Das Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik der Universität Osnabrück entwickelt zusammen mit Amazonenwerke, IMC, Universität des Saarlandes, Fraunhofer IAO und Klima Becker ein innovatives Bildungskonzept und eine richtungsweisende Lern- und Unterstützungsumgebung für die Serviceerbringung an global vertriebenen Maschinen. Durch den zweistufigen Ansatz von Kompetenzaufbau in der virtuellen Realität und der Service-Unterstützung vor Ort durch Augmented Reality werden Dienstleistungen zu Smart Services.
Dienstleistungen werden zunehmend zum zentralen Katalysator innovativer Geschäftsmodelle. Vor allem an der Schnittstelle zur industriellen Produktion in Form sogenannter Produkt-Service Systeme (PSS) werden Dienstleistungsmodelle zum Dreh- und Angelpunkt für betriebswirtschaftliche Investitionsentscheidungen, ingenieurwissenschaftliche Produktinnovationen und informationstechnische Umsetzungen. Allein das Potenzial in den After-Sales- Bereichen des Maschinenbaus ermöglicht neue Wertschöpfungskonzepte und -partnerschaften an der Markt- und Kundenschnittstelle [1], [2].
Aufgrund der fortwährenden Digitalisierung durch mobile Endgeräte bieten sich neue Möglichkeiten, diese informationstechnische Unterstützung am Ort der Dienstleistungserbringung (Point of Service) als Smart Services zu gestalten [3]. Dies ist vor allem für wissensintensive und modulare Dienstleistungen erforderlich. Servicetechniker zum Beispiel müssen eine Fülle verschiedener Aktivitäten beherrschen, um die immer komplexer werdenden Maschinen zu warten, instand zu halten und zu reparieren [4].
Bisher wurden mobile Assistenzsysteme vor allem in Form von Handheld-Geräten implementiert; aber diese sind nicht das Ende der Innovationswelle. Nach dem stark gewachsenen Smartphone-Markt wird eine ähnliche Entwicklung für tragbare Endgeräte (Wearables) erwartet [5], [6]. Vor allem im Geschäftsumfeld, in dem Dienstleister am Ort der Dienstleistungserbringung keine Geräte in der Hand halten können, da sie beispielsweise freie oder saubere Hände benötigen, versprechen Wearables mit neuen Eingabemethoden und Interaktionsmöglichkeiten einen hohen Nutzen. Diese tragbaren Geräte sind beispielsweise Smart Glasses in Kombination mit Augmented-Reality-Anwendungen.
Neben der Entwicklung neuer Smart Glasses ist aber auch der, vornehmlich durch die Unterhaltungsindustrie geprägte, Markt für Virtual Reality aktuell in den Medien. Die Medien versprechen durch die freie Visualisierung beliebiger virtueller Welten auch für das Geschäftsumfeld sinnvolle Einsatzszenarien. So können beispielsweise in der Aus- und Weiterbildung Trainingsumgebungen realisiert und für eine zielgerichtete Ausbildung genutzt werden, die bisher nur durch aufwändige Konstruktionen oder, beispielsweise aufgrund von Sicherheitsbedenken, gar nicht umgesetzt werden konnten.
Die Entwicklungen beider Technologien bieten für das Geschäftsumfeld zahlreiche Möglichkeiten bei der Unterstützung der Erbringung von bestehenden Dienstleistungen, aber auch neue Geschäftskonzepte und Smart Services. Eine mögliche Kombination beider Technologien zur Entwicklung eines innovativen Bildungskonzepts und einer neuartigen Unterstützung am Point of Service entwickelt das Konsortium des BMBF-geförderten Projekts Glassroom.
Smart Services in der Landmaschinentechnik
Die durch traditionelle Serviceleistungen gekennzeichnete Landmaschinenbranche durchläuft einen innovativen Wandel, weg von stationären Hilfsmitteln hin zu digitalen Medien, die im Bereich des technischen Kundendienstes Einsatz finden und den Ansprüchen einer gesteigerten Systemperformance gerecht werden [7]. Dabei steht die Fortentwicklung neuer Servicestrategien, welche sich die Etablierung neuester Informationstechnologien zu Nutze machen, im Fokus. Durch den Einsatz von Virtual- und Augmented- Reality-Brillen im Bereich des technischen Kundendienstes, ihrer Aus- und Weiterbildung sowie ihrer Tätigkeit innerhalb der Serviceerbringung, wird der Servicetechniker in die Lage versetzt, unabhängig von räumlichen, zeitlichen und individuellen Gegebenheiten, für den Serviceeinsatz im Sinne des „Service Everywhere“ aktiv zu werden. Durch die Einblendung der zu erfüllenden Serviceschritte und der Informationsversorgung des Servicetechnikers in den Smart Glasses, erfolgt nun die Unterstützung im Gegensatz zu früheren Hilfsmitteln „handsfree“. Die Bereitstellung der digitalen Services in der Unterstützung und Ausbildung wird gleichsam zum neuen Geschäftsmodell, welches den klassischen Produkthersteller zum plattformneutralen Anbieter von Smart Services transformiert.
Diese vernetzen innovativ das Prozesswissen mit neuer Hardware und intelligenter Software und legen so den Grundstein für den Paradigmenwechsel im deutschen Mittelstand.
In diesem Zusammenhang findet im Rahmen des Projektes Glassroom ein reziproker Wandel der Servicestrategie statt, wobei nicht – wie bisher – Hardwarekomponenten in Deutschland erfunden und im Ausland kommerzialisiert werden, sondern der Mittelständler durch neueste Entwicklungen der IT aus dem Ausland in die Lage versetzt wird, Smart Services zu gestalten. In dem Projekt, das mit dem mehrdeutigen Akronym Glassroom charakterisiert wird, werden zentrale Handlungsfelder der Smart Service Welt [3] angesprochen:
►► Innovationsmanagement: Es erfolgt ein Wandel von klassischen Dienstleistungen hin zur Etablierung technologiegestützter Dienstleistungen, die während ihrer Ausführung durch Echtzeitdatenverarbeitung weiterentwickelt werden.
►► Organisationsmanagement: Der „Workplace of the Future“ befindet sich nicht mehr zwangsläufig am Produkt oder beim Kunden selbst, sondern ist standortungebunden, was die Flexibilität des Servicetechnikers erhöht. Dies wird durch den Einsatz günstiger Hardware in diesem Konzept erst möglich.
►► Qualifizierungsmanagement: Der Einsatz von Virtual Reality und Smart Glasses ermöglicht die Aus- und Weiterbildung der Servicetechniker sowohl vor der Serviceerbringung als realitätsnahes Training als auch am Point of Service.
►► Informationsmanagement: Durch die Vernetzung des Serviceprozesswissens über die Smart Glasses wird auch eine serviceeffiziente Produktentwicklung möglich, indem erzeugte Daten während des Einsatzes am Point of Service analysiert und strukturiert an den Beginn der Wertschöpfungskette in die Forschung und Entwicklung zurückgespielt werden.
Virtual und Augmented Reality in der Aus- und Weiterbildung
Aus- und Weiterbildungen der Mitarbeiter sind nicht nur im Bereich der Produktion, sondern insbesondere auch im Bereich der Dienstleistung ein essentielles Gut für Unternehmen. Das erfolgskritische Wissen und die Kompetenzen der Menschen werden zum Kapital der Unternehmen. Das im Projekt Glassroom entwickelte Aus- und Weiterbildungskonzept setzt sich aus dem Kompetenzaufbau in der virtuellen Realität und der Service-Unterstützung durch Augmented Reality zu einem zweistufigen Konzept zusammen.
Kompetenzaufbau in der virtuellen Realität
Die virtuelle Realität und damit die Vermittlung von Wissen an Lernende ist Kern der Aus- und Weiterbildung. Um diese Umgebung so zu gestalten, dass ein effizientes Lernen möglich wird, wurden die Gegebenheiten denen in der Realität möglichst nachempfunden. Dazu wurde mithilfe der Kombination einer VR-Brille und einer Gestensteuerungskomponente eine virtuelle Welt erschaffen, die nicht nur betrachtet, sondern mit der auch interagiert werden kann. Essentiell ist dabei, dass die Gestik des Nutzers in die virtuelle Welt übertragen werden kann.
In dieser Umgebung kann dann die Schulung durchgeführt werden. Die Repräsentation des Schulungsobjekts, hier der Landmaschine, wird auf Basis bestehender Konstruktionsdaten (CAD) generiert und in die virtuelle Umgebung eingebettet. Ferner werden die eigentlichen Arbeitsschritte in Form von Prozessmodellen in die virtuelle Lernumgebung geladen. Diese interpretiert die Schritte des Prozessmodells und zeigt sie für den Lernenden an, sodass dieser sequentiell durch die Arbeitsschritte geleitet wird. Dies ist beispielhaft in Abbildung 1 dargestellt. Die Nutzung von Werkzeug wird über die Gestik der Nutzer eingebettet. Hierbei wird auf kostengünstige Virtual Reality Brillen, wie der Oculus Rift, kombiniert mit Gestensteuerungskonzepten wie Thalmic Myo, Microsoft Kinect oder Leap Motion gesetzt. Erst durch die Kombination dieser Technologien wird eine annähernd lebensgetreue Tätigkeit an den komplexen Maschinen möglich.
Ziel der Simulation ist, dass die Schulungsszenarien den Kompetenzaufbau fördern und auf die Tätigkeiten vorbereiten, die nötig sind, um einen tatsächlichen Auftrag, etwa eine Wartung oder Reparatur einer Landmaschine, durchzuführen.
Service-Unterstützung in der erweiterten Realität
Als Ergänzung des bestehenden Lernkonzepts ist die Service-Unterstützung durch Ansätze der erweiterten Realität konzipiert. Diese werden technisch durch den Einsatz von Augmented- Reality-Brillen (Smart Glasses) umgesetzt. Bei dieser lassen sich Informationen in das Bild des Betrachters einblenden, wie in Abbildung 2 dargestellt. Durch diese Informationen kann „hands-free“ navigiert werden und auf Basis von Kontextsensitivität dem Techniker vor Ort eine proaktive Informationsbereitstellung ermöglicht werden. Diese wird durch Aspekte der Aus- und Weiterbildung angereichert, da die eingeblendeten Anweisungen, die aus der virtuellen Realität bekannt sind, wiederverwendet werden. Die Nutzer können auf diese Weise die Wartungs- oder Reparatursituation aus der virtuellen Realität wiedererkennen und in der erweiterten Realität an der realen Maschine genauso durchführen, wie in der virtuellen Realität erlernt. Dabei wird durch den identischen Aufbau der Benutzeroberfläche die Erinnerung des Benutzers bewusst stimuliert.
Dieser zweite Teil des Gesamtkonzepts ermöglicht die nahtlose Übertragung des Erlernten aus der virtuellen Realität in die erweiterte bzw. tatsächliche Realität. Somit wird der Lernende nach seiner eigentlichen Aus- bzw. Weiterbildung in einer realen Reparatursituation weiterhin unterstützt und kann diese analog zu den in der virtuellen Lernumgebung erprobten Tätigkeiten durchführen.
Zusammenspiel der Realitäten
Das integrierte Konzept beinhaltet durch die verschiedenen Stufen (Kompetenzaufbau durch Virtual Reality; Service-Unterstützung durch Augmented Reality/Smart Glasses; Entwicklung neuer Szenarien und Kompetenzanforderungen in der Realität mit Rückfluss in das Schulungskonzept) eine umfassende Herangehensweise dazu, wie Arbeitsschritte eines Prozesses an einen Lernenden weitergegeben und entlang seines Lernprozesses durchgängig unterstützt werden können.
In Abbildung 3 wird das Zusammenspiel im Überblick illustriert. Dabei gehen, wie beschrieben, die CAD-Modelle in die virtuelle und indirekt auch in die erweiterte Realität ein. Darüber hinaus wird durch die identische Gestaltung der Anweisungen in der virtuellen Realität und der erweiterten Realität die Erinnerung stimuliert. So kann der Techniker eine Aufgabe zunächst zum Kompetenzaufbau am virtuellen Modell beliebig oft üben, womit ein selbstbestimmtes Lernen ermöglicht wird. Fühlt sich der Techniker sicher genug, so besteht der nächste Schritt darin, das Erlernte im Rahmen der Service-Unterstützung in der erweiterten Realität durchzuführen. Sehr erfahrene Techniker können dann wiederum während des Serviceprozesses vor Ort neue Lernszenarien aufnehmen und Kompetenzanforderungen definieren, welche in das Schulungskonzept zurückgespielt werden können. Auf Basis ihrer Erfahrungen werden dann weitere Prozessmodelle mit Schulungsszenarien erstellt. Insgesamt können die sehr erfahrenen Techniker mit dem vorgestellten Konzept somit weniger erfahrene Kollegen schulen, ohne dabei selbst bei jeder einzelnen Schulung anwesend sein zu müssen. Damit ermöglicht das vorgestellte Gesamtkonzept die lebenslange berufliche Aus- und Weiterbildung unter geringerem Personalaufwand, als es normalerweise nötig wäre.
Fazit
Eine der grundlegenden Herausforderungen heutiger Unternehmen liegt in der Erbringung von smarten Dienstleistungen für ihre Kunden und der damit verbundenen Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Dazu gilt nicht nur im Maschinen- und Anlagenbau, dass die Informationen über komplexe Produkte an die Serviceerbringer zu vermitteln sind, damit diese als Repräsentant des Unternehmens beim Kunden mit Kompetenz und sicherem Auftreten die Dienstleistung bestmöglich erbringen können. Zentral für den hier vorgestellten Ansatz ist die Kombination aus virtueller Fortbildung auf Basis virtueller Realitäten und der Unterstützung vor Ort auf Basis von erweiterten Realitäten. Dies ermöglicht eine innovative Form der realitätsnahen Aus- und Weiterbildung und birgt für Unternehmen die Chance, ihre Dienstleistungen durch besser ausgebildete und sicher auftretende Mitarbeiter erbringen zu können. Die Vernetzung von Prozesswissen, Konstruktionsdaten und neuen Technologien verbessert somit bestehende Geschäftsmodelle im deutschen Mittelstand und gibt den Anstoß dazu, auch in Zukunft das Potenzial von neuartiger Hardware zu ergründen und diesem offen zu begegnen.
Danksagung
Die Forschung und Entwicklung in diesem Beitrag ist Teil des Projekts Glassroom, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Förderlinie „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ (DIMEBB) unter dem Förderkennzeichen 01PD14014A gefördert wird.
Die Zuordnung der Quellen finden Sie unter folgendem Link: https://www.im-c.com/de/
Dirk Metzger, Christina Niemöller, Novica Zarvic, Markus Welk, Oliver Thomas