Wenn man sich die Treiber der Digitalen Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft anschaut, wird schnell deutlich, dass mehrere grundlegende Veränderungen zusammenkommen. Es ist eben nicht ausschließlich die Vernetzung vieler Sensoren, die das Geschehen vorantreibt.
Schon seit langem wird unter den Praktikern und Wissenschaftlern in der Dienstleistungswirtschaft die sogenannte „Service Dominant Logic“ diskutiert. Die Formulierung „value in use“ betont, dass Produkte und Dienstleistungen erst durch ihre Nutzung den individuellen Nutzen für den Kunden entfalten, für den dieser bereit ist, zu zahlen. Dies bedeutet keineswegs, dass Kunden nicht Produkte erwerben, aber am ehesten doch, um sie auch zu verwenden oder aus dem Besitz einen Reputationsnutzen zu ziehen. Diese ausschließliche Ausrichtung an den Bedürfnissen jedes einzelnen Kunden und dessen Wunsch nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse so es denn geht zu jeder Zeit, überall und möglichst sofort: Dies verbindet sich nun mit der Vernetzung aller Dinge, dem Internet of Things, der Nutzung großer Datenmengen und der umfassenden mobilen Kommunikation zu einem neuen Konzept: den Smart Services.
Individueller Service im Vordergrund
Solche Smart Services werden also aus Produkten, Dienstleistungen und Diensten individuell und über das Internet zu einem Angebotspaket zusammengefasst. Daten aus verschiedenen Lebensbereichen helfen diese Pakete bedarfsgerecht und situationsspezifisch, sozusagen „as a Service“, zu konfigurieren.
Smart Services sind anlassbezogen, dann und dort, wo der Kunde das Angebot nutzen oder konsumieren möchte, sie sind Ende-zu Ende gedacht: Der Kunde will sich nicht um die Koordination der für die Dienstleistung erforderlichen Akteure und deren Aktivitäten kümmern. Statt des Besitzes eines Automobils rückt die vom Kunden gewünschte individuelle Mobilität in der Vordergrund. Statt des Wunsches, Zutaten für ein Essen einzukaufen, rückt die perfekte Mahlzeit in den Vordergrund. Dies erfordert an der Interaktionsstelle zum Kunden neue Koordinationsleistungen, die sich genau auf dieses eine Kundenbedürfnis fokussieren. So entstehen neue datengetriebene Geschäftsmodelle. Es kann und wird geschehen, dass der Produzent der Güter, die für diese Wertstiftung erforderlich sind und dem bisher die Nutzenwahrnehmung durch den Kunden zugeordnet wurde, in den Hintergrund rückt. Dabei verliert er nicht nur den direkten Kundenkontakt, auch sein Anteil an der Wertschöpfung des Kunden verringert sich oder geht gar verloren. Es wird eben nicht mehr der Produzent des Fahrzeuges, sondern der dem Kunden gegenüber stehende Koordinator, vom Kunden als der Wertstifter wahrgenommen. Als Sie beim letzten Mal beim Onlinehändler ein Buch bestellten, standen da Verlag oder Paketdienst im Vordergrund Ihrer Wahrnehmung oder doch eher das sofortige Informationsbedürfnis, sodass Sie auf dem elektronischen Marktplatz des Onlinehändlers gleich zur elektronischen Version des Buches gegriffen haben?
Konsequente Kundenorientierung durch Smart Services
Die konsequente Kundenorientierung durch Smart Services lässt Branchengrenzen verschwinden und rückt dafür die Anlässe für die Kundenutzenstiftung in der Vordergrund. Für jeden Anlass kann nun ein anderer Koordinator, der für den Kunden diesmal dessen individuelle Nutzenbefriedigung arrangiert, in den Vordergrund rücken und wird vom Kunden für die Gesamtheit der Leistungen wahrgenommen.
Damit dieses Arrangieren funktioniert, sind bei Smart Services für die Dienstleistungsbereitstellung, inklusive physischer Anteile, Plattformen auf vier Ebenen erforderlich. So müssen Serviceplattformen, Software-definierte Plattformen, vernetzte physische Plattformen und die technische Infrastrukturebene aufeinander aufbauen und miteinander verbunden werden. Die Linie der Sichtbarkeit wird in vielen Fällen nur die oberste, vom Kunden direkt wahrgenommene Plattform erlebbar machen: Die darunter liegenden Plattformen sind aber unabdingbare Voraussetzungen dafür, dass das sofortige Arrangieren von Dienstleistungspotenzialen quer durch alle bisherigen Branchen funktioniert.
Nun wird auch das Verhältnis von Industrie 4.0 und Smart Services deutlich. Denn wenn das Cyber Physical System (CPS) dem Kunden keinen Nutzen durch Services liefert, also nicht ein Cyber Physical Service System (CPSS) ist, dann wird es zwar technisch machbar sein, sich aber ökonomisch nicht lange halten können. Und ohne die Nutzung von Sensorik, Vernetzung und Daten wird es schwer, dem Kunden die individuellen, kontextbezogenen jederzeit und jeder Orts verfügbaren Services zu den Preisen anzubieten, die dieser bezahlen kann und will.
Smart Services und Industrie 4.0: Sie ergänzen sich nicht nur, sie bedingen einander.
Buchtipp
Smart Services in der Literatur
Die Verknüpfung von materiellen Produkten, modernen Service und intelligenter Informationstechnologie ist seit knapp 7 Jahren Gegenstand der Publikationsreihe „Dienstleistungsmodellierung“ bei Springer. Bereits 4 Bände sind seit 2008 in dieser Reihe erschienen. Prof. Dr. Oliver Thomas und Prof. Dr. Markus Nüttgens stellen mit ihren beitragenden Autoren aktuelle und innovative Methoden und Werkzeuge zur Gestaltung und IT-Unterstützung von Services vor, die zur Verbesserung von industriellen Produkten und hybriden Leistungsbündeln beitragen können. Zahlreiche Branchenbeispiele verdeutlichen die Leistungsfähigkeit und praktische Umsetzbarkeit der Smart Services. Die Bücher richten sich an Dozenten und Studenten der Betriebswirtschaftslehre, der Ingenieurwissenschaften und der Wirtschaftsinformatik sowie an Praktiker in Unternehmen, die sich mit der IT-basierten Gestaltung von Dienstleistungen befassen.
Publikationsreihe bei Springer
- Dienstleistungsmodellierung Methoden, Werkzeuge und Branchenlösungen
› https://www.springer.com/gp/book/9783790820980 - Dienstleistungsmodellierung 2010 Interdisziplinäre Konzepte und Anwendungsszenarien
› https://www.springer.com/gp/book/9783790826203 - Dienstleistungsmodellierung 2012 Product-Service Systems und Produktivität
› https://www.springer.com/gp/book/9783658008628 - Dienstleistungsmodellierung 2014 Vom Servicemodell zum Anwendungssystem
› https://www.springer.com/gp/book/9783658068905
Helmut Krcmar