Kunst, KI und die Frage der Ethik
Im Gespräch mit der Direktorin des Frankfurter Kunstvereins Franziska Nori
Kurz und bündig:
Im Frankfurter Kunstverein war Anfang des Jahres die thematische Gruppenausstellung „I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt“ zu sehen. Der Fokus lag auf den menschlichen Qualitäten Wahrnehmung und Interpretation, die mittels Künstlicher Intelligenz und digitaler Lernverfahren auf Maschinen übertragen werden. Im Gespräch mit der IM+io zieht die Direktorin Franziska Nori ein Resumée.
IM+io: Künstliche Intelligenz ist an erster Stelle ein technologisches Thema. Was hat Sie daran gereizt, dazu eine Ausstellung zu machen?
FN: Mit meiner Arbeit richte ich den Fokus auf ein Verständnis von Kunst als Mittler zwischen fachspezifischem Wissen, theoretischen Positionen und Lebensrealität. Deshalb arbeiten wir im Frankfurter Kunstverein mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen, die aktuelle Themen, die unsere Gesellschaft verändern und bewegen, mit den Mitteln der Kunst untersuchen. Mit „I am here to learn“ präsentierten 15 internationale Künstlerinnen und Künstler Werke, die die Wahrnehmung und Sehweise von Maschinen, von Algorithmen und künstlicher Intelligenz untersucht haben. Sie verhandelten, wie selbstlernende Systeme ihre Umwelt erfassen und interpretieren, und welche gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen das hat.
IM+io: Wie haben Sie Künstliche Intelligenz für sich definiert?
FN: Die Ausstellung, die der Kurator Mattis Kuhn und ich konzipiert und realisiert haben, stellte die Ausgangsfrage, zu was für einem Verständnis von unserer Welt lernende Systeme kommen. Maschinelle Systeme sind wesentlich schneller und effizienter darin, große Mengen an Daten zu speichern, sie auszuwerten oder Suchergebnisse zu generieren. Sie besitzen eine so genannte formale Intelligenz, die unterstützend für den Menschen hilfreiche Anwendungen bietet. Sie besitzen keine emotionale Intelligenz, die es ihnen ermöglicht, die Frage nach Sinn oder ethischem Handeln selbstständig zu entscheiden.
IM+io: Was folgt daraus für die Anwendung dieser komplexen Technologie?
FN: Wir gehen davon aus, dass Rechner Resultate durch Datenabgleiche erstellen, die auf der Grundlage von nachvollziehbaren und zuverlässigen Kriterien in den Algorithmen ausgeführt werden. Aber ist das denn so? Wer hat die Kriterien vorab festgelegt? Welche Voraussetzungen prägen diese Kriterien? Wer stellt sicher, dass KI-Systeme nach öffentlich verhandelten, also transparenten und fairen Kriterien entscheiden? Wie regeln wir die Verantwortlichkeiten zum Beispiel, wenn technologischen Systemen Entscheidungen übertragen werden, die eine ethische Komponente haben? Zum Beispiel im Fall von so genannter intelligenter Kriegstechnologie.
IM+io: Wie nähern sich die Künstlerinnen und Künstler der Künstlichen Intelligenz? Reflektieren sie das Thema mit ihren eigenen, klassischen Stilmitteln oder nutzen sie auch KI, um Kunst zu erschaffen?
FN: Die Gruppenausstellung präsentierte internationale Künstlerinnen und Künstler mit völlig unterschiedlichen Herangehensweisen. Mit der Ausstellung wollten wir eine Bandbreite vorhandener Haltungen aufzeigen. Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel: Der amerikanische Künstler Trevor Paglen zeigte drei Werke aus der Serie „Adversarially Evolved Hallucination“. Die Bilder entstanden aus der Interaktion zweier KI-Systeme: einem bilderkennenden und einem bildgenerierenden Algorithmus. In Kooperation mit der Stanford University programmierte Paglen eine Software, für die er eigens Taxonomien entwickelte, also Methoden zur Bildung von Klassen unter Aspekten der Ähnlichkeitsbeziehung. Die Kategorien stammten aus den Bereichen Poesie und Literatur, Psychoanalyse und Wirtschaft. Es entstanden Künstliche Intelligenzen, die Bilder aus den jeweiligen Begriffs-Clustern „sehen“ konnten, so zum Beispiel das Werk Vampire (Corpus: Monster of Capitalism), bei dem monströse Figuren entstanden, die für das menschliche Auge fast metaphorisch wirken.
IM+io: Künstler hinterfragen häufig gesellschaftliche und technologische Trends und halten den Menschen damit einen Spiegel vor: War das auch bei der Ausstellung der Fall?
FN: Mattis Kuhn und ich haben bewusst internationale Positionen ausgewählt, die die Grenzen des etablierten Kunstsystems verschoben haben. In der Ausstellung wurden Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die sich nicht nur in der klassischen Kunstszene bewegen. Sie sind politisch aktiv, sie sind Experten in technischen und naturwissenschaftlichen Methodiken, sie programmieren, gehen mit Laborprozessen genauso um wie mit Reverse Engineering von KI-Systemen, um Fragen nach deren Prinzipien und inneren Funktionsweisen aufzudecken. Sie erweitern ihre künstlerische Praxis um naturwissenschaftliche oder informationstechnische Methoden, wodurch ihre Werke neues Wissen mit neuen Ästhetiken kombiniert. Und noch wichtiger: sie sind für unsere Gesellschaft wie Seismographen. Sie zeigen uns Zukunftsthemen auf und konfrontieren uns mit neuem Wissen. Die Ausstellung war offen konzipiert, ohne erhobenen Zeigefinger konnten sich Besucher ein eigenes Bild machen.
IM+io: Wie haben die Besucher auf die Werke reagiert?
FN: Das Interesse an der Ausstellung war sehr groß. Die Besucher haben viel Zeit mit den einzelnen Werken in der Ausstellung verbracht. Für die interaktive Rauminstallation Human Study #1, 3RNP des Künstlers Patrick Tresset mussten wir ein Anmeldeverfahren einrichten. Die Anfragen, sich von den drei Zeichenrobotern porträtieren zu lassen, überstiegen auch unsere Erwartungen.
IM+io: Mit welchen Anwendungsgebieten von Künstlicher Intelligenz setzen sich die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler konkret auseinander?
FN: Die Künstler haben Themenbereiche wie Gesichtserkennungstechnologien, Scoring und Methoden der predictable analytics und algorithmic governance kritisch untersucht. So hat zum Beispiel die amerikanische Künstlerin Heather Dewey-Hagborg zusammen mit der Whistleblowerin Chelsea E. Manning das Projekt „Probably Chelsea“ in der Ausstellung präsentiert. Hierfür hat die Künstlerin die Methode der algorithmischen DNA-Phänotypisierung eingesetzt. Es entstanden 30 unterschiedliche 3D-Gesichtsmodelle. Sie zeigen, wie das mögliche Aussehen von Manning sein könnte, von der seit Jahren kein Bild mehr an die Öffentlichkeit gekommen war. Um diese Gesichtsdarstellungen zu erzeugen, hat die Künstlerin die DNA von Manning verwendet. Überraschend war, wie unpräzise die Ergebnisse dieser gängigen polizeilichen Analysemethode waren.
IM+io: Wie beurteilen Sie generell die Bereitschaft, vor allem der jungen Künstler, sich mit digitalen Technologien auseinanderzusetzen – und diese für ihre eigene Arbeit zu nutzen?
FN: Digitale Technologien sind Werkzeuge, Materialien und kulturelle Praktiken unserer heutigen Zeit und somit gehen Künstler intensiv damit um. Sie nutzen sie, reflektieren aber gleichzeitig die Bedingungen, die der Einsatz und der Umgang mit diesen Instrumenten für den Menschen schaffen. Im Frankfurter Kunstverein geht es uns darum, komplexe Zusammenhänge, die entscheidend für unsere Gesellschaft sein werden, öffentlich zu verhandeln. Die Kunst kann dies mit völlig freien, ergebnisoffenen Methoden tun. Für mich ist es zentral, unser Haus als institutionelle Plattform für gesellschaftlich relevante und innovative Themen zu stärken. Dies durch den Blick junger Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren zu tun, die Disziplinen übergreifend arbeiten, gibt völlig neue Perspektiven.