Sketching the Future
KI als Material und Werkzeug der Gestaltung
Simon Maris, KINDLAB Campus Gestaltung der Hochschule Trier
(Titelbild: © Adobe Firefly)
Kurz und Bündig
Im Rahmen des Verbundprojektes KITeGG erforscht das KINDLAB am Campus Gestaltung der Hochschule Trier die Integration von KI in die Gestaltungslehre sowie die Potenziale für nachhaltige Innovationen und Zukünfte. Mit transdisziplinären Angeboten für eine Vielzahl von Gestaltungsdisziplinen werden Hintergrundwissen und gestalterische Einsatzmöglichkeiten durch praktische Anwendung vermittelt und die kritische Auseinandersetzung gefördert. Das Labor erforscht die Rolle von KI als Material und Werkzeug in der Gestaltung, beleuchtet die Komplexität und den Kontext des Entwurfsprozesses, diskutiert ethische Fragen und zeigt Perspektiven für die Weiterentwicklung der Gestaltungsausbildung auf.
Künstliche Intelligenz prägt bereits heute unseren Alltag – von automatisch optimierten Handybildern bis hin zur maßgeschneiderten Musik- und Filmauswahl. Doch wie können wir diese mächtige Technologie gezielt in kreative Prozesse integrieren? Wann ist der Einsatz von KI wirklich sinnvoll? Ob als kreatives Werkzeug, zur Optimierung von Prozessen oder zur Verbesserung der Barrierefreiheit von Apps und Websites – das Potenzial ist enorm. Aber es geht um mehr als nur Technik: Gestalter:innen, die KI nicht nur verstehen, sondern auch kritisch hinterfragen, können die Zukunft aktiv mitgestalten und den gesellschaftlichen Dialog über diese Technologie bereichern.
In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz als allgegenwärtige und vielseitige Basistechnologie unsere Welt durchdringt, steht die Gestaltung als ebenso omnipräsente Disziplin vor neuen Herausforderungen und Möglichkeiten. Gestalter:innen, die unseren Alltag, unsere Umwelt, Produkte, Systeme und Kommunikation entwerfen, binden neue Technologien häufig schnell und teilweise überraschend in ihre Prozesse ein. Dabei muss es nicht immer die von den Entwickler:innen angedachte Funktion eines Modells sein: Inspiration und Irritation sind seit jeher Bestandteil von Entwurfsprozessen, insbesondere generative KI-Modelle und die gelernten Spiegelbilder einer Gesellschaft inklusive ihrer „Biases“ bieten Reibungsflächen und werden somit nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Material für Gestalter:innen interessant.
KI als Werkzeug der Gestaltung
Die Vielfalt an Techniken und Entwurfsprozessen in Gestaltungsdisziplinen wie Architektur, Mode, Kommunikationsdesign und freier Kunst bildet eine reiche Grundlage für die Anwendung und kritische Reflexion von KI-Systemen. Spezialisierte Modelle, die auf spezifische Datensätze trainiert wurden, kommen etwa bei der material- und kraftoptimierten Formgebung zum Einsatz und fungieren dort als effiziente Werkzeuge. Besonders beeindruckend sind die Fortschritte generativer Modelle in Bereichen wie Text, Bild, Video und 3D. Diese Technologien, die für zahlreiche Branchen zunehmend an Bedeutung gewinnen, werden als kreative Werkzeuge eingesetzt und konkurrieren dabei teilweise mit menschlichen Gestaltenden – insbesondere bei einfacheren Aufgaben.
KI als Material der Gestaltung
Besonders bemerkenswert ist die zunehmende Verschmelzung der verschiedenen Medien. Lange Zeit konzentrierte sich die Forschung darauf, ungesehene Daten sinnvoll zu klassifizieren und überzeugende Texte oder Bilder zu generieren. Dazu wurden Ähnlichkeiten und Muster im mathematischen Raum der Modelle erfasst und angewendet. Heute jedoch kombinieren sogenannte multimodale Modelle mehrere Medien miteinander – so können beispielsweise aus Spracheingaben direkt 3D-Modelle entstehen. Solche Übersetzungsleistungen waren bisher Menschen vorbehalten und in Software kaum realisierbar, weshalb digitale Modalitäten wie Bild, Video, Text oder 3D-Daten streng voneinander getrennt waren. Für Gestalter:innen eröffnen sich nun neue, faszinierende Möglichkeiten: Die Modelle selbst werden zum kreativen Material, das auf riesigen und oft intransparenten Datensätzen basiert.
Die Integration von KI in den Gestaltungsprozess erfordert daher nicht nur die Kompetenz im Umgang, sondern auch eine kritische Reflexion der Technologie. Kontrovers diskutiert werden in diesem Zusammenhang natürlich urheberrechtliche Fragen, sowohl im Hinblick auf die indirekte Nutzung fremder Werke als auch die (unbewusste) Verwendung eigener Werke als Trainingsmaterial zukünftiger Systeme. Aber auch ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Auswirkungen der Nutzung von KI-Systemen in Bezug auf soziale Faktoren oder Ressourcen- und Energieverbrauch wird zu einer wichtigen Grundkompetenz von Gestalter:innen.
Komplexität und Kontext des Entwurfs
Die Auswirkungen dieser Veränderungen sind schwer vorherzusagen. Einige Aufgaben und Tätigkeiten, die vollständig digital reproduzierbar sind, werden sich verändern und möglicherweise sogar nahezu verdrängt werden, nicht zuletzt auf Grund des wirtschaftlichen Drucks, der auf ihnen lastet. Gleichzeitig ist es durchaus denkbar, dass der Mensch wieder stärker in den Mittelpunkt aller kulturellen und kreativen Aktivitäten rückt, von der Manufaktur bis hin zu Live-Formaten. Die Bandbreite der Tätigkeiten und damit die Rolle von Gestalter:innen ist aber insbesondere bei komplexen Aufgaben vielfältig und geht weit über den reinen kreativen Schaffensprozess hinaus. Ein Architektur- oder Modeentwurf muss erdacht, gemanagt und durch eine Vielzahl von beteiligten Gewerken mit jeweils eigenen Prozessen umgesetzt werden. Diese Komplexität ist bislang und vermutlich auch in absehbarer Zeit nicht vollständig automatisierbar.
Natürlich können aber auch hier KI-Systeme in vielen Einzelschritten sowohl als Material als auch als Werkzeug unter anderem zur Bewältigung technischer Komplexität eingesetzt werden. Vom Designprozess und der Integration von Wissen oder Umweltdaten bis hin zum Fertigungsprozess und der reaktiven Verarbeitung von lebenden und inhomogenen Materialien werden hier zukünftig neue Möglichkeiten der Gestaltung und Umsetzung entstehen. In diesem komplexen Gefüge aus integrierten Prozessen und unendlich generierten Varianten wird die Fähigkeit, Informationen und Qualität zu kuratieren und zu bewerten, immer wichtiger. Dies ist die zentrale Aufgabe von Gestalter:innen der Zukunft. Denn was bisher kein System überzeugend erfassen und integrieren kann, ist der Kontext einer Situation und damit eines jeden Entwurfs. Dazu zählen sowohl erfasste als auch nicht erfasste Daten wie die städtebauliche Umgebung, Material- und Prozessinformationen sowie die Bedürfnisse und Visionen der zukünftigen Nut-zer:innen, Bewohner:innen, Nachbar:innen und Betrachter:innen eines Werkes.
Weiterentwicklung der Gestaltungsausbildung
Die Integration von KI in die Curricula der Gestaltungsstudiengänge stellt eine wichtige Aufgabe dar. Dabei kann die Gestaltungsausbildung auf bestehenden Stärken aufbauen. Viele Punkte aktueller hochschulpädagogischer Diskurse wie Future Skills werden in der Gestaltung bereits gelebt. Angewandte Praxisformate, Selbststudium, interdisziplinäres Denken, Arbeiten und lebenslange Neugier sind Kernelemente der Ausbildung und bilden die Grundlage für die vielfältigen Tätigkeitsfelder von Gestalter:innen.
Entsprechend sind die Studierenden in Bezug auf technologische Entwicklungen sowie allseits bekannte aktuelle KI-Modelle häufig gut informiert und probieren diese wenn möglich selbstständig aus. Neue Lehrformate müssen daher darauf abzielen, die Studierenden mit den Hintergründen, Funktionsweisen und fortgeschrittenen Möglichkeiten der gestalterischen Verwendung von KI-Technologien als Material oder Werkzeug vertraut zu machen.
Um diesen Wandel und seine Herausforderungen zu begleiten, wurde das Verbundprojekt „KITeGG“ (KI greifbar machen und begreifen: Technologie und Gesellschaft verbinden durch Gestaltung) im Rahmen der Förderlinie “KI in der Hochschulbildung” ins Leben gerufen. Die fünf beteiligten Hochschulen, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Ländern gefördert werden, decken ein breites Spektrum künstlerischer und gestalterischer Studiengänge ab. Durch gemeinsame Publikationen, Tagungen und Symposien fördert KITeGG den Austausch im Verbund und zwischen den Disziplinen sowie den öffentlichen Dialog. Darüber hinaus wird eine eigene Infrastruktur inklusive Lehr-Lern-Plattform entwickelt, um auch den Betrieb anspruchsvollerer Modelle in der Lehre und Forschung zu ermöglichen.
Außerdem werden hierüber unabhängig von kommerziellen Interessen eigene Interfaces als Schnittstelle zwischen bestehenden, teils analogen gestalterischen Prozessen und den aktuellen KI-Modellen ermöglicht. Die auf dieser Basis entwickelten Lehrangebote reichen von absoluten Grundlagen bis hin zu fortgeschrittenen Kursen, in denen eigene Datensätze erhoben, bestehende Systeme modifiziert oder in neue Prozesse integriert werden. Wie bei früheren digitalen Veränderungsprozessen gilt jedoch auch hier, dass das Ziel nach wie vor die Ausbildung von Gestalter:innen und nicht von Informatiker:innen ist. Im KINDLAB am Campus Gestaltung der Hochschule Trier wird neben der Schnittstelle KI und Gestaltung ein-en zusätzlicher Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt, sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht. An der Schnittstelle dieser drei großen Felder werden viele gesellschaftliche Problemfelder sichtbar und Lösungsansätze entwickelt. Entsprechend relevant ist der Diskurs dabei insbesondere in den Gestaltungsdisziplinen mit einem enormen Ressourcen-Impact wie beispielsweise der Architektur.
Zukünfte gestalten
Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die Gestaltung stellt sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. Sie verstärkt bestehende Trends wie die zunehmende Komplexität und Vielfalt der zu berücksichtigenden Informationen im Gestaltungsprozess. Gleichzeitig eröffnet sie neue Möglichkeiten der kreativen Auseinandersetzung, Problemlösung und Integration eben jener Informationen.
Dabei geht es nicht nur um die Zukunft der Gestaltung selbst, sondern auch um die Gestaltung der Zukunft. Gestalter:innen müssen Visionen entwickeln und Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung aufzeigen, ohne blind auf technologische Lösungen zu vertrauen. KI kann ein Faktor sein, ist aber kein Allheilmittel für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit. Es liegt an uns, diese Technologien kritisch zu hinterfragen, verantwortungsvoll einzusetzen und kreativ zu nutzen. Die Ausbildung spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem sie angehende Gestalter:innen darauf vorbereitet, KI als Material und Werkzeug zu begreifen und im richtigen Moment einzusetzen, ohne dabei die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen aus den Augen zu verlieren.