Wenn Maschinen denken lernen:
Wie Daten die DNA der Industrie neu schreiben
Sebastian Kreibich, Scheer School of Digital Sciences at Saarland University gGmbH

(Titelbild: © Adobe Stock | 1100985909 | Pingun )
Kurz und Bündig
Daten sind heute der zentrale Treiber industrieller Innovation. Intelligente Fabriken vernetzen Maschinen, Sensoren und Prozesse, um Entscheidungen datenbasiert zu treffen. Neue Plattformen und IoT-Lösungen sorgen für mehr Effizienz und schaffen neue Geschäftsmodelle. Post-industrielle Regionen profitieren von gezielter Förderung, Weiterbildung und digitaler Infrastruktur. Im Fokus stehen dabei nachhaltige, menschenzentrierte Produktionsprozesse.
Zwischen den Hallen alter Industrieareale und neuen digitalen Netzwerken beginnt eine stille Umwälzung: Daten ersetzen Kohle und Dampf, Maschinen lernen zu denken und vernetzen sich zu unsichtbaren Produktionsnetzwerken. Wo früher Stahl den Takt vorgab, setzen heute Algorithmen neue Maßstäbe. Welche Chancen entstehen, wenn nicht nur Maschinen, sondern ganze Regionen ihren Herzschlag auf Daten einstellen – und wie können Menschen, Prozesse und Technik dabei im Einklang bleiben?
Die Dampfmaschine des 18. Jahrhunderts war mehr als nur eine technische Innovation – sie veränderte die gesellschaftliche DNA einer ganzen Epoche. Heute erleben wir eine vergleichbare Transformation: Daten werden zum neuen Dampf der Industrie, mit einem entscheidenden Unterschied: Während die Dampfmaschine physische Arbeit mechanisierte, revolutionieren Datenpipelines die Art, wie wir denken, entscheiden und innovieren. Diese Entwicklung stellt nicht nur die industrielle Produktion auf den Kopf, sondern verändert die gesamte Geografie des Wirtschaftens – und eröffnet dabei gerade post-industriellen Regionen wie dem Saarland ungeahnte Chancen. Um diese Entwicklung besser einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf die historischen Parallelen und Unterschiede zwischen der ersten industriellen Revolution und dem digitalen Wandel unserer Zeit.
Von der Mechanisierung zur Intellektualisierung: Historische Parallelen und radikale Unterschiede
Die erste industrielle Revolution basierte auf drei Kernprozessen: der Mechanisierung von Handarbeit, der mechanischen Energieerzeugung und der massenhaften Verwendung von Kohle und Eisen. Die heutige Datentransformation folgt einem ähnlichen Muster, operiert jedoch auf einer völlig anderen Ebene: An die Stelle der Mechanisierung tritt die Intellektualisierung von Entscheidungsprozessen, an die Stelle der Dampfmaschine die Datenpipeline, und an die Stelle von Kohle und Eisen treten Algorithmen und Rechenkapazität. Der entscheidende Unterschied liegt in der Geschwindigkeit und Reichweite der Transformation. Während die Dampfmaschine Jahrzehnte brauchte, um sich durchzusetzen, verändert die Digitalisierung industrielle Prozesse innerhalb weniger Jahre fundamental. Durch die Integration von digitalen Technologien in alle Bereiche der Industrie entstehen intelligente Fabriken, die Daten in Echtzeit sammeln, monitoren und analysieren können.
Diese Entwicklung führt zu einer grundlegenden Neuordnung industrieller Wertschöpfung: Daten werden vom Nebenprodukt zum strategischen Kapital, Data Literacy – also die Fähigkeit, Daten zu verstehen, auszuwerten und sinnvoll zu nutzen – wird zur Kernkompetenz, und die Kontrolle über Datenflüsse entscheidet über Marktmacht. Unternehmen, die ihre Entscheidungen heute ausschließlich auf Schätzungen und Intuition stützen, sind datengetriebenen Organisationen klar unterlegen. Doch die Digitalisierung geht weit über die Automatisierung einzelner Produktionsschritte hinaus.
Die Plattformrevolution: Von Produktherstellenden zu Ökosystem-Gestaltenden
Der Transformationsprozess zeigt, erfolgreiche Industrieunternehmen wandeln sich zunehmend von reinen Produktherstellenden zu Plattform-Gestaltenden. Das gilt auch für post-industrielle Regionen wie das Saarland. Hierbei kommt dem Internet der Dinge (IoT – internet of things) eine zentrale Rolle zu. Die Vernetzung physischer Geräte wie Industriesensoren mit dem Internet eröffnet neue Chancen der Prozessautomatisierung, Effizienzsteigerung und komplett neuer Geschäftsmodelle.
Siemens MindSphere exemplifiziert diesen Wandel: Die cloudbasierte IoT-Plattform ermöglicht es, praktisch jedes IoT-fähige Asset jedes Herstellenden anzubinden – von Sensoren bis hin zu ganzen Maschinen. Das ermöglicht diesen smarten Geräten, essenzielle Daten wie Energieverbrauch oder Betriebszustand direkt am Ort der Entstehung zu sammeln. Diese Edge-Daten vom Rand des Netzwerks können in die Cloud übertragen und dort umfassend analysiert und verarbeitet werden. Dadurch lassen sich Prozesse von überall in Echtzeit überwachen, steuern und verbessern. Mit offenen Standards und robusten APIs können Entwickler Anwendungen erstellen, die eine Vielzahl von Geschäftsanforderungen erfüllen.
Bosch verfolgt mit der IoT Suite eine ähnliche Strategie und hat bereits mehr als 250 IoT-Projekte mit Kund:innen aus unterschiedlichsten Branchen realisiert – von Automobilherstellenden über Energieunternehmen bis hin zu Landwirtschaftsbetrieben. Diese Projekte zeigen, wie Plattformen neue Formen der Zusammenarbeit ermöglichen und traditionelle Branchengrenzen auflösen.
Schaeffler demonstriert, wie digitale Transformation alle Divisionen, Funktionen und Regionen umfassen muss. Das Unternehmen fokussiert dabei sowohl auf die Optimierung der Wertschöpfungskette als auch auf die Erschließung zusätzlicher Umsatzpotenziale durch digitale Lösungen und neue Geschäftsmodelle.
Diese Beispiele zeigen aber auch, dass die digitale Entwicklung nicht nur Unternehmen verändert, sondern auch ganze Regionen.
Postindustrielle Räume als Gewinnende der Datentransformation
Die Flux Balance Analyse beruht auf einer simplen, aber effektiven Annahme: Die Konzentrationen aller intrazellulären Metabolite bleiben über die Zeit konstant. Es herrscht ein sogenanntes Fließgleichgewicht – jede produzierte Verbindung wird zeitgleich wieder verbraucht. Dadurch entstehen weder Akkumulationen noch Engpässe. Abhängig von der verfügbaren Substratmenge verarbeitet die Zelle ihre Ressourcen entsprechend. Diese stationäre Annahme erlaubt die Anwendung linearer Optimierungsmethoden, um jene Kombination metabolischer Flüsse zu identifizieren, die ein definiertes Ziel – beispielsweise die maximale Synthese eines gewünschten Die ehemaligen von Kohle und Stahl geprägten Regionen wie das Ruhrgebiet oder das Saarland haben in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger erfolgreich versucht, den Strukturwandel zu schaffen. Die Digitalisierung eröffnet diesen post-industriellen Regionen neue Möglichkeiten. Das Saarland positioniert sich dabei als Vorreiterregion: Der European Digital Innovation Hub Saarland unterstützt kleine und mittlere Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Start-ups bei der digitalen Transformation mit kostenlosen Services zu Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und IT-Sicherheit.
Die neu gegründete und aus dem Saarländischen Transformationsfonds finanzierte Scheer School of Digital Sciences bietet gezielte Weiterbildungsprogramme wie „Foundations in AI“ oder „Foundations in Data“. Ziel ist es Young Professionals, Fachkräfte im mittleren Management und Führungskräfte zu befähigen, die Potenziale von Daten im Unternehmen zu erkennen und für die digitale Transformation zu nutzen.
Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Saarbrücken bündelt Kompetenzen aus der Produktions- und Informationstechnik und stellt diese für die betriebliche Praxis bereit. Während sich Großbetriebe bereits in gute Positionen hinsichtlich der Digitalisierung gebracht haben, drohen KMU sowie produktionsnahe Handwerksbetriebe abgehängt zu werden. Das Kompetenzzentrum schließt diese Lücke durch gezielten Wissenstransfer und praktische Unterstützung.
Dezentralität und Transparenz: Die neue Architektur industrieller Intelligenz
Die digitale Transformation erfordert eine grundlegende Neuordnung von Entscheidungsstrukturen. Dezentrale Intelligenz und Entscheidungsfreiheit reduzieren den Planungsaufwand und ermöglichen schnellere Reaktionen auf Marktveränderungen. Dabei werden Daten dezentral erfasst, genau dort, wo sie entstehen. Die Verarbeitung hingegen kann sowohl zentral als auch dezentral erfolgen.
Wichtig ist die ständige Synchronisation mit einem zentralen System, um Transparenz zu gewährleisten und die Planung und Steuerung des Fertigungsablaufs zu optimieren. Diese Vorgehensweise zeigt, dass Industrie 4.0 keine Revolution im eigentlichen Sinne ist, sondern vielmehr eine Evolution, die auf vorhandenen Technologien und Prozessen aufsetzt. In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass wir im Übergang zu Industrie 5.0 sind. Im Zuge dieser Evolution rückt ein weiterer Aspekt zunehmend ins Zentrum: die Rolle des Menschen in der datengestützten Industrie.
Industrie 5.0: Der Mensch im Zentrum der Datentransformation
Industrie 5.0 markiert einen Paradigmenwechsel von der reinen Effizienz- und Produktivitätssteigerung hin zu einer nachhaltigen, menschenzentrierten und resilienten Fertigung. Diese Vision geht über die klassischen Ziele von Industrie 4.0 hinaus und stellt das Wohlergehen der Arbeitnehmenden in den Mittelpunkt des Produktionsprozesses.
Der Ansatz nutzt neue Technologien, um Wohlstand jenseits von Arbeitsplätzen und Wachstum zu schaffen, während er die Produktionsgrenzen des Planeten respektiert. Dies bedeutet eine Abkehr von der Konzentration auf den wirtschaftlichen Wert hin zu einem umfassenderen Konzept des gesellschaftlichen Werts und des Wohlbefindens.
In der Industrie 5.0 arbeiten Menschen mit fortschrittlicher Technologie und KI-gesteuerten Robotern zusammen, um Arbeitsabläufe zu verbessern. Dabei übernehmen Roboter repetitive und arbeitsintensive Aufgaben, während Menschen sich auf Individualisierung, Kreativität und kritisches Denken konzentrieren. Diese Koexistenz schafft eine Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Kreativität. Die Vision einer menschenzentrierten, nachhaltigen Industrie mag ambitioniert erscheinen – doch sie wird vielerorts bereits Realität.
Vision und Realitätsschärfe: Die Zukunft der datengetriebenen Industrie
Die Transformation der Industrie durch Daten ist kein fernes Zukunftsszenario, sondern bereits in vollem Gange. Regionen wie das Saarland, die frühzeitig in Datenkompetenz und digitale Infrastruktur investieren, können traditionelle Standortnachteile in Wettbewerbsvorteile verwandeln. Gezielte Weiterbildungsprogramme werden dabei zur „kritischen Infrastruktur“ – sie schaffen die menschlichen Kapazitäten, die für die erfolgreiche Nutzung technologischer Möglichkeiten erforderlich sind.
Die Herausforderung liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in der Fähigkeit, organisatorische und kulturelle Veränderungen zu gestalten. Unternehmen und Regionen, die Datenkompetenz als strategisches Asset begreifen und systematisch aufbauen, werden die Gewinnenden der industriellen Transformation sein. Dabei geht es nicht um die Ersetzung des Menschen durch die Maschine, sondern um die Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch intelligente Datennutzung.
So wie die Dampfmaschine einst die Grundlage für eine völlig neue Epoche schuf, bilden Daten heute das Fundament einer Transformation, die Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeit nachhaltig prägt. Der entscheidende Unterschied: Diese Verstärkung ist nicht an physische Standorte gebunden. Ländliche Regionen mit der richtigen Strategie und den entsprechenden Kompetenzen können zu den Zentren der neuen industriellen Revolution werden – vorausgesetzt, sie verstehen Daten, als das, was sie wirklich sind: die DNA der Zukunft.