Digitales Lernen ist weder Sci-Fi noch Magie!
Bildung ist mehr als Tablet-App und Online-Kurse!
Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU Deutschlands
Kurz & Bündig
Annegret Kramp-Karrenbauer fordert ein neues Verständnis von guter Bildung, mehr Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien und einen lernenden Staat. Dabei hält sie ein verändertes „Mindset“ für sehr viel notwendiger als neue Förderprogramme. Groß zu denken, agil zu handeln, Fehler zuzulassen und Innovationstechniken gezielt einzusetzen, müssen aus ihrer Sicht die Eckpfeiler dieses neuen Denkens sein.
Arthur C. Clarke, der Autor des Science-Fiction-Klassikers „Odyssee im Weltraum“, hat folgendes Gesetz aufgestellt: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Wenn wir uns die Zukunfts-Technologien unserer Zeit anschauen, haben sie tatsächlich etwas Magisches: selbstfahrende Autos, Hyperloop oder menschliche Organe aus dem 3D-Drucker. Aber es ist keine Magie und keine Science-Fiction. Es handelt sich um Physik, Chemie, Mathematik. Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen sie verstehen. Das stellt eine kulturelle Herausforderung dar.
Wer die vermeintlich schöne neue Welt um sich herum nicht mehr versteht, ist schnell überfordert und anfällig für falsche Propheten. Denn nur wer versteht, kann nicht manipuliert werden. Vor allem aber ist das Verstehen der Zukunft in allen Facetten die zentrale Herausforderung für die Bildung der Zukunft. Bildung im 21. Jahrhundert ist mehr als Lernen am Tablet und mehr als Online-Kurse. Die Digitalisierung hat bereits unser Verständnis von Bildung radikal auf den Kopf gestellt und wird es weiterhin tun. Die Corona-Krise hat diesen Prozess noch massiv beschleunigt. Sie hat gezeigt, dass Deutschland auf dem richtigen Weg, aber lange noch nicht gut und schnell genug ist. Was ist also zu tun?
1. Wir brauchen ein neues Verständnis von guter Bildung
Fakt ist: Unsere Schulen vermitteln derzeit noch nicht stark genug die Fähigkeiten, die jeder Mensch in Zukunft braucht. Wohlgemerkt: für sich selbst braucht. Wir dürfen niemals ein Bildungssystem zulassen, das sich vor allem an den Interessen des Marktes orientiert. Deshalb gehören z. B. Cäsars „De bello Gallico“, Beethovens Neunte und Dürers Hase auch im 21. Jahrhundert zu einer guten Bildung dazu.
Aber im 21. Jahrhundert darf es nicht mehr nur in erster Linie darum gehen, wann welcher Schüler welchen Stoff lernt. Sondern wir müssen verstehen, dass wir Menschen in Zukunft stärker andere Talente und andere Fähigkeiten brauchen als noch vor 10 Jahren. Das betrifft inhaltlich etwa das Coding, dass zum Einmaleins der Zukunft dazugehört. Coding wird die Sprache der nächsten Dekaden sein, wahrscheinlich noch wichtiger als Englisch. Mehr noch: Roboter, Maschinen und Computer erledigen bereits jetzt viele Aufgaben besser als wir Menschen – von der Krebs-Diagnostik bis zu Verwaltungsvorgängen. Umso mehr kommt es darauf an, das zu schulen, was kein Computer kann: Kreativität und soziales Miteinander. Eine Studie der NASA hat herausgefunden, dass 98 Prozent der 5-Jährigen „hochgradig kreativ“ seien, aber nur 2 Prozent der über 25-Jährigen. Das bedeutet, wir trainieren unseren Kindern Kreativität ab, anstatt sie zu fördern. Das kann nicht sein, und das können wir uns in Zukunft schlicht nicht leisten.
Bildung im digitalen Zeitalter bedeutet zudem flexibles, individuelles und lebenslanges Lernen. Moderne Lernsoftware macht es möglich, dass in einer Klasse verschiedene Kinder in unterschiedlichem Tempo und mit unter- schiedlichen Methoden lernen. Auch in der beruflichen Weiterbildung müssen wir neue Wege gehen. Mikrozertifikate oder so genannte Nanodegrees können schnelle und qualifizierte Weiterbildung bieten.
Letzter Punkt: In der ganzen – berechtigten – Diskussion um gerechte Bildungschancen dürfen wir nicht das Leistungsprinzip vergessen. Deutschland ist beim aktuellen Pisa-Schulleistungstest nur im oberen Mittelfeld gelandet, in einigen Einzelbereichen waren die Ergebnisse sogar noch schlechter. Für die klügste Technik brauchen wir auch künftig die klügsten Köpfe – national wie international.
2. Wir brauchen mehr Kompetenz im Umgang digitalen Medien
Die Europawahl im vergangenen Jahr war ein Weckruf für die CDU. Unsere falsche Kommunikation im Umgang mit dem Video des Youtubers „Rezo“ hat im Konrad-Adenauer-Haus ein Umdenken eingeleitet: Wir haben unsere Digitalkompetenz ausgebaut, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür eingestellt, wir haben einen Newsroom eingerichtet, der fachübergreifend vernetzt arbeitet, damit wir schneller reagieren können – dem Tempo der sozialen Medien entsprechend.
Politische Debatten entstehen heute häufig zuerst einmal in den sozialen Netzwerken, bevor sie in den traditionellen Medien stattfinden. Der Umgang miteinander im digitalen Raum ist zunehmend schärfer geworden, und die Diskussionen werden ideologisch und polarisiert geführt. Das ist zum Teil begründet durch lernende Algorithmen, die den sozialen Netzwerken zugrunde liegen: Nutzer bekommen Informationen angezeigt, auf die Freunde in ihrem Netzwerkes reagieren und die zumeist starke Emotionen bei den Nutzern auslösen. Auf diese Weise werden Beiträge nach Relevanz kuratiert, sodass Menschen häufig in ihrer eigenen Filterblase Informationen konsumieren und sich in den jeweiligen gebildeten Meinungen fortlaufend bestätigt sehen. Gefährlich für unsere Demokratie wird es besonders dann, wenn bei anstehenden Wahlen sogenannte Fake News gestreut werden – gezielte Desinformationen, die als solche für Nutzer nur schwer zu erkennen sind und schnell Verbreitung finden.
Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft – und besonders auch unsere Kinder – lernen, die Informationen, die wir im Internet lesen, auf den Prüfstand zu stellen und vorschnelle Behauptungen und vermeintliche Fakten in sozialen Medien nicht gleich als Wahrheit annehmen, sondern anhand verlässlicher Quellen prüfen. Dieses Gespür für den Umgang mit Informationen im Internet braucht es, denn es geht letztendlich um Verantwortung und Mündigkeit als eine der Grundlagen für eine funktionierende und stabile Demokratie.
Der Umgang mit Fake News treibt auch die Bundeswehr um. Hybride Kriegführung verbindet militärische mit ökonomischen Mitteln und Propaganda in Medien und Social Media, um Spannungen zu forcieren und Druck aufzubauen. Die Grenze zwischen Frieden und Krieg verwischt, weshalb auch von hybriden Bedrohungen gesprochen wird. Mit Desinformation als Mittel hybrider Kriegführung soll gezielt die öffentliche Meinung beeinflusst und die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen untergraben werden. Aufgrund der Verbreitungsmöglichkeiten nutzen hybride Akteure zunehmend das Internet als Operationsraum. Angriffe aus dem Internet sind wirkungsvoll und leicht zu verbergen. Die Intention derartiger Cyber-Angriffe liegt auf der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und beinhaltet das gesamte Spektrum von gezielter Steuerung von Diskussionen in sozialen Netzwerken bis hin zur Manipulation von Informationen auf Nachrichtenportalen.
3. Wir brauchen einen lernenden Staat
Auch die Baustellen in Staat und Verwaltung sind in der Corona-Krise noch einmal deutlich zu Tage getreten. An vielen Stellen wird fieberhaft an neuen Lösungen und neuen Wegen gearbeitet. Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Staat und Verwaltung derzeit noch nicht fit sind für das 21. Jahrhundert. Selbst der Deutsche Beamtenbund stellte jüngst fest: „Der öffentliche Dienst von heute ist in keiner guten Verfassung. Wir haben hier weder ein Erkenntnisproblem noch ein Zuständigkeitsproblem. Wir haben ein Mentalitätsproblem. Wir arbeiten uns mühsam durch den Dschungel der Bürokratie, den wir selbst gepflanzt haben. Wir wollen alles tausendprozentig regeln und haben eine schiefe Balance zwischen Risikominimierung und Chancennutzung.
Meine Bundestags-Kollegen Thomas Heilmann und Nadine Schön haben in ihrem Buch „Neustaat“ das Leitbild des „Lernenden Staates“ entworfen. Ein Staat, der bereit ist, in allen Facetten dazuzulernen, der offener ist für Neues. Ein Staat, der Dinge ausprobiert und zur Not auch schneller verwirft. Und vor allem ein Staat, der mehr Freiheit und Eigenverantwortung in seiner Zuständigkeit zulässt. Das Bundesverteidigungsministerium zum Beispiel stellt Kommandeuren ein jährliches Handgeld von 25.000 Euro zur Verfügung, mit dem sie selbstständig und unbürokratisch bestimmte, notwendige Anschaffungen tätigen können. Ähnliche Wege müssen wir in der Bildung gehen. Es kann nicht sein, dass Verwaltungen Monate brauchen, um Lehrern und Kindern ein Tablet zur Verfügung zu stellen – obwohl das Geld dafür da ist.
Zu einem lernenden Staat gehört schließlich ein Digitalministerium. Wir brauchen mehr Vernetzung, mehr Datenabgleich, mehr automatisierte Verfahren, um unseren Staat fit für die Zukunft zu machen.
Damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Die Bildung der Zukunft entsteht nicht wegen staatlicher Förderprogramme oder vieler wissenschaftlicher Beiräte. Sondern sie entsteht nur mit der richtigen Denk- und Herangehensweise – neudeutsch: Mindset. Zu diesem Mind-set gehört: Groß denken, agil handeln, Fehler zulassen, Innovationstechniken gezielt einsetzen. Mit einem Satz: Freiheit und Eigenverantwortung zulassen und nutzen. Dann wird die Zukunft auch keine Science-Fiction.