Der (Werk-)Stoff, aus dem die Zukunft ist
Frank Mücklich, Universität des Saarlandes
(Titelbild: © Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe
Kurz und Bündig
Für eine erfolgreiche Entwicklung bis zur Circular Economy müssen vielfältige technologische, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte systematisch entwickelt werden. Aus der Werkstoffperspektive bedeutet dies, dass die Wiederauftrennung komplexer Produkte aus unterschiedlichsten Hochleistungswerkstoffen bereits bei der Werkstoffentwicklung und auch bei der Systemkonstruktion mitgedacht werden muss. Die für die Hochleistungs-Performance eines Produktes oft entscheidende Beschichtung der Oberfläche mit einem chemisch völlig anderen Werkstoffsystem kann zum Beispiel am Ende der Nutzungsdauer die Wiederverwertung des Werkstoffes behindern, wenn die Beschichtung nicht mehr effizient abgetrennt werden kann.
Die Welt hat sich verändert: Werkstoffinnovationen durch kreislauffähige Werkstoffsysteme werden immer essenzieller für die systematische Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. Die bisher vor allem ökologisch mit dem Absenken des Ressourcenverbrauchs und des Klimaeinflusses begründete Vision der Circular Economy muss heute ganz offensichtlich genauso auch für unsere wirtschaftliche Resilienz und technologische Unabhängigkeit vorangetrieben werden. Die weltweiten Krisen haben unsere vielfältigen geopolitischen Abhängigkeiten auf dramatische Weise sichtbar gemacht.
Wenn wir den Werkstoffeinsatz im Zusammenhang mit der „Energiewende“ betrachten, stellen wir fest, dass der wachsende regenerative Energiesektor erstmals zum dominierenden Materialverbraucher wird. Denn mit den massenhaft installierten dezentralen Energieerzeugern, die elektrische Energie aus Solar- und Windenergie wandeln, muss pro erzeugter Energiemenge die etwa 3-5fache Werkstoffmenge im Vergleich zu bisherigen zentralen Gas- und Kohlekraftwerken installiert werden.
Am Beispiel der Hochleistungsmagnete in Windkraftanlagen erkennen wir die drastischen Konsequenzen: Für ein Megawatt elektrischer Leistung heutiger Windkraftanlagen werden im Interesse hoher Energiedichte und damit eines möglichst geringen Gesamtgewichtes bis zu einer Tonne Hochleistungsmagnete für die Generatoren in den gigantischen, immer höher schwebenden Gondeln verbaut. Gleichzeitig wird die Leistung solcher Windkraftanlagen ständig erhöht, sogar bis in den zweistelligen Megawatt-Bereich bei Offshore-Anlagen. In diesen Hochleistungsmagneten haben Seltene Erden einen erheblichen Gewichtsanteil von circa 30 Prozent (zum Beispiel in den wichtigen Neodym-Eisen-Bor (NdFeB)-Magneten). Eine ganz analoge Argumentation gilt für den Hochlauf der Elektromobilität, weil für die Wandlung zwischen elektrischer und mechanischer Energie auch dort stark steigende Mengen Hochleistungsmagnete gebraucht werden.
Derzeit stammen etwa 45% der deutschen Importe von Seltenen Erden aus China, und dort lagern auch die weltweit größten Reserven. Aus den Seltenen Erden produziert und vertreibt China konsequenterweise auch die entscheidenden Hochleistungsmagnet-Werkstoffe selbst – das waren 2014 88 Prozent aller NdFeB-Magnetwerkstoffe weltweit, Deutschland produzierte weniger als 2 Prozent. „Um die Abhängigkeit von China zu verringern, muss die EU den Bezug kritischer Rohstoffe diversifizieren, mehr aus eigenen Lagerstätten fördern, mehr Sekundärmetalle durch Recycling gewinnen und durch neue Werkstoffentwicklungen Alternativen zu diesen kritischen Metallen finden“, sagt der Vorsitzende der VDI-Gesellschaft Materials Engineering, Christian Hopmann.[1] Durch den überraschenden Fund erheblicher Lagerstätten Seltener Erden zur Jahreswende 2022/23 in Schweden hat sich die Lagerstättensituation in der EU verändert und könnte zumindest eine Zeit lang die Bedarfe innerhalb Europas decken. Auch wenn die Exploration dieser Vorkommen Jahre des Vorlaufs benötigt, wird sie einen wichtigen Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit leisten. Entscheidend wird nun die konsequente Investition in die Verarbeitungstechnologie Seltener Erden und deren Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit in Europa werden, die bisher mit Blick auf die Importvorteile aus China eher vernachlässigt wurde.
Die Seltenen Erden waren nur ein prägnantes Beispiel, das die herausragende Bedeutung der Vision der Circular Economy für unser zukünftiges Wirtschaftssystem illustrieren sollte. Ähnliches ließe sich zur Batteriefertigung, verbunden mit einem bis 2040 prognostizierten, um 70% steigenden Bedarf an Lithium, Nickel, Cobalt, Mangan und vielen anderen Beispielen, belegen. Die Zukunft eines prosperierenden Wirtschaftssystems für Deutschland, die EU und die westliche Welt kann aus dieser Perspektive also nur mit kreislauffähigen Werkstoffsystemen gesichert werden.
Aber davon sind wir bei all diesen Materialien weit entfernt! Es erstaunt zum Beispiel, dass selbst dem durch zunehmende Elektrifizierung nachvollziehbar immer weiter steigenden Kupferbedarf von prognostiziert plus 40 Prozent bis 2040 derzeit (laut World Energy Outlook Special Report 2021, IEA [2]) weltweit nur eine allzu geringe „end-of-life“-Recyclingquote von weniger als 50 Prozent gegenübersteht. Damit ist offensichtlich, dass neben wissenschaftlich-technischem und technologischem Handlungsbedarf auch politischer Handlungs- und Regelbedarf für eine systematisch verbesserte Kreislauffähigkeit in europäischer Partnerschaft besteht. Der Green Deal der EU bezeich-
net deshalb die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
An dieser Stelle lohnt ein Blick auf das Gesamt-Konzept der Circular Economy Initiative Deutschland (Abbildung 1), die von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech ausgearbeitet wurde, bis hin zur Circular Economy Roadmap für Deutschland .[3] Die Abbildung zeigt, welche technologischen, ökologischen, aber auch ökonomischen und sozialen Aspekte für eine erfolgreiche Entwicklung bis zur Circular Economy systematisch entwickelt werden müssen: Offensichtlich ist, dass der (nicht wiederverwertbare) Restabfall drastisch reduziert werden muss. Das bedeutet aus der Werkstoffperspektive, dass die Wieder-Auftrennung der oft extrem komplexen Produkte aus unterschiedlichsten Hochleistungswerkstoffen von vornherein, also bereits bei der Werkstoffentwicklung und auch bei der Systemkonstruktion, mitgedacht werden muss. Die beispielsweise für die Hochleistungs-Performance eines Produktes sehr oft entscheidende Beschichtung der Oberfläche mit einem chemisch völlig anderen Werkstoffsystem kann am Ende der Nutzungsdauer die Wiederverwertung des Werkstoffes behindern, wenn die Beschichtung technologisch nicht mehr effizient abgetrennt werden kann.
Für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft müssen deshalb die in der Circular Economy-
Diskussion etablierten Re-Strategien vorangetrieben werden: Reduce – Reuse – Remanufacturing – Recycling.
Recycling heißt offensichtlich auch, dass wir müssen den Anteil recyclebarer Werkstoffe auf effiziente Weise drastisch erhöhen, anstatt diese am Ende der Produktlebensdauer in einer Deponie oder einem wesentlich wertloseren Produkt (Downcycling) möglichst billig zu entsorgen und nur effizient aus neuen externen Rohstoffen die neuen Werkstoffe herzustellen. Repair heißt unter anderem konkret, dass Produkte nicht wie bisher immer mehr nur auf die effizienteste und damit kostengünstigste Herstellung optimiert werden und es bei Defekten am billigsten ist, sie wegzuwerfen, sondern dass kosteneffektive Reparierfähigkeit mitgedacht wird und damit der Produktlebenszyklus tatsächlich entscheidend verlängert werden kann. Eine wichtige Rolle spielt bei diesen Betrachtungen die Zyklenlänge der typischen Produktlaufzeit. Wir nutzen ein Smartphone nur wenige Jahre, eine Stahlbrücke hingegen bis zu 100 Jahre. Ziel einer tatsächlichen Kreislaufwirtschaft ist generell die Verbesserung der Ausnutzung unserer physischen Ressourcen und der Werterhalt durch möglichst lückenlose Kreislaufführung. Diese Kreislaufführung reduziert dann nicht nur den Rohstoffstoff-
verbrauch, sondern auch den Energiebedarf, die Emissionen und damit die gesamte Umweltbelastung. Mit Blick auf die anfangs bereits erwähnten heutigen Krisen kann Circular Economy aber auch unsere geopolitische Abhängigkeit wirkungsvoll reduzieren. Ökonomisch bedeutet dies andererseits, dass sich die Kreislaufwirtschaft für alle Marktteilnehmer wirtschaftlich lohnen muss. Ein Smartphone ist beispielsweise ein überaus wertvoller Minicomputer mit einer extremen Dichte unterschiedlichster Hoch-
leistungswerkstoffe, die ihrerseits aus bis zu 70 verschiedenen chemischen Elementen unseres Periodensystems bestehen. In 33 Smartphones finden wir beispielsweise etwa genauso viel Gold wie in einer ganzen Tonne Erz aus einer südafrikanischen Goldmine. Und Gold ist bei weitem nicht das wertvollste Metall im Smartphone. Es muss sich also lohnen, diese „Schätze“ zu heben. Dazu braucht es nicht nur neue Technologien, sondern auch neue Geschäftsmodelle.
Wichtig sind ebenfalls regionale Initiativen, um den Fortschritt im Bereich Circular Economy systematisch voranzutreiben.
Dazu zwei Beispiele:
1. Mit dem ökologisch-innovativen Start-up „Surfunction“ [4] basierend auf einer völlig neuartigen Laser-Interferenz-Technologie (Direct Laser Interference Patterning – DLIP) beweisen wir, dass Hochleistungseigenschaften von Oberflächen unterschiedlichster Funktionalität absolut recyclinggerecht auch gänzlich ohne Chemie und die anfangs erwähnte gegebenenfalls recycling-kritische Werkstoffbeschichtung exakt maßgeschneidert werden können.
Ob effizientere Solarzellen oder entzündungshemmende Implantatoberflächen, ob zuverlässigere elektrische Kontaktsysteme oder antimikrobiell wirksame Stents, diese Lösung bietet zeitgleich verblüffend disruptive Lösungen für die Kreislaufwirtschaft, denn das Recycling wird denkbar einfach, wenn die beschichtete Oberfläche entfällt.
Kernantrieb unserer Innovationen ist die belebte Natur, die als Resultat der erfolgreichen Evolution mikroskopisch feine Oberflächenstrukturierungen bei Pflanzen und Tieren entwickelt hat und damit die jeweils optimale Oberflächeneigenschaft bietet: ob Benetzung mit Wasser oder nicht, ob Bakterienanhaftung oder nicht, oder ob gezielt attraktive Farben eingestellt werden. All das funktioniert bei Surfunction ohne Beschichtung, nur durch präzise mikroskopisch feine Strukturierung. Mit unserem ökologischen DLIP-Verfahren gelingt die hocheffiziente berührungslose und präzise Mikro- bis Nanometer-Strukturierung von allen Metall-, Keramik- und Kunststoffoberflächen auch bei großer Ausdehnung bis zu Quadratmetern innerhalb einer Minute. Das hat auch die Raumfahrt seit dem Auffinden pathogener Keime auf der ISS erkannt und untersucht derzeit 900 unterschiedliche DLIP-Oberflächenproben auf der ISS auf die antimikrobiellen Eigenschaften in Schwerelosigkeit (ISS), aber in speziellen Zentrifugen auch für die Gravitationsbedingungen zum Flug auf den Mond oder den Mars.
2. In Absprache mit der Universität der Großregion und den zuständigen politischen Ebenen in der Großregion, also Belgien, Luxembourg, Lothringen, Rheinland-Pfalz und Saarland, haben wir Ende 2022 das „UniGR-CIRKLA – Center for Circular Economy of Materials & Metals“ [5] aus der Taufe gehoben. Ziel ist der Ausbau der interdisziplinären akademischen Bildung an allen beteiligten Universitäten auf allen Ebenen vom Bachelor bis zur Promotion und bis zur lebenslangen Weiterbildung, die Erforschung kreislauffähiger Werkstoffsysteme ebenso wie neuer ökonomischer Geschäftsmodelle und die Erforschung der sozialen Akzeptanz und des Konsumverhaltens. Dazu nutzen wir in unserem Partnernetzwerk nicht zuletzt die besondere industrielle Tradition der Großregion als historische Montanunion und damit Keimzelle der Europäischen Union, die heute von der Stahlerzeugung bis zur Materialforschung ein außergewöhnliches „Ökosystem“ mit erfahrenen Akteuren in Aus- und Weiterbildung, Wissenschaft und Transfer bis zur Innovation bietet.
Die Circular Economy systematisch voranzutreiben, ist eine zwingende Notwendigkeit, um die weitere Entwicklung von Umwelt, Klima und Wirtschaft verantwortungsvoll zu gestalten. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, acatech, versucht, einer der wesentlichen Schrittmacher für eine konsequente und auch systemübergreifende Förderung der Circular Economy in Deutschland auf interdisziplinärer Expertenbasis zu sein und auch die Politik entsprechend zu beraten. Diese Aktivität wurde inzwischen auch von der zuständigen Vertreterin der Europäischen Kommission begrüßt und soll auf die EU ausgeweitet werden.