Auf die Skills, fertig, los!
Das Rennen um die Digital Future Skills
Florian Beier, Michelle Jörgens und Dirk Werth, August-Wilhelm Scheer Institut
(Titelbild: Adobe Stock | 95024145| Jacob Lund)
Kurz und Bündig
Die digitale Transformation führt zu einer Änderung der Qualifikationsanforderungen in der Arbeitswelt. Um diesem Wandel zu begegnen, ist Kompetenzmanagement das A&O. Hierbei werden notwendige Kompetenzen für verschiedenste Jobprofile festgelegt, der Istwert der Kompetenzen aller Mitarbeitenden erfasst, mit dem Sollwert verglichen und Kompetenzlücken durch entsprechende Kompetenzentwicklungsmaßnahmen geschlossen. Dieser proaktive Ansatz ermöglicht es Unternehmen, nicht nur auf aktuelle Anforderungen zu reagieren, sondern auch zukünftigen Herausforderungen vorausschauend zu begegnen.
Die digitale Transformation, der demografische Wandel und der zunehmende Fokus auf Nachhaltigkeit erfordern neue und spezielle digitale Fähigkeiten, um sich in der sich verändernden technologischen Landschaft zurechtzufinden. Auch in der Arbeitswelt zeichnet sich eine rapide Entwicklung hin zur Erfordernis digitaler Kompetenzen ab. Ressourcen in die Entwicklung digitaler Kompetenzen von Mitarbeitenden zu investieren, stellt für Unternehmen daher einen Schlüsselfaktor zur Steigerung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowie der Sicherung des Unternehmenserfolges dar.
Lediglich 8,4% der in einer Benchmarking-Studie [1] befragten Unternehmen gaben an, hinsichtlich ihres Kompetenzmanagements bereits gut aufgestellt zu sein. Die Mehrheit der befragten Unternehmen hingegen hat sich nach eigener Angabe bisher nur unzureichend mit Kompetenzmanagement befasst. Dabei können Unternehmen die digitale Transformation nur meistern, wenn die Mitarbeitenden zum Umgang mit den digitalen Veränderungen befähigt werden. Zudem kann strategisches Kompetenzmanagement dazu dienen, „High Potentials“ im Unternehmen zu identifizieren und benötigte Fachkräfte selbst heranbilden. Um das Kompetenzmanagement in Unternehmen effektiv voranzutreiben, braucht es daher einen umfassenden Ansatz, der digitale Kompetenzen im Unternehmen definiert, die Kompetenzen der Mitarbeitenden erfasst und darauf basierend die gezielte Kompetenzentwicklung ermöglicht.
Digitale Kompetenzen
Teils beschreiben die Begriffe „Digitale Kompetenzen“ [2] und „(Digital) Future Skills“ [3] unterschiedliche Konzepte, teils werden sie auch synonym verwendet, was mitunter für Verwirrung sorgen kann. Die terminologische Vielfältigkeit geht auf verschiedene Frameworks zurück, die entwickelt wurden, um den Kompetenzbegriff zu definieren und Kompetenzen zu kategorisieren und systematisieren. Einige der bekanntesten Frameworks sind das europäische Kompetenzrahmenmodell DigComp 2.2 [2], das Future-Skills-Framework vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und McKinsey [3] sowie das DELTA-Framework von McKinsey [4]. Auch in der Literatur besteht Uneinigkeit über die Definition des Kompetenzbegriffes [5].
Für das August-Wilhelm Scheer Institut stellen digitale Kompetenzen ein Schlüsselkompetenzfeld für lebenslanges Lernen dar [6]. Diese umfassen den selbstbewussten, kritischen und verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Technologien im Bildungs-, Arbeits- und gesellschaftlichen Kontext. Kompetenz findet im Sinne eines verhaltensorientierten Verständnisses dann statt, wenn erworbenes Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgreich in der Praxis angewendet werden, um vorgegebene Situationen zu bewältigen und bestimmte Ziele zu erreichen [7]. Durch die erzielten Ergebnisse einer Handlung wird Kompetenz messbar [8].
Konkret beinhalten digitale Kompetenzen je nach Framework unter anderem Informations- und Datenkompetenz (Data Literacy), Kommunikation und Kollaboration, die Erstellung digitaler Inhalte, digitales Lernen, Sicherheit in digitalen Umgebungen sowie agiles Arbeiten und Problemlösen. Jede dieser Kompetenzen ist in der digitalisierten Arbeitswelt wichtig, da sie Fachkräfte dazu befähigen, in komplexen, flexiblen und datengetriebenen Arbeitsumgebungen Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und als Experten zu agieren.
Die digitale Transformation verändert Jobprofile und lässt neue entstehen, die andere Kompetenzen erfordern als bisherige Jobprofile. Laut Prognosen soll es in Deutschland bis 2030 bei rund einem Drittel der Erwerbstätigen zu einem Wechsel in der beruflichen Tätigkeit kommen [9]. Daraus resultierende Kompetenzlücken stellen besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine Herausforderung dar [1,10]. Die Relevanz digitaler Kompetenzen im Unternehmenskontext ergibt sich daraus, dass Kompetenzen zu einer höheren Arbeitsqualität führen, systematisch entwickelt werden müssen und somit einen besonderen Wettbewerbsvorteil darstellen [7].
Kompetenzmanagement als Lösungsansatz
An diesen Handlungsbedarf knüpft das strategische Kompetenzmanagement an, um Kompetenzlücken vorzubeugen und bestehende Kompetenzlücken zu schließen. Abbildung 1 zeigt ein dreistufiges Kompetenzmanage-
ment, welches Unternehmen den Aufbau einer Kompetenzkultur ermöglicht: Kompetenzprofile definieren, Kompetenzerfassung und Kompetenzentwicklung.
1. Kompetenzen definieren
Um aktuelle und zukünftige Kompetenzanforderungen der Mitarbeitenden zu definieren, müssen sowohl unternehmensspezifische Anforderungen als auch bestehende Kompetenzframeworks und Standards berücksichtigt werden. Die unternehmensspezifischen Anforderungen ergeben sich aus den Zuständigkeiten, Arbeitsabläufen und Tätigkeitsfeldern der Beschäftigten, aus aktuellen Trends sowie den sich wandelnden Unternehmensstrukturen, Geschäftsprozessen und Unternehmenszielen [7]. Die Orientierung an etablierten Kompetenzframeworks und Standards ermöglicht eine wissenschaftlich fundierte Systematisierung der relevanten Kompetenzen sowie ein Benchmarking der abgeleiteten Kompetenzanforderungen. Deshalb ist es wichtig, die Kompetenzen umfassend zu beschreiben und ein ganzheitliches Bild zu schaffen, um Diskrepanzen zwischen den benötigten und den derzeit vorhandenen Kompetenzen festzustellen. Auch wenn die Details meist unternehmensspezifisch sind und für etwaige Vergleichsstudien kaum eine Rolle spielen, dienen sie der Verständlichkeit und Transparenz im Unternehmenskontext. Konkret beinhaltet die Definition der Kompetenzen mehrere Schritte:
- Identifikation aktueller Jobprofile anhand der Zuständigkeiten und Tätigkeitsbereiche (zum Beispiel Mitarbeitende im Controlling)
- Ableitung unternehmensrelevanter Kompetenzbereiche auf Basis bestehender Modelle (zum Beispiel Data Literacy, Problemlösung, strategisches Denken)
- Beschreibung der relevanten Kompetenzen und Erstellung von Soll-Kompetenzprofilen im Sinne einer Anforderungsanalyse (zum Beispiel um Art und Grad der Kompetenz „Data Literacy“ zu spezifizieren, über die Mitarbeitende im Controlling verfügen sollen).
Durch die Definition von Soll-Kompetenzen schaffen Unternehmen die Voraussetzung für eine zielgerichtete und effiziente Kompetenzerfassung bei den Mitarbeitenden.
2. Kompetenzen erfassen
Bei der Vorbereitung und Durchführung einer zielgerichteten und effizienten Kompetenzerfassung lassen sich mehrere Schritte festhalten:
- Messinstrument auswählen
- Operationalisieren und erfassen
- Ist/Soll-Vergleich der Kompetenzen analysieren und interpretieren
Als Standard-Messinstrumente gelten digitale Fragebogentools, deren Einsatz zeitsparend, kostengünstig und automatisiert erfolgen kann. Für jede Kompetenz werden Items abgeleitet, die die verschiedenen Kompetenzniveaus abbilden. Die Items können aus allgemeinen Selbstbeurteilungen, beispielbasierten Abfragen oder fallbasierten Abfragen bestehen. Letztere nutzen unternehmensrelevante Fallbeispiele, um Kompetenz anhand einer auszuübenden Tätigkeit festzumachen. Die Befragten sollen sich in die Situation versetzen, um eine Antwortentscheidung zu treffen. Durch die Verwendung verschiedener Handlungsalternativen als Antwortmöglichkeiten nähert sich die fallbasierte Abfrage am ehesten einer realitätsnahen sowie verhaltens- und handlungsbasierten Kompetenzerfassung an. Nach Auswahl der Zielgruppe kann die Erhebung zu jedem Zeitpunkt gestartet werden. Es empfiehlt sich, die Erhebungen im weiteren Verlauf regelmäßig zu wiederholen, um Änderungen im Kompetenzniveau zu erfassen und die Wirksamkeit von Kompetenzentwicklungsmaßnahmen zu evaluieren.
Um die Ergebnisse zu interpretieren, sollten die ermittelten Istwerte mit den Sollwerten der Kompetenz verglichen werden. Eine Differenz zeigt eine Kompetenzlücke an und liefert zum einen Anhaltspunkte für Entwicklungspotentiale der Mitarbeitenden. Wenn andererseits der Istwert höher als der Sollwert ist, kann dies auf High Potentials hindeuten. Durch die Identifizierung von High Potentials können gezielt Entwicklungsprogramme, Schulungen und Mentoring-Initiativen entwickelt und eingesetzt werden. Ein effektives Up- und Reskilling der Mitarbeitenden ermöglicht es, die benötigten Fachkräfte aus dem Inneren des Unternehmens heraus zu rekrutieren.
3. Kompetenzen entwickeln
Der Wandel von Job-Profilen und Kompetenzanforderungen erfordert auch ein Neudenken betrieblicher Weiterbildung. Reines Fachwissen ist im Kontext der digitalen Transformation heutzutage fast ständig verfügbar und hat eine sinkende Halbwertszeit. Klassische standardisierte und auf Wissensaufbau basierende E-Learning-Formate können daher die heutigen Kompetenzanforderungen nicht mehr abdecken. Das Konzept des kompetenzbasierten Lernens beinhaltet demgegenüber einen individualisierten und adaptiven Lernprozess, der die individuellen Kompetenzvoraussetzungen und Lernziele der Lernenden berücksichtigt. Das am August-Wilhelm Scheer Institut entwickelte Modell setzt dabei auf die Abstimmung der Weiterbildungsmaßnahmen auf die vorhandenen und benötigten Kompetenzen, um die Kompetenzlücken zu verklei-
nern. Die einzelnen Mitarbeitenden durchlaufen somit nur diejenigen Kurse und bearbeiten nur diejenigen Module, die für das Erreichen einer Kompetenz relevant sind. Diese höhere Agilität des kompetenzbasierten Lernens hat den Vorteil, dass Weiterbildung effizient, effektiv und flexibel in Bezug auf sich ändernde Anforderungen sein kann. Die Tatsache, dass Mitarbeitende nicht mehr zwangsläufig Lerninhalte und Kurse bearbeiten, die ihnen schon bekannt sind, kann sich positiv auf die Akzeptanz und Lernmotivation auswirken.
Beim kompetenzbasierten Lernen stehen nachhaltige Kompetenzentwicklung und Lerntransfer im Vordergrund. Daher empfehlen wir didaktische Ansätze mit Handlungsorientierung sowie Formate wie das problembasierte oder situierte Lernen. Darüber hinaus sollten Lerninhalte modular aufgebaut und mit Tags versehen sein, so dass eine Passung des Contents zu konkret benötigten Kompetenzen ermöglicht wird. Mitarbeitende können so ihren Lernprozess selbst gestalten und zielgerichtet die Lerninhalte nutzen, die auf ihre Kompetenzentwicklung einzahlen, um sich effektiv und kontinuierlich an die stetigen Veränderungen der Digitalisierung anzupassen. Kompetente Mitarbeitende tragen zur Steigerung des Innovationscharakters und der Wettbewerbsfähigkeit bei.

Perspektiven und Ausblick
Trotz der zunehmenden Bedeutung der digitalen Kompetenzen verfügt nur ein Teil der Unternehmen über ein eigenes Kompetenzmanagement-System oder plant die Anschaffung [1]. Kompetenzmanagement kann zur Herausforderung werden und die unternehmensspezifische Definition von Kompetenzen erschwert ein branchenübergreifendes Benchmarking. Ein strategisches Kompetenzmanagement auf Basis einer umfassenden, breit anwendbaren Kompetenztaxonomie, wie es am August-Wilhelm Scheer Institut ausgearbeitet wurde, stellt einen gewinnbringenden Lösungsanasatz dar. Ein automatisiertes System, das auf vordefinierten Kompetenzmodulen basiert, kann zudem die Erstellung und Auswertung von Kompetenzerfassungsinstrumenten erleichtern, Weiterbildungsbedarfe identifizieren und Benchmarking ermöglichen.
Integrative und technologiegestützte Ansätze bieten den Unternehmen zunehmend die Möglichkeit, den sich wandelnden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Dies beinhaltet unter anderem eine zunehmende Personalisierung und Flexibilisierung der Lern- und Entwicklungsprozesse durch KI-basierte Lernplattformen oder adaptive Lernpfade. Auch für die Kompetenzerfassung kann KI die Weiterentwicklung von einem fragebogenbasierten Ansatz der Selbstbeurteilung hin zu einem verhaltens- und problembasierten Ansatz unterstützen. Für Unternehmen besteht die Empfehlung darin, in solche Technologien zu investieren und eine Kultur des lebenslangen Lernens zu fördern. Entscheidend ist dabei, sowohl die strategischen Unternehmensziele als auch die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, um ein ganzheitliches und nachhaltiges Kompetenzmanagement im Unternehmen zu etablieren.