Frau Prof. Wanka, ein Agendapunkt der IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ befasst sich mit digitalen Bildungsstrategien für die berufliche Bildung von morgen. Das ist ein Thema, das besonders den Mittelstand tangiert, der mit Sorge auf die schwindende Zahl an Fachkräften schaut. Welche strategischen Ansätze werden im Rahmen der Plattform diskutiert? Was müssen und können Politik, Wissenschaft und Praktiker tun, damit Bildung hier gelingt?
Die Sorge um den Fachkräftebedarf besonders von kleinen und mittleren Unternehmen nehmen wir in meinem Ministerium sehr ernst. Wir haben gerade die neue Strategie „Vorfahrt für den Mittelstand“ beschlossen, in der die Qualifizierung von Fachkräften ein zentrales Handlungsfeld ist. Das duale Berufsbildungssystem ist in diesem Zusammenhang eine große Stärke von Deutschland. Die OECD hat uns jüngst in der Studie „Bildung auf einen Blick“ noch einmal bescheinigt, dass es jungen Menschen den Übergang ins Berufsleben erleichtert und eine solide Grundlage für einen erfolgreichen Berufsweg bildet. In Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit in anderen EU-Ländern macht sich das besonders bemerkbar.
Nun kommt es also darauf an, dass dieses international anerkannte System mit der Digitalisierung Schritt hält. Das ist keine neue Erkenntnis und damit fangen wir auch nicht jetzt erst an: Wir modernisieren laufend Aus- und Fortbildungsordnungen in den verschiedenen Branchen, insbesondere in denen mit IT-Bezug. Wir fördern bereits seit 2012 Projekte zum Thema „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“, bald starten außerdem Projekte zur Medienqualifizierung des Ausbildungspersonals, damit der Anteil des digitalen Lernens in der beruflichen Aus- und Weiterbildung weiter steigen kann. Und wir wollen künftig auch Kompetenznetzwerke rund um das Thema Digitales Lernen fördern.
Diese verschiedenen Ansätze spiegeln auch die Diskussion wider, die gerade bei der IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ geführt wird und in der vor allem zwei Aspekte eine Rolle spielen: Der eine bezieht sich auf die Auswirkungen des Digitalen Wandels auf die berufliche Bildung selbst, der andere auf digitale Medien als “Vehikel“, um die berufliche Bildung in ein System des lebenslangen Lernens einzubetten, das alle Bildungssektoren umfasst. Die IT-Gipfel-Plattform liefert hier immer wieder neue Impulse. Deutschland hat bei dem ganzen Thema den Vorteil, dass wir nicht an jeder Stelle das Rad neu erfinden müssen, sondern an bewährte Strukturen andocken können.
Darüber hinaus ist es schon seit langem ein bildungspolitisches Ziel von Bund und Ländern, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung zu verbessern. Stellen Sie sich als Beispiel einen beruflich qualifizierten und berufstätigen Fachinformatiker vor, der berufsbegleitend Informatik studieren möchte, um sich auf weitere Karriereschritte vorzubereiten. Die Digitalisierung eröffnet dabei große Chancen. Auch in diesem Bereich fangen wir nicht bei null an: So fördern Bund und Länder seit 2011 mit dem Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ unter anderem die Entwicklung innovativer, digitaler Formate des berufsbegleitenden Studiums.
Es geht zum einen darum, junge Menschen zu Facharbeitern zu qualifizieren, zum anderen sehen sich Unternehmen vor der Herausforderung, die vorhandenen Facharbeiter durch Weiterbildung fit für die digitale Zukunft zu machen. Haben wir hier bereits Chancen verpasst?
Nein. Mit der Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten sichern wir Fort- und Weiterbildungsangebote, die insbesondere auch auf die kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnitten sind. In vielen Bereichen wird die Ausbildung in Betrieb und Berufsschule durch praxisnahe Lehrgänge in den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten ergänzt. Sie sorgen dafür, dass allen Auszubildenden die notwendigen Ausbildungsinhalte vermittelt werden, unabhängig von der Größe, Spezialisierung oder Ausstattung des ausbildenden Betriebs. Und wir starten hier gerade ein Sonderprogramm Digitalisierung, um die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten und Kompetenzzentren besser für dieses Thema auszustatten und Netzwerke zur Förderung der Digitalisierung in der beruflichen Bildung zu unterstützen. Dafür werden wir im Laufe der nächsten drei Jahre bis zu 74 Millionen Euro investieren.
Sind Schüler, Studenten und Berufstätige durchgehend bereit für neue digitale Lernformen? Wie kann man einer Teilung der Gesellschaft in digital kompetente Menschen und digitale Analphabeten entgegenwirken?
Wir wissen aus der internationalen Vergleichsstudie ICILS – International Computer and Information Literacy Study-, dass die deutschen Achtklässler hinsichtlich ihrer digitalen Kompetenzen lediglich im internationalen Mittelfeld liegen. Damit können wir noch nicht zufrieden sein. Wichtig ist Dreierlei: Erstens muss es an den Schulen zu den notwendigen Veränderungen und Verbesserungen kommen – das ist Sache der Länder. Zweitens: Wir brauchen weitere wissenschaftliche Erkenntnisse über digitale Lernformate, denn es geht bei ihrem Einsatz nicht um das ob, sondern um das wie. Digitales Lernen muss einen Mehrwert bieten. Und drittens brauchen wir eine stärkere Einbindung digitaler Lernwelten in die Lehrerbildung. Denn ICILS hat auch gezeigt, dass die Ausstattung der Schulen im internationalen Durchschnitt liegt, aber die neuen Medien im Unterricht zu selten genutzt werden. Hier setzen wir vom BMBF mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an, die unter anderem die mediendidaktischen Kompetenzen in der Lehramtsausbildung stärkt.
In Deutschland gibt es viele Menschen, die an bestimmten Punkten der eigenen Bildungs- und Erwerbsbiografie Schwierigkeiten haben und so vom Arbeitsmarkt abgekoppelt werden. Wie können digitale Bildungsformen hier weiterhelfen?
Je nachdem, wie stark die von Ihnen angesprochenen Schwierigkeiten sind, werden digitale Lernangebote allein nicht ausreichen. Einen wichtigen Beitrag können sie aber sehr wohl leisten. Wir haben deshalb zu diesem Thema eine eigene Arbeitsgruppe in der IT-Gipfel-Plattform eingerichtet, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigt. Durch digitale Medien können beispielsweise Angebote realisiert werden, die einen niedrigschwelligen Zugang bieten, von zu Hause flexibel genutzt werden können oder klassische Präsenzveranstaltungen mit E-Learning-Angeboten kombinieren, sogenanntes „Blended Learning“.
Es gibt viele einzelne Initiativen in Deutschland digitale Bildung kostenlos anzubieten wie beispielsweise Online-Labore für Schulen und kostenlose MOOC-Kurse von Universitäten. Sie sind jedoch verstreut und kaum koordiniert. Sehen Sie die Möglichkeit, von staatlicher Seite in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und öffentlichen Institutionen eine gemeinsame digitale Bildungsplattform zu etablieren?
Zunächst einmal ist es ja sehr zu begrüßen, dass viele Bildungseinrichtungen – in der schulischen und beruflichen Bildung, der Hochschulbildung und der Weiterbildung – digitale Angebote entwickeln und anbieten. Diese Bildungseinrichtungen verfolgen ihre jeweils eigenen Zwecke, wenn sie digitale Inhalte kostenlos zur Verfügung stellen. Sie wollen damit beispielsweise auf sich und ihre Leistungen aufmerksam machen. Das ist völlig legitim.
Für die – potenziellen – Nutzerinnen und Nutzer könnte unter Umständen eine zentrale Plattform sinnvoll sein. Ob und in welcher Form eine solche Lösung realisierbar sein könnte, dazu werden sich die Mitglieder der IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ intensiv beraten.
Deutschland hat in den vergangenen Monaten rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Viele werden für Jahre bei uns bleiben und wollen sich beruflich integrieren. Wie können digitale Medien helfen, sie für die Berufswelt fit zu machen? Gibt es konkrete Initiativen zur digitalen Berufsorientierung und beruflichen Bildung aus Ihrem Ministerium heraus?
Das ist in der Tat eine große Herausforderung, für deren Bewältigung eine Kraftanstrengung nötig ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat deshalb zwei Maßnahmenpakete aufgelegt. Wir konzentrieren uns dabei auf drei zentrale Ziele: Erwerb der deutschen Sprache, Erkennen der Potentiale und Kompetenzen und Integration in Ausbildung, Studium und Beruf.
Digitale Angebote spielen dabei auch eine große Rolle. Ein gutes Beispiel ist dafür das bundesweite Lernangebot „Einstieg Deutsch“, welches der Deutsche Volkshochschul-Verband zur Förderung erster Deutschkenntnisse der Flüchtlinge entwickelt. Die Einstiegskurse für bis zu 40.000 Menschen pro Jahr werden ergänzt durch eine Lern-App, die Flüchtlinge ganz niedrigschwellig an die deutsche Sprache heranführt. Die App und die Plattform www.ich-will-deutsch-lernen.de sollen auch im Sinne des schon erwähnten Blended Learning in den Einstiegskursen genutzt werden. Eine weitere Lern-App „Deutsch für den Beruf“ soll bei der Verbesserung der berufsbezogenen Sprachkompetenzen helfen. Dabei sollen auch Themen wie Bewerbung, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz oder Kommunikation mit Kunden und Kollegen aufgegriffen werden.
Johanna Wanka, Irmhild Plaetrich