Who Cares? HoLLiECares!
KI-gestützte Sprachdokumentation im Pflegealltag
Kevin Gisa, Dirk Werth, August-Wilhelm Scheer Institut
(Titelbild: © Markus Kümmerle)
Kurz und Bündig
Das Forschungsprojekt HoLLiECares entwickelt und erprobt einen multifunktionalen Serviceroboter, der Pflegekräfte in verschiedensten Aufgabenfeldern gezielt unterstützen soll. Eines der Einsatzfelder umfasst dabei den Bereich der Dokumentation und Information in der Pflege. Hierfür entwickelt das August-Wilhelm Scheer Institut durch den Einsatz innovativer KI-Technologien multimodale Interfaces zur intuitiven Steuerung des Assistenzsystems.
Der Pflegenotstand hat sich in den vergangenen zehn Jahren verschärft. Und ein Blick auf die demographische Entwicklung der Bevölkerung verrät, dass der Bedarf an Pflegenden auch in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen wird. Schätzungen zufolge werden bis zum Jahr 2030 circa 300.000 zusätzliche Fachkräfte im Bereich der Pflege benötigt. Schlechte Arbeitsbedingungen aufgrund mangelnder Ausstattung sowie zu hohe Belastungsspitzen verstärken das Problem zusätzlich. Innovative Technologien können dabei helfen das Fachpersonal zu entlasten. Mittels künstlicher Intelligenz gelingt die multimodale Ansteuerung des Pflegeroboters per Touch-, Sprache-, Gestik- oder gar Brain-Computer-Interfaces. So funktioniert die Nutzung im hektischen Pflegealltag.
Der anhaltende Pflegenotstand in Deutschland rückt zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Das hat vielfältige Maßnahmen zur Folge: Staatliche sowie sozialwissenschaftliche Strategien werden erarbeitet, um eine Verbesserung der Situation in der Pflege herbeizuführen, Investitionen in die Digitalisierung von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sollen zugleich eine Aufwandsreduktion sowie Qualitätssteigerung herbeiführen, der Pflegemindestlohn wurde zuletzt auf 15,40 € pro Stunde angehoben und schließlich wurden die bislang getrennten Pflegeausbildungen für Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege zu einer gemeinsamen Lehre zusammengelegt, um die größtmögliche Einsatzflexibilität der Fachkräfte zu erreichen. Doch zur gezielten Unterstützung und Entlastung der Pflegefachkräfte bedarf es der Entwicklung und Einführung technischer Innovationen, wie es sie etwa multifunktionale Pflegeroboter darstellen.
Vereinzelt haben monofunktionale Roboter in der Pflegepraxis bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Von einfachen Hilfsarbeiten, wie etwa dem Transport von Mahlzeiten auf die Stationen bis hin zur Durchführung präziser Operationen – die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten ist beachtlich. Solche Roboter sind in ihrem Einsatz jedoch auf die Durchführung einzelner spezifischer Tätigkeiten beschränkt. Der Einsatz multifunktionaler Serviceroboter entfaltet dahingegen noch ein weitaus größeres Potential im Pflegealltag. Das im Rahmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt HoLLiECares setzt genau hier an.
Ziel des Forschungsprojektes ist es, durch die Entwicklung und Erprobung eines multifunktionalen Pflegeroboters Pflegekräfte gezielt zu unterstützen und zu entlasten, um ihnen mehr Zeit für die wichtige Arbeit am und mit Menschen zu geben. In HoLLiECares kommen Experten aus der Pflegewissenschaft, der Pflegepraxis und verschiedenen Technikbranchen zusammen, um gemeinsam an der prototypischen Entwicklung und Erprobung eines multifunktionalen Pflegeroboters zu arbeiten. Auf Basis erfasster Anforderungen aus der Pflegepraxis werden flexible Soft- und Hardwaremodule für spezifische Anwendungsszenarien entwickelt und evaluiert. Die Anwendungsfelder umfassen dabei die Bereiche „Transport und Logistik“, „Assistenz in der Pflege“ und „Dokumentation und Information in der Pflege“.
Digitale Wunddokumentation mittels freier Sprache
Insbesondere die medizinisch korrekte sowie ausführliche Dokumentation der Behandlung hat in der Vergangenheit deutlich an Bedeutung gewonnen. Sowohl im Hinblick auf die Sicherstellung der Behandlungsqualität als auch hinsichtlich der Einhaltung steigender rechtlicher Anforderungen ist sie essentiell. Aus diesen Gründen nimmt die Dokumentation einen erheblichen Teil der täglichen Arbeitszeit in Anspruch. Im Durchschnitt werden 37 Prozent des Arbeitstages einer Pflegekraft in die Dokumentation investiert.
Der hohe Arbeitsaufwand ist vor allem auf fehlende intelligente digitale Lösungen zurückzuführen. Häufig werden Informationen zur Wunddokumentation vom Pflegepersonal in einem ersten Schritt in Form von Notizen auf Papier niedergeschrieben. Im Anschluss findet eine manuelle Übertragung dieser Daten am PC statt. Diese Art von Dokumentation ist nicht nur mit zusätzlichem Zeitaufwand verbunden, sondern führt in der Praxis zu einem Informationsverlust. Nicht nur aus rechtlicher Sicht ist diese Vorgehensweise für die Einrichtungen problematisch. Sie ist zudem nachteilhaft für die Patientenversorgung selbst. Da der Aufwand für die Dokumentation perspektivisch sogar noch weiter wachsen wird, ist es unabdingbar, intelligente digitale Lösungen einzuführen.
Vereinzelt wurden in Pflegeeinrichtungen bereits Systeme zur strukturierten Dokumentation eingeführt. Jedoch erfordern diese das Einsprechen von vordefinierten Sätzen in einer vorgegebenen Satzstruktur. Durch die Restriktion auf gewisse Formulierungen und Satzstrukturen bringt ein solches System eine hohe Einarbeitungszeit und gewisse Fehleranfälligkeit mit sich.
Das August-Wilhelm Scheer Institut entwickelt im Rahmen des Forschungsprojekts HoLLiECares eine digitale Lösung zur Wunddokumentation mittels freier Sprache. Dadurch soll es Pflegekräften ermöglicht werden, direkt am Ort der Wundbehandlung die Wunde unter Verwendung der eigenen Sprache beschreiben zu können. Ein intelligentes KI-System extrahiert die relevanten Informationen zur Wundbeschreibung, klassifiziert sie und fügt sie umgehend in das Dokumentationsformular an der entsprechenden Stelle ein. Gegenüber bestehenden Sprachsystemen entfällt so die Notwendigkeit, die systemeigenen Anforderungen zunächst erlernen und im Einsatz beachten zu müssen. Durch die Visualisierung des Wunddokumentationsformulars auf einem Tablet, welches der multifunktionale Roboter auf Brusthöhe mit sich trägt, kann die Pflegekraft zudem jederzeit die extrahierten Informationen am Ort der Versorgung auf ihre Korrektheit überprüfen. Ein solches System zur digitalen Dokumentation entlastet das Pflegepersonal und schafft mehr Zeit für die Versorgung und Betreuung von Patienten. Insgesamt kann so für Personal, Patienten und Arbeitgeber ein deutlicher Mehrwert generiert werden.
Intuitive Interaktion durch multimodale Interfaces
Die Integration multimodaler Interfaces zur Kommunikation und Steuerung des digitalen Assistenzsystems HoLLiE stellt eine weitere wichtige Komponente für den erfolgreichen Einsatz des Roboters im Pflegealltag dar. Sprach-, Touch-, Gestik- sowie Brain-Computer-Interfaces sollen es dem Pflegepersonal und den Patienten ermöglichen, mithilfe intuitiver Mensch-Technik-Schnittstellen zu interagieren und zu kommunizieren. Die Implementierung eines Dialogsystems, über welches Pflegepersonal und Patienten mit dem Roboter kommunizieren zu können, um ihn beispielsweise nach einer anstehenden Untersuchung zu befragen oder sich über den zuständigen Arzt zu informieren, stellt hierbei einen weiteren bedeutenden Schritt auf dem Weg zu einer multifunktionalen intelligenten Lösung im Pflegealltag dar.
Erste praktische Tests offenbaren das Potenzial
Im März und April 2022 fanden die ersten Realtestungen des Forschungsprojekts im Städtischen Klinikum Karlsruhe sowie dem Knappschaftsklinikum Püttlingen statt. Hier wurden bestimmte Grundfunktionalitäten im Einsatz mit Patienten und Pflegekräften erprobt sowie Experteninterviews durchgeführt. Zu den getesteten Funktionalitäten zählte dabei auch die sprachbasierte Wunddokumentation. Im Zuge der Testungen konnten die Anforderungen aus der Praxis weiter geschärft werden. Besonders der direkte Austausch mit Pflegekräften hat erneut gezeigt, wie wichtig und zeitintensiv Dokumentationstätigkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen tatsächlich sind. Laut den Einschätzungen der interviewten Pflegekräfte könnte durch ein Dokumentationssystem mittels freier Sprache die notwendige Zeit für Dokumentationsaufgaben um über 50% reduziert werden. Ein weiterer Vorteil, der aus der Praxistestung hervorging: Ein Dokumentationssystem wie beschrieben benötigt lediglich ein Smartphone, Tablet oder eine Datenbrille zur Anwendung und somit keine komplexe und kostenintensive Hardware.
Doch auch die Benutzung intelligenter Dokumentationssysteme in weiteren medizinischen Bereichen hat sich als vielversprechende Perspektive herausgestellt. Insbesondere die Pflege in der Intermediate Care, die das Bindeglied zwischen der Intensivstation und der normalen Station darstellt, sowie die Intensivstation selbst bieten ein hohes Anwendungspotential von intelligenten Dokumentationslösungen. Denn in diesen Bereichen muss in regelmäßigen Intervallen besonders ausführlich dokumentiert werden.
Ausblick
Ende 2022 werden weitere Realtestungen stattfinden, die neben den Grundfunktionalitäten auch reale Praxisszenarien umfassen werden, um das Projekt im Rahmen eines regulären Krankenhaustages evaluieren zu können. Doch die Notwendigkeit sowie das Potenzial der Technologie stehen außer Frage. Die Implementierung intelligenter digitaler Assistenzsysteme in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern stellt eine valide Möglichkeit der Entlastung des vorhandenen Pflegepersonals dar und bietet die Chance, dem Pflegenotstand in Deutschland Abhilfe zu schaffen.