Der Bitcoin war nur der Anfang - Die Blockchain-Architektur revolutioniert branchenübergreifend Geschäftsprozesse
Ein Kommentar von Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer
Kurz und bündig:
Die Blockchain-Technologie wird im Volkswagen Konzern als eine Kerntechnologie betrachtet. Aktuelle Projekte haben beispielsweise das Ziel, die Abbildung und Dokumentation internationaler Logistikabläufe zu optimieren. Andere ergeben sich im Kontext des Autonomen Fahrens. Wenn Fahrzeuge in der Lage sind, eigenständig zu fahren, ergibt sich auch die Notwendigkeit der Fähigkeit, eigenständig Geschäfte wie etwa Bezahlvorgänge durchzuführen.
Die Blockchain-Architektur ist weit mehr als nur eine technische Entwicklung. Sie ist zugleich eine organisatorische Innovation, indem neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Partnern unterstützt werden und zugleich auch eine ökonomische Innovation, da neue Geschäftsmodelle und Unternehmen entstehen. Auch wenn Kryptowährungen wie der Bitcoin derzeit noch bei weitem die bekanntesten Anwendungen in der Blockchain darstellen, so wird doch schon jetzt deutlich, dass wir hier einer neuen und durchaus bahnbrechenden Entwicklung der Prozessautomatisierung entgegensehen.
Viele Schwächen der gegenwärtigen IT-Welt bieten lohnende Angriffspunkte für neue Architektur- und Business-Modelle. Trotz der Entwicklung integrierter Anwendungssoftware wie ERP bestehen weiterhin Datenschnittstellen zwischen diesen und anderen an einem Geschäftsprozess beteiligten Softwaresystemen. Dies gilt umso mehr, wenn mehrere externe Partner an einem übergreifenden Prozess wie z. B. in der Logistik beteiligt sind. Datenübertragungen zwischen verschiedenen Systemen können dann insbesondere zwischen unterschiedlichen externen Partnern zu Inkonsistenzen führen.
Bei Finanztransaktionen vermitteln Institutionen wie Banken oder Börsen zwischen den eigentlich Beteiligten, Verkäufer und Käufer. Dieses führt zu zeitlichen Verzögerungen und Kosten.
Alternative zum zentralen Plattformsystem
In der Internetwirtschaft sind globale Plattformunternehmen wie eBay, Apple, Amazon usw. entstanden, die zwischen Kunden und Lieferanten vermitteln und einen Teil der Wertschöpfung des Kunden-Lieferanten-Prozesses abschöpfen. Auch Social Media Unternehmen verdienen Geld mit den werbungsrelevanten Daten der Teilnehmer, ohne diese finanziell zu beteiligen. Der Beitrag dieser Intermediäre liegt vor allem in der Bildung von Vertrauen, dass die Transaktionen sicherer ausgeführt werden, als wenn sie von den Beteiligten direkt durchgeführt würden.
Der Finanzsektor hat aber durch die Finanzkrise Anfang des Jahrhunderts an Vertrauen eingebüßt, und das bei den digitalen Plattformunternehmen herrschende Prinzip „the winner takes it all“ mit extrem schnell wachsenden Börsenwerten und vergleichsweise geringer Schaffung von Arbeitsplätzen wird ebenfalls kritisch diskutiert. Für alle angeführten Fälle kann die Blockchain-Architektur eine Alternative sein.
Im Gegensatz zu einem zentralen System und auch einem dezentralen System, das immer noch zentrale Elemente enthält, ist die Blockchain- Architektur ein echt verteiltes Netzwerk, das keine zentralen Knoten besitzt. Alle Knoten sind quasi gleichberechtigt. Transaktionen können deshalb ohne einen Intermediär direkt zwischen einem Knoten, also einem Teilnehmer, und einem anderen Knoten ausgeführt werden. Die Sicherheit der Transaktionsabwicklung wird zum einen durch intelligente Verschlüsselungsverfahren und zum anderen durch Kontrollmechanismen der Netzteilnehmer selbst gewährt.
Potenziale der Blockchain
Die spektakulärste Anwendung der Blockchain Architektur sind bislang Kryptowährungen, insbesondere die Währung Bitcoin, die sich vor allem als Asset für risikofreudige Spekulanten einen Namen gemacht hat. Mit ihnen werden relativ einfache Transaktionen des Zahlungsverkehrs abgewickelt. Dies wird deshalb auch als Blockchain 1.0 bezeichnet. Eine richtig abgewickelte Zahlung bedeutet aber nicht, dass auch der Sachverhalt, der die Zahlung begründet, korrekt ist. Deshalb wird das Konzept erweitert, indem auch die Sachverhalte nach den gleichen Maßgaben als sogenannte „Smart Contracts“ gespeichert und ausgeführt werden können. Mit Hilfe von Smart Contracts können dann auch ganze Prozesse automatisiert werden. Damit erschließt sich das eigentliche revolutionäre Potenzial der Blockchain. Als Vision wird manchmal eine Weltdatenbank angeführt, in der alle Vorgänge der Welt sicher, unveränderlich, transparent, unreguliert, peer-to-peer und Daten geschützt (privacy) gespeichert sind.
Noch sind nicht alle technischen Möglichkeiten oder auch Begrenzungen der Blockchain ausgelotet, aber schon jetzt zeichnen sich maßgebliche Veränderungspotenziale in der Prozessautomatisierung ab. In der öffentlichen Verwaltung bietet sich das Katasterwesen unmittelbar an. Im Finanzwesen geht man sogar so weit, die Notwendigkeit von Banken, zumindest in ihrer traditionellen Form, infrage zu stellen. Im Versicherungswesen sind die Verwaltung der Verträge und die Führung einer elektronischen Gesundheitsakte geeignete Kandidaten. Im Energiesektor können mit erneuerbaren Energiekonzepten Verbraucher zukünftig sehr viel einfacher zum Erzeuger werden, denn dieser Prozess kann einschließlich der Zahlungen über die Blockchain abgewickelt werden. In der Industrie können Produkte über ihren gesamten Lebenszyklus verfolgt werden. Diese Aufzählung lässt sich weiter fortsetzen. Viele dieser eher traditionellen Branchen setzen deshalb Forschungsprojekte, Studien und Testanwendungen auf, um die Einsatzmöglichkeiten zu evaluieren und somit sich gegenüber branchenfremden Eindringlingen zu wappnen. Zudem ist eine ganze Generation von Start-ups in das Thema Blockchain eingestiegen, alle mit dem Ziel, wirklich revolutionäre Anwendungen auf den Markt zu bringen und die vorgenannten, traditionellen Marktteilnehmer anzugreifen oder gar zu verdrängen. Und als traditionell, weil etabliert, gelten in diesem Fall auch Dienstleister wie Paypal und Airbnb, die noch auf „alte“ Internettechnologien setzen. Denn auch die Plattformunternehmen des Internets können revolutioniert werden. Hier könnten zum einen genossenschaftliche Strukturen die Macht der Monopolisten brechen. Warum sollen sich im Bereich von sozialen Medien die Beteiligten nicht selbst in der Blockchain organisieren und die mit ihren Daten erzielten Gewinne dann unter sich aufteilen, als sie dem Plattformunternehmen zu überlassen? Zum anderen könnten die Plattformen allein aufgrund des Einsatzes von Blockchain Technologien schlicht überflüssig werden.
Aus meiner Sicht wird mit diesen Perspektiven die Blockchain-Architektur zu Recht als eine der stärksten Treiber disruptiver Prozessinnovationen bezeichnet!