Digitale Instandhaltung ist die Brücke zur Sicherheit
Ein Konzept zur Zustandsbewertung von Eisenbahnbrücken
Hubert Naraniecki, Robert Hartung, Fabian Faltin, DiMaRB
Kurz & Bündig
Das Projekt „DiMaRB“ entwickelt ein neuartiges Konzept zur datenbasierten, digitalen Instandhaltung von Eisenbahnbrücken. Dabei werden als Grundlage Komponenten des Structural Health Monitoring (SHM) sowie des Building Information Modeling (BIM) in einer zentralen digitalen Plattform vereint. Mit der Verwendung wird eine zukunftsweisende, prädiktive Instandhaltung möglich, die auf Grundlage von Daten aus verschiedenen Quellen Zustandsprognosen für Infrastrukturbauwerke ermittelt, sodass die zukünftige Instandhaltung effizienter gestaltet werden kann.
Die Möglichkeit zur uneingeschränkten Mobilität ist einer der zentralen Aspekte unserer modernen Gesellschaft. Betrieb und Aufrechterhaltung von Stand- und Verkehrssicherheit von Ingenieurbauwerken innerhalb der Verkehrsinfrastruktur gehört im Lebenszyklus der Anlagen zu den Kernaufgaben. Aufgrund der alternden Bauwerksstruktur und zunehmenden Verkehrsbelastungen stellt ein effizientes Instandhaltungsmanagement eine zunehmende Herausforderung für Ingenieurinnen und Ingenieure dar. In festen Intervallen werden Bauwerke handnah und detailliert inspiziert, was mit einem intensiven Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist.
Digitale Instandhaltung von Eisenbahnbrücken
Um diesen Aufgaben zu begegnen, wurde in dem Projekt „DiMaRB“ (Digital Maintenance of Railway Bridges), (Förderrichtlinie mFUND „Modernitätsfond“ – Förderkennzeichen 19F2075A) unter Beteiligung von Wissenschaft, Praxis und den regulierenden Behörden ein Konzept zur datenbasierten digitalen Instandhaltung von Eisenbahnbrücken entwickelt. Das Instandhaltungskonzept vereint Komponenten des Structural Health Monitoring (SHM) sowie des Building Information Modeling (BIM) in einer zentralen digitalen Plattform und zeigt die Möglichkeiten einer prädiktiven Instandhaltungsstrategie auf. Hierzu erfolgen die Verknüpfung notwendiger Daten sowie eine Visualisierung und Analyse wichtiger Messwerte, sodass datenorientierte Zustandsprognosen für die In-frastrukturbauwerke ermittelt werden können.
Building Information Modeling
Die BIM-Methodik ist ein Ansatz zur effizienten Kollaboration und Kommunikation im Bauwesen. [1] An einem gemeinsamen objektorientierten 3D-Modell eines Bauwerks werden über den gesamten Lebenszyklus hinweg Informationen organisiert und zwischen den Beteiligten koordiniert. Die gesamte Bauwerksstruktur mit allen relevanten Ausstattungsobjekten und Umgebungsdaten kann sich in Abhängigkeit zur Disziplin oder Aufgabe aus unterschiedlichen Teilmodellen zusammensetzen. Diese werden auf einer gemeinsamen Datenplattform, dem sogenannten Common Data Environment (CDE), organisiert. Das objektorientierte Modell und die Zugänglichkeit über das CDE bilden die Grundlage für die Zusammenarbeit und Kommunikation. Die multilateralen Abstimmungen am Modell und auf der Plattform werden zur Vermeidung von Unstimmigkeiten über ein objektbezogenes Ticketsystem abgewickelt, das eine transparente und zentralisierte Kommunikation in der Plattform ermöglicht.
Structural Health Monitoring
SHM bezeichnet die kontinuierliche Überwachung einer gebauten Struktur, wie beispielsweise einer Brücke. [2] Mithilfe von verschiedenen sensorischen Messsystemen können das gesamte Bauwerk, einzelne Bauwerksbereiche oder kritische Bauteile in Bezug auf Aspekte der Tragfähigkeit, Sicherheit und Dauerhaftigkeit digital überwacht werden. [3] Der Einsatz von Sensoren bietet die Vorteile eines kontinuierlichen Informationsflusses zum Istzustand des Bauwerks, der dezentral und in Echtzeit erfolgen kann. Aus den Messdaten kann zerstörungsfrei eine Zustandskontrolle beziehungsweise Zustandsbewertung des Objekts erfolgen. SHM kann mit verschiedenen Zielstellungen eingesetzt werden, beispielsweise zur Überprüfung der statischen Berechnungen, zur Zustandskontrolle und -überwachung (evtl. unter extremen Randbedingungen) oder auch zur ganzheitlichen Überwachung während des Betriebs.
shBIM – Structural Health BIM
„Structural Health BIM“, kurz shBIM, integriert SHM in ein Konzept zum Betrieb von Infrastrukturbauwerken unter Anwendung der BIM-Methode. In Ergänzung der methodischen Grundlagen aus Planung und Bau steht ein CDE, hier shBIM-Plattform genannt, im Zentrum der digitalen objektorientierten Kollaboration. Hierzu wird über den gesamten Lebenszyklus ein digitaler Zwilling des Bauwerks erzeugt. Dies ermöglicht es, mit dem CDE als Single Source of Truth, eine hohe Datenverfügbarkeit mit intelligenten Verknüpfungen für die an der Instandhaltung beteiligten Akteure zu realisieren. Der digitale Zwilling bildet neben der Geometrie des Bauwerks auch die verknüpften Messdaten aus dem SHM ab. So wird eine kontinuierliche und datenorientierte Überwachung umgesetzt, aus der auf den Zustand einzelner Bauteile des digitalen Zwillings geschlossen werden kann. Diese Bewertung geschieht nicht nur auf Grundlage der SHM-Daten, sondern auch auf Basis eines Schadensmodells und weiterer verknüpfter Instandhaltungsdaten. [4]
Reale Demonstratoren bestätigen Konzeption
Im Rahmen des Projektes sind zwei repräsentative Brücken ausgewählt worden, um als Demonstrator der Konzeption zu fungieren. Bei den Demonstratorbauwerken handelt es sich um die semiintegrale Grubentalbrücke (Baujahr 2008, vgl. Abbildung 1) und eine einfeldrige Stahlbrücke (Baujahr 1953). Diese wurden stellvertretend für unterschiedliche Bauweisen, Bauwerksalter und Aktualität von Bestandsdaten ausgewählt. Anhand der aktuellen Bestandsdaten konventioneller Bauwerksmanagementsysteme, Bauwerksbüchern, Bestandsplänen, Fotos und Instandhaltungsunterlagen sind digitale Bauwerksmodelle der beiden Brücken erstellt worden. Diese stellen das Bestandsmodell dar und verknüpfen die für die Zustandsbewertung relevanten Informationen.
Für den digitalen Zwilling sind die Bauwerksmodelle noch um Teilmodelle zur Erfassung der Schäden und der Komponenten des SHM erweitert worden. Das Schadensmodell repräsentiert alle bisher dokumentierten Schäden an den einzelnen Bauteilen und wird im Lebenszyklus fortgeschrieben, wenn weitere Schäden am Bauwerk auftreten oder instandgesetzt werden. Ein einzelner Schaden im Schadensmodell enthält Informationen über seine Geometrie, die Kritikalität, die Verknüpfung zum Bauteil, an dem der Schaden aufgetreten ist und gegebenenfalls durchgeführte Maßnahmen, um den Schaden zu beheben. Im Teilmodell des SHM sind alle am Bauwerk installierten Sensoren abgebildet. Neben den allgemeineren Informationen zu Messgrößen, Herstellern oder Einbaudatum sind die einzelnen Sensoren mit den Echtzeitmessdaten des realen Sensors verknüpft. So gelangen die aktuellen Messwerte in den digitalen Zwilling und stehen über die Verknüpfung des Sensors mit dem überwachten Bauteil permanent an jedem Objekt zur Zustandsbewertung zur Verfügung. [5]
Umsetzung der Zustandsbewertung
Als semiintegrales Bauwerk ist die Grubentalbrücke bereits seit Inbetriebnahme mit einem umfangreichen Monitoringsystem ausgestattet. Für den zweiten Demonstrator sind nach etwa 50 Betriebsjahren ein eigenes Monitoringkonzept entwickelt und die entsprechende Technik nachgerüstet worden, wodurch an beiden Demonstratoren die Grundlage für eine Zustandsbewertung in der shBIM-Plattform geschaffen wurde.
Die Auswertung der seit 2008 an der Grubentalbrücke gesammelten Messdaten ergibt einen charakteristischen Zusammenhang zwischen überfahrendem Zug und der gemessenen Reaktion des Bauwerks. So können bereits minimale Abweichungen in der Bauwerksreaktion über den Lebenszyklus erfasst und bewertet werden. Diese geben deutlich früher Hinweise auf Schadensinitiierungen, welche visuell erst viel später als ein tatsächlicher Schaden wahrnehmbar wären. Auf der shBIM-Plattform, auf der diese Informationen zusammenfließen, wird auf Grundlage der Messdaten, des Schadensbildes und weiterer Informationen, wie beispielsweise Daten zu Temperatur und Witterung, ein Zustandsindikator für jedes Bauteil berechnet. Diese permanente Zustandsbewertung füllt die in Abbildung 2 veranschaulichten Lücken zwischen den aktuell üblichen Inspektionsintervallen von drei bis sechs Jahren, so können bedarfsorientierte Inspektionen frühzeitig initiiert werden.
Weiterhin werden bauwerksübergreifend Bestandsdaten in Kombination mit maschinellen Lernverfahren verwendet, um die Zustandsentwicklung der Bauteile unter bestimmten Randbedingungen vorherzusagen, sodass eine langfristige Instandhaltungsplanung möglich wird. Mit der Zustandsbewertung und -prognose kann die Reaktionszeit auf kritische Veränderungen an den Bauwerken noch weiter reduziert werden, und die digitale Instandhaltung bekommt einen prädiktiven Charakter. [5]
Digitale Kollaboration in der Instandhaltung
Die technischen Fortschritte durch die Nutzung des digitalen Zwillings und der Zustandsbewertung sind in einen digitalen Prozess zum Instandhaltungsmanagement überführt worden. Dieser greift bestehende Vorgaben von Infrastrukturbetreibern auf und erweitert sie um neue Rollenbilder. Diese ergeben sich unter anderem aus der BIM-Anwendung sowie der Integration von Monitoringexperten. Im Zentrum des shBIM-Prozesses steht die shBIM-Plattform, welche in Anlehnung an die BIM-Methodik neben dem Datenaustausch insbesondere auch zur Kommunikation auf Basis des objektorientierten Modells dient. Auf dieser Plattform wird über ein Rechte- und Rollenkonzept allen beteiligten Akteuren ein zentraler Datenzugriff ermöglicht. Neben den Anlagenverantwortlichen und deren Fachbeauftragten gehören die aufsichtsführenden Behörden, die BIM-Akteure und externe Planer, Bauwerksprüfer oder auch die Öffentlichkeit zu den relevanten Stakeholdern. Diese Akteure agieren und interagieren auf der Plattform im Rahmen des Rechtekonzeptes, das den Informationsfluss exakt auf die jeweilige Aufgabe des Akteurs zuschneidet. Die plattformbasierte Kommunikation erfolgt mittels eines entwickelten Ticketsystems, das die objektorientierten Informationen aufgreift und in einem digitalen Workflow weiterverwendet. Dieses Kommunikationsformat auf Basis von BCF (BIM Collaboration Format) wird genutzt, um die in den Prozessen nötigen Workflows inklusive jedes einzelnen Unterschrittes abzubilden und ermöglicht eine hohe Transparenz bezüglich Informationslage und Verantwortung.
Fazit und Ausblick
Das im Projekt „DiMaRB“ entwickelte Konzept zur digitalen Instandhaltung vereint die Vorteile von SHM und BIM und nutzt beide Methoden, um mithilfe der Kommunikation, der Datenverfügbarkeit und der Messdatenanalyse in einer zentralen Plattform den Instandhaltungsprozess von Brückenbauwerken in der Eisenbahninfrastruktur effizienter, nachhaltiger und digitaler zu gestalten. Durch die Anwendung kann in Zukunft die reaktive Instandhaltungsstrategie hin zu einer prädiktiven verlagert werden. Dadurch wäre beispielsweise eine Spreizung der aktuell starren Inspektionsintervalle denkbar, was wiederum zu einer deutlichen Reduzierung des Ressourcenbedarfs in der Instandhaltung beziehungsweise einem gezielten Einsatz der vorhandenen Ressourcen führt. Zur anwenderspezifischen Validierung des Konzepts ist im Rahmen des Projekts ein Workshop mit Beteiligten der Instandhaltungskette geplant. Über das Projekt hinaus sind als nächste Schritte Pilotprojekte aufzusetzen, um das Konzept stufenweise in der Praxis zu erproben und zu integrieren. Hierfür ist im Weiteren eine Anpassung bzw. Erweiterung der bestehenden normativen Rahmenbedingungen notwendig.
(Bildquelle:Digitale Instandhaltung von Eisenbahnbrücken. © ICoM, Leibniz Universität Hannover)