Optimal ausgelastet: Wenn der KI-Wetterfrosch die Netze steuert
Im Gespräch mit Wilhelm Stork, Karlsruhe Institute of Technology
Kurz und bündig:
Der Zuwachs an erneuerbaren Energien ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Klimawandel. Durch die Volatilität von Windoder Solarenergie leidet jedoch die Netzstabilität. Es besteht ein erhöhter Bedarf an Neutrassen, der aufgrund von aufwendigen Genehmigungsverfahren nicht gedeckt werden kann. Mit einem selbstlernenden Sensornetzwerk zur Prognose der Belastbarkeit von Freileitungen versuchen Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) nun eine optimale Auslastung bestehender Freileitungen zu ermöglichen und die Kapazitäten für erneuerbare Energien zu erhöhen.
Um die in der Regel volatilen erneuerbaren Quellen in die Energieversorgung zu integrieren, sind höhere Kapazitäten im Stromnetz erforderlich. Der Bedarf an Neubautrassen lässt sich jedoch reduzieren, wenn vorhandene Freileitungen je nach Witterungsbedingungen besser ausgelastet werden können. Dazu arbeiten Forscherinnen und Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Verbundvorhaben „PrognoNetz“ an selbstlernenden Sensornetzwerken, welche die Kühlwirkung des Wetters anhand realer Daten modellieren. So lässt sich bei günstigen Bedingungen mehr Strom über die Leitung schicken.
IM+io: Herr Stork, was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen in Sachen Energiewende?
WS: Im Vordergrund steht der Klimawandel und die Notwendigkeit, den CO2-Austoß zu verringern. Kohlekraftwerke müssen deutlich reduziert und der Anteil an erneuerbaren Energien erhöht werden. Hierzu sollte einerseits der Zubau von Windkraft und Solarenergie gefördert werden. Gleichzeitig werden aber auch neue Konzepte für die Energieverteilung benötigt. Da Sonne und Wind den Wettereinflüssen unterliegen, schwankt die Energiegewinnung bei erneuerbaren Energien sehr stark. Diese Volatilität kann derzeit nur teilweise durch die Netze abgefangen werden. Das führt dazu, dass ressourcenschonend erzeugte Energie bei starken Auslastungen nicht in das System eingespeist werden kann und einfach verpufft. Im Ernstfall kann es sogar zu flächendeckenden Stromausfällen kommen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Inbetriebnahme zusätzlicher Leitungen. Leider mahlen die Mühlen hier aber sehr langsam. Der Bau neuer Hochspannungsleitungen unterliegt aufwendigen Genehmigungsverfahren und dauert 10 bis 15 Jahre. Das ist im Hinblick auf den Klimawandel, der ein sofortiges Handeln erfordert, deutlich zu lang. Wir brauchen alternative Lösungen, die die Auslastung der bestehenden Leitungen optimieren und die Netze stabilisieren.
IM+io: Welchen Beitrag soll hier das Projekt PrognoNetz leisten und was ist das
konkrete Ziel?
WS: Mit PrognoNetz wollen wir ein auf künstlicher Intelligenz basierendes meteorologisches Netzwerk schaffen, das zumindest mittelfristig für eine effizientere Nutzung erneuerbarer Energien sorgt. Unser Erfolgsfaktor hierbei sind die Witterungsverhältnisse im direkten Umfeld der Leitungen. Je besser ein Leitungsabschnitt gekühlt wird, desto höher ist seine Kapazität für die Stromübertragung. Aktuell werden Wetterdaten nur in Abständen von ungefähr 20 Kilometern erfasst. Vorhersagen über lokale Winde und Niederschläge können nicht berücksichtigt werden. Unser Ziel ist es, die Wetterprognose so zu präzisieren, dass besonders klimagünstige Leiterabschnitte identifiziert und freie Kapazitäten zur Überbrückung von Engpässen genutzt werden können.
IM+io: Welche Auswirkungen hätte der Einsatz der neuen Technologie für die Verbraucher?
WS: Das PrognoNetz könnte nicht nur Kapazitäten für Strom aus Windkraftanlagen freimachen, sondern auch für Solarenergie, die von Photovoltaikanlagen einzelner Verbraucher erzeugt wird. Das hätte dann direkten Einfluss auf die Einspeisevergütungen und würde die Solaranlage für Endverbraucher wieder attraktiver machen.
IM+io: Und wie soll das im Detail funktionieren?
WS: Die Idee ist, in hinreichender Nähe von Freileitungen und in geringen Abständen zueinander, Sensoren zu platzieren, die Eigenschaften wie Umgebungstemperatur, Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit und Windrichtung an dem betroffenen Leiterabschnitt messen und per WLAN an eine Leitzentrale übertragen. Dort werden sie dann mithilfe von Algorithmen mit historischen Wetterdaten sowie Informationen über topografischen Eigenschaften angereichert und analysiert. Am Ende entstehen intelligente Modelle für jede Leitung des Stromnetzes, die eine automatisierte Planung und Steuerung der Stromverteilung ermöglichen. Bei günstigen Bedingungen, also niedriger Außentemperatur oder starkem Wind, lässt sich die Stromübertragung um 15 bis 30 Prozent erhöhen. Diese Erhöhung lässt sich erreichen, ohne die maximal zulässige Leitertemperatur zu überschreiten und ohne die Mindestabstände des Leiters zum Boden oder zu Gegenständen zu unterschreiten.
IM+io: Wo liegen aus Ihrer Sicht die besonderen Herausforderungen bei diesem Vorhaben?
WS: Zunächst geht es erst einmal um die Montage der Wetterstationen. Damit die Sensoren ihre Aufgabe erfüllen können, müssen sie auf Leiterseilebene angebracht werden. Das ist während des Betriebs nicht möglich. Deshalb arbeiten wir gerade an der Entwicklung einer Drohne, die diese Aufgabe für uns übernehmen kann. Die nächste Herausforderung besteht in der Konzeption des Sensors selbst. Windstärken präzise zu messen ist nicht einfach, da die Maststruktur Strömungsturbulenzen verursacht, die die Messergebnisse verfälschen. Hier greifen wir auf eine Technologie zurück, die wir bereits im Rahmen eines anderen Projekts entwickelt haben. Damals ging es darum, den Wind für eine optimierte Regelung der Rotorblätter von Windkraftanlagen genauer und zuverlässiger zu messen. Das Ergebnis unserer Forschungsarbeit war ein spezieller, laserbasierter Sensor. Nun werden wir die Technologie hinsichtlich Kosteneffizienz und Energieeinsparung verbessern. Parallel müssen wir natürlich das Thema IT angehen. Wie kommunizieren die Wetterstationen untereinander, sodass die Datenübertragung zuverlässig ist? Welche Schnittstellen müssen zur Einspeisung externer Daten berücksichtigt werden? Wo werden die Daten über Monate gespeichert und wie werden diese dem Netzbetreiber zur Verfügung gestellt? All das sind Fragen, die in den nächsten Monaten noch beantwortet werden müssen. Am Ende muss das Netzwerk dazu im Stande sein, auf Basis der verteilt gemessenen Wetterdaten automatisiert Strombelastungsprognosen zu erstellen.
IM+io: Und wie kommt der Strom zu den Sensoren?
WS: Die Wetterstationen werden mit Solarenergie betrieben, da sie nicht ans Netz angeschlossen werden können. Nachteilig ist, dass der Akku in regelmäßigen Abständen erneuert werden muss. Zum einfachen und schnellen Austausch haben wir dann aber hoffentlich unsere Drohne.
IM+io: Wissen Sie schon, wann wir mit den ersten Ergebnissen rechnen können?
WS: Wir arbeiten nun seit 3 Monaten an dem Projekt. Es gab erste Sitzungen mit unseren Partnern und die ersten Mitarbeiter wurden eingestellt. Wir stehen also noch am Anfang. Mit einem ersten Prototyp rechnen wir in circa 3 Jahren. Dann soll das selbstlernende meteorologische Netzwerk zunächst an bestehenden Hochspannungsleitungen und an Betriebsmitteln des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW eingesetzt werden.
IM+io: Und wo soll es langfristig hingehen? Wie soll das Konzept in der Praxis funktionieren?
WS: Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert und von zahlreichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen unterstützt. Neben der TransnetBW GmbH mit Sitz in Stuttgart, sind der Wetterdienst UBIMET GmbH aus Karlsruhe, das IT-Unternehmen unilab AG aus Paderborn, die GWU-Umwelttechnik GmbH aus Erftstadt und die Wilmers Messtechnik GmbH aus Hamburg beteiligt. Im Rahmen des Kooperationsvertrags hat jeder Partner das Recht die Ergebnisse des anderen zu marktüblichen Konditionen zu lizenzieren. Wie genau die Zukunft aussehen wird, ist aber noch offen. Jetzt gilt es zunächst einmal die Forschungsarbeit zu intensivieren. n