GenAI
Eine Typologie praktischer Anwendungsfälle
Paul Schneider, FALKE KGaA
(Titelbild: Adobe Stock | 820934340 | Jan)
Kurz und Bündig
Generative KI kann mithilfe von Deep Learning und neuronalen Netzen neue Inhalte erstellen. In der betrieblichen Praxis können gezielt eingesetzte KI-basierte Tools die Mitarbeitenden bei spezifischen Aufgaben wie der Datenkonvertierung, der Fehleranalyse und in der Kundenbetreuung unterstützen. Durch die schnellen und umfangreichen Lösungen der Tools lassen sich die Produktivität und Effizienz in Unternehmen steigern.
In einer jüngst publizierten Studie des Beratungsunternehmens Capgemini geben 96 Prozent der befragten Führungskräfte von weltweit mehr als 1.000 Teilnehmenden Unternehmen an, dass generative künstliche Intelligenz (KI) in ihren jeweiligen Vorstandsetagen ein heiß diskutiertes Thema sei. Allerdings implementiert nur ein einstelliger Prozentsatz derselben Organisationen aktuell bereits entsprechende Anwendungsfälle [1]. Dieser Artikel adressiert diese Lücke, indem konkrete Beispiele aus der Unternehmenspraxis vorgestellt werden, die grundlegende Zusammenhänge im Themenbereich und die Möglichkeiten generativer KI illustrieren. Die hieraus abgeleitete, zusammenfassende Typologie von Anwendungsfällen generativer KI lässt Erfolgsfaktoren für Unternehmen erkennen und erlaubt es, ein Vorgehensmodell im Sinne eines „Weg nach vorne“ zu skizzieren.
Maschinelles Lernen (ML) versucht, als Unterdisziplin künstlicher Intelligenz, aus Inputdaten zu lernen, um sinnvolle Prognosen auf noch nie zuvor gesehenen Daten zu tätigen. Trainiert mit vielen Tierbildern und einer vom Menschen vergebenen Kennung (z.B. „Hund“ oder „Katze“) zu jedem Bild, lernen ML-Modelle, ungeübte Bilder als Hund oder Katze zu erkennen. Generative KI lernt ebenfalls durch Trainingsdaten, jedoch entwickelt sie ein statistisches Modell, um neue Inhalte mit ähnlichen Charakteristiken zu entwickeln. Dabei nutzt generative KI sogenannte künstliche, neuronale Netze des tiefgehenden Lernens („deep learning“). Eine spezielle Architektur dieser neuronalen Netze erlaubt es seit einigen Jahren, Informationen in riesiger Menge, in anderer Sortierung als eingegeben und parallel zu prozessieren, sowie ein Training ohne menschliches Mitwirken zu ermöglichen. In der Folge war es deutlich einfacher und kostengünstiger, riesige Sprachmodelle zu trainieren, die eine bessere Performance lieferten und sich insbesondere durch mehr Tiefe in ihren Antworten auszeichneten.
Auf Grundlage generativer KI als Technologie kommen jeden Tag neue Tools auf den Markt, die eine Schnittstelle zu verschiedenen Modellen bieten. Zum Beispiel bietet das KI-Tool ChatGPT Zugang zu einem proprietären Modell (GPT-4) und zu einem offenen Modell (GPT-3.5). Es existiert eine große Zahl von Modellen für unterschiedliche Zwecke. Text-to-Text, Text-to-Image, Text-to-Video oder Text-to-Code Modelle, generieren aus eingegebenem Text entsprechende Bilder, Videos, Code oder neuen Text.
Die auf diesen Modellen basierenden Tools werden in ihrer Ausprägung immer spezifischer. Entsprechend sind Möglichkeiten für Anwendungen generativer KI in der betrieblichen Praxis schnell gefunden. Als wir bestimmte Transaktionsdaten beim Bundeszentralamt für Steuern melden mussten, haben wir von Chat-GPT mit Hilfe eines fünfzeiligen Prompts einen Dateikonverter in Python programmieren lassen. Das Programm war sofort lauffähig und hat die Aufgabe, die Konvertierung einer XML in ein csv-Format mit einer spezifischen Struktur sowie die Teilung der Daten in mehrere Dateien nach speziellen Regeln, erledigt.
Manchmal zeigt uns die KI auch nur Handlungsoptionen auf: Als eine Rechnung aus unserer Workflow-Software nicht ins ERP-System übertragen werden konnte und ohne Fehlermeldung abgelehnt wurde, machte Chat-GPT uns Vorschläge, welche potentiellen Fehler in unserer Datei dieses Problem verursacht haben könnten. Einer der Vorschläge passte und die Rechnung wurde nach unserer manuellen Korrektur erfolgreich ins ERP-System übertragen [3].
Neben der IT kann generative KI in weiteren indirekten Bereichen helfen. HR lässt sich erste Versionen von Stellenausschreibungen erstellen, im Prototyping werden (Farb-)Varianten von Produkten via Textspezifikation von der generativen KI vorgeschlagen, für die Rechtsabteilung werden Änderungen in regulatorischen, externen Dokumenten identifiziert und für den F&E Bereich werden technische Dokumente und Forschungspapiere zusammengefasst. In den direkten Wertschöpfungsbereichen profitieren insbesondere solche, die nahe an den Kund:innen sind. Es lassen sich mit Hilfe generativer KI verschiedene Artikelfotos und Social Media Content generieren, die Nutzererfahrung, das Suchen auf der eigenen Webseite, verbessern oder Meinungen aus Kundenkommentaren extrahieren und Reaktionen zur Anreicherung von Kundenprofilen analysieren. Diese keinesfalls vollständige Sammlung von Anwendungsfällen ist dadurch charakterisiert, dass jeweils Standardtools generativer KI im operativen Tagesgeschäft durch einzelne Mitarbeitenden zur Erledigung singulärer, diskreter Tätigkeiten genutzt werden. Es gibt dabei keinen Aufwand in Bezug auf die Integration etwaiger Tools in die bestehende Infrastruktur und keinen initialen Projektaufwand. Entsprechend stellt dieser Typ von Anwendungsfällen einen sehr guten Einstieg für Unternehmen in das Thema generative KI dar. Entscheidend für den Erfolg in dieser ersten Phase ist es, die Mitarbeitenden für das Thema generell und speziell für das Suchen nach passenden Anwendungsfällen im Kontext der eigenen Arbeitsaufgaben zu begeistern, Wissen bezüglich der sicheren und passenden Anwendung diverser Tools zu vermitteln und so das Ausprobieren beziehungsweise die erfolgreiche Nutzung generativer KI in der Breite zu fördern. Je mehr Mitarbeitende die Möglichkeiten generativer KI kennen und in der Lage sind, sich diese durch den Einsatz spezialisierter Tools zunutze zu machen, desto höher der kumulierte Produktivitätsgewinn. Während dieser im Sinne einer konkreten, betriebswirtschaftlichen Kennzahl schwer messbar ist, wird der Nutzen für die Mitarbeitenden selbst unmittelbar erleb- und spürbar. Das Risiko ergibt sich hier dadurch, dass Mitarbeitende diverse Tools ausprobieren können, was Datensicherheits- und Datenschutzfragen nach sich zieht und insbesondere klare Richtlinien zur Eingabe von Unternehmensdaten in KI-Tools erforderlich macht.
Eine zweite Gruppe von Anwendungen generativer KI wird in Abbildung 1 als „integriert“ bezeichnet und ergibt sich aus dem aktuellen Trend zur Integration generativer KI in aus beruflichen und privaten Kontexten bekannte Produkte und Anwendungen. Die nahtlose Nutzung von Microsofts Copilot, integriert in Anwendungen wie Word, das Betriebssystem Windows 11 oder die Bing Suche. Zudem gibt es immer mehr spezialisierte Plug-ins und Apps, die mit KI-Tools verknüpft und mit den entsprechend verbundenen Modellen integriert genutzt werden können. Unternehmen können etwa ChatGPT mit der Klarna App kombinieren, um die Preise von Konkurrenzprodukten auf Onlineportalen zu vergleichen. Zudem existieren Lösungen die in Microsoft Teams und Outlook integriert werden können und im Stande sind vielfältige Aufgaben zu erledigen. Im Hintergrund kann die Software etwa auch auf unterschiedlichste generative KI-Tools und entsprechend verknüpfte Modelle zugreifen. Die Anwendungen können so beim Brainstorming, der Bildgenerierung oder Übersetzungen hilfreich sein. Abstrahierend werden in diesen Fällen Anwendungen mit integrierter generativer KI oder entsprechenden Add-Ons und Plug-ins genutzt, so dass eine einfache und schnelle Nutzung „as a service“ möglich ist. Der Erfolg hängt, neben dem Training der Anwendenden insbesondere davon ab, wie schnell zum Beipsiel neue Modellversionen in diese Anwendungen integriert werden. Grundsätzlich können diese KI-integrierenden Tools durch sogenannte Prompt-Templates bessere Ergebnisse liefern. So passt ein auf Textzusammenfassung spezialisiertes KI-Tool die Eingabe eines Nutzers vor der Weitergabe an das Sprachmodell an, indem es den Prompt ergänzt oder umstrukturiert, und nutzt hierbei die Erfahrung und das Wissen, wie das Modell angesprochen werden muss, um besonders gute Zusammenfassungen zu erzeugen.
Die dritten Gruppe von Anwendungsfällen, wird als „anspruchsvoll“ bezeichnet (Abbildung 1), dabei handelt es sich um komplexe IT-Projekte, die KI-Modelle mit internen IT-Systemen integrieren. So kann ein Unternehmen seine Mitarbeitenden etwa im Customer Service mit Hilfe generativer KI unterstützen [6].
Ein großes Sprachmodell, welches natürliche Sprache verstehen und generieren kann, kann mit Hilfe aufgezeichneter Chatverläufe und gespeicherter E-Mail-Kommunikation trainiert werden. Damit die KI nicht nur wohlklingende, sondern auch inhaltlich relevante Antworten liefern kann, führt man ihr zudem unternehmensspezifischen Inhalt zu. Im Kontext Customer Service können dies Artikelinformationen, Prozessbeschreibungen, Dokumentationen und Schulungsunterlagen für den Vertrieb sein, die in einer Wissensdatenbank gespeichert werden. Eine Kundenanfrage an ein KI-Tool wird dann nicht mehr direkt an das Modell weitergegeben, sondern es wird zunächst Inhalt aus der Wissensdatenbank gezogen und dem KI-Tool gemeinsam mit der Frage zugespielt. Dieses als „retrieval augmented generation“ (RAG) bezeichnete Vorgehen (Abbildung 2) reduziert das Risiko plausibel klingender, aber faktisch falscher Antworten. Zudem müssten die Antworten der KI nicht direkt an den Kunden gespielt werden. Servicemitarbeitende könnten jeweils einen Antwortvorschlag erhalten und entscheiden, ob sie diesen genauso nutzen oder zuvor anpassen wollen. Während etwaige Anwendungen generativer KI mitunter radikale Produkt-, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen ermöglichen können, gehen sie auch mit hohen einmaligen Investitions- und fortlaufenden Betriebskosten einher. Es bedarf einer ausgereiften technologischen Infrastruktur, sowie einschlägiger Talente in der technischen Umsetzung und der Steuerung entsprechender Dienstleistender und Beratender auf Augenhöhe. Zumindest bei vielen mittelständischen Betrieben werden zunächst zusätzlich Herausforderungen im Bereich Datenverfügbarkeit, -integration und -qualität zu lösen sein. Die Kostenseite dieser Projekte lässt sich in der Regel quantitativ abschätzen und Unternehmen sind mitunter geübt, in Szenarien zu kalkulieren. Die genauen betriebswirtschaftlichen Mehrwerte, langfristige Kostensenkungen, Produktivitätsgewinne oder Differenzierungsvorteile, sind aber oftmals schwieriger zu quantifizieren.
Zukunftsausblick gernerativer KI
Experten erwarten, dass im Ökosystem generativer KI drei Schichten erwachsen [7]. Auf der untersten Schicht existieren vortrainierte, text-, bild- oder codebasierte, Fundamentalmodelle. Diese bilden die Basis für die zweite Schicht an für jeweils eine bestimmte Domäne verfeinerte, industrie- und funktionsspezifische Modelle. Diese können auf den Gesundheitssektor, die Bildungsindustrie oder die chemische Produktion ausgerichtet sein. Auf der letzten Schicht werden Unternehmen diese Modelle nutzen, um mit Daten und Fachexpertise eigene, proprietäre Modelle zu entwickeln. In der sich ergebenden „model as a service“-Ära müssen Unternehmen keine eigenen KI-Modelle „von Grund auf neu“ entwickeln, sondern können bestehende Modelle gegen Lizenzgebühr nutzen und sich auf die Entwicklung passender Anwendungsfälle mit Hilfe dieser Modelle konzentrieren.