Smart, smarter, Mittweida!
Eine Region wird zum Aushängeschild für Blockchain und Metaverse
Alexander Knauer, Hochschule Mittweida, Miriam Stareprawo-Hofmann, Volksbank Mittweida, Kim Y. Mühl, Bionic Wealth
(Titelbild: Adobe Stock | 287788648 | curtbauer)
Kurz & Bündig
Die sächsische Kleinstadt Mittweida erkundet das Potenzial des Metaversums für Städte und Regionen. Für die ländlich geprägte Region steht dabei die Stärkung des Standorts Mittweida sowie der Menschen und Organisationen vor Ort im Vordergrund.
Hinter dem Metaversum steckt ein mächtiger Gedanke: Wir sind in der Lage, die Grenzen des Universums, wie wir es heute kennen, zu sprengen und um virtuelle Elemente zu erweitern. Auch für Regionen, Städte und Kommunen kann diese Entwicklung Mehrwerte entfalten. Die sächsische Kleinstadt Mittweida geht als Blockchain-Schaufensterregion den Weg ins Metaverse.
Spätestens seit der Umbenennung der Facebook-Gruppe in „Meta“ beschäftigt das Metaverse (zu Deutsch: „Metaversum“) die Welt. Dabei hat Meta das Metaversum gar nicht erfunden. Wie so oft bei großen Innovationen stammt die Idee aus einem Science-Fiction-Roman: In „Snow Crash“ (1992) prägte der Autor Neal Stephenson den Begriff „Metaverse“ als eine Mischung aus Internet und Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG). In Stephensons anarchokapitalistischer Dystopie fliehen die handelnden Personen in eine virtuelle Welt, in der sie sich durch Avatare bewegen und mit Kryptowährungen zahlen. „Das Metaverse beschreibt unser zukünftiges Leben, in dem sich nicht nur unterschiedliche, bisher getrennte virtuelle Welten vermischen, sondern in dem auch Realität und virtuelle Welten zunehmend verschwimmen“, erklärt Prof. Dr. Hans-Gert Penzel [1].
Wie genau das „Metaversum“ einmal aussehen wird, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Fest steht jedoch, dass es sich hierbei um eine Weiterentwicklung des Internets handelt – um das sogenannte Web 3.0, in Abgrenzung zum Informations-internet (Web 1.0) sowie zum plattformdominierten Web 2.0. Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer erklärt dazu: „Mit Metaverse wird die zukünftige Ausgestaltung des Internets beschrieben, die auf ein intensives und quasi grenzenloses Zusammenwirken von digitalem und analogem Leben setzt. Hier sollen dauerhaft gemeinsam genutzte virtuelle Räume in 3D geschaffen und zu einem virtuellen Universum verbunden werden. Im Metaverse können Nutzer in Gestalt die digitale Welt (mit)gestalten. Sie können dort leben, arbeiten, lernen, feiern, sportlich und kreativ aktiv sein. Hierfür sollte sich jeder interessierte Nutzer einen Avatar i. S. eines digitalen Zwillings zulegen, der im Metaverse stellvertretend für einen agiert“ [2]. Dieser Ansatz deckt sich mit Metas Vision, nach der das Metaversum „der nächste Schritt für soziale Verknüpfungen“ ist [3].
Das Metaverse: Ein schnell wachsender Markt
Aktuelle Studien schätzen, dass der globale Metaverse Markt bis 2026 jährlich um mehr als 37 Prozent auf knapp 758,6 Mrd. USD wachsen wird [4]. Das Marktforschungs-unternehmen Gartner geht davon aus, dass bis zum Jahr 2026 etwa ein Viertel der Menschen jeden Tag mindestens eine Stunde „im Metaverse verbringen werden, um dort zu arbeiten, einzukaufen, sich weiterzubilden, soziale Medien zu nutzen und/oder Unterhaltung zu finden“ [5]. Die große Frage ist: Wer wird das Metaverse entwickeln, wer wird daran mitwirken – und wer wird es kontrollieren?
Noch ist unklar, ob es sich beim Metaversum um ein zweites „Second Life“ handelt oder um einen echten Game Changer. Die Chancen für Letzteres stehen nicht schlecht: Erstens nimmt der Anteil von Digital Natives, also Personen, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen und mit AR- und VR-Anwendungen vertraut sind, stetig zu. Zweitens sind die eingesetzten Technologien heute deutlich ausgereifter und erschwinglicher als im Jahr 2003, also zu Zeiten des Second Life-Release. Und drittens hat die Covid-19-Pandemie den digitalen Wandel sowie die Bereitschaft, virtuell zu agieren, erheblich vorangetrieben. Welche Möglichkeiten eröffnet das Metaversum für Städte, Gemeinden und ganze Regionen?
Mittweida meets Metaverse:
„Einfach machen!“
Mittweida liegt im sehr ländlich geprägten Landkreis Mittelsachsen und gilt gemeinhin als strukturschwache Region. Jedoch ist die im Städtedreieck Chemnitz-Leipzig-Dresden verortete Kleinstadt bereits eine feste Größe, in der noch jungen Blockchain-Welt, um die ein ganzes Ökosystem der Innovation mit starker Signal- und Magnet-wirkung entsteht. Nicht zuletzt ist Mittweida auch die Heimat des international renommierten Blockchain-Pioniers Christoph Jentzsch, Mitentwickler von Ethereum, Erfinder von DAOs (Dezentrale Autonome Organisationen) und Gründer des Startups slock.it.
Dass eine Kleinstadt wie Mittweida auch nur davon träumen kann, im digitalen Weltmarktgeschehen mitzuspielen, liegt am „Mittweidaer Mindset“. Besonders gut verdeutlicht dies die Volksbank Mittweida. In „Zukunft einfach machen“, erklärt Professor Leonhard Zintl, Vorstand der Volksbank Mittweida: „Kreative Köpfe mit Mut finden immer einen Weg. Dazu gehören bewährte genauso wie neue, ganz eigene Wege. […] Wenn Sie und ich und viele andere anpacken, dann gestalten wir unsere Zukunft vor Ort: in den Dörfern, in den Städtchen, in den Regionen. Eben da, wo die Menschen leben und selbstbestimmt nach vorne gehen wollen“ [6].
In diesem Sinne setzt die Genossenschaftsbank auf Offenheit, Ausprobieren und Lernen. Anstatt hinter verschlossenen Türen hundertprozentige Lösungen zu entwickeln, verfolgt die Bank den Ansatz, nicht lange zu diskutieren, sondern in kleinen Schritten loszulegen. Schnelle Entscheidungen, Mut zum (überschaubaren) Risiko, Mut zum Scheitern und unternehmerisches Denken sind dafür genauso unabdingbar wie regionale Verankerung, Vernetzung und ein offener Austausch.
Auf dem Weg zur Blockchain-Schaufensterregion Mittweida
Aus diesem Mindset heraus entstand die gemeinsame Vision der Stadt Mittweida, der Hochschule Mittweida und der Volksbank Mittweida (Bündnispartner), die Stadt im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Programms „WIR!“ (Wandel durch Innovation in der Region), zu einem EU-weiten Leuchtturm für die Blockchain-Technologie und ihre Anwendungsmöglichkeiten zu entwickeln. Inzwischen besteht das Konsortium für die Umsetzungsphase aus 135 Partnern, darunter Unternehmen, Institutionen und Kommunen. Innerhalb dieses Rahmens werden durch die Projektpartner aktuell zwölf Blockchain-Projekte umgesetzt.
Das Besondere an der Schaufensterregion Mittweida liegt in der Verbindung von Technologie und realer Anwendung. Als Blockchain-Schaufensterregion kann Mittweida als Plattform für Know-how verstanden werden. Auf dieser Plattform sollen, gemeinsam mit regionalen und überregionalen Partnern, Blockchain-Anwendungen entwickelt und anschließend für die Öffentlichkeit sichtbar und erlebbar gemacht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, entsteht ein innovationsfreundliches Ökosystem, in dem Blockchain-Start-ups willkommen sind, Pilotanwender zueinander finden und gemeinsam wachsen können.
Ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg war die Gründung des interdisziplinären Blockchain Competence Center Mittweida (BCCM) durch die Hochschule Mittweida im Jahr 2017. Jährlich veranstaltet das BCCM die Blockchain Autumn School. Auch der erste Masterstudiengang „Blockchain und Distributed Ledger Technologies“ in der Eurozone wurde hier ins Leben gerufen.
Ebenso bringt sich die Volksbank Mittweida aktiv in die Gestaltung der Region ein. In der „Werkbank32“, dem eigenen Innovationszentrum, bietet die Bank gemeinsam mit der TeleskopEffekt GmbH und namhaften Kooperationspartnern wie der IBM Innovationsformate sowohl für Mittelständler als auch für Banken an, in denen sie Digitalisierung erleben, sich inspirieren lassen und die eigene Roadmap schärfen können. Zum Angebot gehört auch das vierteljährlich stattfindende Online-Meetup „Unterwegs auf der Blockchain“, das inzwischen über 300 Mitglieder zählt. Die Volksbank Mittweida ist als erste Bank Mitglied im Blockchain Bundesverband. Weiterhin ist sie Gründungsmitglied der International Association for Trusted Blockchain Applications (INATBA), einer Initiative der Europäischen Kommission zur Förderung der Blockchain-Technologie.
Seit 2018 gehört die Volksbank Mittweida zudem zu den wenigen Instituten in Deutschland, die Konten für Unternehmen mit blockchainbasierten Geschäftsmodellen sowie für Privatkunden mit Krypto-Hintergrund führen. Aktuell erforscht sie zudem die Emission einer Namensschuldverschreibung auf Blockchain-Basis.
Von der Blockchain ins Metaverse
Aus dem zuvor genannten Mindset („einfach machen“) heraus setzen sich die Zukunftsakteure Mittweidas intensiv mit dem Metaversum auseinander und stufen es zum heutigen Zeitpunkt als spannendes Zukunftsthema ein, das es zu erkunden gilt. Dabei stehen neben dem Nutzen für die Teilnehmenden vor allem auch die Möglichkeiten der regionalen Stärkung des Standorts Mittweida sowie der Menschen und Organisationen vor Ort im Vordergrund. Ob und welche konkreten Mehrwerte sich für die Region ergeben, ist noch nicht absehbar. Nichtsdestotrotz werden verschiedene Potenzialfelder gesehen und eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Web3 vorangetrieben. Dies soll auch andere Städte und Regionen dazu ermutigen, sich in diesem frühen Stadium mit dem Metaversum und seinen Chancen zu beschäftigen.
Das Potenzial des Metaversums für eine Region wie Mittweida geht weit über Meetings und Firmenkundenpräsentationen im Geschäftsumfeld, digitale Endkunden- /Marketingkanäle oder immersive Metaverse-Lernumgebungen im Hochschul- bzw. Bildungskontext hinaus. Anwendungsbereiche werden in Mittweida in näherer Zukunft vor allem rund um die Themen Austausch, Vernetzung, Co-Creation, Sichtbarkeit und die Mitgestaltung der Zukunft, zum Beispiel im Rahmen von grenzübergreifender Echtzeit-Forschung in Metaverse-Laboren, gesehen.
Wie das funktionieren kann, verdeutlicht Südkorea. Hier wird seit Ende 2021 eine Metaverse-Plattform für die öffentliche Verwaltung der Hauptstadt Seoul aufgebaut. Hierfür investiert die Stadt 2,8 Mrd. Euro in eine eigene Metaversum-Plattform. „Ab 2023 sollen dann die Hauptstadtbewohner ihre Behördengänge mit Hilfe von Headset und VR-Brille rein virtuell abhalten können“, berichtet das Magazin ada [7].
Schon heute bietet etwa die TeleskopEffekt GmbH mit dem D(e)-Estonia Showroom eine virtuelle Erkundungstour der Partnerstadt Tallin (Estland) an. In der Volksbank Mittweida wird Kunden ein virtueller 360-Grad-Immobilien-Rundgang geboten. Darüber hinaus setzen sich an der Hochschule Mittweida Lehrende und Lernende intensiv mit digitalen Lernräumen auseinander und erforschen VR-Anwendungsmöglichkeiten für den Mittelstand [8]. Auch wenn diese Bemühungen noch nicht an ein plattform-übergreifendes Metaversum angebunden sind, so verdeutlichen sie, was schon heute möglich ist.
Bei der Entwicklung hin zum Metaversum können die bereits gewonnenen Blockchain-Bündnispartner gleich mehrere Rollen in ihrer Region einnehmen. Als Enabler können sie das Ökosystem vernetzen und den Fortschritt aktiv fördern, indem sie zum Beispiel finanzielle Mittel und andere Ressourcen zur Forschung bereitstellen, Themenveran-
staltungen organisieren oder das Metaversum gezielt ins Curriculum aufnehmen. Sie können eine beratende Funktion für lokal ansässige Unternehmen einnehmen und über die Möglichkeiten der Partizipation im Metaversum aufklären. Und sie können eigene Lösungen entwickeln. Denkbar wäre etwa eine virtuelle Volksbank-Filiale oder ein virtuelles Auditorium an der Hochschule, das dezentrales Lernen ermöglicht.
Doch die regionalen Anwendungsmöglichkeiten sind nicht nur auf die Bündnispartner beschränkt. Neues und nachhaltiges Bauen und Wohnen, ein thematischer Fokus der holzreichen Region Sachsen, könnte über das Metaverse überregional sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig könnten durch die Vernetzung von Architekten, Handwerkern und Kunden regionale Partnerschaften sowie die lokale Wirtschaft gestärkt werden. Der meist ländlich verortete Mittelstand könnte gemeinsam mit Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit virtuell neue Produkte und Systeme als 3D-Objekte entwickeln und analysieren [9]. Und auch die Reisebranche könnte vom Metaversum profitieren, in dem sie zum Beispiel virtuelle Erkundungen der Reiseziele anbieten oder erfahrbar machen, wie sich ein Ort über die Jahrhunderte verändert und entwickelt hat.
Deutlich wird: Das Metaversum hält auch für Städte und Kommunen einige Möglichkeiten bereit. Durch Pioniergeist und Mut zur Veränderung können strukturelle Schwächen ausgeglichen, neue Perspektiven eröffnet und ein Mehrwert für Unternehmer wie Bewohner geschaffen werden. Die spannende Reise der sächsischen Kleinstadt Mittweida ins Metaversum hat soeben erst begonnen.