KI und Hyperautomation:
Der Boost für Effizienz und Innovation
Oliver Höß, HFT Stuttgart
(Titelbild: © Adobe Srock | 570648503 | girafhik)
Kurz und Bündig
Künstliche Intelligenz (KI) hat sich zu einem entscheidenden Faktor für die Automatisierung und Optimierung von Geschäftsprozessen entwickelt. Besonders in Bereichen wie Logistik, Medizin und Produktion trägt sie bereits heute zur Effizienzsteigerung und Kostenreduktion bei. Die Weiterentwicklung zu Hyperautomation umfasst die vollständige Automatisierung aller sinnvollen Prozesse. Um mit diesen technologischen Fortschritten Schritt zu halten, müssen Unternehmen kontinuierlich ihre Strategien und Systeme anpassen. Gleichzeitig stellen die möglichen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und ethische Fragen große Herausforderungen dar, denen sich die Wirtschaft und Gesellschaft stellen müssen.
Um im heutigen Wettbewerb zu bestehen, reicht es längst nicht mehr aus, nur einzelne Prozesse zu optimieren – Unternehmen müssen ihre gesamte Wertschöpfungskette konsequent digitalisieren und automatisieren. Doch wo hört Prozessautomatisierung auf und wo beginnt „Hyperautomation“? Der Begriff ist vielschichtig und umfasst eine faszinierende Palette an Technologien und Tools, die alle darauf abzielen, Unternehmensprozesse intelligenter und produktiver zu gestalten. Dabei wird Künstliche Intelligenz (KI) zum entscheidenden Faktor, der es erlaubt, Routineaufgaben zu vereinfachen, Entscheidungen zu beschleunigen und Ressourcen optimal zu nutzen.
Die Automatisierung von Prozessen ist der wesentliche Bestandteil der Digitalen Transformation. Unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Qualität sollten mittel- bis langfristig möglichst alle sinnvoll automatisierbaren Prozesse automatisiert werden. Dies wird auch unter dem Begriff Hyperautomation zusammengefasst [1].
Hyperautomation - Bausteine
Der Begriff Hyperautomation ist nicht exakt definiert. In einer weit gefassten Definition umfasst er alle Konzepte, Systeme und Tools im Bereich der Unternehmenssoftware, mit denen Prozesse automatisiert werden können. Wichtige Bausteine der Hyperautomation sind (siehe Abbildung 1):
- Standardanwendungen: Typische Standard-Software-Produkte, wie zum Beispiel Enterprise Resource Planning Systeme und Customer Relationship Management Systeme oder auch Produktivitätsanwendungen wie Office-Produkte.
- Individualanwendungen: Individuell für Kunden entwickelte Anwendungen, die deren spezifische Anforderungen abbilden.
- Low-Code- und No-Code-Anwendungen: Spezialfall von Individualanwendungen, die mit wenig (Low-Code) oder keinem traditionell geschriebenen Code (No-Code) entwickelt werden.
- BPM-Systeme (Business Process Management): Modellierte Geschäftsprozesse (zum Beispiel in BPMN, Business Process Model and Notation) werden in Workflow-Engines ausgeführt. Diese Systeme werden auch oftmals in der Cloud betrieben, zum Beispiel für die Integration von Web-Systemen. In diesen Fällen findet man den Begriff iPaaS (Integration Platform as a Service).
- RPA-Systeme (Robotic Process Automation): Spezialfall von BPM-Systemen, die als wesentliche Eigenschaft die Ansteuerung von Drittsystemen über die Benutzerschnittstelle (Graphical User Interface, GUI) ermöglichen.
- Processing Systeme: Systeme zur automatischen Verarbeitung von „traditionellen“ Dokumenten, wie zum Beispiel Bestellungen und Rechnungen, die dann eingescannt und automatisch bearbeitet werden.
- Chatbots: Systeme, mit denen die Interaktion mit internen oder externen Nutzern und Nutzerinnen automatisiert wird.
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Überschneidungsfreiheit. Im Gegenteil: Es bestehen vielfältige Überschneidungen und Kombinationsmöglichkeiten. So haben beispielsweise moderne Standardanwendungen heutzutage oftmals integrierte BPM- beziehungsweise Workflow-Komponenten oder Low-Code, No-Code-Komponenten, mit denen sie individualisiert werden können.
Aktuelle RPA-Systeme beinhalten neben der GUI-Automatisierung einen erheblichen Teil der Funktionalität von BPM-Systemen, zum Beispiel die Definition von Workflows, die Nutzung von APIs (Application Programming Interfaces) oder den Zugriff auf Datenbanken.
Einsatz von KI im Bereich Hyperautomation
Bei allen genannten Bausteinen von Hyperautomation spielt KI eine immer wichtigere Rolle. In modernen Standardanwendungen sind heutzutage immer mehr KI-Funktionalitäten bereits im Standard integriert. Schon in der Fraunhofer-Studie „Künstliche Intelligenz in der Unternehmenspraxis – Studie zu Auswirkungen auf Dienstleistung und Produktion“ von 2019, das heißt vor ChatGPT und dem damit verbundenen Hype um das Thema generative KI, war es ein wesentliches Ergebnis, dass es quasi in allen Prozessen der Wertschöpfungskette Potenziale für den Einsatz von KI gibt [2]. Durch den Einsatz von generativer KI werden diese Potenziale noch deutlich erweitert [3].
Vielseitige Einsatzmöglichkeiten
Beispiele für den Einsatz von KI im Bereich von Standard-Anwendungen reichen von Vertrieb und Marketing (automatische Identifikation von aussichtsreichen Leads oder individualisierte Werbung) über die Produktion (zum Beispiel intelligente Ressourcenplanung oder Predictive Maintenance) bis hin zum Service (zum Beispiel intelligente Self-Service-Portale). Auch in den Querschnittsprozessen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, etwa bei der KI-gestützten Bewertung von Bewerbungen.
Bei Produktivitätsanwendungen wie Office-Programmen eröffnen sich ebenfalls vielseitige Einsatzbereiche, etwa die automatische Zusammenfassung von Online-Meetings und Dokumenten oder die Erstellung von Präsentationsentwürfen. Solche Funktionen sind beispielsweise im Copilot für Microsoft Office, dem Marktführer, integriert.
Individuelle Anwendungen mit KI aufwerten
Es ist zu erwarten, dass zukünftig immer mehr KI-Funktionalitäten bereits im Basisumfang von Standardsoftware-Paketen enthalten sind. Auch bei individuell entwickelten Anwendungen gibt es verstärkt Anforderungen der Kunden hinsichtlich KI-Funktionalitäten. Diese lassen sich durch passende, bereits vorhandene Modelle oder Frameworks sowie durch entsprechende Programmierschnittstellen (APIs) realisieren.
Oft können dabei KI-Funktionalitäten aus der Cloud verwendet werden, was die Nutzung deutlich vereinfacht. Während der Entwicklung von Individualanwendungen kann durch KI-Assistenten, wie zum Beispiel GitHub Copilot, eine enorme Steigerung der Produktivität erreicht werden, indem ein erheblicher Teil des Programmcodes durch KI erzeugt wird. Man sollte den Code jedoch kritisch prüfen und selbst verstehen.
Produktivitätsboost durch Low-Code- und No-Code-Ansätze
Bei Low-Code- und No-Code-Umgebungen gelten die gleichen Punkte wie bei Individualentwicklungen, da es ja vom Grundsatz auch Individualentwicklungen sind, jedoch mit weniger oder keinem herkömmlichen Code und dafür verstärkter graphischer Entwicklung beziehungsweise Konfiguration. Bei modernen Low-Code- und No-Code-Plattformen kann inzwischen teilweise das Grundgerüst einer ganzen Anwendung durch Eingabe eines Prompts erstellt werden. Somit können enorme Produktivitätsgewinne erzielt werden. Bei BPM- und RPA-Systemen (Business Process Management beziehungsweise Robotic Process Automation) lässt sich eine Vielzahl der Punkte aus dem Bereich der Individualentwicklungen übertragen. Bei beiden Systemkategorien lassen sich aus einzelnen Prozessschritten KI-Funktionalitäten aufrufen. In modernen BPM-Systemen kann per Prompt ein Grundgerüst des Workflows erstellt werden. Bei RPA-Systemen kann die UI-Ansteuerung durch KI vereinfacht werden.
KI in Dokumentenverarbeitung und Chatbots
Im Bereich Document Processing (automatisierte Auftrags- oder Rechnungsverarbeitung) spielt KI schon immer eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Dokumentklassifikation oder bei der Erkennung der Inhalte (OCR, Optical Character Recognition). Obwohl die Systeme in diesem Bereich schon relativ weit fortgeschritten sind, kann durch sich immer weiter entwickelnde KI-Technologien noch eine Verbesserung der Qualität erzielt werden. Im Bereich der Chatbots, bei Anfragen von Kunden und Kundinnen oder internen Anfragen der Mitarbeitenden kann durch moderne KI-Technologien eine deutlich höhere Qualität der Antworten erreicht werden, was die Nutzer spätestens seit ChatGPT auch erwarten. Insbesondere können bestehende vortrainierte LLMs (Large Language Models) durch den Ansatz des Retrieval Augmented Generation (RAG) mit unternehmensinternen Wissensquellen ergänzt werden, so dass für den jeweiligen Kontext passende Antworten geliefert werden können.
Was bringt die Zukunft?
Wenn das Thema KI mit ChatGPT im Jahr 2022 prominent in das Licht der Öffentlichkeit gerückt ist, reichen die Wurzeln natürlich bereits deutlich länger zurück – bis in die 50er Jahre des letzten Jahrtausends. In einigen Bereichen wurden daher schon länger KI-Systeme produktiv eingesetzt, zum Beispiel im Bereich Bilderkennung für optische Qualitätskontrollen in der Produktion oder Recommender-Systeme im Bereich eCommerce. Und die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden.
Während frühere KI-Systeme jedoch vor allem analytischer Natur waren, haben sich mit generativen KI-Systemen eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten ergeben. Beispielsweise können Texte, Bilder, Sprache/Sound und sogar ganze Videosequenzen automatisch generiert werden.
Im Bereich der Automatisierung ergibt sich dadurch eine Vielzahl von zusätzlichen Automatisierungspotenzialen. Ein Teil davon wurde bereits oben beschrieben. Aber die Möglichkeiten, die durch generative KI entstehen, sind sehr vielfältig. Beispiele sind die automatische Generierung von individuellen E-Mails bei der Interaktion mit Kunden- und Kundinnen, die automatische Erstellung von Produktbeschreibungen im eCommerce, die Generierung von individualisierten Bildern im Marketing, die automatische Übersetzung von Videos. Der Kreativität zur Entwicklung von innovativen Lösungen sind fast keine Grenzen gesetzt.
Neue Automatisierungspotenziale durch autonome KI-Agenten
Bereits jetzt sind die Potenziale groß und bei weitem noch nicht ausgeschöpft: Zukünftig könnten autonom agierende Systeme wie Agentforce von Salesforce neue Automatisierungspotenziale erschließen, insbesondere in der Interaktion mit Kunden und Kundinen sowie der Unterstützung von Mitarbeitenden [4]. Angesichts des rasanten Innovationstempos sind in den nächsten Jahren zahlreiche Neuerungen und Use Cases zu erwarten, die Unternehmen dazu zwingen, stets am Puls der technischen Entwicklung zu bleiben. Dies ist im IT-Umfeld generell der Fall, aber bei einem derart dynamischen Themenfeld wie Automatisierung mit KI gilt dies verstärkt.