Das Ende der Kopiermaschine
MehrWerth: die Kolumne von Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Dirk Werth ist seit 2016 Chefredakteur der IM+io. In der Kolumne „MehrWerth“ schreibt er in pointierter Form Meinungsbeiträge zum Schwerpunktthema des Heftes und stellt diese zur Diskussion.
Es ist die Inkarnation des Digitalen: millionenfaches Kopieren ohne Verluste. Es bildet zweifelsohne die Basis für den Erfolg des Digitalen. Zahlreiche digitale Geschäftsmodelle bauen auf diesem Prinzip auf. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten: Denn das Prinzip wird auch von zahlreichen illegalen Anbietern ausgenutzt. Nun kommt die Blockchain hinzu. Und jetzt?
Das Digitale hat die Welt verändert. Wir erleben es jeden Tag. Aber treten wir einmal einen Schritt zurück und schauen auf die Essenz: Was macht Digitalisierung eigentlich aus? Ist die digitale Revolution mehr als reine Automatisierung? Ich meine: Es ist die Eigenschaft der Verlustfreiheit, die Fähigkeit zur perfekten Kopie. Zwar besitzen auch materielle Automaten die Fähigkeit zur Replizierung – nehmen wir eine CNC-Fräse als Beispiel, die das gleiche Werkstück immer und immer wieder gleich produzieren kann – so ist jedes Ergebnis doch minimal unterschiedlich. Qualität und Qualitätsmanagement spielen hier eine große Rolle, um Toleranzen handhabbar zu machen. Im Digitalen macht ein Qualitätsbegriff in diesem Sinne keinen Sinn: Eine Kopie eines digitalen Originals ist eine hundertprozentige Kopie, ununterscheidbar vom Original – eigentlich sogar ein weiteres Original.
Diese Eigenschaft ist auch wesensbegründend für die Digitalwirtschaft und deren überragenden wirtschaftlichen Erfolg. Eine Software, einmal erstellt, kann verlustfrei millionenfach repliziert und distribuiert werden. Ein Musikstück kann grenzkostenlos weltweit verkauft werden. Fertigungskosten Null, der Traum eines jeden Unternehmers. So sind auch die großen Erfolge der Digitalunternehmen zu erklären, deren Mantra die Skalierbarkeit ist.
Aber wo Licht ist, ist auch Schatten: Ebenso wie die Fähigkeit zur perfekten Kopie millionenfach erfolgsbringend eingesetzt wird, genauso wird sie auch millionenfach missbraucht: durch die Raubkopien, die genauso distribuiert werden können und – da bit-identisch – vom Original nicht unterschieden werden können. Aber genauso betrifft es auch die Informationssicherheit selbst: Eine Datei – einmal ins Internet gelangt – ist veröffentlicht und kann nicht wieder zurückgerufen werden.
Und jetzt kommt die Blockchain! Eine Distributed Ledger Technologie, die essentiell auf das Prinzip von Nachvollziehbarkeit aufbaut. Aber noch wesentlicher ist die Fähigkeit, auf das Digitale strukturbildend zu wirken. Eine Struktur, die es bislang nicht gab. Das Digitale war der Wilde Westen der Wirtschaft. Jetzt schafft die Blockchain dort Ordnung: Jeder Nutzer kann sehen, was mit seinen Daten passiert. Smart Contracts regeln im Detail und formal, welche Transaktion unter welchen Vor- und Nachbedingungen erlaubt ist. Die digitale Kopie wird in ihrer Universalität beschnitten, die Kopie wird unterscheidbar vom Original.
Es wird mehr als interessant sein, zu sehen, wie die Digitalwirtschaft darauf reagiert und wie dennoch die Skalierungsfähigkeit beibehalten werden kann. Die Blockchain ist sicher das Ende der Kopiermaschine, aber sie ist auch der Beginn einer anderen Maschine, einer noch größeren.