Die spannenden Entwicklungen des „Internet der Dinge“ sind derzeit in aller Munde. Wirklich etablieren werden sich Innovationen aus diesem Bereich allerdings erst, wenn Unternehmen übergreifende Mehrwerte erhalten und bereits bestehende Technologien und Architekturen wie SOA, BPM und BI nutzen können, um schnell neue Märkte und Möglichkeiten zu erschließen, ohne dabei getätigte Investitionen zu gefährden.
Internet der Dinge – Ein Begriff unter der Lupe
Nimmt man die Bezeichnung „Internet of Things“, kurz „IoT“, einmal auseinander, so erhält man zwei Kernbestandteile: Das Internet und die Dinge. Eigentlich müsste es hier statt Internet Netz heißen, da die Kommunikation nicht ausschließlich über das Internet erfolgt. Auch erfolgt nicht nur eine Kommunikation zwischen den Geräten, sondern auch von Geräten zu Menschen. Aus dem Grund finden Sie auch Bezeichnungen wie „Internet of Everything“ oder „Net of Everything“. Aber die übergreifende Bedeutung bleibt die gleiche: Geräte tauschen Daten aus und nutzen bereitgestellte Informationen.
- Was bedeutet Kommunikation über das Internet?
Das globale Netz entwickelt sich immer weiter – vom „Internet of People“ zum „Internet of Things“. Waren in der Anfangszeit nur einige Computer direkt verbunden, so ist es heute völlig normal, über das Internet Informationen zu suchen, die von Rechnern bereitgestellt werden, die man selbst nicht kennt. Man teilt Erlebnisse, kauft ein oder bucht die nächste Reise. Und das nicht mehr nur vom Desktop aus, sondern von jedem Ort, an dem man sich gerade aufhält. Dadurch hat sich das Verhalten in einigen Lebensbereichen schon deutlich verändert. Statt in einem Telefonat umständlich zu erklären, wo ich mich gerade befinde, kann ich meinem Gesprächspartner nun via Smartphone den genauen Standort senden. Fotos, die ich im Urlaub mache, werden sofort in meinem Blog veröffentlicht. Aber nicht nur Menschen nutzen das Internet, auch Geräte drängen zunehmend ins Netz, um die dort befindlichen Daten zu nutzen. So beziehen manche Auto-Navigationsgeräte aktuelle Verkehrsinformationen über das Internet und verwenden diese bei der Routenauswahl. - Was ist eigentlich ein Ding?
Aus Sicht des „Internet of Things“ sollte ein „Ding“ verschiedene Funktionen haben:- Wahrnehmen von Informationen in einer definierten Umgebung (Sensor)
- Analyse der aufgenommenen Informationen (Logik)
- Senden und Empfangen von Informationen oder Rückschlüsse über das Netz (Kommunikation)
- Einfluss nehmen auf seine Umgebung (Steuerung)
Nicht alle diese Funktionen müssen in einem Gerät vereint sein, aber neben der Kommunikationsmöglichkeit sollte noch mindestens eine weitere Funktion zutreffen. Erst dann entstehen sogenannte Smart Devices. Durch die preiswerte Herstellung und Massenproduktion solcher Geräte ist es möglich, über ihre Nutzung in unterschiedlichen Bereichen nachzudenken und das Internet der Dinge zum Leben zu erwecken. Abbildung 1 zeigt dazu ein Schema.
Je nach Abstraktionslevel können auch mehrere dieser Geräte zu einem „größeren Ding“ zusammengefasst werden. „Connected Cars“ sind hier ein gutes Beispiel. In einem Auto stecken unzählige Sensoren, Steuereinheiten und Displays. Jedes Gerät für sich bringt noch keinen großen Mehrwert für den Fahrer, nur eine Menge an Informationen. Im Zusammenspiel der einzelnen Geräte ergeben sich aber neue Möglichkeiten, die dem Fahrer helfen, ohne ihn vom Verkehr abzulenken.
Wie sieht die Realität aus?
Laut Cisco IBSG [1] gibt es seit Mitte 2008 mehr mit dem Netz verbundene Geräte als Menschen auf der Welt. Und die Zahl der Geräte wächst weiter. Im Jahre 2015 wird jeder Mensch über drei Connected Devices verfügen, vom Laptop und Tablet über das Smartphone und die Kamera bis zum Fernseher oder die Heizungssteuerung. Die Gerätevielfalt wächst. Betrachten wir zum Beispiel den Fitnessbereich: Heute gibt es bereits Uhren, Waagen, Schrittmesser, Schlafüberwacher und jede Menge Apps auf Smartphones oder Tablets, die Daten in der Cloud speichern und über das Internet austauschen. Und die Vernetzung der Geräte steigt. Die App zum Erfassen der Ernährungsgewohnheiten erhält vom Schrittmesser Informationen über die verbrauchten Kalorien und von der Waage das aktuelle Gewicht.
Aber selbst in der Vergangenheit waren mit dem Internet verbundene Haushaltsgeräte nicht nur ein Traum, sondern wurden auch gebaut. So präsentierte LG im Jahr 2000 einen Kühlschrank [2], der bei Bedarf einen automatischen Bestellvorgang für nicht mehr vorhandene Lebensmittel auslösen konnte. Die Idee setzte sich nicht durch. Für die Erfolglosigkeit des Kühlschranks gab es damals mehrere Gründe. Zum einen war er sehr teuer. Aber auch die Kosten für die Lieferung der ausgegangenen Lebensmittel waren deutlich höher als beim direkten Einkauf im Supermarkt. Der Einsatz des Geräts hat sich für den Endkunden also nicht gerechnet.
Was man an diesem Beispiel gut erkennt, ist, dass es nicht genügt, ein neues „cooles“ Gerät auf dem Markt zu platzieren, wenn das Ökosystem nicht darauf eingestellt ist. Durch das Internet der Dinge wird sich die Geschäftswelt ändern. Umdenken ist angesagt. Was ist das eigentliche Bedürfnis des Kunden? Benötigt der Kunde einen Kühlschrank in seiner Küche oder in seinem Haus? Eigentlich benötigt er doch nur die notwendigen Zutaten für seine Mahlzeit zum richtigen Zeitpunkt und in guter Qualität. Der Kühlschrank ist hier nur ein passender Aufbewahrungsort. Der Mehrwert für den Kunden ergibt sich erst in der Kombination verschiedener Ereignisse.
Eine Szene könnte wie folgt aussehen: Ich bekomme in der Mittagspause einen Anruf, dass mein bester Freund aus London heute in der Stadt ist und abends mit mir kochen möchte. Im Internet wähle ich schnell ein Rezept aus und speichere es in einem gemeinsamen Kalendereintrag. Der Kühlschrank gleicht nun diese Zutaten mit dem aktuellen Bestand ab. Auf dem Heimweg erinnert mich mein Smartphone, dass noch einige Zutaten zu meinem Rezept fehlen und der Supermarkt zwei Straßen weiter diese gerade im Angebot hat. Fiktion? Eher nein. In einigen Hotels sind Kühlschränke schon Standard, die die Entnahme von Getränken registrieren und direkt auf der Hotelrechnung vermerken.
Bewährtes nutzen
Moderne Unternehmen kennen serviceorientierte Architekturen (SOA), Business Process-Management-Systeme (BPM) und Business-Intelligence-Systeme (BI) und nutzen diese, um ihre Geschäftsprozesse effektiver auszuführen oder Entscheidungen gezielter und nachvollziehbarer zu treffen. Durch das Internet der Dinge stehen nun nicht mehr nur Prozess- und Bestandsinformationen zur Verfügung. Zusätzlich kann auf Informationen zugegriffen werden, die durch Geräte bereitgestellt werden, die im Prozess involviert sind und so die Bearbeitung beschleunigen. Eine Übersicht zeigt Abbildung 2.
Zurück zu dem Beispiel mit dem Kühlschrank, nun allerdings in einem Krankenhaus. Jedes Mal, wenn dem Kühlgerät ein Medikament entnommen wird, erfolgt ein Eintrag im Bestandssystem des Krankenhauses. Zusätzlich wird der jeweilige Hersteller über den Verbrauch informiert. Treten nun gehäufte Entnahmen eines Medikaments in einer Region auf, kann der Pharmakonzern seine Logistik anpassen und vorsorglich weitere Medikamente an das Krankenhaus liefern. Hier helfen Methoden aus dem Business-Intelligence-Umfeld wie Predictive Analysis. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass sich die Geschäftsprozesse des Krankenhauses und des Pharmaunternehmens an die neuen Möglichkeiten anpassen müssen. Auf der einen Seite kann das Krankenhaus keine Medikamente abnehmen und bezahlen, die nicht benötigt werden. Auf der anderen Seite hat das Pharmaunternehmen im ersten Schritt auch keinen Auftrag, weitere notwendige Medikamente zu liefern. Die Beziehung zwischen Krankenhaus und Pharmaunternehmen ändert sich: Aus der bislang üblichen Verpflichtung zwischen Auftraggeber und Lieferant entwickelt sich eine SLA getriebene Servicevereinbarung.
Wie bereits erwähnt wird die Anzahl der mit dem Internet verbundenen Geräte deutlich ansteigen und somit auch das Datenaufkommen erheblich steigen. Dabei sollten keine der aufkommenden Informationen verlorengehen, aber der verantwortliche Prozess auch nicht mit unnötigen Massendaten überschwemmt werden.
Je früher man die Daten analysieren kann, also je mehr Logik auf die Geräte verlagert wird, desto besser ist es für den betroffenen Prozess. Idealerweise erzeugen die Daten bei Anomalien oder nach bestimmten Regeln Events, die dann von automatisierten Prozessen aufgegriffen werden können. BPM-Systeme benötigen hierfür eine Listener-Technologie oder setzen auf Complex-Event-Processing-Systeme. Diese lauschen auf den Datenstrom und identifizieren die Auslöser von Events. Ebenso können in solchen Systemen Streams gesplittet werden, um unterschiedliche Empfänger zu beliefern.
Die Verarbeitung und das Speichern der unzähligen Daten will wohl überlegt sein. Gerade in Zeiten der NSA Debatte und der Sensibilisierung der Bevölkerung ist das Thema Sicherheit von großer Bedeutung. Hierbei geht es um Fragen wie:
- Wem gehören die Daten, die auf den Geräten anfallen?
- Ist eine Anonymisierung möglich?
- Wie kann der Endkunde Einfluss auf die Verwendung seiner Daten nehmen?
- Wie werden die Daten auf den Dingen selbst oder auf ihrer Reise durch das Netz geschützt?
Ein IoT-Projekt sollte also immer auch ein Teilprojekt zur Datensicherheit beinhalten.
Dass es durchaus sinnvoll sein kann, auch Daten zu speichern, die für den ursprünglichen Anwendungsfall nicht notwendig sind, soll folgendes wahres Beispiel aufzeigen: Ein Kollege von mir hat in seinem Haus die Heizungsanlage und die Heizkörper mit Sensoren versehen sowie an verschiedenen Stellen weitere Sensoren angebracht. Als plötzlich der Gasverbrauch stieg, brachte er verschiedene gespeicherte Daten in Korrelation und konnte relativ genau ermitteln, dass in einem Zimmer ein Rückschlagventil kaputt war. Ein smartes System, das für die Regelung der Zimmertemperaturen gedacht war, konnte also einen signifikanten Beitrag bei einer Problemidentifizierung leisten.
Fragen der Standardisierung
Derzeit gibt es diverse Initiativen, die die Kommunikation der Geräte standardisieren wollen. So haben sich zum Beispiel die Unternehmen ABB, Bosch, Cisco und LG zusammengetan, um einen Standard für Home Automation Software zu schaffen. Aber warum tun sie das?
Ähnlich wie größere Unternehmen wollen sich auch Endkunden nicht an nur einen Hersteller binden. Ist bei dem einen Hersteller der Kühlschrank von hoher Qualität, so kann es bei dem anderen Hersteller der Fernseher oder das Mobiltelefon sein. Standards zum Austausch der Informationen auf Geräteebene und Plattformen für darauf basierende Anwendungen helfen den Firmen also bei der Vergrößerung des Zielmarkts. Als Serviceanbieter oder Realisierer einer Lösung für das Internet der Dinge innerhalb eines Unternehmens muss ich nicht jedes Device genau kennen, kann es aber trotzdem in mein Serviceangebot integrieren. Und die Hersteller dieser Geräte können so einen größeren Markt adressieren, da die Einbindung ihrer Geräte einfacher und standardisiert ist.
Bei der Einführung des Videorekorders gab es mehrere Standards, die untereinander nicht kompatibel waren und die Verkaufserfolge gebremst haben. Dieser Fehler wurde mit der Einführung der DVD nicht wiederholt und der gemeinsame DVD-Standard verhalf damit der Filmindustrie zu einer deutlich schnelleren Verbreitung des neuen Mediums und den Herstellern der DVD-Player zu einem größeren Absatz. Im Gegensatz zu Videorekorder und DVD gibt es heute nicht nur einen Treiber, für den der Standard wichtig ist. Trotzdem haben die Hersteller aus der Vergangenheit gelernt und suchen frühzeitig nach Kooperationspartnern für die Definition eines gemeinsamen Standards.
Was bieten die Hersteller?
Große Hersteller wie Apple, Google oder Microsoft nutzen IoT primär, um ihr Betriebssystem auf sogenannten „wearables“ (also „anziehbaren Gegenständen“) zu installieren und somit ihre Ausbreitung zu vergrößern.
Andere Hersteller sehen das Internet der Dinge als eine Domäne, die in bestehende Geschäftsprozesse integriert werden kann und soll. So bietet Oracle zum Beispiel die Complex Event Processing Engine auch als Embedded-Variante an [3], die auf kleinsten Geräten läuft. Anfallende Daten werden in Streams zusammengefasst und können somit gleich vor Ort überwacht werden. Treten Abweichungen von der Norm auf, werden neue Events generiert und über einen separaten Stream versendet. Diese Events können dann als Auslöser oder zur Steuerung von Geschäftsprozessen genutzt werden. Die Streams der Daten laufen zentral in Big-Data-Lösungen und können somit Reporting und aktuellste Informationen bereichern.
Fazit
Das Internet der Dinge bringt keine neuen Technologien mit sich, sondern ist die logische Evolution der Kommunikation unter Ausnutzung des Mooreschen Gesetzes. Durch die Verdopplung der Komplexität integrierter Schaltkreise bei gleichbleibenden Kosten ist der massive Einsatz smarter Geräte erst denkbar geworden. Doch um den größten Nutzen aus dem Internet der Dinge zu ziehen, bedarf es des Einsatzes wohlbekannter Technologien wie SOA, BPM und BI und eines Umdenkens in Bezug auf Geschäftsprozesse. Informationen gewinnen an Bedeutung und etablieren sich als „Zahlungsmittel“ in Verträgen zwischen Unternehmen oder mit Endkunden.
[2] Bennet, B.: What happened to the internet fridge, http://billbennett.co.nz/2009/08/23/happened-internetconnected-fridge/. 2009
[3] Oracle Data Sheet, Oracle Event Processing for Oracle Java Embedded, http://www.oracle.com/us/technologies/java/embedded/event-processing/overview/index.html?ssSourceSiteId=opn
Frank Hoppe