Kosten beim Aufbau zusätzlicher Ressourcen als geringer als die Folgeschäden fehlender Mittel; dann nämlich, wenn die Probleme in der Integration zur Selbstbeschäftigung der Organisation werden und Kollateralschäden auf die Gesamtorganisation auslösen.
Die untersuchten Praxisfälle verdeutlichen die Bedeutung eines professionellen Projektmanagements in der Integrationsphase. Allzu oft erfolgen die Integrationsarbeiten nicht nach einem Plan, sondern entwicklen sich eher situativ und werden teils zögerlich vorangetrieben. Eine gute Planung, ein zielorientiertes und integratives Vorgehen und eine aktive Beteiligung schaffen Sicherheit und Akzeptanz in der Unternehmung und bei den Mitarbeitern6. Dennoch: eine allzu partizipative Zusammenarbeit mit den verschiedenen Anspruchsgruppen im Rahmen einer Integration zahlt sich nicht wirklich aus. Eine klare Marschrichtung ist vor allem in der Projektphase wichtig.
3. Mit Integrationsmanagement zur Performancetransformation
Erfolgreiche Wachstumsfirmen schaffen es, im Zuge von Integrationen einen gegenseitigen Lernprozess in Gang zu setzen, zu einer neuen Firmenkultur zu verschmelzen und schliesslich die gemeinsame Leistungsfähigkeit zu steigern, d.h. ein höheres Performanceniveau zu erreichen. Diese Art des Integrationsmanagements bezeichnen wir als ‚Performancetransformation‘. Dieser Integrationsprozess nimmt dabei i.d.R. weit mehr als 100 Tage in Anspruch.
Dies bedeutet nicht eine Verzögerung oder ein Hinausschieben von Entscheiden im Rahmen des Integrationsmanagements. Keineswegs! Die Absicherung des Pre-Merger-Wertes und des bestehenden Kerngeschäfts hat oberste Priorität. Mit ‚Speed‘ sind die Entscheide zu fällen, so dass die Belegschaft rasch weiss, welches die Integrationsziele sind und wie jeder einzelne Mitarbeiter davon betroffen ist. Die eigentliche Performancetransformation, d.h. der Weg auf ein höheres Performanceniveau, nimmt dann aber wesentlich mehr Zeit in Anspruch.
Ausgehend von den vorhin erwähnten Schlüsselgrössen für Erfolg und Misserfolg von Integrationsprojekten leiten wir die Handlungsempfehlungen für ein wirkungsvolles Integrationsmanagement ab (siehe Abbildung).
Ein wichtiger Führungsgrundsatz besteht darin, die Integrationsverantwortung klar festzulegen. Der Manager, welcher die Akquisition in den Führungsgremien vertritt, übernimmt idealerweise anschliessend auch die Rolle des ‚Integration Leaders‘. Dieser verantwortet die Umsetzung der Integrationsmassnahmen und kann diese Aufgabe nicht an eine Stabstelle delegieren. Die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat bestehen somit zu Recht darauf, den Integrationsfortschritt aus dem Munde des wirklichen Verantwortungsträgers zu hören.
Wichtige Player, welche den Integrationsprozess erschweren könnten, sollten up-front das Spielfeld verlassen; dazu zählen beispielsweise der CFO, welcher vor allem ein Interesse hat, die Vergangenheit zu verteidigen, die Verhandlungsführer, welche ursprüngliche, von ihnen vorgebrachte Verhandlungspositionen – ohne Rücksicht auf neue Erkenntnisse – durchsetzen möchten, oder Führungskräfte, welche sich im neuen Umfeld positionieren möchten, was u.U. nicht im Einklang zur künftigen Marschrichtung steht.
Ein wichtiger Hebel zur Wertsteigerung im Rahmen einer Integration ist dann die Ausschöpfung von Synergiepotentialen. Top-Performer unterscheiden grundsätzlich zwischen zwei Arten von Synergien, d.h. kombinatorische Synergien (‚combinational synergies‘) und transformativer Synergien (‚transformational synergies‘). Sie sind bemüht, in beiden Stossrichtungen parallel Fortschritte zu erzielen und somit ein höheres Performanceniveau im Unternehmen zu erreichen.
Kombinatorische Synergien stehen auf der ‚To Do-Liste‘ vieler Firmen. Es handelt sich dabei typischerweise um Economies-of-Scale, Vermeidung von Doppelspurigkeiten oder Cross-Selling bestehender Produkte. Die wirklich Erfolgreichen schaffen es, transformative Synergien zu nutzen. Das Zusammengehen wird gezielt genutzt, Traditionen und Gewohnheiten zu hinterfragen und aus der bestehenden Plattform heraus neue, innovative Wege zu gehen. In jedem Fall ist es wichtig, so unpolitisch wie möglich vorzugehen und ein Produktportfolio anzustreben, welches aus Kundensicht optimal ist und persönliche Interessen sowie Prestigedenken der involvierten Personen nicht im Vordergrund stehen.
Akquisitionen können dazu genutzt werden, dank Kunden- und Mitarbeiterorientierung ein positives Sentiment zu schaffen, um auf dem Wachstumspfad eine höhere Plattform zu erklimmen, d.h. Momentum counts! Beispielsweise hilft es, die Zuversicht in den Merger zu fördern, indem rasch neue Accounts im Sales-Bereich dazugewonnen werden. Solche Erfolgsmeldungen geben Mut und schaffen Elan.
In Small & Mid Cap Firmen tragen üblicherweise der CEO und CFO die Hauptverantwortung für den Integrationserfolg. Auch wenn sie letztlich für den Erfolg geradestehen müssen, kommen sie oft nicht umhin, die Integrationsarbeit an andere Personen in der Organisation zu delegieren. Deshalb kommt der Ressourcenfrage eine grosse Bedeutung zu. Neue Akzente im Management werden gesetzt, indem Führungskräfte gewonnen werden, welche den Umsatz positiv beeinflussen können. Generell ist auf Führungskräfte zu bauen, welche sich als Teil eines Führungsteams verstehen, nicht auf jene, welche in den Dimensionen ‚Winner‘ und ‚Looser‘ denken.
Vor diesem Hintergrund ist es erstrebenswert, dass stets genügend Talente für neue Aufgaben zur Verfügung stehen. Deshalb fordert beispielsweise Sprenger einen gewissen Grad an Redundanzen in der Führungsmannschaft, d.h. Anpassungsreserven, um nicht geplante Vorkommnisse wie beispielsweise Akquisitionsprojekte führungsmässig besser meistern zu können.
Eine Integration Scorecard stellt ein wirksames Instrument im Projektmanagement dar. Es liefert eine wirksame Fortschrittskontrolle bezüglich Schlüsselparameter im Integrationsmanagement und fördert die Kommunikation zu integrationsrelevanten Themen innerhalb der Führungsgremien. Wie sich der Kundenstamm seit Akquisitionszeitpunkt entwickelt hat, oder die wichtigsten Veränderungen im Führungskaders im Verlauf der Integration geben wichtige Hinweise, wie erfolgreich die Integrationsarbeiten voranschreiten.
LITERATUR
Bergamin, Stephan, Braun, Markus, M&A: Erfolg dank Integrationsmanagement, NZZ Libro Verlag, 2015.
Bertels, Eric, Cosach, Sabine, Integrationsmanagement, in: Gerhard Picot (Hrsg.), Handbuch Mergers & Acquisitions, Schäfer Poeschel, 2012.
Deutsch, Clay; West, Andy, A new generation of M&A: A McKinsey perspective on the opportunities and challanges, in: McKinsey & Company, Perspectives on merger integration, June 2010.
Jansen, Stephan, A.; Brügger, Clemens, Integrationsmanagement bei Unternehmenszusammenschlüssen; in: Picot, Gerhard (Hrsg.), Handbuch Mergers & Acquisitions, Planung – Durchführung – Integration, Schäfer Poeschel, 5. Auflage, 2012.
McLetchie, James; West, Andy, Beyond risk avoidance: A McKinsey perspective on creating tranformational value from mergers, in: McKinsey & Company, Perspectives on merger integration, June 2010.
Müller-Stewens, G., Konzeptionelle Entscheidungen beim Post-Merger-Management, 2006.
Schenker, Urs, Too complex to work? Die abgebrochene Fusion von Omnicom und Publicis, 2014.
Schreiner, Andreas; Wirth, Markus; Wirth, Thomas, ‚From Good to Great‘- Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung aus Verkäuferperspektive, in: Müller-Stewens/Kunisch/Binder (Hrsg.), Mergers & Acquisitions, 2010, Schäffer-Poeschel Verlag, 2010.
Sprenger, Rainhard K. , Radikal führen, 2012.
Stephan Bergamin, Markus Braun