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Large Language Models im Business Process Management(m/w/d)
Christian Bennoit, Tobias Greff, August-Wilhelm Scheer
(Titelbild: © Adobe Stock | 567817496 | Hamid)
Kurz und Bündig
OpenAI hat durch das Release von ChatGPT im November 2022 in beeindruckender Weise gezeigt, wozu heutige Large Language Models in der Lage sind. Diese können bereits heute nachweislich in vielen Bereichen vielversprechende Mehrwerte liefern. Auch im Geschäftsprozessmanagement ergeben sich Chancen für potenzielle Einsatzmöglichkeiten. Anhand des Business Process Life-cycle können systematisch verschiedene Einsatzfelder identifiziert werden.
„Hallo, ich habe festgestellt, dass der Einstellungsprozess in den vergangenen sechs Monaten am Standort Berlin deutlich länger dauerte als am Standort München, soll ich mir das einmal genauer ansehen?“ Diese Anfrage an den Abteilungsleiter kommt nicht vom Mitarbeiter auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches, sondern vom virtuellen Kollegen auf dem Schreibtisch…
… Klar, bitte! – So die Reaktion des Abteilungsleiters. Am Standort München ist die Durchlaufzeit des Prozesses bis zum Entscheidungsknoten „Absage oder Einladung zum zweiten Gespräch“ 80% kürzer. Um den Prozess zu optimieren habe ich folgende Vorschläge: 1. Überprüfen, warum die Freigabe des Standortleiters so lange dauert, 2. Da der Standortleiter beim Prozessschritt „Finales Einstellungsgespräch“ involviert ist, könnte dies auf eine nicht sinnvolle Schleife hindeuten, die entfernt werden kann. Wie möchten Sie vorgehen? Nach kurzer Rücksprache mit dem Standortleiter gibt er kurzerhand als Antwort: Lösche die Schleife aus dem Prozess! Wenige Sekunden später bekommt er die Bestätigung: Ok, ich habe den Prozess angepasst und im System hinterlegt. Eine Information an alle Prozessbeteiligten habe ich per Mail versendet.
Ähnliche Konversationen wie diese werden am Arbeitsplatz zukünftig wahrscheinlich häufiger vorkommen. Der virtuelle Assistent, mit dem der Abteilungsleiter gesprochen hat, basiert auf einem sogenannten Large Language Model, welches in das Prozessmanagement-System des Unternehmens integriert wurde. Solche auf die Verarbeitung natürlicher Sprache ausgerichteten Modelle sind seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 mehr denn je im Fokus wissenschaftlicher und unternehmerischer Analysen. Hier lohnt sich ein Blick in aktuelle Publikationen. Gerade im Bereich des Prozessmanagements scheinen sich in vielerlei Hinsicht geeignete Einsatzmöglichkeiten zu ergeben, da hier große Mengen an Unternehmensdaten vorliegen. Betrachtet man den Business Process Management Cycle (Abbildung 1) so gliedert sich das Prozessmanagement typischerweise in sechs Phasen: Process Identification, Prozess Discovery, Process Analysis, Process Redesign, Process Implementation und Process Monitoring [1]. Jede der Phasen kann durch Large Language Models unterstützt werden. Daher scheint es geeignet entlang der Phasen Einsatzfelder zu identifizieren und festzuhalten.
Beispiele hierfür sind die (A) Erstellung von grafischen Prozessmodellen aus bereitgestellten Prozessbeschreibungstexten. Erste Publikationen zu Verprobungen waren vielversprechend [2]. Grafische Modelle wurden generiert und das bei guter Qualität der Ausgabe. Transkribierte Erklärungen der Kollegen oder Tätigkeitsbeschreibungstexte werden so kombinierbar und in ihrer aufbereiteten Gesamtheit wertvoller.
Häufig wird in der aktuellen Literatur auch als konkretes Einsatzszenario die Nutzung von Large Language Models im Bereich Process Mining oder Process Analytics be-
schrieben (4]–[6]). Dabei werden die Ergebnisse und Erkenntnisse durch Mitarbeitende besser interpretierbar. Ein Mitarbeiter, selbst wenn er technisch oder fachlich nicht auf diese Thematik spezialisiert ist, kann sich durch eine einfache Eingabe in natürlicher Sprache (B) komplexe Prozessmodelle und -analyseergebnisse verständlich erklären lassen.
Wie im Eingangsszenario und durch die Autoren in [4] beschrieben, können Large Language Models auch (C) intelligente Prozessoptimierung im Dialog oder automatisiert anbieten. Ein, mithilfe von allen digital verfügbaren Prozessinformationen (Event-logs, Prozessdokumentationen, Protokolle, …), trainiertes Modell bildet dabei die Basis. Das Modell kann dadurch dazu eingesetzt werden, selbstständig durch ein kontinuierliches Auswerten relevanter Kennzahlen und Dokumente Prozessschwachstellen zu erkennen und mögliche Lösungen zu erarbeiten.
Daneben entwickeln sich die grundlegenden Large Language Models (Foundation Models) als Basistechnologie stetig weiter und bieten immer neue Möglichkeiten. ChatGPT 4V kann beispielsweise nun auch „sehen“, „hören“ und „sprechen“. Damit ist das Modell dazu in der Lage, gesprochene Texte und Bilder zu verarbeiten und Output in gesprochener Sprache auszugeben [7]. Damit ergeben sich immer mehr ergänzende Einsatzfelder. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, dem Modell eine grafische Aufbereitung oder (D) händische Skizze eines Prozesses oder Workflows vorzulegen mit der Bitte, diese Eingabe aufzubereiten (beispielsweise in eine standardisierte Modellierungssprache zu überführen), zu analysieren, mit Referenzmodellen zu vergleichen, daraus Optimierungsvorschläge zu generieren und anschließend das Modell in das Prozessmanagement-System zu überführen. Gleiches gilt auch für Audioaufnahmen.
Auch wird sich im Laufe der aktuellen Marktentwicklungen herausstellen, ob ein Large Language Model beispielsweise zuverlässig als selbstständiger, vollumfänglicher Prozessberater (E) agieren kann. Dies ist jedoch höchst komplex. Angenommen, das Modell ist mit umfangreichem Branchen- und Prozesswissen wie Referenzmodellen ausgestattet und zudem dazu in der Lage, aktuelle Trends und Marktentwicklungen zu beobachten. Ein solches Modell könnte dazu eingesetzt werden, einfach alle Phasen des BPM Cycle zu unterstützen. Es könnte bei der Überwachung der Prozessausführungen und relevanter KPIs helfen sowie kontinuierlich anhand der stetig aktualisierten Referenzdaten und Marktinformationen Optimierungen der unternehmenseigenen Prozesse vornehmen. Prozessbeschreibungen können innerhalb kürzester Zeit in beliebigem Detailgrad, in verschiedensten Notationen grafisch oder textuell bereitgestellt werden. Den Mitarbeitenden könnte ein solches Tool unterstützend bei immer komplexer werdenden Aufgaben jederzeit zur Seite stehen, und dadurch die Prozessausführung auf allen Ebenen – strategisch und operativ – unterstützen.
Die beschriebenen Einsatzmöglichkeiten werden aktuell bereits in der Unternehmens-praxis getestet und erprobt. So investiert beispielsweise SAP massiv in den Ausbau seiner KI-Kompetenzen [8] und hat im September 2023 den KI-Copiloten „Joule“ angekündigt. Dabei handelt es sich um eine Software, welche in alle Anwendungen im gesamten SAP Cloud Portfolio integriert werden soll und auf Basis gesammelter Geschäftsdaten proaktiv kontextbezogene Erkenntnisse, beispielsweise zur Bewertung der Prozesseffizienz, ableitet und den Nutzern zur Verfügung stellt [9]. Auch wenn die Features noch nicht alle integriert sind, entspricht dies exakt der Zielsetzung in der Implementierung eines BPM Cycle KI-Assistenten. Auch Anbieter wie Salesforce [10], Software AG [11] oder Scheer PAS [12] bieten ihren Kunden Möglichkeiten, ihre Systeme mit einem KI-Sprachmodell über entsprechende Plattformen und Schnittstellen zu ergänzen.
Dies zeigt, dass die neuen Möglichkeiten dieser Technologien reif für erste Einsätze in der Praxis sind. Die Geschwindigkeit, mit der die aktuellen Modelle weiterentwickelt und mit neuen Features ausgestattet werden, ist immens. Neue Ideen für mögliche Anwendungsfelder werden immer schneller test- und realisierbar. Denn das Training neuer Teilfunktionen (fine-tuning) und somit das Erstellen von neuen anwendungsspezifischen, gekapselten KI-Assistenzdiensten (Plugins oder neuerdings GPTs) nimmt nur noch einen Bruchteil der Zeit – teils nur wenige Tage – in Anspruch. Ein Erfolg von Large Language Models im Prozessmanagement ist durch die aktuellen Entwicklungs- und Qualitätssprünge der Basistechnologien absehbar.
Dabei wäre die wirtschaftliche Folge, dass die Hemmschwelle, sich mit dem Thema Prozessmanagement auseinanderzusetzen, geringer wird. Prozessmanagement wird für alle einfacher verfügbar. Bisherige Hindernisse, wie personelle und finanzielle Ressourcen oder fehlendes Prozess-Know-How, können durch den Einsatz von Large Language Models überwunden werden. Eine Optimierung der Prozesse wird immer einfacher und kostengünstiger realisierbar.
Für viele Unternehmen bedeutet dies zunächst, sich überhaupt darüber bewusst zu werden, welchen immensen Wert ihre Prozessdaten haben – selbst, wenn diese unvollständig oder nur teilstrukturiert sind – und welchen Einfluss deren Auswertung für den Geschäftserfolg haben kann. Prozessdaten sind überall in verschiedensten Formen zu finden – als Ereignisdaten in ERP-Systemen, in Produktions-
plänen, in Diagrammen, in Wissensmanagementsystemen oder sogar in Mail-Kommunikationsverläufen. Diese enthalten oftmals sensible, interne Informationen, aus denen Wettbewerbsvorteile entstehen. Daher ist es aktuell von höchster Relevanz, sich Wissen über Large Language Models anzueignen und zu verstehen, wie diese im Kontext der Prozessdaten funktionieren und wie sie im eigenen Feld adaptiert werden können. Aufgrund der aktuellen Entwicklung muss das Thema Large Language Models im BPM Cycle für alle Akteure schnell beherrschbar werden. Nicht zu vernachlässigen ist dabei natürlich die Etablierung eines passenden Risikomanagements, wie es bei technischen Innovationen üblich sein muss. Zu den Risiken zählen beispielsweise datenschutzrelevante Aspekte bezüglich der verwendeten Trainingsdaten, aber auch Fehlervermeidung im Umgang mit Schatten-IT oder Halbfertiglösungen. Auch Themen wie Verlässlichkeit und Erklärbarkeit der Outputs eines Models zur Erkennung von Falschaussagen sind als Risikofaktoren zu berücksichtigen. Die Geschwindigkeit, mit der sich große Tech-Unternehmen hier positionieren, ist beeindruckend.
Dennoch entsteht hier eine Chance für mindestens graduelle, wenn nicht sogar disruptive Marktveränderungen. Darum sollte insbesondere die BPM-Forschung, auch wenn die Budgets kleiner sind als die der Tech-Giganten, bei dieser Geschwindigkeit mithalten und aktiv neue, realisierbare Einsatzfelder gemeinsam mit Unternehmen definieren und validieren, um die Zukunft des Prozessmanagement aktiv mitzugestalten.