Wenn sich die Tür zur virtuellen Lernwelt öffnet
Was die Verknüpfung aus immersiven Lernformen und Performance Support für das digitale Lernen verspricht
Christian Wachter, CEO IMC AG
Kurz und bündig:
Ganz gleich ob privat oder im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung: Es wird immer weniger „auf Vorrat“ und zusehends situativ und kontextbezogen gelernt. Diese Tendenz verstärkt den Bedarf nach Performance Support Lösungen, die Mitarbeiter gezielt durch neue und komplexe Prozesse führen. Immersive Lernformate aus der erweiterten und virtuellen Realität bilden hier eine sinnvolle Ergänzung.
Wer schon einmal eine VR-Brille getragen hat, wird der Aussage zustimmen, dass der Blick durch das futuristisch anmutende Sehutensil buchstäblich in eine andere Welt führt. Die virtuelle Welt kann der Brillenträger nicht nur betrachten, sondern auf alle möglichen Arten auf sie einwirken, sie gestalten, verändern und darin knifflige Aufgaben lösen. Wie jede neue Technologie brauchen auch Virtual- und Augmented Reality Lösungen zunächst etwas Zeit, um am Markt Fuß zu fassen.
Laut Gartner Hype Cycle haben AR und VR den Hype-Gipfel bereits hinter sich gelassen und werden im Laufe der nächsten Jahre zur mainstreamtauglichen Technologie reifen und somit zum nachhaltigen Trend avancieren. Bereits 2016 ließ der Smartphone Schlager Pokémon Go erahnen, wie rasch Anwendungen aus der erweiterten Realität die Beliebtheitsskala hochklettern und somit im Alltag ankommen können. Das Beispiel von AR und VR bestätigt eine bekannte Innovationsfaustregel: Die Länge der Zyklen, in denen neue Technologien Marktreife erlangen, werden immer kürzer. Smartphones sind heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und erfüllen weitaus mehr Aufgaben als ihre nicht internetfähigen Vorgängermodelle, obwohl sie erst seit zehn Jahren für die breite Masse verfügbar sind. Das AR-Spiel Pokémon Go hat die Nutzermarke von 50 Millionen nach nur 19 Tagen geknackt – das Telefon hatte dafür seinerzeit noch 75 Jahre gebraucht. Genießt eine neue Technologie eine solche Beliebtheit, so wirft dies eine Reihe von Fragen auf: Welche weiteren sinnvollen Einsatzbereiche gibt es? An welche bestehenden Technologien kann sie andocken, um flexibler auf ein noch breiteres Spektrum von Bedarfen zu reagieren?
Immersive Technologien wie AR und VR ermöglichen das Ausprobieren und das Lösen von Problemen und Aufgaben in einem mit virtuellen Elementen angereicherten realen (AR) oder gänzlich virtuell nachgebildeten Raum (VR). Deshalb liegt es nahe, diese Technologien im Bereich der Kompetenzvermittlung und Prozessunterstützung (Performance Support) einzusetzen.
Performance Support und immersive Lernformate – ein vielversprechendes Duo für das digitale Lernen
Performance Support und immersive Lernformate verfügen über dieselbe aktuell äußerst gefragte Qualität: Beide bedienen die heutigen Anforderungen an Wissensvermittlung, die immer weniger auf explizites Lernen beziehungsweise den Aufbau von Vorratswissen, sondern auf eine Unterstützung und Informationsweitergabe während der Arbeit abzielen. Als Performance Support Tools werden Werkzeuge und Hilfestellungen in Form kurzer Leitfäden, Erklärvideos oder Infographiken bezeichnet, die Lernende genau dann unterstützen, wenn diese nicht mehr weiterwissen, sprich sobald ein konkreter Bedarf auftritt. Das Erkennen eines solchen Bedarfs erfolgt kontext-sensitiv und zunehmend automatisiert, d.h. ohne dass der Anwender explizit nach einer Unterstützung fragen muss. Durch den unmittelbaren Situationsbezug reagieren Formate zur Kompetenzvermittlung, die auf AR und VR basieren, auf denselben Bedarf und bieten daher einen idealen erweiterten Rahmen für bestehende Performance Support Angebote. Getrieben wird die steigende Nachfrage nach solchen unmittelbar relevanten und kontextbezogenen Support Lösungen in Unternehmen nicht zuletzt durch die Notwendigkeit, Onboarding-Prozesse noch schneller und effizienter durchzuführen und die Belegschaft für sich immer schneller ändernde Prozesse fit zu machen (Change Management). Eine langfristige Wissensvermittlung ist aufgrund der geringen Halbwertszeit von Fachwissen immer weniger gefragt. Warum etwas lernen oder die eigene Belegschaft für Themen schulen, die in einem Jahr überholt sein werden? Auch bei Prozessen, die nur selten durchlaufen werden, stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, diese vorab zu erlernen oder ob nicht vielmehr eine gezielte Führung durch den Prozess effizienter ist. An PC-Arbeitsplätzen ist dies durch das Einblenden von Hilfestellungen ohne weiteres leistbar.
Durch die Weiterentwicklung der AR- und VR-Technologie können solche Hilfestellungen inzwischen jedoch auch auf Baustellen und in Werkshallen der verarbeitenden Industrie auf dem Tablet, dem Smartphone, oder falls die Hände frei bleiben sollen, direkt über die VR-Brille eingeblendet werden. In seltenen aber umso wichtigeren Fällen besteht das Ziel von VR-Learning darin, Fachkräfte für Szenarien zu schulen, von denen es sehr wahrscheinlich ist, dass sie selten bis niemals auftreten werden, in denen aber jeder Handgriff sitzen muss – wie beispielsweise dem Gau in einem Atomkraftwerk. Da sich das richtige Verhalten in solchen Ausnahmesituationen bis vor kurzem nur im Rahmen von Trockenübungen trainieren ließ und schwerlich unter authentischen Bedingungen real nachgestellt werden konnte, schließt VR-Learning hier eine wichtige Lücke. Im virtuellen Raum können Bilder und Wechselwirkungen dargestellt werden, die einer realen Situation auf verblüffende Weise ähneln, deren Simulation in der realen Welt jedoch zu teuer, zu gefährlich oder schlicht unmöglich wäre. Doch wie kommt bei einem solchen Training der Performance Support ins Spiel? Dieser könnte beim Ernstfalltraining fürs Kraftwerk beispielsweise in Form eines virtuellen Kollegen daherkommen, der mit kurzen Anweisungen unterstützt oder die nötigen Handgriffe erledigt, wenn der möglicherweise von der Situation überforderte Lernende nicht auf Anhieb weiterweiß.
AR bringt Performance Support in die Werkshalle
Augmented Reality Learning, bei dem virtuelle Hilfestellungen das reale Bild lediglich überlagern, um es mit Informationen anzureichern, erobert zusehends Arbeitsplätze im industriellen Umfeld. Solche AR-Hilfen sind Desktop- Lösungen an Bildschirm-Arbeitsplätzen sehr ähnlich. Anhand eines Arbeitsszenarios auf der Baustelle wird dies besonders deutlich. So kann hier ein Facharbeiter über eine Smartphone-App über gut sichtbare QR-Codes an verschiedenen Stellen auf der Baustelle Hinweise zu möglichen Gefahrenquellen, Arbeitsanweisungen von Kollegen oder Rückfragen von Arbeitern anderer Gewerke einsehen. Das Ergebnis: Die Kommunikation auf der Baustelle geht flüssiger vonstatten und die Sicherheit wird durch die zusätzliche digitale Kennzeichnung deutlich erhöht. Darüber hinaus kann über die App vermerkt werden, welche Gefahrenquelle wie und wann beseitigt wurde – es erfolgt also zugleich eine verlässliche Dokumentation, die bei späteren Streitfällen von entscheidender Bedeutung sein kann.
Durch das immersive Lernen werden neue und spannende Tätigkeitsfelder entstehen
Aktuelle Einsatzszenarien von immersiven Lernformaten und Performance Support zeigen, welch großer Nutzen im Einsatz beider Formate und deren Symbiose steckt. In den nächsten Jahren werden diese Trendtechnologien weiter reifen und im Zuge dieses Prozesses auch digitale Bildungslandschaften immer nachhaltiger prägen. Dies schafft selbstverständlich neue Bedarfe im Bereich der Konzeption des entsprechenden „Performance Support“ ganz gleich, ob diese in Form eines unterstützenden Avatars wie beim Trainingsszenario im Kraftwerk oder kleiner Lern- und Erklärhäppchen wie beim Baustellenbeispiel daherkommen. In jedem Fall werden hier im Bereich des Content- und Instructional Designs völlig neue und spannende Experimentier- und Tätigkeitsfelder und somit auch Dienstleistungen mit einem viel stärkeren Situations- und Raumbezug entstehen als es bei anderen Lernformaten wie dem klassischen Web Based Training der Fall ist.