Eine Datenbank sagt Long Covid den Kampf an
Gemeinschaftlich zum Ziel
Im Gespräch mit Philomena Poetis, Health4Future GmbH
(Titelbild © AdobeStock |409899816| speed300)
Kurz & Bündig
Health4Future vernetzt verschiedene Player, um Long Covid zu erforschen und den Betroffenen zu helfen. Dabei fungiert das Start-up nicht nur als Vermittler, sondern auch als Datenerhebungsplattform. Mit einem Fragebogen können Long Covid Erkrankte ihre Symptome beschreiben, wodurch erstmals in einem großen Rahmen die Varietät der Folgeschäden von Corona erhoben wird.
Auch wenn Corona aktuell medial weniger Aufmerksamkeit bekommt, sind die Folgeschäden einer Infektion für viele Menschen gegenwärtig und ein gravierender Eingriff in ihren Alltag. Long Covid ist vielseitig und der Kampf gegen die Symptome benötigt neue digitale Ansätze. Health4Future hat sich das Ziel gesetzt, den Betroffenen zu helfen. Wir haben mit Mitgründerin Philomena Poetis über das Engagement des Münchner Start-ups gegen Long Covid gesprochen.
Frau Poetis, könnten Sie uns kurz erklären, was genau Health4Future eigentlich ist?
PP: Sehr gerne. Health4Future ist eine Plattform und gleichzeitig eine Datenbank, die wir für Long Covid-Betroffene, für Haus- und Fachärzte und um Ursachenforschung und Therapieentwicklung im Hinblick auf die Fragestellung Long Covid betreiben zu können, aufgebaut haben.
Es ist ja ein sehr neues und ein sehr aktuelles Krankheitsbild, das leider nach einer Coronaerkrankung auftreten kann. Da es eine Vielzahl von Symptomen gibt und Long Covid noch unerforscht ist, gibt es einen hohen Bedarf, an dieser Situation etwas zu ändern. Wir sind der festen Überzeugung, dass dies nur mit einer digitalen Plattform und einer entsprechenden anonymisierten Datenerhebung und Analyse möglich ist. Dieser Ansatz erlaubt es uns, Antworten auf die unterschiedlichsten Fragestellung zu finden.
Stichwort Long Covid. Die meisten kennen den Begriff und wissen auch ungefähr, was damit gemeint ist. Aber könnten Sie vielleicht trotzdem kurz erläutern, was Long Covid ist und welche Symptome dabei häufig auftreten?
PP: Long Covid ist ein Begriff, der nicht von der Medizin eingeführt wurde. Er ist auf Twitter das erste Mal aufgekommen. Darunter werden die Folgeschäden einer Coronaerkrankung verstanden, die länger als vier Wochen anhalten. Sollte man länger als zwölf Wochen daran leiden, spricht man in der Medizin vom Post-Covid-Syndrom. Die Symptome sind leider schrecklich vielfältig. Wir wissen, dass es eine Multiorgankrankheit ist, sprich es können neurologische, pneumologische und kardiologische Symptome auftreten. Deswegen sind bei Health4Future der medizinische Fragebogen und die Erhebung der Daten so wichtig, weil wir noch gar nicht wissen, wie viele Symptome wirklich mit Long Covid im Zusammenhang stehen. Einige Studien gehen von mehr als einhundert Symptomen aus. Aber wie gesagt, da stehen noch ganz viele Fragezeichen dahinter, weshalb man anfangen muss, die Erkrankung strukturiert und validiert aufzubereiten und eben die entsprechenden Daten auch zu erheben.
Von neurologischer Seite können Probleme wie Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen und neurologisches Stottern auftreten. Erwachsene Menschen können nicht mehr richtig reden und müssen das Sprechen wieder neu erlernen. Kardiologisch klagen Betroffene häufig über Herzrhythmus- und Kreislaufstörungen. Zu den pneumologischen Symptomen gehört ein Abfallen der Lungenfunktionen unter 60 Prozent, was natürlich den Alltag unfassbar erschwert. Bei Frauen beobachten wir aber auch hormonelle Veränderungen und Zyklusstörungen.
Das sind alles Symptome, die damit zusammenhängen, dass der Coronavirus sich im Körper breit macht und wirklich alles entsprechend tangieren kann, aber nicht muss. Wir haben Leute, die ein einzelnes Symptom haben, an dem sie leiden, nämlich der Geruchs- und Geschmacksverlust. Andere wiederum haben wirklich von allen Symptomen etwas. Wie Sie sehen, kann die Krankheit sehr unterschiedlich aussehen, weswegen wir dann immer wieder darauf zurückkommen, dass es Health4Future braucht. Anders ist das Erheben, Zusammenführen und Analysieren von Daten sehr mühselig.
In letzter Zeit ist die Pandemie medial aus dem Fokus geraten. Dennoch stecken wir noch immer mittendrin. Und es ist davon auszugehen, dass das Pandemiegeschehen im Winter wieder zunehmen wird. Das bedeutet, dass die Anzahl der Long Covid Patienten höchstwahrscheinlich zunehmend wird. Mit Health4Future haben Sie das Thema Long Covid selbst in die Hand genommen. Woher kam denn dieser Antrieb beziehungsweise wie ist die Idee dazu entstanden?
PP: Die Idee ist eigentlich schon mit Ausbruch der Pandemie 2020 entstanden. Der ausschlaggebende Moment war die erste Studie aus Wuhan, die Ende 2020 veröffentlicht wurde. In dieser sollten erstmalig 2.400 Menschen, die im März 2020 aus Krankenhäusern mit einer Coronaerkrankung entlassen wurden, sechs Monate später erneut befragt werden. Jedoch konnten nur noch 1.700 Personen die zweite Fragerunde tätigen, weil sie entweder verstorben waren oder eben mit schweren anderen Folgen im Krankenhaus behandelt wurden. Das war der erste Punkt, an dem wir im Health4Future-Team realisiert haben, dass da irgendetwas ganz komisch ist und dass da etwas auf uns zu kommt, was wir noch gar nicht sehen. Zudem ergab sich die Problematik, dass die Beschäftigung mit Long Covid aufgrund der Bekämpfung der akuten Pandemie natürlich auch ein Stück zurückfiel.
Daher haben wir uns gedacht, dass wir die verschiedenen Key Player zusammenbringen müssen. Wir müssen Entwickler, Programmierer, Strategen, Wissenschaftler sowie Haus- und Fachärzte zusammenführen, damit bei dieser Fragestellung geholfen werden kann. Und für uns war klar, das geht nur über eine Plattform, es geht nur digital, weil wir auch verstanden haben, dass eine Pandemie nicht vor irgendwelchen Grenzen Halt macht.
Sie haben Recht damit, dass momentan die Pandemie medial nicht mehr ganz so im Fokus steht, was wir für problematisch halten, weil wir ja auch sehen, dass gerade Mehrfacherkrankungen et cetera zu längeren Symptomen führen können. Wir sind noch längst nicht aus dem Gröbsten heraus und deswegen versuchen wir auch, sehr laut zu sein. Wir versuchen, mit unserer Kommunikation auf dieses Problem Long Covid aufmerksam zu machen. Dazu gehört auch, dass wir darauf hinweisen, dass sich die Betroffenen, die wir Heroes nennen, nicht ernst genommen und sich nicht wahrgenommen fühlen. Daher sind wir über Social Media auch als Botschafter sehr präsent. Ohne riesiges Marketingbudget müssen wir uns auf Dinge konzentrieren, die wir hier selbst realisieren können. Deswegen war Social Media für uns damals die erste Anlaufstelle. Mittlerweile aber werden auch die Medien auf uns aufmerksam.
Das Thema Long Covid ist, wie Sie bereits angemerkt haben, noch ein recht neues und daher weitgehend unerforscht. Wie genau kann Ihre Plattform dabei helfen das zu ändern?
PP: Ein ganz wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist der medizinische Symptomfragebogen, den wir entwickelt haben. Dieser geht sehr detailliert auf die Coronaerkrankung an sich ein: Auf das Datum der Coronaerkrankung, wie die Erkrankung verlaufen ist et cetera und eben erstmalig auf eine sehr detaillierte Abfrage von jetzigen Long Covid-Symptomen, die man dann entsprechend skalieren kann. Diesen holistischen Ansatz, sich alle Symptome anzuschauen, gibt es eigentlich kaum bis selten und das machen wir eben erstmalig.
Des Weiteren gehen wir sehr ins Detail, was die medizinischen Vorerkrankungen angeht. Wir möchten herausfinden, ob es Vorkonditionen gibt, die zu einer schwereren Coronaerkrankung führen. Nur mit solchen Daten wird es uns gelingen, Long Covid besser zu verstehen. Und da spielen wir eine präsente Rolle, weil wir eben diesen holistischen und datengetriebenen Ansatz verfolgen.
Das heißt, wir können entsprechende Korrelationen sehen, Cross-References und so weiter. Das ist bei vielen anderen Studien nicht gegeben. Gleichzeitig hat der Datenschutz bei uns höchste Priorität. Selbstverständlich ist alles anonymisiert und auch die Sicherung der Daten ist uns sehr wichtig. Deswegen hat es auch so lange gedauert, bis wir online gehen konnten, was erst im Januar 2022 passiert ist. Es war uns sehr wichtig, dass die Infrastruktur so perfekt wie nur irgendwie möglich ist.
Gleichzeitig sind wir sehr transparent. Wir erklären unseren Betroffenen ganz genau, was wir tun. Das ist bei der Fragestellung Long Covid komplett neu. Neben unserem medizinischen Fragebogen ist die Plattform auch dazu da, dass sich Haus- und Fachärzte, Ambulanzen sowie Kliniken untereinander austauschen können.
Die neusten Informationen, Ergebnisse und Erfahrungen zum Thema Long Covid können über Health4Future ausgetauscht werden. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert und das ist ebenfalls ganz neu an der Plattform.
Ihre Plattform bietet also großes Potential, wenn es um die Erforschung von Long Covid geht. Aber wie sieht es mit den Individuen aus, die sich an diesem Projekt beteiligen. Welche Vorteile hat eine erkrankte Person, wenn Sie denn Fragebogen ausfüllt?
PP: Ein Betroffener oder eine Betroffene hat zunächst mal den Vorteil, dass er oder sie eine Informationsplattform hat. Das heißt, man kann sich informieren, was Long Covid bedeutet und überprüfen, ob man selbst ebenfalls darunter leidet?
Der zweite Vorteil ist natürlich unsere Community. Man kann sich unglaublich schnell mit den Leuten austauschen. Das allerwichtigste ist selbstverständlich, dass man all seine Probleme und Symptome schildern kann. Das gab es so, wie gesagt, bislang nicht. Das heißt, man wird ernst- und wahrgenommen und mit den Symptomen nicht allein gelassen.
Nach dem Ausfüllen des medizinischen Symptomfragebogens, wird dieser analysiert. Hierfür arbeiten wir mit unserem interdisziplinären Team zusammen, welches aus über
40 Fachärzten aus den Bereichen der Neurologie, Pneumologie, Kardiologie und Gynäkologie besteht. Dieses Team diagnostiziert und erarbeitet die nächsten Schritte, für jeden Betroffenen individuell.
Die dritte Säule ist die Helping Hour. Dabei handelt es sich um ein digitales Gespräch zwischen einem unserer Ärzte und einer betroffenen Person sowie einem Teammitglied von Health4Future. Gemeinsam können die ersten Fragen beantwortet oder auch bereits stattgefundene Therapien bewerten werden. Dieses Gespräch ist eben ganz wichtig, damit Betroffene sehen, dass auch Menschen hinter dem Projekt stehen und nicht nur eine kalte Datenbank. Das Ziel ist es, für jeden eine Therapie entwickeln zu können, die zur vollständigen Heilung führt. Dass das momentan natürlich noch Zeit in Anspruch nimmt, ist, glaube ich, jedem klar und bewusst, weil es eine ganz neue Krankheit ist und die Forschung noch am Anfang steht.
Wenn Sie eine Schlüsselerkenntnis aus Ihrer Erhebung nennen müssten, die für Sie besonders interessant ist, welche wäre das?
PP: Nun, das wären zwei Dinge, die für mich persönlich herausstechen: Zum einen sind die Betroffenen mehrheitlich sehr jung und zum anderen waren die Betroffenen mehrheitlich schon bei zahlreichen Ärzten und alle wussten leider nicht weiter. Jetzt darf man hier auf gar keinen Fall Ärzte-Bashing betreiben, das wäre falsch. Für sie ist das auch etwas Neues, weswegen wir auch die Plattform gegründet haben, damit sich eben auch Ärzte informieren und zusammenarbeiten können.
Uns erreicht dann oft das Feedback von Betroffenen, dass sie erleichtert sind, mit 35 Jahren wieder ein bisschen Hoffnung auf einen normalen Alltag zu haben.
Konnten Sie bis dato bestimmte Erfolge verzeichnen?
PP: Wir sind schon bei über 6.500 Betroffenen, die sich bei uns registriert und den Fragebogen ausgefüllt haben. Das ist gerade für Deutschland eine riesige Studienkohorte. Dass so viele Menschen die Problematik haben und sich eben auch bei uns melden, damit hatten wir nicht gerechnet.
Ein zweiter Punkt ist, dass so viele Ärzte mitmachen. Ärzte werden gerne verschrien, dass sie digitale Produkte nicht gut finden und keine Initiative zeigen, sich zu verändern. Wir beobachten hier eher das Gegenteil. Wir haben tolle Ärzte, die mit uns zusammenarbeiten und die natürlich Wert darauf legen, dass sie mit einem Produkt arbeiten, das funktioniert.
Und ein dritter Erfolg ist, dass wir jetzt gehört werden. Wir sind jetzt so groß, dass Leute anfangen, das Thema ernst zu nehmen, dass wir darüber sprechen dürfen und zu Interviews oder auch zu Paneldiskussionen eingeladen werden. Damit haben wir die Möglichkeit, auf das Thema Long Covid aufmerksam zu machen. Uns ist hier besonders wichtig zu betonen, dass Long Covid nicht stigmatisiert werden darf, sondern dass datenbasierte Lösungen gefunden werden müssen.
Darüber hinaus hoffen wir, dass wir auch unserem Anspruch gerecht werden und
zeitnah Therapien entwickeln können. Das wäre der ultimative Erfolg.