Automatisierung wie im Flug?
Herausforderungen im Drohnenbetrieb
Christoph Selig, Unisphere
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Kurz und Bündig
Rein technologisch ist der Betrieb von Drohnenflotten bereits heute möglich, was vor allem auf den hohen Automatisierungsgrad in der In-Flight-Phase zurückzuführen ist. Um eine vollständige Automatisierung bzw. Autonomie im Flugbetrieb zu erreichen, bedarf es jedoch der Digitalisierung aller menschlichen Aktivitäten. Insbesondere die Abbildung des impliziten Erfahrungswissens der Pilot:innen und die vollständige Digitalisierung des Luftverkehrsmanagements stehen noch relativ am Anfang der Entwicklung. Diese sind jedoch für den Betrieb von Drohnenflotten unterschiedlicher Betreiber:innen im selben Luftraum unabdingbar.
Die Automatisierung des Betriebs von Drohnenflotten ist technologisch bereits weit fortgeschritten. Auf dem Weg zum autonomen Flugbetrieb sind jedoch noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Insbesondere drei Aspekte müssen in Zukunft intensiver betrachtet werden: die planerischen Aspekte der Flugvorbereitung, das Verkehrsmanagement verschiedener Akteure im Luftverkehr und die digitale Verfügbarkeit von Daten, die für eine autonome Entscheidungsfindung über alle Flugphasen hinweg entscheidend sind.
Die Automatisierung von Drohnenflügen bringt technologische, regulatorische und operationelle Herausforderungen mit sich. Für einen flächendeckenden Betrieb ist eine umfassende Digitalisierung des unteren Luftraums erforderlich. Automatisierung ist insbesondere in Anwendungsbereichen mit etablierten Alternativen wichtig. So erleichtert sie zum Beispiel die Brückeninspektion ohne Verkehrsbehinderungen, während bei der urbanen Warenzustellung eine hohe Automatisierung notwendig ist, um mit Kurierdiensten konkurrenzfähig zu bleiben.
Betriebsarten und Automatisierungsanforderungen
Je nach Betriebsart variieren die Anforderungen an die Automatisierung. Beim Betrieb mit Sichtkontakt (VLOS) bleibt der Pilot oder die Pilotin in ständiger Sicht zur Drohne, was geringere Anforderungen mit sich bringt und sich für Luftbildfotografie eignet. Im Gegensatz dazu erfordert der Betrieb außerhalb des Sichtkontakts (BVLOS), der etwa für die Güterauslieferung genutzt wird, komplexere Planungen. Drohnenflotten werden in der Regel im BVLOS-Modus betrieben.
Der Drohnenflug gliedert sich in drei Phasen: Pre-Flight, In-Flight und Post-Flight, jede mit spezifischen Anforderungen an Sicherheit und Automatisierung.
- Pre-Flight: Umfasst die Flugvorbereitung, darunter strategische Aufgaben wie die Routenplanung und Genehmigungen.
- In-Flight: Hier wird der Flug gesteuert und überwacht, oft mithilfe von Autopiloten und Kollisionsvermeidungssystemen.
- Post-Flight: Beinhaltet Dokumentation, Datenauswertung und Wartungschecks.
Während die In-Flight-Phase bereits stark automatisiert ist, bleibt die Pre-Flight-Phase aufgrund des erforderlichen menschlichen Urteilsvermögens eine Herausforderung. Auch die Post-Flight-Phase ist dank technologischer Fortschritte weitgehend automatisiert.
Der Schlüssel zum Erfolg: Prozess und Integration vereinen
Um diesen Herausforderungen zu begegnen und Automatisierungsprojekte erfolgreich zu gestalten, ist es essenziell, einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen, der in optimaler Weise die Prozess- und Integrationssicht vereint. In der Praxis hat sich dabei ein iteratives Vorgehen bewährt, das neben Design, Implementierung und Ausführung der Prozesse eine kontinuierliche Analyse der Automatisierung beinhaltet und weiterfolgende Optimierungen im Prozess und der Integration ermöglicht. Dadurch kann eine Prozessautomatisierung erreicht werden, die optimal die Bedürfnisse des Unternehmens (beispielsweise Effizienz, Kosten, Produktivität) unterstützt.
Automatisierter vs. Autonomer Betrieb
Die Automatisierungsstufen für Drohnenoperationen, die von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) festgelegt wurden, bestimmen das erforderliche Maß an menschlichem Eingreifen. Sie dienen dazu, den Entwicklungsstand des Drohnenbetriebs zu bewerten, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Bedieners oder der Bedienerin.
- Manueller Betrieb (Human-in-the-loop): Hier steuert eine Person die Drohne aktiv, entweder mit einer Fernbedienung oder über eine Bodenstation. Der Pilot oder die Pilotin sind voll verantwortlich für Navigation, Flugmanöver und Notfallentscheidungen.
- Teilautomatisierung (Human-on-the-loop): Bestimmte Aspekte des Fluges sind automatisiert, beispielsweise die Navigation entlang vorgegebener Wegpunkte oder die Stabilisierung der Drohne. Der oder die Bedienende ist weiterhin für kritische Entscheidungen verantwortlich und muss stets eingreifen können.
- Vollautomatisierung (Human-out-of-the-loop): In dieser Stufe operiert die Drohne von Start bis Landung hoch automatisiert. Eine Person als Operator übernimmt keine aktiven Steuerungsfunktionen mehr und wird nur bei unvorhergesehenen Ereignissen involviert.
Trotz großer technologischer Fortschritte in den letzten Jahren sind wir von einem vollständig autonomen Flugbetrieb noch weit entfernt. Dies würde bedeuten, dass die Drohne alle Entscheidungen in allen Phasen des Flugbetriebs, einschließlich der Flugplanung, selbstständig trifft und ohne menschliche Überwachung oder Eingriffe operiert. In Wirklichkeit handelt es sich bei den meisten Flügen, die als „autonom“ bezeichnet werden, um „Human-out-of-the-loop“-Operationen, bei denen vor allem in der In-Flight-Phase ein hoher Automatisierungsgrad erreicht wird und der Mensch nicht mehr aktiv eingreift, aber eine überwachende Rolle behält und im Notfall interveniert.
Der automatische Betrieb von Drohnenflotten ist technologisch bereits heute möglich, allerdings nur in speziell abgegrenzten Lufträumen. So fliegt beispielsweise die Firma Wing, eine Tochter des Alphabet-Konzerns, in Australien und den USA seit einiger Zeit Warenlieferungen per Drohne an Privathaushalte. Dabei wird ein sogenannter 1-zu-n-Betrieb realisiert, bei dem eine Person mehrere Drohnen gleichzeitig überwacht, ohne aktiv in den Flugbetrieb einzugreifen.
Herausforderungen der Vollautomatisierung
Eine große Herausforderung auf dem Weg zur Vollautomatisierung aller menschlichen Tätigkeiten ist die Übertragung des impliziten Wissens der Pilot:innen in Algorithmen. Piloten und Pilotinnen nutzen ihre Erfahrung und Intuition, um in unerwarteten Situationen schnell fundierte Entscheidungen zu treffen. Solche Entscheidungsprozesse sind schwer zu formalisieren, da Algorithmen klare, messbare Regeln benötigen, die das flexible menschliche Urteilsvermögen oft nicht adäquat abbilden können.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die meteorologische Entscheidungsfindung bei der Flugplanung. Pilot:innen nutzen verschiedene Datenquellen wie Wettervorhersagen, Echtzeit-Wetterdaten und Radarbilder, die sie, ergänzt durch ihre Erfahrung, intuitiv kombinieren und bewerten. Für Algorithmen ist es schwierig, diese heterogenen Datenquellen zu integrieren und Unsicherheiten in dynamischen Mustern – wie plötzliche Wetteränderungen – zu berücksichtigen. Menschen können solche Unsicherheiten hingegen intuitiv und schnell interpretieren. Diese Diskrepanz zwischen menschlicher Erfahrung und algorithmischer Logik verdeutlicht die Herausforderungen auf dem Weg zur Vollautomatisierung aller menschlichen Aktivitäten des Drohnenbetriebs.
Einsatz von KI im Drohnenbetrieb: Potenziale und regulatorische Hürden
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wertvolles Werkzeug für die Automatisierung menschlicher Tätigkeiten. Ihr Einsatz in der Luftfahrt stellt jedoch eine Herausforderung dar. KI-Systeme fungieren als „Black Boxes“, in denen Entscheidungsprozesse komplex und oft schwer nachvollziehbar sind. In sicherheitskritischen Bereichen wie der Luftfahrt ist Transparenz jedoch entscheidend, um Risiken zu minimieren und Vertrauen zu schaffen. Die EASA verfolgt daher bei der Einführung von KI einen schrittweisen Ansatz, um hohe Sicherheitsstandards bei gleichzeitiger Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
- Level 1 – Assistenzfunktion: KI unterstützt den Menschen bei Entscheidungs- und Aktionshilfen, während der Mensch die volle Kontrolle behält.
- Level 2 – Mensch-KI-Zusammenarbeit: Die KI kann eigenständige Aktionen ausführen, der Mensch behält jederzeit die Entscheidungsgewalt und Kontrolle.
- Level 3 – Fortgeschrittene Automatisierung: Die KI trifft Entscheidungen autonom, entweder unter menschlicher Überwachung (3A) oder vollkommen eigenständig ohne menschliches Eingreifen (3B).
Ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zur Vollautomatisierung und zum Einsatz von KI ist ein digitales Abbild der Umgebung, in der die Drohne operiert. Ein sogenannter digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild der physischen Welt, das alle relevanten Daten in Echtzeit sammelt und zur Verfügung stellt. In der Luftfahrt bedeutet dies, dass der gesamte Luftraum mit seinen dynamischen Faktoren wie Wetter, andere Luftverkehrsteilnehmer, Hindernisse und Flugverbotszonen digital abgebildet werden muss. Ohne diese Datenverfügbarkeit ist es nicht möglich, alle notwendigen Aufgaben zu digitalisieren und damit zu automatisieren.
Deutliche Zunahme der Komplexität
Die Beteiligung mehrerer Akteure im Luftraum erhöht die operationelle Komplexität und stellt eine Herausforderung für ein digitales Luftverkehrsmanagement dar. Zur Bewältigung dieser Aufgabe hat die EU das U-Space-Konzept eingeführt (Verordnung (EU) 2021/664), um die Sicherheit und Effizienz von Drohnen in stark frequentierten Lufträumen zu verbessern und langfristig die Koordination mit bemannten Luftfahrzeugen zu ermöglichen. Erste U-Space-Implementierungen mit begrenzten Funktionen sind für das kommende Jahr geplant.
Die Zukunft des automatisierten Drohnenbetriebs
Die Automatisierung von Drohnenflotten birgt ein enormes Zukunftspotenzial und könnte viele industrielle Anwendungen revolutionieren. Von der effizienten Überwachung großer Infrastrukturen wie Stromnetze, Pipelines und Bahntrassen bis hin zur schnellen und flexiblen Auslieferung von Gütern – die Einsatzmöglichkeiten sind äußerst vielfältig. Automatisierte Drohnen können nicht nur schwer zugängliche Orte erreichen, sondern auch Arbeitsabläufe beschleunigen und Kosten reduzieren.
Trotz großer Fortschritte, insbesondere bei der In-Flight- und Post-Flight-Automation, ist es noch ein weiter Weg bis zum vollautomatischen Betrieb von Drohnenflotten in großem Maßstab. Die vollständige Automatisierung der Pre-Flight-Phase ist nach wie vor schwierig, da sie komplexe Planungs- und Entscheidungsprozesse erfordert, die einerseits mit deterministischen Algorithmen schwer abzubilden sind und andererseits eine Vielzahl von Informationen erfordern, die alle digital und aktuell verfügbar sein müssen. Künstliche Intelligenz könnte diese Prozesse zwar unterstützen, allerdings sind die Anforderungen an Transparenz und Sicherheit gerade im Luftverkehr besonders hoch, was eine schnelle Einführung erschwert.
In den kommenden Jahren ist mit einer Weiterentwicklung der Technologie zu rechnen, unterstützt durch erste U-Space-Implementierungen in Europa, die eine bessere Integration mehrerer Drohnenbetreibender im gleichen Luftraum ermöglichen sollen. Um dies zu erreichen, spielen insbesondere die Themen Interoperabilität und Standardisierung eine große Rolle, denn nur so kann der System-of-Systems-Ansatz zuverlässig und mit einem hohen Maß an Sicherheit funktionieren. Dies ist insbesondere in der Luftfahrt von zentraler Bedeutung, da die Sicherheit im Luftverkehr höchste Priorität hat und Haftungsfragen eng mit diesen Entwicklungen verknüpft sind.
Insgesamt ist der Einsatz von Drohnen bereits heute in vielen Anwendungsfällen möglich und die technologische Reife hat einen Stand erreicht, der den Betrieb von Drohnenflotten in kleinem Maßstab ermöglicht. Die nächste Entwicklung der Branche erfordert einen größeren Entwicklungshub, bei dem nicht mehr nur die eigenen Drohnen im Mittelpunkt stehen, sondern die Interaktion mit anderen Betreibenden und die Verfügbarkeit verschiedener digitaler Dienste, die einen sicheren Flugbetrieb ermöglichen. Durch die enge Verzahnung von Innovation und regulatorischem Fortschritt ist Europa gut aufgestellt, um hier Standards zu setzen und den Weg für einen vollständig digitalen Flugbetrieb zu ebnen.