Legal Tech und die Zukunft der Rechtsdienstleistung
Über Innovation im Markt für Rechtsdienstleistungen und ihre regulatorische Förderung
Felix Walter, Bundesverband Deutsche Startups e.V.
Kurz und bündig:
Mit der zunehmenden Intelligenz von Informations- und Kommunikationstechnologie können immer mehr juristische Tätigkeiten automatisiert werden. Technologiegetriebene Innovation im Recht hat dadurch das Potential, Rechtsdienstleistungen effizienter zu machen und dem Recht eine unbekannte Effektivität zu verschaffen. Um diese Chancen optimal nutzen zu können, müssen die regulatorischen Voraussetzungen im Markt für Rechtsdienstleistungen in Deutschland dahingehend angepasst werden. Legal-Tech-Anwendungen müssen einfacher mittels externer Eigenfinanzierung entwickelt und anschließend rechtssicher vermarktet werden können.
Ausdifferenzierung und Internationalisierung von Recht und Wirtschaft haben Juristen bis zuletzt dazu veranlasst, die eigene Zukunft rosig zu sehen. Kaum erfasst die Digitalisierung spürbar auch Rechtsdienstleistungen, wird oft hitzig über „Legal Tech“ als Dolchstoß des Juristenberufs diskutiert. Was Legal Tech ist, worin seine Chancen und Anwendungen in Deutschland bestehen und welche legislativen Schritte nötig sind, um technische Innovation auch Juristen zugänglich zu machen, soll im Folgenden überblicksartig dargestellt werden.
Legal Tech als Trendwort und soziales Phänomen
Recht und Technologie weisen eine uralte Wechselbeziehung auf. Einerseits integrierte das Recht technologische Entwicklungen – z. B. in der Medientechnik [1] –, andererseits war Technologie stets Gegenstand von Recht (z. B. Recht der Kernenergie). In den Siebzigerjahren wurden beide Bereiche – inspiriert von zeitgenössischer Sozialtheorie (Kybernetik, Systemtheorie) – unter dem Schirm der Rechtsinformatik zusammengeführt und diskutiert [2]. Seit etwa vier Jahren wird nun unter dem Schlagwort „Legal Tech“ über technologiegetriebene, „disruptive“ Innovationen im Recht diskutiert [3, 4]. Soweit mit Legal Tech nur Integration von Technologie ins Recht gemeint ist, ist Legal Tech vor allem ein Trendwort, das zu Marketingzwecken verwendet wird. Jedoch impliziert Legal Tech die Nähe zu einer Subkultur, die in digitaler Technologie universale Problemlösungen erkennt und diese unternehmerisch entwickelt. In diesem Sinne soll Legal Tech im Folgenden vor allem als soziales Phänomen verstanden werden. Dieses zeichnet sich durch eine bestimmte juristische Praxis aus, die von der bestehenden Praxis insofern abweicht, dass digitale Technologien juristischen Tätigkeiten eine wesentliche Bedeutung zusprechen. Die daraus entstehenden Legal-Tech-Anwendungen, die üblicherweise als Legal Tech bezeichnet werden [5, 6], sind Produkte dieser Praxis, jedoch nicht die Praxis selbst.
Chancen von Legal Tech
Die Chancen von Legal Tech unterscheiden sich zunächst nicht wesentlich von anderen Bereichen des Dienstleistungssektors. Legal-Tech-Anwendungen werden den Prozess der Rechtsberatung und -durchsetzung effizienter machen und dadurch Transaktionskosten senken. Anbieter von Rechtsdienstleistungen werden weniger Zeit für bestimmte Tätigkeiten benötigen und dadurch mehr Zeit für andere, stärker wertschöpfende Tätigkeiten gewinnen. Auf aktuellen Tätigkeiten basierende Vergütungsmechanismen müssen an die neue Welt angepasst werden. Insgesamt werden Rechtsdienstleistungen damit günstiger und für größere Teile der Bevölkerung erschwinglich werden.
Gleichwohl weisen Rechtsdienstleistungen einige Spezifika auf, die sich auf ihre Digitalisierung rückwirken. Erstens ist Recht ein Produkt staatlicher Tätigkeit und Autorität (ein positivistisches Rechtsverständnis vorausgesetzt). Wer Rechtsdienstleistungen erbringt, tut das also immer irgendwie bezogen auf staatliche Instanzen – ob Gerichte, Behörden oder den abstrakten Gesetzgeber. Zweitens sind Rechtsdienstleistungen in besonderem Maße immateriell. Während andere Dienstleistungen noch in irgendeiner Form materiell erbracht werden (z. B. Handwerk, Gesundheitsleistungen), lebt das Recht schon immer von Informationen, die über das Medium der Sprache gespeichert und kommuniziert werden. Eine Rechtsdienstleistung besteht darin, Informationen durch Kommunikation zu erfassen, in eine Rechtssprache zu übersetzen, mit andernorts gespeicherten Informationen zu vergleichen und wiederum an Beteiligte zu kommunizieren. Es handelt sich dabei um semantisch sehr abstrakte Informationen, die in komplexen Bezugssystemen aufeinander verweisen und voneinander abhängen, aber zugleich in hohem Maße unstrukturiert sind. Obgleich es zwar den Versuch einer Standardisierung gibt (nicht zuletzt über eine rigide Ausbildungspraxis), ist diese im Verhältnis zu anderen Anwendungsbereichen noch relativ klein, weil die wesentlichen Informationen in der Semantik der oben genannten komplexen Bezugssysteme stecken. Nicht zuletzt sind diese Informationen meistens stark situationsgebunden und angereichert mit allerlei rechtlich irrelevanten, aber zwischenmenschlich nachvollziehbaren Informationen.
Das alles führt dazu, dass sich rechtliche Informationen nur schwer in formale Sprachen überführen lassen, obgleich es durchaus annäherungsweise möglich ist [7-10]. Die Person des Rechtsberaters war daher bis dato stets der Dreh- und Angelpunkt der Rechtsdienstleistung. Mit fortschreitenden technischen Möglichkeiten beginnt sich dieser Fokus zu verändern. Die Dienstleistung wird nicht mehr durch die Person erbracht, sondern durch eine Informations- und Kommunikationstechnologie, die Informationen vom Kunden erfasst, intern verarbeitet und dadurch Ergebnisse produziert, die wiederum kommuniziert werden. Der Kunde kann bei B2B-Anwendungen der Anwalt oder – bei B2C-Anwendungen – der Rechtssuchende sein. Eine nützliche Unterscheidung besteht hierbei in Office-Tech-Anwendungen, die alle Bürotätigkeiten und damit auch diejenigen von Rechtsdienstleistern verändern (z. B. Spracherkennung), und Legal-Tech Anwendungen im engeren Sinn, die „unmittelbar die juristische Leistungserbringung berühren“ [6]. Darunter fallen etwa automatisierte Dokumenten- oder Schriftsatzerstellung oder Ablaufautomatisierung [6]. Durch derartige Anwendungen ergeben sich in Abhängigkeit zum konkreten Geschäftsmodell verschiedene Potentiale: Erstens ermöglicht Legal Tech Rechtsberatung dort, wo diese bisher aufgrund eines Missverhältnisses von Arbeitskosten zu Ertrag zu teuer war, etwa bei Fluggastrechten. Zweitens ermöglicht es Legal Tech, Rechtsdienstleistungen zu skalieren, ohne linear neues Personal einstellen zu müssen, d. h. exponentielles Wachstum auch von Rechtsdienstleistern. Drittens kann Legal Tech dem einzelnen Rechtsberater mehr Zeit für die konkrete Arbeit am Kunden geben, etwa bei Vertragsverhandlungen.
Der Legal-Tech-Standort Deutschland
Bei aller berechtigten Kritik zeichnet sich Deutschland traditionell durch ein recht gut funktionierendes Rechtssystem aus. Ein verhältnismäßig hoher Organisationsgrad, verhältnismäßig schnelle Verfahren sowie eine verhältnismäßig professionell arbeitende Anwaltschaft täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Rechts nicht positiv auffällt. Wer den Legal- Tech- Standort Deutschland als Justizstandort versteht, erlangt einen besonders schlechten Eindruck. Dieser Schein trügt jedoch. In den letzten Jahren hat sich eine lebendige Subkultur entwickelt, die Legal-Tech-Anwendungen namentlich unternehmerisch entwickelt. In Anlehnung an die Taxonomie von Hartung [6] lassen sich vier Kernbereiche von Legal Tech in Deutschland unterscheiden: 1. Automatisierte Rechtsberatungsprodukte überführen ähnlich gelagerte Fälle in standardisierte Formulare und versuchen so viele juristische Tatbestandsmerkmale wie möglich durch die Software abzudecken, sodass Fälle schnell und effizient gelöst werden können, z. B. bei Fluggastrechten oder bei gleichgelagerten Ordnungswidrigkeiten. 2. Marktplätze und Expertenportale fungieren als Vermittler zwischen Mandant und Anwalt und versuchen, den optimalen „Match“ zu bewirken. 3. Legal Process Outsourcing bezeichnet Software für Rechtsanwender, die bestimmte Prozesse aus den traditionellen Zusammenhängen herauslöst und durch dazwischen geschaltete Informations- und Kommunikationstechnologie für den Rechtsanwender optimiert. 4. Software zur Dokumentenanalyse verarbeitet juristische Dokumente und strukturiert diese für den Rechtsanwender vor, damit dieser schneller findet, was er sucht.
Regulatorische Herausforderungen
Die Wechselwirkungen zwischen Technologie und Recht sind vielgestaltet und Gegenstand einer immer größer werdenden Zahl von Publikationen. Hierbei werden auch viele kritische Punkte der Digitalisierung des Rechts diskutiert, etwa Schutz vor Diskriminierung, Transparenzgebote und Ähnliches. Im Folgenden sollen dagegen die kurz- bis mittelfristigen regulatorischen Herausforderungen im Hinblick auf eine Nicht-Behinderung bzw. Förderung von Innovation im Rechtsmarkt angedeutet werden. Die Regulierung des Marktes für Rechtsdienstleistungen ist in Deutschland von Verboten geprägt. Rechtsdienstleistungen zu erbringen, setzt entweder eine Anwaltslizenz oder eine behördliche Erlaubnis voraus. Gleichzeitig ist die Frage, was eine Rechtsdienstleistung ist (geregelt im Rechtsdienstleistungsgesetz), vor dem Hintergrund der grundrechtlich verbrieften Berufsfreiheit zu sehen, was die Zusammenhänge nicht leichter macht. Grundlegend lassen sich kurzund mittelfristig drei Kernprobleme für Legal- Tech-Unternehmungen identifizieren [11]: Erstens steht das grundsätzliche Verbot von Erfolgshonoraren des anwaltlichen Berufsrechts dem – laut eigener Aussagen zwingend erforderlichen – erfolgsbasierten Vergütungsmodell vieler Legal-Tech-Unternehmen entgegen. Zweitens verhindert das sog. Fremdbesitzverbot sowohl, dass ein Anwalt mit einem nicht-anwaltlichen Techniker auf Augenhöhe eine Gesellschaft gründen kann, als auch, dass die Gesellschaft fremdes Kapital in Form einer externen Eigenfinanzierung (d. h. Investition durch Dritte in das Eigenkapital des Unternehmens) aufnehmen kann, womit die absolut herrschende Finanzierungsform im Venture-Capital-Bereich in Deutschland ausgeschlossen ist. Drittens unterliegen Anwaltskanzleien strengen Regeln der Bewerbung ihrer Leistungen, die viele Anbieter von Legal-Tech-Leistungen für nicht mehr zeitgemäß halten.
Diese regulatorischen Bedingungen beeinflussen derzeit vor allem die oben genannten automatisierten Rechtsberatungsprodukte, werden mit zunehmender Intelligenz etwa anwaltlicher Assistenzsysteme langfristig aber auch für andere Bereiche relevant. Derzeit führen sie dazu, dass Legal-Tech-Unternehmen ihre Leistungen in nicht-anwaltlichen Rechtsformen anbieten und dadurch Folgeprobleme wie Verfahren über die rechtliche Zulässigkeit ihrer Dienstleistungen haben [12-14]. Legal-Tech-Unternehmen agieren damit in der Rechtsunsicherheit; der deutsche Rechtsmarkt wird für spezialisierte Finanzinvestoren unattraktiv. Die legislative Herausforderung besteht in der Entwicklung eines „dritten Wegs“. Denn: Wird die Tätigkeit in ihrer jetzigen Rechtsform schlicht zugelassen, entwickeln sich langfristig zwei unterschiedlich regulierte Märkte für Rechtsdienstleistungen, was sich sachlich kaum rechtfertigen lässt; wird sie schlicht verboten, wandern entsprechende Unternehmen ab und hinterlassen eine Rechtslandschaft, in der die positiven Effekte der Digitalisierung des Rechts nicht wirksam werden können. Damit ginge dem Rechtsstandort Deutschland das kostbare Potential verloren, Rechtsberatung und -durchsetzung für alle Beteiligten schneller, kostengünstiger, effektiver und damit dem Gemeinwohl dienlicher zu gestalten.