Hat die Natur ausgedient?
Kurz & Bündig
Nachhaltigkeit im Anthropozän, also im vom Menschen gemachten Zeitalter ist ein Thema, das Prof. Dr. Klaus Töpfer umtreibt. Kritisch hinterfragt er, ob beides überhaupt miteinander zu verbinden sei. Trotz drohender Klimakatastrophen und aller ungelöster Probleme sieht er jedoch auch Lösungen. Dem Nachdenken über das eigene Tun fällt dabei eine besondere Rolle zu.
Prof. Dr. Klaus Töpfer ist als ehemaliger Bundesumweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen auch heute noch ein gefragter und unbequemer Mahner, wenn es um den wirksamen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen geht. Seine ernüchternde Faktenanalyse über Fehler der Vergangenheit, fatale Eingriffe in die Natur und vertane Chancen verbindet er mit der Forderung nach mutigen Entscheidungen, um die Erde für zukünftige Generationen zu bewahren.
IM+io: Prof. Töpfer, in einem Vortrag haben Sie die These vertreten, dass es die natürliche Natur nicht mehr gebe, sondern das, was der Mensch ihr erlaubt zu sein. Was ist damit konkret gemeint?
KT: Im Jahre 2002 erschien in der Zeitschrift „Nature“, der „Bibel“ der Wissenschaft, ein Artikel unter der Überschrift: „The Geology of Mankind“. Der Autor: Nobelpreisträger Paul Crutzen, lange Jahre Chef des Max-Planck Instituts für Chemie in Mainz. Der Kern seiner Argumentation: Wir leben nicht mehr in einem Naturzeitalter, nicht mehr im Holozän, sondern in einem Menschenzeitalter, dem Anthropozän. Das Time-Magazin folgerte daraus: „Nature is over“. Die aktuelle Corona-Krise – sie sollte auch vor diesem Hintergrund in ihren Ursachen erforscht werden.
IM+io: Wenn unsere Eingriffe in die Natur so gravierend sind, bedeutet das, dass wir immer weiter manipulieren müssen, damit wir angerichteten Schaden begrenzen können? Stehen wir dabei am Ende nicht wie Goethes Zauberlehrling dar?
KT: Nochmals zum Artikel von Paul Crutzen. Er kommt zu der Schlussfolgerung: Wissenschaftler und Ingenieure stehen vor einer herausfordernden Aufgabe: „They have to guide the society through the area of the anthropocene.“ – Wissenschaftler und Ingenieure müssen die Gesellschaft durch das Anthropozän führen. Von gestaltender Politik ist nicht die Rede. Wirtschaftliches Wachstum resultiert aus der Beseitigung aus den nicht beachteten oder nicht erkannten negativen Konsequenzen vorangegangenem Wachstums. Da kann man schon an den Zauberlehrling denken. Crutzen selbst erwähnt das abschließend in seinem Beitrag „Climate Engineering“ – er bewertet es als „terra incognita“.
IM+io: Bereits als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, dass Umweltschutz und Entwicklung zwei Seiten der gleichen Medaille seien. Was bedeutet das für nationale oder europäische Anstrengungen, etwa zum Klimaschutz. Greifen diese nicht zu kurz, weil sie weder die Herausforderungen von Entwicklungsnoch von Schwellenländern mit im Blick haben?
KT: Als ich im Jahre 1938 geboren wurde, lebten auf der Welt 2,7 Mrd. Menschen – heute sind es nahezu 8 Mrd.! Die Herausforderung ist somit sehr klar: Wie ermöglichen wir für diese 8 Mrd. und mehr Menschen ein menschenwürdiges Leben und können gleichzeitig die Erde für kommende Menschengenerationen zukunftsfähig zu halten. Wenn wir ehrlich mit uns sind, müssen wir konstatieren, dass wir wesentliche Kosten unseres Wohlstands nicht in den aktuellen Preisen bezahlen, wir wälzen diese Kosten auf die Zukunft und auf Menschen in anderen Regionen ab. Wir erlauben uns eine „Wohlstandslüge“.
IM+io: Deutschland springt sehr spät auf den Zug der Elektromobilität auf und verkämpft sich bei der Ausgestaltung des Kohlekompromisses – welche Wirkungsmechanismen stehen hier im Weg, was muss ich ändern, damit notwendige Entscheidungen nicht nur getroffen, sondern auch zügig umgesetzt werden?
KT: Es ist nie schlecht erst zu denken und dann zu springen und nicht umgekehrt. Eine Aufkündigung alter Strukturen sollte flexible Möglichkeiten bedenken, sollte offen sein für unterschiedliche Lösungen, wie die Engländer sagen: „Don`t put all eggs in one basket!“ Japan und zunehmend auch China sind sehr offen für Brennstoffzelle und Wasserstoff – eine Überlegung, die auch in Deutschland aktuell und sinnvoller Weise viel Beachtung findet.
IM+io: Das eine oder andere deutsche Unternehmen hat angekündigt, in fünf bis zehn Jahren klimaneutral zu agieren – häufig durch Ausgleichsmaßnahmen wie der Aufforstung des Regenwaldes. Ganz grundsätzlich gefragt, welchen Beitrag kann und muss aus Ihrer Sicht die Wirtschaft in Deutschland und Europa leisten, um dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu folgen?
KT: Es ist in hohem Maße erfreulich zu sehen, dass die Wirtschaft zunehmend in einer klimafreundlichen Energieversorgung große wirtschaftliche Chancen sieht. Da die Klimakrise stets als globale Krise zu behandeln ist, ist ein Mitdenken einer klimaverträglichen Energieversorgung weltweit für ein technologisch führendes Land wie Deutschland zwingend geboten. Allerdings: Dabei sollte mehr über Investitionen in Sonnen- und Windenergie in den Entwicklungsländern als Kompensation nachgedacht werden als über Aufforstungsmaßnahmen.
IM+io: Welche Rolle können neue Technologien wie Künstliche Intelligenz auf dem Weg in eine klimaschonende Zukunft spielen?
KT: Wissenschaft entschlüsselt immer umfassender die Bausteine von Natur und Leben, sie dekodiert deren Entwicklungsstrukturen. Daraus ergeben sich immer wieder weiter reichende Erkenntnisse für Handlungsoptionen, die bisher nicht gedacht wurden. Ein Beispiel: Der Erfolgslauf der Digitalisierung – er war in meinen Jugendjahren noch nicht gedacht, geschweige denn eine reale Handlungsoption. Diese Dynamik des Wissens führt uns zurück an den Anfang dieses Interviews: Anthropozän.
