„Wir haben den Anspruch an uns selbst, immer einen Schritt voraus zu sein.“
Vom Berliner Fotoladen 4.0 zur international gefragten Hightech- Manufaktur für photogrammetrische 3D-Scannertechnologie
Im Gespräch mit botspot Gründer Manfred Ostermeier
Kurz und bündig:
Nachdem Thomas Strenger und Manfred Ostermeier von einem Laden in New York erfahren hatten, in dem Kunden sich 3D-Objekte ausdrucken lassen konnten, ließ sie die Idee nicht mehr los. Seitdem widmen die beiden Geschäftsführer von botspot ihre Arbeit den Möglichkeiten, die sich aus 3D-Druck und 3D-Scan ergeben. Unterdessen sind sie gefragte Partner für die Medizin-, Mode-, Automobil- und Filmbranche.
In nur fünf Jahren ist das Berliner Start-up botspot zu einem der führenden Spezialisten für professionelles 3D-Scanning und damit auch gefragter Partner für das Erstellen digitaler Zwillinge geworden. Heute werden die Scanner des Unternehmens unter anderem in der Medizin eingesetzt – etwa um digitale Zwillinge von Prothesen zu erstellen, um diese flexibel anpassen zu können. Zum Einsatz kommen sie auch bei Forschungsobjekten an denen Wissenschaftler weltweit vernetzt arbeiten, oder in der Automobilbranche.
IM+io: Herr Ostermeier, Sie und Ihr Entwicklungspartner Thomas Strenger haben bereits 2009 die Potenziale der 3D-Photogrammetrie gesehen und sich das Ziel gesetzt, einen neuen Scanner zu entwickeln. Was hat Sie damals angetrieben?
MO: Thomas Strenger und ich kommen ursprünglich aus der der Fernsehwelt, aus dem Bereich Film- und Videoproduktion, insbesondere aus der Ü-Wagen- und Studioplanung. Das ist gar nicht so weit weg, von dem, was wir heute machen. Einen Ü-Wagen Einsatz zu planen, bedeutet z.B. 20 Kameras so anzuschließen, dass die Datenströme sicher zum Endkunden kommen. Dort liegt der Ursprung der Idee, die ich dann mit Thomas entwickelt habe. Das Prinzip des 3D-Scans ist eigentlich so alt wie die Fotografie, dabei geht es darum, aus mehreren Aufnahmen ein 3D-Modell zu erstellen. Die Idee haben wir aufgenommen und weiterentwickelt. 2013 wurde dann, wenn auch zunächst nur in der Fachwelt, offensichtlich, dass sowohl dem 3D-Scan als auch dem 3D-Druck die Zukunft gehören werden. Das hat uns den Mut gegeben, den ersten Full-Service-3D-Druck-Laden in Deutschland aufzumachen, am Moritzplatz in Berlin, und den gibt es heute noch!
IM+io: Woraus konkret bestand dort das Angebot und wer waren Ihre Kunden?
MO: 3D-Druck und 3D-Scan, das waren 2013 noch Themen für Ingenieure, es gab keinen 3D-Drucker, den man öffentlich ansehen oder gar nutzen konnte. Wir wollten einen Laden gestalten, in dem sich jeder informieren kann und in dem jeder die neue Technologie nutzen kann. Damit haben wir zugleich auch eine große mediale Öffentlichkeit geschaffen, die uns den Start sehr erleichtert hat. Kernstück des Ladens war einer der größten 3D-Scanner der Welt, mit 60 Kameras bestückt und in der Lage, Personen im Bruchteil einer Sekunde zu fotografieren. Die Software rechnete die Bilder in ein 3D-Modell um, ein Spezialdrucker druckte beliebige Figuren in Farbe bis zu einer Größe von 45 Zentimetern aus. Dies eröffnete Normalverbrauchern, Künstlern und Wissenschaftlern neue Möglichkeiten – von kleinen Alltagsobjekten über lebensechte digitale Zwillinge als Miniaturfiguren bis zum Designerstuhl. Wir haben den 3D-Scanner mit dem 3D-Drucker verheiratet. Unser Kundenkreis bestand zunächst aus einer bunt gemischten Nerd Community, aber auch ganz normale Bürger, die die neuen Möglichkeiten neugierig gemacht haben, kamen zu uns. Wir haben zudem damals auch schon 3D-Drucker für zu Hause verkauft.
IM+io: Nun verfolgen Sie jedoch ein ganz anderes Businessmodell? Was sind die Gründe?
MO: Wenn man so ein Ladengeschäft hat, merkt man sehr schnell, was man will und was man nicht will. Wir haben in dieser Experimentierphase gelernt, dass wir eigentlich keine Einzelhandelskaufleute sein wollen, dass dieses Tagesgeschäft nicht unseres ist. Daher haben wir das Ladengeschäft relativ zeitnah abgegeben. Zeitgleich schnellten die Anfragen für die 3D-Scanner immer weiter hoch, für verschiedenste Applikationen. Es kamen Anfragen von der Charité, von Automobilkonzernen, von Arztpraxen, eben von Menschen und Institutionen, die über den Tellerrand hinausschauen und die Chancen der Digitalisierung nutzen wollen. In der Konsequenz haben wir unser Businessmodell angepasst. Heute betreuen wir vier Kernindustrien, die Medizin, Automobilwirtschaft, die Modebranche sowie die Film- und Videobranche. Bei letzterer geht es zum Beispiel um Avatare für Hollywood Filme oder Videospiele.
IM+io: Welchen Mehrwert bieten Sie in den anderen genannten Marktsegmenten?
MO: Im Bereich Automotive sind wir zum Beispiel Innovationstreiber bei Schadenserhebung durch Mietwagenfirmen. Es geht darum, künftig die Diskussionen zu vermeiden, die darüber geführt werden, wer den Schaden an einem Mietwagen verursacht hat, um die Frage, ob ein Wagen bereits bei der Übernahme den Schaden aufwies oder nicht und in welche Reparaturkategorie ein Schaden einzuordnen ist. In Zukunft kann man gleich beim Start des Vermietungsprozesses durch einen 3D-Scanner fahren wie durch eine Schleuse, dabei wird ein digitaler Zwilling des Autos erstellt. Bei der Rückgabe des Autos fährt man durch eine vergleichbare Einrichtung und in Sekundenbruchteilen ist verlässlich klar, ob ein Schaden in der konkreten Vermietungszeit entstanden ist und ob er nach Art und Umfang vom Mieter bezahlt werden muss. Damit verbunden ist schon die Reparaturstrategie, die sich aus dem digitalen Zwilling erheben lässt – das Stichwort ist hier Smart Repair. Aber es geht auch um Qualitätskontrollen beim Auto-Zubehör. So haben wir schon Kurbelwellen eingescannt und dabei auch Hinterschnitte eingelesen, also jene Teile, die man nicht von allen Positionen aus sehen kann. Im Bereich Healthcare sind wir unter anderem in der Prothetik unterwegs. Hier geht es um die Frage, wie kann man einen Stumpf optimal vermessen und auf der Basis seines digitalen Zwillings eine Prothese – zunächst ebenfalls als digitale Doublette – optimal anpassen. Wir haben auch Nachfragen aus der Pathologie. Für die ist es wichtig, ihre Objekte digital zu archivieren, um weiter an ihnen zu forschen, Erkenntnisse weltweit auszutauschen und weiterzuentwickeln. In der Modebranche arbeiten wir an dem Projekt der digitalen Umkleidekabine. Sie stellt eine Zukunftslösung für den Online-Handel dar. Heute werden beim Online-Händler Kleidungsstücke in drei Größen bestellt, in der Hoffnung, dass eine passt. Das soll es in Zukunft nicht mehr geben, es geht darum, einen individuellen digitalen Avatar zu schaffen, auf den nur der jeweilige User Zugriff hat, so kann der Kunde online shoppen und sich virtuell bekleiden, die georderte Kleidung passt dann definitiv. Schon beim Anprobieren kann man sich beraten lassen, etwa durch eine Freundin am anderen Ende der Welt, der man den Zugriff auf den Avatar einräumen kann. Dazu soll es in vielen Ländern bei den großen Playern wie Zara oder H&M zentrale Scan-Stationen geben, der Avatar gehört dann aber ausschließlich dem User selbst. Auch wenn diese Möglichkeiten schon lange diskutiert werden, jetzt stehen wir auf der Schwelle zur konkreten Umsetzung. Wir haben bereits einige Projekte mit großen Partnern gestartet.
IM+io: Wie beurteilen Sie Ihre aktuelle Wettbewerbssituation?
MO: Natürlich gibt es Wettbewerb, bis hin zu Kunden, die Scanner bei uns gekauft und dann nachgebaut haben. Das gehört auch dazu. Natürlich gibt es den ganz normalen Wettbewerb der Anbieter. Über den freuen wir uns aber, weil das wachsende Angebot das Thema vorantreibt. Probleme schafft der Wettbewerb nicht, denn der Markt ist riesig. Derzeit kommen die Kunden mit ihren Nachfragen und Aufträgen gemeinhin immer noch von sich aus auf uns zu. Wir sind dabei international unterwegs, neben Europa auch in Asien und Nordamerika. Noch besteht daher unser Vertrieb aus zwei Personen, die hauptsächlich Innendienst machen. Das werden wir aber ausweiten müssen. Derzeit finden uns unsere Kunden über die Schlüsselmessen und auch darüber, dass wir proaktiv in unseren Fachnetzwerken unterwegs sind. Noch ist das ein Anbietermarkt, aber die Situation wird sich auf der Zeitachse ändern. Wir wollen daher für die Zukunft Vertriebsbüros in den USA und Asien eröffnen.
IM+io: Technologische Neuheiten veralten heute sehr schnell und werden von Weiterentwicklungen überholt, oder gar überrollt. Wie gehen Sie damit um?
MO: Wir sind ein klassisches deutsches Entwicklerunternehmen – wir entwickeln uns ständig weiter. Mein Ursprung liegt im Ingenieurwesen, Thomas Strenger ist Elektroingenieur. 80% unserer Mitarbeiter sind Entwickler, wir haben den Anspruch an uns selbst, immer einen Schritt voraus zu sein. Wir bauen von Anfang an alle Scanner selbst. Wir haben hier in Berlin eine kleine Manufaktur, wo wir die Scanner fertigen und genau auf die Kundenwünsche anpassen können. Es wäre illusorisch und irreführend sich auf Erreichtem auszuruhen. Man kann noch eine Menge besser machen. Es geht zum einen um die Genauigkeit, für das menschliche Auge sind wir genau genug, aber wenn wir für die Fertigungskontrolle in der Automobilindustrie Spaltmaßvermessungen machen wollen, dort, wo man sich im tausendstel Millimeterbereich bewegt, ist eine weit größere Genauigkeit gefragt. Ein weiterer Schritt geht in Richtung des 4D-Scans, hier wird die Dimension Zeit mit hinzugenommen. Dabei läuft zum Beispiel ein Mensch durch den Scanner, und es entsteht eine individuelle Bewegungsanalyse. Das wäre nicht zuletzt für die Orthopädie sehr wichtig.
IM+io: In einer idealen Welt …wo möchten Sie in 3 Jahren stehen?
MO: Noch erwirtschaften wir unser notwendiges Kapital selber, aber für größere Wachstumssprünge braucht man einen passenden strategischen Partner. Es wäre perfekt, wenn wir einen solchen finden würden, einen, der gut mit uns Gründungsgesellschaftern zusammenarbeitet, der unsere Ziele verfolgt und Visionen teilt. Dann könnten wir auch verstärkt auf unseren internationalen Vertrieb setzen und unsere Entwicklerteams weiter ausbauen! Wichtig ist dabei, dass wir unseren Start-up Spirit bewahren, der letztlich den Schlüssel zum Erfolg darstellt.