Metaverse: Alles bloß Marketing?
Metaverse-Marketing zwischen Hype und ungeahnten Chancen
Susanne Fittkau, Fittkau & Maaß Consulting GmbH
(Titelbild: AdobeStock | 487125075 | Cihangir Stock)
Kurz & Bündig
Produkt- und Markenverantwortliche stehen vor der Herausforderung einzuschätzen, wie sie ihr Marketing auf das Metaverse-Zeitalter vorbereiten sollten. Im Metaverse lassen sich virtuelle Produkterlebnis- und Verkaufsräume schaffen, die von Kaufinteressenten rund um die Uhr besucht werden. Dabei können diese im Rahmen ihrer Kaufentscheidungs-prozesse real existierende Produkte in der digitalen Welt begutachten und erleben. Das Metaverse dient bereits heute als Testmarkt für Produkte.
Im Herbst 2021 gab der Facebook-Konzern die Namensänderung in »Meta Platforms« bekannt – und bescherte damit der Digitalbranche ihr Next Big Thing: Das Metaverse und die enormen Potenziale, die daraus erwachsen (könnten). Seither diskutieren Finanz- und Marketingexperten darüber ebenso intensiv wie kontrovers. Aber: Inwieweit ist die aktuelle Aufmerksamkeit berechtigt? Sollten Produkt- und Markenverantwortliche sie als Hype verbuchen – oder sich lieber zeitnah mit den Möglichkeiten eines Metaverse-Marketing auseinandersetzen?
Geht es um Trends und Hypes, neigt die Internetbranche zu hoher Investitionsbereitschaft – und zuweilen dazu, Potenziale zu überschätzen. Für Marketingverantwortliche ist daher ein kritisches Beleuchten der Metaverse-Entwicklung speziell für die eigenen Produkte angeraten. Nach heutigem Stand ist noch unklar, wie das Metaverse einmal aussehen wird – und wer es beherrschen wird. Aktuell sind Gaming-Plattformen (wie von Decentraland, Roblox) hinsichtlich Technologie und Reichweite besser positioniert als die Metaverse-Projekte von Techriesen wie etwa Meta Platforms.
Wie das Metaverse die Onlinewelt revolutionieren soll
Der Innovationscharakter des Metaverse besteht vor allem darin, dass es die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt auf faszinierende Weise verschwimmen lässt. Es führt dazu, dass real existierende Elemente auch in digitalen Welten dargestellt und in diese übertragen werden können – und umgekehrt. Zudem verschmelzen Onlinebereiche wie soziale Netzwerke und Shopping-Plattformen, die im heutigen Internet noch strikt voneinander getrennt sind, im Metaverse eng miteinander. Außerdem können die Nutzer*innen mit ihren Avataren im Metaverse zur Arbeit gehen, sich mit Freunden treffen oder Einkaufen gehen.
Was das Fundament des Metaverse-Marketing ausmacht
Die enge Verknüpfung digitaler und physischer Realität mittels Extended-Reality-Technologien wie Augmented und Virtual Reality (AR und VR) macht es möglich: Das Metaverse eröffnet für Marketingstrategien neuartige Szenarien – basierend auf Kompositionen einzelner realer und virtueller Objekte oder in völlig neu erschaffenen virtuellen Welten. Trotz intensiver Forschung und Entwicklung ist es heute noch nicht möglich, die Metaversum-Visionen eins zu eins umzusetzen. Als ausgereifter gelten die finanziellen Bausteine der virtuellen Welten wie Kryptowährungen oder NFTs (Non-fungible Tokens) als digitale Besitzzertifikate für Kauf und Verkauf digitaler Objekte im Metaverse. Die heute diskutierten Potenziale des Metaverse für das Marketing betreffen die gesamte Bandbreite des Marketinginstrumentariums. Einige davon sind als visionär einzustufen, andere wurden bereits umgesetzt oder zumindest als Vorstufen erprobt.
Physische Produkte und Marken im Metaverse erlebbar machen
Im Metaverse lassen sich virtuelle Produkterlebnis- und Verkaufsräume erschaffen, die von Kaufinteressenten rund um die Uhr besucht werden. Dabei können diese im Rahmen ihrer Kaufentscheidungsprozesse real existierende Produkte in der digitalen Welt begutachten und erleben: Möglich sind beispielsweise das Anprobieren von Kleidung am eigenen Avatar, das Austesten technischer Funktionen von Elektronikgeräten, simulierte Probefahrten von Fahrzeugen oder das Möblieren virtueller Versionen von Wohnungen mit 3D-Modellen der Möbel. Denkbar ist auch, dass potenzielle Käufer in der digitalen Welt komplexe Produkte selbst virtuell konfigurieren, indem sie Eigenschaften und Zubehör von Kaufobjekten wie Autos, Fahrrädern, Kinderwagen oder Einrichtungsgegenständen individuell zusammenstellen, in Originalgröße begutachten und interaktiv testen. Am physischen Point of Sale kann das Metaverse verkaufsunterstützenden Einsatz finden, indem durch AR-Brillen einzelne Produkte mit virtuellen Darstellungen, Simulationen und Informationen angereichert werden.
Virtuelle Produkte und Marken erschaffen
Im Metaverse lassen sich auch eigens entwickelte digitale Produkte präsentieren und mit Hilfe von NFTs und Kryptowährungen veräußern. Prominentes Beispiel hierfür ist der Verkauf digitaler Immobilien und Kunstobjekte. Außerdem erschufen die Modelabels Gucci und Nike virtuelle Kleidungsstücke und Accessoires, welche Avatare der Käufer bei virtuellen Events trugen – nachdem sie mit echtem Geld bezahlt wurden. Das Metaverse dient daher auch als Testmarkt für Produkte: Für den digitalen Markt erschaffene Güter werden nur dann für die reale Welt produziert, wenn sie zuvor im virtuellen Paralleluniversum erfolgreich waren. Durch kreative Ansätze dieser Art sind im Metaverse zudem neue Zielgruppen erschließbar: Beispielsweise kann man jungen, noch wenig kaufkräftigen Käufergruppen kostengünstige digitale Produktvarianten hochpreisiger Marken als Ausstattung für ihre Avatare anbieten oder Brands in Gaming-Umgebungen integrieren: So führt man die Zielgruppen frühzeitig und spielerisch an die Marken heran – mit der Intention, sie später in den Kundenkreis der realen Produkte zu konvertieren.
Metaverse-Events als Touchpoints nutzen
Events im Metaverse erscheinen aufgrund ihres Erlebnischarakters aus Marketingsicht besonders attraktiv und stellen eine neue Entwicklungsstufe von Social Media und Community- Building dar. So sind zum einen virtuelle Massenveranstaltungen denkbar – im Vergleich zur realen Welt kostengünstiger, mit unbegrenzter Teilnehmerzahl und entsprechend hoher Reichweite. Zum anderen fungieren kleinere persönliche virtuelle Meetings als One-to-One-Interaktions- und Verkaufsplattform. Marketingtreibende können Metaverse-Events dabei selbst organisieren, indem sie zu eigenen virtuellen Produktpräsentationen, Markenevents, Galas oder Konferenzen einladen. Alternativ lassen sich Veranstaltungen Dritter (wie digitale Konzerte, Modeschauen und Messen) nutzen, um dort interaktive Installationen, Messe- oder Verkaufsstände zu integrieren oder Werbung in Form von virtuellen Plakatwänden zu schalten.
Das Metaverse für Forschung und Co-Kreation einsetzen
Avataren kommt im Metaverse-Marketing eine Schlüsselrolle zu: Während sich Nutzer im Metaverse bewegen, generieren ihre virtuellen Stellvertreter stetig eine große und vielfältige Menge an Daten. Das Datenmaterial reicht von einfachen Bewegungs-, Nutzungs- und Kaufinformationen bis hin zu differenzierten Eyetracking-Daten. Durch KI-basierte Auswertungen lässt dies nicht nur auf Kaufabsichten und Verhalten, sondern selbst auf Gedanken und Gefühle der Avatarnutzer schließen. Die Daten können in Marketing und Vertrieb unter anderem für Personalisierungs-, Targeting- und CRM-Maßnahmen Verwendung finden. Wertvoll sind die gewonnenen Nutzerdaten zudem für Test- und Forschungszwecke, beispielsweise wenn man sie in Werbe- und Produktkreationsprozessen einbringt. Darüber hinaus können ausgewählte Personenkreise gezielt in virtuelle Co-Kreationsprozesse eingebunden werden. Marketingverantwortliche sind so in der Lage, digitale wie physische Produkte hocheffizient an Zielgruppenbedürfnisse anzupassen.
Warum Verbraucher über die Zukunft des Metaverse entscheiden
Bis die genannten Marketingpotenziale umsetzbar sind, gehen nach Expertenmeinungen noch mindestens zehn Jahre Entwicklungsarbeit ins Land. Daneben bestimmt die Nachfrageseite in hohem Maße über die Zukunft des Metaverse: Investitionen zahlen sich nur dann aus, wenn es den Schritt zum Massenmedium vollzieht. Bislang vorhandene virtuelle Welten ziehen lediglich kleine spitze Zielgruppen an: jung, männlich und mit hoher Gaming- oder Technikaffinität. Dieses Bild bestätigen erste Nutzerbefragungen zu diesem Thema. Auch Fittkau & Maaß Consulting führt im Frühjahr 2022 eine repräsentative Studie durch, deren Vorabergebnisse darauf hindeuten, dass die Metaverse-Szenarien für die breite Masse noch keinen ausreichenden Mehrwert bieten. Zwar ist knapp jeder dritte Onlinenutzer bereit, die virtuellen Welten einmal auszuprobieren, doch die Mehrheit zeigt sich unentschlossen oder ablehnend. Die Gründe hierfür sind zumeist grundsätzlicher Art. Selbst interessierte Nutzer äußern Bedenken – sie betreffen Themen wie den Missbrauch persönlicher Daten, die Verbreitung von Fake News und Hassreden, fehlende staatliche Kontrolle, gesellschaftliche Spaltung und Suchtgefahren. Zudem kann sich nachfrageseitig die notwendige Anschaffung von AR- bzw. VR-Brillen als Engpass erweisen, sei es aufgrund von Kosten, Vorbehalten oder einfach aus Desinteresse. Hinsichtlich der Metaverse-Zahlungsmittel ist ebenfalls Überzeugungsarbeit erforderlich, zumal sich die Mehrheit der Verbraucher gegenüber Kryptowährungen noch misstrauisch zeigt. Offen bleibt weiterhin die Frage, ob Nutzer bereit sein werden, ihre Avatare tatsächlich als eigene virtuelle Identitäten zu personalisieren und mit Daten anreichern zu lassen – was Voraussetzung für das Ausschöpfen der Marketingpotenziale ist. Selbst wenn User dies akzeptieren sollten, wird die Nutzung personenbezogener Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit von staatlicher Seite datenschutzrechtlich reglementiert und eingeschränkt werden – im Interesse der Endverbraucher.
Welche Next Steps sich aus Marketingsicht anbieten
Der vollen Entfaltung des Metaverse steht ein langjähriger Prozess mit vielfältigen Herausforderungen bevor. Um Chancen für die eigenen Marken und Produkte im Fokus zu behalten, sollten Marketer dennoch kontinuierlich den Austausch mit Experten suchen und sich auf dem Laufenden halten, ob und wann Technologien und Zielgruppen bereit für den Weg ins Metaverse sind. Nicht zuletzt ist das Machtgefüge der künftigen Metaverse-Entwicklungen im Fokus zu behalten: Deutet sich an, dass die Kontrolle in den Händen eines oder weniger Konzerne liegen wird, wäre das ein Zustand, der aus der Perspektive von Produkt- und Markenverantwortlichen zu durchaus kritischen Abhängigkeiten führen könnte. Wünschenswertes Zukunfts-szenario ist ein dezentral organisiertes Metaverse unter staatlicher Aufsicht, das marketingseitig ein freies und sicheres Agieren ermöglicht – unabhängig von Ambitionen und Launen einzelner Techriesen oder -mogule.