Der Traum vom nachhaltigen Haus: Energieeffizient dank großer Datenmengen
Im Gespräch mit Roger Neumann, Co-Gründer und Strategieverantwortlicher bei Neumann Architekten BDA
Kurz und bündig:
Verbrauchskennzahlen, Gestehungs- und Unterhaltungskosten, Wartungsintervalle oder Nachhaltigkeitskennwerte sind nur einige der Datenpakte, die beim Bauen entstehen und genutzt werden könnten. Durch eine digitale Simulation aller komplexen Prozesse und Wechselwirkungen untereinander können Energieeinsparungen bis zu 40 Prozent nachgewiesen und planerisch berücksichtigt werden. Viele europäische Länder, allen voran die Skandinavier, sind uns hierbei meilenweit voraus. Die Politik benötigt dringend Impulse aus der Wirtschaft.
Bauen, das heißt eine unzählige Anzahl von verschiedenen Materialien anzuhäufen, zu verarbeiten und zu kombinieren, und zwar so, dass es am Ende schön, individuell und sinnvoll ist. Und bezahlbar. Was bisher kaum bedacht wurde: Bauen heißt auch, eine unzählige Anzahl von Daten zusammenzutragen, die sinnvoll genutzt werden könnten – bei der Entstehung und im Unterhalt eines Bauwerks. Die digitale Bauplanung spart Energie und sie kann zu einer nachhaltigen Ressourceneffizienz führen.
IM+io: Die Bauplanung steht vor der Digitalisierung. Welche aktuellen Entwicklungen sehen Sie?
RN: Den klassischen, analogen Bauplanungsprozess gibt es schon lange nicht mehr. Moderne digitale Ein- und Ausgabetechnologien sind die Regel. Trotzdem steht die Branche vor einem revolutionären Umbruch. Der Anwendung der BIM-Planungsmethodik (Building Information Modeling). Das bedeutet, interdisziplinär zu denken und zu planen. Hierzu werden alle Mehrwert generierenden Gebäudedaten in einem digitalen Modell abgebildet. Jeder Planungsbeteiligte, vom Architekten über den Tragwerksplaner bis zu den Sonderfachleuten für die technische Gebäudeausrüstung, den Akustikern und den Baubiologen. Alle arbeiten in einem 1:1-Modell des zu errichtenden Bauwerks. Kernidee dieser Methodik ist das Zusammenfassen von geometrischen Gebäudekenndaten und deren Ergänzung mit zusätzlichen alphanumerischen Informationen, wie beispielsweise Verbrauchskennzahlen, Gestehungs- und Unterhaltungskosten, Wartungsintervallen oder Nachhaltigkeitskennwerten. Alle Information sind aktiv miteinander verknüpft. Ändert sich zum Beispiel das Raumvolumen, ändert sich automatisch der Heizwärmebedarf des Gebäudes und konsequenterweise die Bau- und Betriebskosten. Das ist ein enormer Vorteil für uns Planer, aber natürlich auch für den Bauherren, den Betreiber und den Facility Manager.
IM+io: Ab wann gelten die neuen Vorschriften zum digitalen Bauen und wie wird es umgesetzt?
RN: Im Zukunftsforum „Digitales Planen und Bauen“ hat das Bundesbauministerium 2015 die stufenweise Einführung von Building Information Modeling (BIM) beschlossen. Die digitale Bauplanung soll bis 2020 zumindest vorerst für Infrastrukturprojekte bindend vorgeschrieben werden. Letztendlich ist und bleibt die Einführung von Vorschriften Ländersache. Unsere Erfahrung ist, dass die auf Bundeslandebene der schwierigste Schritt ist. Hier sind die Berufsverbände gefragt, aktiv auf die Politik zuzugehen um den Trend der Digitalisierung hier nicht zu verschlafen. Viele europäische Länder, allen voran die Skandinavier, sind uns hierbei meilenweit voraus. Es müssen Pilotprojekte initiiert werden. Die Politik benötigt dringend Impulse aus der Wirtschaft. Beispielgebend sei an dieser Stelle eines unserer aktuellen Pilotprojekte erwähnt. Wir planen derzeit für den Freistaat Sachsen das neue Technikum am Campus der Westsächsischen Hochschule in Zwickau: digital und energieeffizient.
IM+io: Welche Rolle spielt dabei Smart Energy, also Möglichkeiten mit der digitalen Bauplanung Energie einzusparen?
RN: Eine sehr wichtige und zentrale Rolle. BIM ermöglicht eine dynamische Abbildung von gebäudespezifischen Verbrauchsdaten. So beeinflussen sich nachweisbar der Primärenergiebedarf des Gebäudes und die Abwärme von technischen Einrichtungen, wie zum Beispiel dezentrale Kühlanlagen in Großhandelshäusern unter Beachtung von raumlufttechnischen Strömungsbedingungen. Das BIM-Modell simuliert alle komplexen Prozesse und Wechselwirkungen untereinander. Durch diese modellbasierte, intelligente Beachtung aller Einflussfaktoren können Energieeinsparungen bis zu 40 Prozent nachgewiesen und planerisch berücksichtigt werden.
IM+io: Spielt auch der Energieverbrauch vor und nach dem Bauen eine Rolle, also bei der Produktion der Baumaterialien oder bei derNutzung des Gebäudes?
RN: Natürlich spielt der Energieverbrauch eines Gebäudes während der Nutzungsphase eine zentrale Rolle. Wir als Planer sind ebenso bauordnungsrechtlich gebunden, unsere Bauwerke energieoptimiert zu konzipieren. Nachhaltigkeitsbetrachtungen spielen eine immer größere Rolle im Bauprozess. Der Gesetzgeber wird hierzu bei den weiteren Novellierungen der Energieeinsparverordnung vorgeben, dass die „graue Energie“, also die Energiemenge, die für Herstellung, Transport und Entsorgung eines Produktes benötigt wird, besonders betrachtet werden muss. Im Klartext bedeutet dies, dass ökologisch hergestellte Bauprodukte, regionaler Herkunft bevorzugt einzusetzen sind, um Ressourcen zu schonen um damit einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz zu leisten.
IM+io: o Seit längerem wird Smart Home oder Smart Meter diskutiert. Ist das wirklich am Markt angekommen und führt es zu mehr Energieeffizienz und wie würden Sie Smart Energy aus Sicht des Bauwesens definieren?
RN: Smart Home trägt zweifelsfrei zur Verbesserung der modernen Wohn- und Lebensbedingungen bei. Die Gesellschaft ruft nach smarten Gebäudekomponenten. Der Andrang auf Messen und das damit einhergehende Angebot der Hersteller reagiert darauf. Die angebotenen Lösungen zu Smart Home beschränken sich jedoch auf teilintegrale Systeme. Es gibt smarte Lichtsteuerungslösungen. Es gibt smarte Heizungssteuerungen. Es gibt smarte Jalousiesteuerungen. Vollintegrale Systeme, die alle technischen und energieverbrauchenden Komponenten so steuern, dass sie zu jedem Zeitpunkt ein Maximum an Nutzerkomfort und Minimum an Energieverbrauch erreichen, bedürfen nach wie vor eines immensen Gebäudeautomationsaufwandes. Dies ist ohne externe Programmierarbeit und damit verbunden hohen Wartungskosten nicht erreichbar. Solange die Komponenten und die Steuerungen nicht „smart“ miteinander kommunizieren, setzt sich dieser Gedanke flächendeckend und somit effektiv ressourcenschonend nicht durch. Vielmehr bedarf es hier bedeutend ökonomisch arbeitender Versorgungsgeräte mit einheitlichen, offenen Steuergrundgerüsten. Diese Grundvoraussetzung muss gegeben sein um eine „smarte“ Zusammenführung der Systeme zu ermöglichen. Smart Meter sind insbesondere für die Energieversorger interessant, da diese die Bereitstellung von Energie dem aktuellen Verbrauch „just in time“ anpassen kann. Nicht vorhersehbaren Lastspitzen kann dadurch bis zu einem gewissen Maße vorgebeugt werden. Die nutzerseitig möglichen Auswertmöglichkeiten des eigenen Energieverbrauches können durchaus zum ökonomischen Umgang mit Energie beitragen. Der Faktor Mensch und die Lust Energie sparen zu wollen setzt diesem System jedoch noch Grenzen. Zudem gibt es keine Standards oder branchenweite Qualitäts- und Sicherheitsrichtlinien für Smart Home, deswegen definiert es jeder, wie es zu seinem Angebotsportfolio passt.
IM+io: Welche Beispiele für Digital Energy
können Sie nennen?
RN: Zum Beispiel gibt es eine smarte Lösung zur Reduzierung des solaren Wärmeeintrags über transparente Fassadensysteme von EControlGlas aus Plauen. Hier kommt ein dimmbares Sonnenschutzglas zum Einsatz, welches vollautomatisch und sofort durch Reduzierung der Lichttransmission auf unerwünschte Aufheizung durch Sonneneinstrahlung reagiert. Das Glas hat eine nanostrukturierte Beschichtung, die ihre Farbe ändert, sobald eine geringe elektrische Spannung vorhanden ist. Der sogenannte „elektrochrome Effekt“ färbt das Glas und reduziert die Wärmeeinstrahlung, ohne den Raum wesentlich zu verdunkeln. Die Steuerung des Effekts kann entweder automatisiert über Sensorik oder individuell und über Fernsteuerung mit PC, Tablet oder Smartphone erfolgen. Im Gegensatz zu mechanischen Sonnenschutzsystemen sorgt digital gedimmtes Glas immer für Tageslicht und freie Sicht nach außen. Energie wird hier gespart, indem auf nachgeschaltete Raumluftkühlungen verzichtet werden kann.
IM+io: Im Bereich des digitalen Bauens und Energiesparen gibt es viele Apps, Plattformen und Startups mit innovativen digitalen Dienstleistungen für das Bauen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
RN: Viele tolle Ansätze. Das ist richtig. Zum Schluss muss es in Bezug auf Smart Energy eine anwenderfreundliche, einfache Anwendung geben, die alle Verbrauchsbasierenden Elemente beachtet. Eine, die mir als Endverbraucher zeigt, wie viel ich Energie und somit Geld gespart habe, wenn ich sie einsetze. Erst wenn es eine solche Lösung gibt, wird sich Smart Energy flächendeckend durchsetzen.
IM+io: Wie behalten Sie und Ihre Kollegen den Überblick über die neuen digitalen Angebote? Ist Smart Energy Teil der Architektenausbildung
RN: Smart Energy ist leider noch nicht Teil des Architekturstudiums. Man kann nicht alle Weiterbildungsangebote oder Messen besuchen. Die Informationsflut ist auf diesem Gebiet ist einfach zu groß, um selbst den Überblick zu bekommen. Vielmehr umgeben wir uns im Rahmen unserer Generalplanungsaufträge mit einer Vielzahl von Fachingenieurdienstleistern, unter anderem auch Spezialisten für Gebäudeautomation, Energiemanagement und Nachhaltiges Bauen. An der konkreten Aufgabe, am konkreten Objekt diskutieren wir dann mit unseren Fachingenieuren die Umsetzung smarter Ideen. Somit gelingt uns zumindest ein kleiner Überblick über aktuelle Systemlösungen.