Kleine Revolutionen machen Mut
Trends erkennen und resilient in die Zukunft starten
Ein Kommentar von August-Wilhelm Scheer, Scheer Holding
Kurz & Bündig
Scheer fordert die Krise als Chance für Innovation zu verstehen und so Zukunft zu gestalten sowie Resilienz gegen Krisen aufzubauen. Der deutsche Mittelstand macht vor wie es geht. Es gilt, nach Wegen zu suchen wie Resilienz in großen und auch kleineren Unternehmen dauerhaft aufgebaut werden kann. Wichtige Trends müssen rechtzeitig erkannt und Vernetzung als Chance begriffen werden.
Resilienz gegen Krisen baut man nicht in der Krise auf. Ist diese Widerstandsfähigkeit nicht vorab durch umsichtige strategische Planung gegeben, so muss zumindest Krisenmanagement in Form von mutigem Handeln her. Da lohnt ein Blick auf den Mittelstand, dem zwar eher selten strategisches Innovationsmanagement zu eigen ist, der aber mit Erfolg auf Innovation als Mittel und Weg aus der Krise setzt. Wenn es drauf ankommt, verbindet sich bei den meist inhabergeführten Unternehmen hohe Innovationskraft mit sozialer Verantwortung, auch und nicht zuletzt für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Maschinenbauer stellen auf die Produktion von Masken oder Desinfektionsspendern um, kleine Chemiehersteller liefern eben diese Desinfektionsmittel nach kurzer Vorrüstzeit in großen Chargen. Dolmetscherbüros, deren Mitarbeiter nicht mehr zur Simultanübersetzung von Konferenzen anreisen können, stellen kurzfristig auf leistungsfähige Videokonferenzsysteme um, um ihr Business weiterbetreiben zu können. Hier wird nicht erst einmal nach Einsparpotenzialen und Fördermitteln geschaut, sondern flexibel und innovativ gehandelt. Da entstehen neue Businessmodelle, die eigentlich nur für die Krise gedacht waren, aber sich oft auch später als gewinnbringend erweisen. Dies gilt zum Beispiel für den mittelständischen Handel, der sich mit Mut und Schwung auf den (zusätzlichen) Online-Handel einlässt und so eine Entwicklung in wenigen Monaten vollzieht, für die man sonst die nächsten fünf Jahre gebraucht hätte. Eine kleine Revolution ist auch in der Gastronomie zu beobachten: War vor Corona „Take away“ meist jenen Gerichten zugeordnet, die eher mit Fast Food assoziiert werden, so haben sich angesichts des Lockdown selbst Sternerestaurants für einen Außer-Haus-Service entschieden. Sie bereiten gerne ein edles 5-Gang Menü, selbst für nur zwei Personen, das dann in verlässlichen Verpackungen und Wärmebehältern abgeholt werden kann. Genau diese Flexibilität und spontane Innovationskraft wünsche ich mir auch von den ganz Großen. Hier wird mit Siebenmeilenstiefeln Zukunft gestaltet.
In vielen Branchen holen die Wirtschaft heute die Versäumnisse aus der Vergangenheit ein, die Krise wird nun aber zur Chance. So ist zu beobachten, wie die deutsche Automobilindustrie aktuell mit überzeugenden Angeboten um ihren Platz beim Thema E-Mobilität kämpft. Beim zugegebenermaßen viel zu späten Paradigmenwechsel nutzt sie jetzt mit Macht sich abzeichnendes neues Nachfrageverhalten angesichts staatlicher Förderquoten beim Neukauf von Autos, um neue E-Modelle auf dem Markt zu etablieren. Aber noch sind viele Meilen zu gehen, um verschlafene Entwicklungen nicht nur aufzuholen, sondern sich wieder an die Spitze der Bewegung zu setzen. Im November 2020 haben wir uns im Saarland darüber gefreut, dass in den kommenden Jahren ein von Chinesen gebautes und betriebenes innovatives Batteriewerk entstehen wird. Das ist mit Blick auf geplante 2000 neue Arbeitsplätze eine gute Nachricht, wenn sich das entsprechend realisiert. Aber wer hätte es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass wir eine so wichtige Komponente der Wertschöpfung eines E-Autos chinesischen Unternehmen überlassen müssen? Ähnliches gilt für das Tesla Werk in Brandenburg, wo uns ein US-amerikanisches Unternehmen vormacht, wie die Umsetzung von Innovation in die wertschöpfende Praxis funktioniert. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die deutsche Automobilindustrie nicht mehr Treiber von Innovation ist, sondern von ihr getrieben wird.
Aber auch in anderen Bereichen scheint ein Ruck durch die Industrie zu gehen, der durchaus in Teilen dem Weckruf durch die Corona Krise zuzuschreiben ist. Vorbei scheint die rückwärtsgewandte Diskussion über fossile Energieträger und den Ausbau erneuerbarer Energien. War bei letzterem der Blick auf Risiken und Belastungen fokussiert, scheint die Tatsache, dass deutsche und europäische Politik das Thema Umwelt oben auf die Agenda gesetzt haben, Wirkung zu zeigen. Sicher auch, weil hier ganz neue Fördermaßnahmen geplant sind. Viele gute Ideen und Modelle aus der Forschung, die bislang nur in Expertenforen diskutiert wurden, werden jetzt aufgegriffen. Neuer Mut, sich auch auf „Trial and Error“ einzulassen, ist nicht nur beim Mittelstand wahrzunehmen. Große Player gründen kleinere Töchter, die sich mit neuen Projekten befassen, die dann später auf Businessmodell und Erfolg des Gesamtunternehmens einzahlen sollen. Aus der Erkenntnis, dass innovative Projekte nicht vorab zu 100 % auf Unwägbarkeiten abgeprüft werden können, wächst die Bereitschaft, Fehler, die bei der Umsetzung eines Projektes auftreten, auch noch „unterwegs“ zu korrigieren. Hier hat man von den USA und Asien gelernt, wo genauso intensiv an klimaneutralen Energieträgern geforscht wird, und das von vorneherein einkalkuliert.
Die Politik ist zurecht stolz darauf, dass deutsche Forscher den ersten hochwirksamen Impfstoff gegen COVID-19 erfunden haben. Man hat das Unternehmen dieser Forscher, Biontech mit Sitz in Mainz, massiv dabei unterstützt, den Impfstoff in Rekordzeit verlässlich zu testen und in die Massenproduktion zu bringen. Auch hier hat die Krise als Katalysator gewirkt. Als ich in den 1980er Jahren aus der Forschung heraus mein Unternehmen IDS Scheer gründete, war ich noch massiven Anfeindungen ausgesetzt, da Forschung im Elfenbeinturm verortet wurde und Forscher nichts in der Wirtschaft zu suchen haben sollten. Auch dieser Paradigmenwechsel ist eine kleine Revolution und bestätigt, dass ohne Revolution kein Fortschritt entsteht.
Die Welt wartet nicht auf Deutschland. Deutschland muss voranschreiten, um die Welt von seinen technologischen Errungenschaften, von German Engineering im 21. Jahrhundert, zu überzeugen! Unsere Versäumnisse aus der Vergangenheit haben nichts mit Corona zu tun, aber wir müssen jetzt in der gesamten Breite unserer Wirtschaft die Krise als Chance verstehen, damit sie uns angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen nicht doppelt schwer auf die Füße fällt.
Was können wir aus der aktuellen Corona-Krise lernen? Wie kann ganz grundsätzlich mehr Resilienz in großen und auch kleineren Unternehmen aufgebaut werden? Unternehmerische Entscheidungen erfordern angesichts der globalen Herausforderungen den nötigen Weitblick. Wichtige Trends müssen rechtzeitig erkannt und in den Unternehmen aufgegriffen werden. Vernetzung muss als Chance begriffen werden – es gilt auf global agierende Wertschöpfungsnetzwerke zu setzen. Die zunehmende Digitalisierung von Produkten und Prozessen muss als Chance für Innovation erkannt werden. Disruptive Technologien, die etablierte Geschäftsmodelle infrage stellen, dürfen nicht als Bedrohung gesehen werden. Sie sollten vielmehr darauf hin geprüft werden, wie sie dem eigenen Unternehmen und dem eigenen Konzern den Weg in die Zukunft weisen können. Offenheit für strategische Innovation ist jetzt mehr denn je gefragt!
(Bildquelle: AdobeStock | 190387144 | Hurca!)