Plattform versus Blockchain - Gegenwart versus Zukunft?
Prof. Dr. Christian Gärtner, Quadriga Hochschule und Dr. Wolfram Jost, CTO der Software AG
Kurz und bündig
IM+io: Herr Prof. Gärtner, durch die Blockchain wird die Rolle des Vermittlers überflüssig, Dienstleistungen werden über die dahinterliegende Distributed Ledger-Technologie unverfälschbar und dokumentensicher erbracht. Smart Contracts definieren Leistungen und Gegenleistungen. Welche Hürden verhindern derzeit eine breite Realisierung?
CG: Die klassische Antwort, die man noch vor 1 bis 2 Jahren hätte geben können, lautet, die Skalierbarkeit ist nicht wirklich gegeben, die Validierung der Transaktionen ist über die Blockchain-Technologien zu langsam und die Anwendung ist zu energieintensiv. Diese Argumentation stammt allerdings aus einer Zeit, als es nur die Bitcoin Blockchain gab. Mittlerweile kennen wir aber ganz andere Technologien, die nicht nur auf der Blockchain aufbauen, etwa Tangle, die ja eher ein gerichteter Graph ist, oder Etherium. Die technische Hürde liegt nun darin, dass es sehr unterschiedliche Technologien gibt, mit ihren jeweils eigenen Konsens- und Validierungsverfahren, ihren Versprechen bezüglich Skalierbarkeit, Geschwindigkeit und Energieverbrauch, so dass eigentlich kaum jemand mehr durchblickt. Zudem haben die Bitcoin Blase, die wir letztes Jahr sahen, und auch viele andere Kryptowährungen viele ge- und enttäuscht, das Vertrauen ist zerstört. Ein dritter Punkt, der damit einhergeht, liegt darin, dass die Plattformen, die hier angegriffen werden sollen, B2C Plattformen sind. Sie sprechen die breite Masse, den Endkunden, an. Der kann sich unter den Bitcoin Blockchains, Etherium Blockchains und Tangle gar nichts vorstellen. Die Akzeptanz auf Nutzerseite ist also schwierig.
IM+io: Herr Dr. Jost, welche Hürden sehen Sie beim Angriff der Blockchain auf die erwähnten Plattformen?
WJ: Zunächst ist es wichtig zu sagen, dass es sich auch bei der Blockchain Technolgie um eine Plattform handelt. Technologisch müssen wir immer zwischen den Begriffen Plattform und Applikation unterscheiden. Die Blockchain ist eine Plattform mit der man Blockchain Applikationen entwickeln kann. Die bisher bekannteste und erfolgreichste Blockchain Applikation ist der Bitcoin (Payment). Im technologischen Sinne sind die B2C Plattformen deshalb mehr Applikationen (SaaS) als Plattformen (PaaS). Das liegt im Wesentlichen daran, dass diese B2C Plattformen vorkonfigurierte Business Logik wie Geschäftsprozesse, Datenmodelle, User Interfaces etc. im Bauch haben. Sie werden nur häufig als Plattformen bezeichnet, da sie den Austausch von Gütern, Informationen und Dienstleistungen über einen zentralen Hub ermöglichen. Das ist aber eher eine betriebswirtschaftliche und keine technologische Betrachtungsweise.
Generell denke ich, dass bei der Diskussion um das Thema Blockchain viel Verwirrung herrscht. Die Blockchain Technologie ist eigentlich nichts Neues. Alles, was dort als Technologie verwendet wird, ob das Kryptographie, Hash Computing, Immutable Records, Distributed Ledger, Public Keys oder Netzwerkprotokolle sind, all diese Dinge gibt es schon seit vielen Jahren. Das Neue an der Blockchain ist, dass man diese Technologien jetzt so integriert hat, dass man damit gewisse Anwendungsfälle unterstützen kann. Die Blockchain wurde eigentlich für einen spezifischen Anwendungsfall entwickelt, und das ist der Bitcoin. Wir sprechen hier also über das Thema Kryptowährungen. Die Grundidee liegt im Speziellen darin, dass man den Zahlungsverkehr ohne die Notwendigkeit von Banken ermöglichen will. Generell geht es bei der Blockchain grundsätzlich darum, quasi zentralistisch orientierte Entscheidungsstrukturen in rein dezentrale (Peer2Peer) Entscheidungsstrukturen zu überführen. Vertrauen wird also nicht mehr durch eine zentrale Institution (Bank) gewährleistet, sondern durch mathematische Algorithmen.
Das wesentliche Merkmal der Blockchain ist es also, den sogenannte ‚Middle Man‘ zu eliminieren und damit zum einen Geld zu sparen, aber auch um Fehlverhalten bzw. Betrug zu vermeiden. Währungen und der Austausch von Geld sind der ideale Anwendungsfall, weil wir normalerweise hier ja die Banken als Mittler dazwischengeschaltet haben. Die Governance Aufgabe der Banken wird nun durch die Blockchain Technologie ersetzt. In der Blockchain wird Vertrauen nicht durch eine zentrale Institution definiert, sondern durch mathematische Algorithmen.
Es gibt allerdings heute durchaus Use Cases, bei denen Unternehmen versuchen, Blockchain Technologie einzusetzen, wo es überhaupt keinen Sinn macht, weil das genauso gut oder besser mit anderen Technologien möglich ist. Mehr noch, es werden heute viele Projekte als Blockchain Projekte bezeichnet, ohne dass tatsächlich die wesentlichen Blockchain Komponenten eingesetzt werden. Ich habe schon „sogenannte“ Blockchain Projekte gesehen, die eine zentrale Governance Struktur hatten, das führt das Ganze ad absurdum. Meines Erachtens gibt es nur eine einzige erfolgreiche Blockchain Applikation, die auch diesen Namen verdient, das sind Kryptowährungen. Da passt es, denn es geht darum, zentrale Strukturen aufzubrechen in dem man die Banken aus dem Geldkreislauf herausnimmt.
IM+io: Betrachten wir noch einmal die Nutzerseite. Herr Prof. Gärtner, liegt der Grund für eine gewisse Zurückhaltung der User auch an den Benutzeroberflächen und Zugangsmöglichkeiten, und könnten die Vermittlungsfunktionen der Blockchain mit den rundum-glücklich Paketen von Marktführern wie Amazon und Uber überhaupt konkurrieren?
CG: Der Nutzer bekommt gewohnt leichten Zugang auf die derzeit gehypten Blockchain Projekte wie etwa Beenest, ein Airbnb für Privatanbieter im Raum Los Angeles. Das Frontend ist nicht das Problem. Aber Beenest ist nicht so bekannt und auch nur lokal vertreten, damit ist man schon bei einem anderen Problem, nämlich für neue Blockchain Angebote die Aufmerksamkeit der Abnehmer zu gewinnen. Es ist aber eben auch eine Technologie aktiv, die Vertrauen verloren hat, das zurückgewonnen werden muss. Und das gilt auch für die Techie-Szene, denn erst wenn diese Early Adopters auf Angebote aufspringen, quasi als Digital Forerunner, kann man normale Menschen im zweiten Schritt erreichen, weil für diese ersten Nachfrager dann schon genügend Angebote bereitstehen. Im Ergebnis braucht man ja wie bei den etablierten Plattformen viele Angebote und eine breite Nachfrage. Die early adopter sind die ersten die man überzeugen muss – mit Daten und Fakten. Aber selbst die treten den unterschiedlichen Technologien skeptischer gegenüber.
Wenn es um die rundum-glücklich Pakete geht: Ich sehe kein Problem, wenn man über einfache Zusatzangebote spricht. Etwa bei Beenest, das Airbnb dezentralisiert nachbaut, ist das kein Problem. Es gibt komfortable Suchfunktionen. Gleiches gilt für den Bewertungs- und Reputationsmechanismus und die Zahlfunktion, die über einen eigenen Krypto-Token laufen. Man kann auch mit Bitcoin zahlen. Das ist wichtig, damit die Early Adopters sehen, dass der Dezentralisierungsgedanke noch lebt und die Großen angegriffen werden. Was aber gegenüber den Großen wie Amazon noch fehlt, ist die Masse an Produkten, die angeboten werden. Ein weiterer Punkt, warum sich Blockchain Angebote noch nicht breit durchsetzen, ist, dass es viele private Anbieter mit halboffenen oder geschlossenen technologischen Lösungen gibt. Das führt die Ursprungsidee, dass alles dezentralisiert und öffentlich ist, wie etwa bei dem Bitcoin, ad absurdum und zerstückelt den Markt.
IM+io: Herr Dr. Jost, wie bewerten Sie Blockchain basierte Alternativen zu Facebook oder Uber und deren Angriffspotenzial auf herkömmliche Plattformen?
WJ: Meiner Meinung nach machen solche Blockchain Applikationen keinen Sinn, und sie werden auch nicht wirklich funktionieren. Warum, lässt sich abermals am Thema Bitcoin illustrieren. Mit dem Bitcoin ist es möglich, dass man Geld ohne Bank austauschen kann. Die Grundproblematik dabei ist, wie Vertrauen in einem eigentlich nicht sehr vertrauenswürdigen Umfeld geschaffen werden kann, ohne eine zentrale Institution zu haben. Woher weiß man, dass der, der Geld überweist, Geld hat und wie erfahre ich, dass der Empfänger sein Geld bekommt – ganz ohne zentrale Governance Struktur. Damit kommen wir zum absoluten Kern der Blockchain, dem Konsensus-Mechanismus. Dieser Konsensus-Mechanismus ersetzt die zentrale Governance Funktion. Er bringt das Vertrauen in ein nicht vertrauenswürdiges Netzwerk. Er besagt, dass es einen sogenannten Proof of Work gibt. Um einen neuen Block freizuschalten, muss ein sogenannter Miner nachweisen, dass er eine bestimmte Arbeit verrichtet hat. Und dafür muss er einen prüfbaren Nachweis erbringen. Bei dieser „Arbeit“ handelt es ich in der Regel um die Lösung eines komplexen mathematischen Problems.
Man muss zum Beispiel einen Hash finden, der mit vier Nullen beginnt. Um diese mathematische Aufgabe zu lösen, braucht man enorme Rechenkapazitäten. Das ist auch der Grund, warum die Blockchain extreme Hardwareanforderungen hat und einen extremsten Stromverbrauch. Für ihre Arbeit werden die Miner dann auch „bezahlt“. Das ist ein genialer Ansatz, aber nicht nachhaltig! Wir können nicht fünf oder sechs Blockchains bauen, die mehr Strom verbrauchen, als der Rest der ganzen Erde. Wenn ich aber diesen Konsensus-Mechanismus aufweiche, dann gibt es keinen Proof of Work mehr sondern alternativ einen Proof of Stake oder Round-Robin. Ich organisiere dabei das „Vertrauen“ anders, nach dem Prinzip, ich kenne die Leute in meiner Blockchain und denen kann ich vertrauen. Aber damit entferne ich mich ein großes Stück von der eigentlichen Idee der Blockchain. Nur der Konsensus-Mechanismus bringt das Vertrauen in die dezentrale Blockchain Plattform. Der Proof of Work ist die Basis dieses Vertrauens, es muss also jemand nachweisen, dass er sehr, sehr viel Arbeit investiert hat (Strom verbraucht hat), bevor eine Transaktion als valide betrachtet wird. Man hat also eine sehr hohe Hürde geschaffen, um die Transaktionen zu validieren. Deswegen glaube ich nur an einen sehr begrenzten Einsatz der Blockchain Technologie in ganz bestimmten Use Cases, und nicht als Ersatz für übliche B2C Plattformen. Des Weiteren kommt hinzu, dass diese B2C Plattformen eine Menge an innovativer Business Logik mitbringen, die sich über mehrere Jahre entwickelt hat und einen wesentlichen Teil des Erfolges darstellt. Es geht bei diesen B2C Services also nicht nur um die Plattform Technologie, sondern auch um die entwickelte Business Logik. Dazu kommt, dass die Skalierbarkeit und Performance der derzeitigen Blockchain Technologie bei weitem nicht ausreicht, um bestimmte Use Cases zu unterstützen.
IM+io: Plattformunternehmen wird vorgeworfen, dass sie ihr Geld vor allem mit den Daten der User verdienen. Herr Prof. Gärtner, ist das Thema ‚Datenkrake‘ für die breite Masse wirklich ein Verkaufsargument für die Blockchain?
CG: Ich glaube schon, dass es in den letzten Monaten vor dem Hintergrund der Facebook Skandale zu einer höheren Sensibilität mit Blick auf die Daten gekommen ist. Nicht umsonst macht Facebook aktuell unglaubliche Anstrengungen in Richtung Werbung und Marketing, um Vertrauen wieder herzustellen. Das Thema Datenkrake kann durchaus ein Kaufargument für Blockchain-basierte Angebote werden. Herr seiner Daten zu sein, wird zunehmend relevant werden. Und das nicht nur wegen des Datenschutzes, sondern auch wegen der Möglichkeit, Geld mit seinen eigenen Daten zu machen. So funktioniert das zum Beispiel bei Akasha, der Dezentralisierungsvariante von Facebook. Dort wird man für seine eigenen Posts belohnt, mit den eigenen Kryptowährungen von Akasha. Diese Chance Geld zu verdienen motiviert auch jene, die vielleicht der Datenschutz alleine nicht überzeugt.
IM+io: Herr Dr. Jost, wie bewerten Sie die Aussage, es handele sich bei der Blockchain Technologie um das „neue Internet“?
WJ: Ich wäre da vorsichtig. Man muss sich immer fragen, was der Kern einer neuen Technologie ist. Die Blockchain selbst ist, wie erwähnt, keine neue Technologie. Sie ist eine sehr intelligente Kombination von bereits bestehenden technologischen Komponenten. Es ist die Kombination, die ihr Begründer, Satoshi Nakamoto, erfunden hat. Er hat Kryptographie, Immutable Records und Hash Computing dazu verwendet, um einen Konsensus-Mechanismus zu bauen, der Vertrauen in ein nicht Vertrauenswürdiges Netzwerk bringt, um damit Banken überflüssig zu machen. Natürlich kann man das auch auf andere Anwendungsfälle übertragen, und das wird hier und da vielleicht auch gelingen. Ich glaube aber, dass bei all diesen Anwendungsfällen nur gewisse Teile der Blockchain Technologie zum Einsatz kommen, wie etwa der Distributed Ledger. Im Mittelpunkt wird hier aber immer ein sehr relaxter Konsensus-Mechanismus stehen. Oder sogar eine zentrale Institution. Das würde ich dann aber nicht mehr als Blockchain Lösung im eigentlichen Sinne bezeichnen. Für mich ist der Begriff Blockchain immer mit dem Transfer eines zentralen in ein dezentrales Business Modell verbunden. Und dazu bedarf es eines strengen Konsensus Mechanismus. Es geht darum, den Middle Men zu beseitigen. Je relaxter der Konsensus-Mechanismus ausgelegt ist, desto mehr Anwendungsfälle kann man sich vorstellen. Für viele ist eine Blockchain schon da, wenn man eine verteilte Datenhaltung mit nicht veränderbaren Datensätzen implementiert.
IM+io: Sind das die Hintergründe dafür, dass aktuell erfolgreiche Plattformunternehmen oder auch Unternehmen, die in ihrem Businessmodell auf Plattformen setzen, der neuen Herausforderung eher gelassen gegenüber stehen?
WJ: Genau deshalb. Es geht um den Unterschied zwischen Hype und Wirklichkeit. Es geht wie bei jeder anderen Technologie auch um den Hype Cycle. Man muss vorsichtig sein, bei Aussagen wie etwa „Die Blockchain revolutioniert das Internet“, „sie ersetzt alle gängigen Plattformen“. Man muss sich näher mit der Technologie auseinandersetzen um zu sehen, was wirklich Sinn macht. Bei der Blockchain wird es sicherlich so sein, dass es weitere Use Cases geben wird, da stellt sich aber die Frage, ob man von privaten Blockchains oder Public Blockchains spricht. Bei den privaten vertraue ich den Teilnehmern per Definition, weil ich die Partner kenne. Aber es ist ja die Public Blockchain die den Hype ausgelöst hat. Dort kenne ich die Teilnehmer eben nicht, vertraue ihnen also nicht per se. Dort brauche ich den oben genannten Konsensus-Mechanismus mit all den damit verbundenen Herausforderungen. Dazu gehört übrigens auch der Belohnungsmechanismus für die Miners. Die Miners sind im Wettbewerb, sobald ein neuer Block eingestellt wird. Der, der die Aufgabe zuerst löst, der validiert den Block und bekommt die Belohnung, in Form von Bitcoins. Alle anderen gehen leer aus. Wenn ich aber keine Kryptowährung habe, kann ich die Miners nicht entlohnen.
IM+io: Herr Prof. Gärtner, warum stehen aus Ihrer Sicht herkömmliche Plattformunternehmen dem „neuen Internet“ eher entspannt gegenüber?
CG: Da sind wir bei der Frage, was unterscheidet Amazon von Uber oder Airbnb? Ich glaube Amazon ist eine ganz andere Nummer. Dort hat man eine Logistik und Stores dahinter, da geht es auch um die physische Präsenz, das ist nicht nur eine reine Website, die Anbieter und Nachfrager zusammenbringt. Aber warum sehen Anbieter wie Airbnb und Uber noch keine Gefahr darin? Die ruhen sich derzeit wohl noch auf der Sicherheit ihrer installed Base aus. Es gibt auch regulatorische Hürden für die potenziellen neuen Marktteilnehmer. Diese Kämpfe haben die Etablierten schon weitgehend erfolgreich ausgefochten. Allerdings müssen die Ubers dieser Welt in der Tat aufpassen, dass sie nicht Opfer des bekannten Innovators Dilemma werden. Der Weg von Uber & Co wird sein, möglichst viele Zusatzfeatures anzubieten. Aber die Frage ist, ob das gegen einen möglichen niedrigeren Preis, der durch eine dezentrale Plattform angeboten werden kann, genügt.
IM+io: Wird die Blockchain auch B2B Plattformen wie SAP angreifen können?
CG: Ich denke, das ist schon etwas anderes, weil man dort ja eine Softwarelösung anbietet, die betriebswirtschaftliche Prozesse unterstützt. Das sind relativ langkettige Prozesse, die vollzogen werden müssen. Man kann vielleicht die Datenspeicherung durch kryptografische Verschlüsselungen noch sicherer machen, aber grundsätzlich interessiert hier die Blockchain-Technologie weniger. Die Aktivitäten, die auf einer Blockchain stattfinden, sind weniger komplex. Auch Smart Contracts, wie sie zum Beispiel auf der Etherium-Technologie laufen, funktionieren ja nur, wenn ich ganz genau sagen kann: was ist die Leistung und was bekomme ich als Gegenleistung. Das ist bei der Frage nach einer betriebswirtschaftlichen Software, die eingeführt werden soll, so nicht darstellbar. Das ist keine Einzeltransaktion, sondern ein ganzes Projekt, in dem viele Beteiligte agieren und in dem viele unerwartete Dinge passieren. Das können Smart Contracts nicht abbilden.
IM+io: Wie geht es aus Ihrer Sicht weiter, erwarten Sie einen harten Kampf oder eher ein friedliches Nebeneinander der Technologien und Applikationen?
CG: Es wird wohl eher ein Zusammenspiel geben, weil hier unterschiedliche Stärken eine Rolle spielen. Einerseits haben wir die Nichtmanipulierbarkeit von Daten bei der Blockchain, andererseits das Asset der großen Masse durch die Etablierten. Nehmen wir noch einmal Beenest als Beispiel. Die arbeiten jetzt gerade an einer Mischung: Da gibt es die Blockchain-basierte Speicherung der Bewertungen, die immun gegen Trolle und andere Manipulationen ist. Bei anderen Bereichen, wo dieser Sicherheitsaspekt nicht so wichtig ist, muss man sich Raum lassen, um etwas zu korrigieren, zum Beispiel bei Hassbotschaften oder anderen inakzeptablen Einträgen, die man sinnvollerweise löschen will und die nicht dauerhaft und unverrückbar gespeichert werden sollen. Dabei kommt man dann natürlich in den Bereich ethischer Fragen: was muss gelöscht werden und was nicht? Das ist nicht nur ein technisches Thema, sondern ein soziokulturelles und wird auch in unterschiedlichen Kulturen verschieden gehandhabt.
IM+io: Herr Dr. Jost: Klassische Plattform versus Blockchain oder jedem seine Nische?
WJ: Die Blockchain Technologie ist vom Ansatz her schon eine geniale Erfindung. Es ist schon genial, die technologischen Komponenten so zusammenzubringen, dass man durch mathematische Algorithmen Vertrauen in eine nicht vertrauenswürdige Umgebung bringen kann. Das System zu „betrügen“ ist so extrem teuer, dass die Leute es erst gar nicht versuchen. Die wesentliche Innovation kommt hier aber in erster Linie von der entwickelten Blockchain Applikation, dem Bitcoin und nicht von der Technologie. Und hier liegt auch die wesentliche Herausforderung. Es geht darum, Applikationen zu finden, die durch die Verwendung der Blockchain Technologie neue, dezentrale Business Modelle erlauben. Es wird sicher Anwendungsfälle geben, wo das Sinn macht, aber es wird nicht die Masse sein. Deshalb ist die Blockchain Technologie nicht die generische Allzweckwaffe für alle Applikationen bzw. Plattformen dieser Erde. Das geht nur für ganz dedizierte Fälle. Und dafür muss die Technologie was Skalierbarkeit, Performance und Erweiterbarkeit betrifft noch gut zulegen, damit das wirklich ein belastbares Konzept wird. Das dauert noch, aber das kann man hinbekommen.