Geisterfahrt
Die Blindheit der Politik im Klimawandel
Ein Kommentar von Mojib Latif, Deutsche Gesellschaft Club of Rome
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Vor 50 Jahre warnte der Club of Rome bereits vor dem Klimawandel und seinen Folgen. Nicht mangelnde Erkenntnis, sondern kurzfristige ökonomische Interessen haben die Politik davon abgehalten, den Warnungen aus der Wissenschaft die notwendigen Taten folgen zulassen, meint Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der deutschen Gesellschaft Club of Rome.
Vor nunmehr 50 Jahren, 1972, veröffentlichte der Club of Rome, ein Zusammenschluss von Experten verschiedener Disziplinen, den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Dieser Bericht zur Lage der Menschheit warnte vor nicht weniger als dem teilweisen Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation innerhalb der nächsten 100 Jahre, also noch im Verlauf dieses Jahrhunderts, sollten sich die damals beobachteten Trends wie zum Beispiel das Bevölkerungswachstum oder das Wirtschaftswachstum auf Kosten der natürlichen Ressourcen der Erde weiter fortsetzen. Die Weltbevölkerung würde drastisch zurückgehen und in Hunger und Elend versinken. Das Erscheinen von „Die Grenzen des Wachstums“ kann mit Fug und Recht als Beginn der globalen Umweltdebatte verstanden werden.
Mit dem Bericht hatte der Club of Rome den Menschen die Augen geöffnet. Er verdeutlichte, dass ein „Weiter so wie bisher“ keine Option sei, dass man die Erde also nicht beliebig ausbeuten könne. Doch nach Erscheinen des Berichts hatten die Menschen ihre Augen gleich wieder geschlossen, um in diesem Bild zu bleiben. Denn die Trends haben nicht nur angehalten, sie haben sich sogar noch beschleunigt. Wir haben die planetare Geisterfahrt fortgesetzt, vor der der Club of Rome schon vor einem halben Jahrhundert gewarnt hat. Heute sind sich die allermeisten Expertinnen und Experten darin einig, dass der Club of Rome mit seiner Warnung recht gehabt hatte. 50 Jahre später nähern wir uns tatsächlich den Wachstumsgrenzen, und einige haben wir längst überschritten. Das ist überall auf der Welt spürbar, vor allem, aber nicht ausschließlich, an den dramatischen Auswirkungen der sich beschleunigenden und erwiesenermaßen von den Menschen verursachten globalen Erwärmung.
Die ersten quantitativen Berechnungen zur globalen Erwärmung wurden bereits 1896 von dem schwedischen Physiker und späteren Chemienobelpreisträger Svante Arrhenius publiziert. Seine wissenschaftliche Arbeit von damals trägt den Titel „Über den Einfluss von Kohlensäure in der Luft auf die Bodentemperatur“. Mit Kohlensäure ist das Kohlendioxid (CO2) gemeint, das Gas, das in großen Mengen von den Menschen in die Atmosphäre emittiert wird und für den Großteil der globalen Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich ist.
Ende der 1980er wurden die ersten computergestützten dreidimensionalen Klimamodelle entwickelt und für die Berechnung der globalen Erwärmung und ihrer Auswirkungen eingesetzt. Die Modelle haben die Klimaentwicklung korrekt vorhergesagt. In den 1990ern wurde nachgewiesen, dass die Menschen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit für die globale Erwärmung verantwortlich sind. Diese bahnbrechenden Leistungen wurden 2021 mit dem Physiknobelpreis gewürdigt.
Offensichtlich gibt es schon lange kein Erkenntnisproblem mehr, wenn es um die Ursache der globalen Erwärmung geht. Und dennoch hat es die Politik bisher nicht geschafft, wirksame Maßnahmen zum Schutz des Weltklimas zu implementieren. Die alljährlichen Weltklimakonferenzen sind wirkungslos, die CO2-Emissionen sind seit 1990 um etwa 60 Prozent gestiegen.
Die Welt steht bei der Begrenzung der globalen Erwärmung vor einer völlig neuen Art von Herausforderung. Das Problem ist wegen der extrem langen Verweildauer des CO2 in der Luft nur von allen Ländern gemeinsam zu lösen. Der Ort des CO2-Ausstoßes ist irrelevant. Das Gas verteilt sich buchstäblich in Windeseile um den Erdball und ist damit überall wirksam. Warum sonst würden die Pole schmelzen, obwohl dort so gut wie kein CO2 ausgestoßen wird? Die Länder blockieren sich gegenseitig, weswegen die Welt beim Klimaschutz nicht vorankommt. Es dominieren stets die kurzfristigen ökonomischen Interessen. So werden beispielsweise die Industrieländer ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht, denn sie sind es, die für die globale Erwärmung in erster Linie Verantwortung tragen. Langfristige Probleme werden von der Politik auf die lange Bank geschoben. Die Wissenschaft hat ihre Bringschuld längst erbracht, zumindest, was das Problem der globalen Erwärmung anbelangt. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob Politik lernfähig ist, wenn es um globale Herausforderungen geht.