Energie als Massenmarkt
Mit zellulären Energiesystemen die Energiewende schaffen
Prof. Dr. Joachim Seifert, Technische Universität Dresden
(Bildquelle: Adobe Stock | bannafarsai | 358596652)
Kurz & Bündig
Um die Energiewende und den damit verbunden Strukturwandel in der Energietechnik realisieren zu können, sind skalierbare Cloudlösungen zur Datenverarbeitung notwendig. Vorgestellt wird das Ergebnis eines Forschungsprojekts einer öffentlich zugänglichen Open Source Plattform, mit der unterschiedliche dezentrale Energiesysteme datentechnisch erfasst und Servicefunktionalitäten angeboten werden können. Die Plattform ist hierbei höchst flexibel aufgebaut und kann gut skaliert werden.
Für die Bewältigung der Energiewende entsteht derzeit ein neuer regulatorischer Energiemarkt. Aus dem bisherigen, zentralistisch strukturierten Energie-Oligopol wird ein Massenmarkt mit einer Vielzahl von „Prosumern“ und Akteuren, die über Software vernetzt, gesteuert und kommunikativ verbunden werden müssen. Eine konkrete Lösung, insbesondere auch für ländliche Regionen, sind regionale, virtuelle Kraftwerke, deren Funktionsweise hier vorgestellt wird.
Einleitung
Mit dem Klimaprogramm der Bundesregierung [1] und den aktuellen Vorgaben der EU steht die CO2 Einsparung im Mittelpunkt der Betrachtungen besonders im Energiesektor. Betrachtet man die Ausgangssituation nach Abbildung 1 so wird deutlich, dass Deutschland jährliche 753 Mil.t CO2 -Emissionen aufweist. Diese weiter zu senken ist ein vorrangiges Ziel. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden (siehe Abbildung 1 „dunkelgrauer Balken“), dass die CO2-Emissionen bezogen auf das BIP in Deutschland im Ländervergleich schon niedrig sind. Ziel muss es daher sein den Transferprozess so zu gestalten, dass weitere CO2-Reduktionen erreicht werden, gleichzeitig jedoch die Wirtschaftsleistung nicht rückläufig ist.
Das Energieversorgungssystem in Deutschland ist zentralistisch aufgebaut. Durch die Energiewende werden jedoch vermehrt dezentrale Strukturen auftreten. Prognosen gehen davon aus, dass die Anzahl von kleinteiligen Anlagen deutlich ansteigen wird. Abbildung 2 zeigt eine derartige Prognose.
Um diesen Transformationsprozess erfolgreich zu gestalten, ist eine gezielte Initiative zur Einführung moderner Kommunikationsstrukturen im Bereich der Energietechnik notwendig. Wichtiger Schwerpunkt sollte die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien zur Einbindung von Sensorik und Aktorik sowie zur Informationsweiterverarbeitung sein. Zusätzlich sollten grundlegende softwaretechnische Strukturen erarbeitet werden, die die wesentlichen Elemente der Datenerfassung, Datenübertragung sowie der Datenspeicherung und Datenvisualisierung umfassen. Die Skalierbarkeit dieser Elemente muss mit Hilfe einer Cloud-basierten Software-Orchestrierung realisiert werden.
Randbedingungen des Transferprozess in der Energietechnik
Die energetischen Systeme werden durch die Energiewende komplexer und interaktiver. Das heißt, der thermische, der gastechnische und der elektrische Bereich der Energietechnik sind durch vielfältige Kopplungseinrichtungen miteinander verbunden. Weiterhin ist die Tendenz zur Dezentralisierung zu erkennen. Beide Tendenzen führen zu einem deutlichen Anstieg von Mess- und Steuerungsdaten, die aufgenommen und verarbeitet werden müssen. Abbildung 3 zeigt die mögliche Verflechtung der Systeme in schematischer Weise. Man spricht von einem „zellularen Energiesystem“.
Betrachtet man im Detail die Nachfrageseite, so entwickelt sich diese vom klassischen „Consumer“ hin zum „Prosumer“, der Energie bezieht, aber auch Energie den vorgelagerten Prozessketten zur Verfügung stellen kann (siehe Abbildung 4). Auf der Angebotsseite ist eine Tendenz hin zu erneuerbaren Energietechnologien zu erkennen, die jedoch nicht kontinuierlich Energie zur Verfügung stellen können. Die volatile Erzeugung wird hier zunehmen. In diesem Zusammenhang werden wesentlich die Flexibilisierung und die Regionalisierung der Energiesysteme an Bedeutung gewinnen.
National 5G Energy Hub
Eigenschaften geringe Latenz und große Datenübertragung. In Phase I wurde sich auf die Anwendungsfälle (Use Cases)
- „Unterstützung des Netzschutzes“
- „Gebäudemonitoring“ sowie
- „Regionales virtuelles Kraftwerk“ (RVK)
fokussiert.
Diese Use Cases repräsentieren erste exemplarische Fälle. Eine Übertragbarkeit auf weitere Fälle ist mit der entwickelten IKT-Struktur gegeben. Detailliert sind alle Use Cases in [3] beschrieben.
Der komplexe Use Case RVK beinhaltet darüber hinaus Aspekte der Sektorkopplung und soll nachfolgend detaillierter beschrieben werden. Abbildung 5 dokumentiert die lokale und zentrale Struktur des Use Case RVK.
Signifikant für den Use Case „Regionales Virtuelles Kraftwerk“ (RVK) ist, dass auf lokaler Ebene (Verbraucher) Daten mit Hilfe eines Wireless Transducer Interfaces von der Sensorik an ein lokales Gatewaysystem übermittelt werden, wo durch ein angeschlossenes „Compute Module” eine Datenverdichtung vorgenommen wird. Dieses lokale System ist vorteilhaft, da es mit der erforderlichen Rechenleistung ausgestattet ist, um auch im Falle von Verbindungsunterbrechungen zur Cloudarchitektur ein Notfallmanagement durchzuführen. Alternativ zu dieser Lösung besteht auch die Möglichkeit, das lokale Gateway nicht zu verwenden und die Daten direkt in die Cloudarchitektur zu übertragen.
Aus dem Anwendungsfall regionales Virtuelles Kraftwerk wurde abgeleitet, dass eine direkte Übertragung oftmals an Grenzen stößt, wodurch eine lokale Backuplösung vorteilhaft erscheint. Vom Gatewaysystem werden die Daten via MQTT-Protokoll in die Cloud übertragen. Hier sind verschiedene interne Strukturen vorhanden, um eine Visualisierung sowie eine Datenverwaltung vorzunehmen. Datentechnisch werden beim RVK Use Case zusätzliche Kenngrößen des elektrischen Netzes im Niederspannungsbereich miterfasst und in der Backupstruktur verarbeitet.
Durch einen starken Anstieg von zu erfassenden Datenpunkten im Gebäude liegt der Fokus der Datenübertragung auf Funktechnologien, da diese leicht und kostengünstig zu installieren sind. Hierfür bietet sich die 5G-Technologie an, da sie zukünftig flächendeckend verfügbar sein soll und nur sehr geringe Latenzzeiten aufweist. Im Gebäudebereich stößt die 5G-Technologie derzeit noch an Ihre Grenzen, da aufgrund der verwendeten hohen Frequenzenbänder eine Durchdringung von Liegenschaften nur eingeschränkt erfolgt. Zielführend kann es daher sein, für die Datenübertragung eine ergänzende Funktechnologie zu verwenden.
Bei der Erprobung eines funkbasierten Datenübertragungssystems für Kurzzeitanalysen von energetischen Anlagen [6] wurden unterschiedliche Tests mit der Technologie LoRaWAN durchgeführt. Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die Installation von Funktechnologien sehr einfach erfolgen kann, jedoch die Verlässlichkeit der Datenübertragung von der Netzwerktopologie abhängt und im Falle von LoRaWAN eine Mehrfachabdeckung durch Gateways erstrebenswert ist. Weitere Faktoren sind hardwarespezifisch, wie zum Beispiel die Art und Qualität der Antenne des Gateways und der Wireless Transducer.
Um für dezentrale Energiesysteme produktive IT-Lösungen entwickeln zu können, müssen zunächst deren Anforderungsprofile definiert werden. Für eine Open Source Plattform der Energietechnik sind folgende Kriterien signifikant:
hohe Verfügbarkeit,
- flexibel erweiterbare Software-Architektur,
- einfache Konfiguration und
- Datenschutz bzw. Datensicherheit.
Um diesen allgemeinen Anforderungen sowie den speziellen Anforderungen aus den Use Cases gerecht zu werden, wurde eine Cloud-Architektur gewählt, die strukturell in Abbildung 6 dargestellt ist.
Die Datenübertragung zwischen Liegenschaft und Cloud erfolgt vorzugsweise über das verbreitete MQTT-Protokoll. Ein MQTT-Broker stellt in diesem Fall den Anknüpfpunkt für Cloudanwendungen dar. Unter Verwendung verschiedener Nachrichtenprotokolladapter (IoT-Agents) werden die Daten an den Context-Broker übergeben, welcher die Zustandsinformationen speichert und mit Hilfe eines Subscription-Verfahrens an die gewünschten Applikationen weiterleitet. Zu diesen Applikationen zählt das Speichern der historischen Daten, Kontroll- und Steueralgorithmen oder beispielsweise externe Services. Zusätzlich gehören zu der Plattform Frontends, um zum Beispiel historische Daten zu visualisieren. Die dynamische Implementierung neuer Datenpunkte wird durch ein spezielles und erweiterbares Datenmodell ermöglicht, welches die Relationen von Dateninformationen für den energietechnischen Bereich definiert. Diese Cloud-Softwarearchitektur kann sowohl auf einem einzelnen, lokalen Server implementiert als auch mit Hilfe einer Softwareorchestrierung dezentral geclustert werden.
hohe Skalierbarkeit,
Fazit
Um die Energiewende und den damit verbunden Strukturwandel in der Energietechnik realisieren zu können, sind skalierbare Cloudlösungen zur Datenverarbeitung notwendig. Das „National 5G Energy Hub“ [7], ein vom BMWi initiiertes Forschungsprojekt, hat in der Phase I eine Open Source Plattform entwickelt, mit der unterschiedliche dezentrale Energiesysteme datentechnisch erfasst und Servicefunktionalitäten angeboten werden können. Die Plattform ist hierbei höchst flexibel aufgebaut und kann gut skaliert werden. Moderne Funktechnologien, wie zum Beispiel 5G, können ihre Vorteile in Hinblick auf Latenz und Datenvolumen mit der Plattform für energetische Anwendungen vollumfänglich realisieren. In der anstehenden Phase II des Forschungsprojektes sollen die entwickelte Cloudarchitektur auf verschiedenste Use Cases angepasst und datenspezifische Sicherheitsaspekte stärker berücksichtigt werden. Der Branche der Energietechnik steht somit eine leicht anwendbare Plattform zur Verfügung, die den Prozess der Digitalisierung in der Energietechnik beschleunigen kann.