Vom All auf den Acker:
Wenn Satelliten die Saat lenken
Daniel Lenfort, MyDataPlant im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: © Adobe Stock | 1138872082 | Oppilamani )
Kurz und Bündig
Ein digitales Tool analysiert frei verfügbare Satellitendaten und erstellt darauf basierende Applikationskarten für die Landwirtschaft. Diese helfen, Ressourcen wie Dünger oder Saatgut gezielt und effizient einzusetzen. Die Karten lassen sich individuell anpassen und direkt an Landmaschinen übertragen. Künstliche Intelligenz wertet kontinuierlich wachsende Datenmengen aus, um Empfehlungen zu verbessern. Datenschutz und Kompatibilität mit gängigen Terminals sind sichergestellt.
Wenn Maschinen selbst entscheiden, wo Dünger wirklich gebraucht wird, steckt mehr dahinter als Technik. Es ist ein Umdenken in der Landwirtschaft – datenbasiert, präzise und ressourcenschonend. Wie schafft man es, aus Satellitenbildern handfeste Handlungsempfehlungen zu machen, die sich live an wechselnde Bedingungen anpassen? Und was bedeutet das für Betriebe, die bisher ganz ohne digitale Unterstützung gearbeitet haben?
IM+io: Was macht MyDataPlant und können Sie etwas zur Entstehungsgeschichte erzählen?
DL: Die MyDataPlant GmbH ist ein Unternehmen, das sich auf Satellitendatenverarbeitung spezialisiert hat. Genauer gesagt, geht es bei uns um Fernerkundung und die Entwicklung von Modellen, die wir unter anderem zur Kulturerkennung und im Bereich Precision Farming einsetzen. Unsere Grundlage sind Satellitendaten, aus denen wir digitale Lösungen für die Landwirtschaft ableiten – und zwar so, dass Landwirtinnen und Landwirte ihre Maschinen gezielt und datenbasiert steuern können.
Die Gründungsidee kam damals aus der Marktforschung der Kleffmann Group, die im landwirtschaftlichen Bereich Umfragen durchgeführt hat – zum Beispiel wie viel Gerste oder Raps angebaut wird. Irgendwann kam der Gedanke auf: Warum nicht einfach schauen, was wirklich auf den Feldern wächst – und das aus dem All? So objektiv, schnell und flächendeckend wie möglich. Die Idee entstand tatsächlich während eines Fluges, als Kollegen aus dem Fenster schauten und feststellten: Man sieht doch alles von oben. Das war der Auslöser für die Gründung eines Tochterunternehmens, aus dem später die eigenständige MyDataPlant GmbH wurde.
IM+io: Können Sie genauer erklären, wie das mit den Satellitendaten abläuft?
DL: Wir nutzen unterschiedliche Satelliten, die im All Daten erfassen. Unsere Hauptquelle ist das Copernicus-Programm der ESA, also der Europäischen Raumfahrtagentur. Diese stellt sogenannte Sentinel-Satellitenbilder kostenlos zur Verfügung. Jede Person kann theoretisch auf diese Daten zugreifen – nur braucht es Know-how, um die Informationen sinnvoll zu nutzen. Die Bilder enthalten verschiedene Spektralbänder, die richtig interpretiert werden müssen. Genau da setzen wir an: Wir schreiben Modelle, die aus diesen Daten konkrete Aussagen für die Landwirtschaft ableiten können.
Diese Daten werden auch in vielen anderen Bereichen genutzt – zum Beispiel beim Hochwasserschutz oder zur Erkennung von Erdbebenrisiken. Wir haben uns aber bewusst auf die Landwirtschaft spezialisiert. Ich bin selbst gelernter Landwirt und sehe hier enormes Potenzial: Die Flächen liegen offen, lassen sich aus dem All gut erkennen, und die Branche dahinter ist riesig – von Saatgut über Dünger bis hin zur Lebensmittelproduktion.
IM+io: Und das heißt, Ihre Technologie hilft Landwirtinnen und Landwirten dabei, Maschinen effizienter einzusetzen?
DL: Ganz genau. Mit unseren Daten können Landwirtinnen und Landwirte ihre Maschinen so steuern, dass beispielsweise der Dünger genau dort ausgebracht wird, wo er auch effizient wirkt. Das heißt, wir helfen dabei, Ressourcen zu schonen, Kosten zu sparen und gleichzeitig Erträge zu steigern. Dabei ist unser Angebot zweigeteilt: Zum einen gibt es unser „MyDataPlant“-Portal – das ist für die landwirtschaftliche Einzelbetriebsebene. Zum anderen haben wir das „CropRadar“-Produkt, mit dem wir überregionale Analysen anbieten – zum Beispiel, wie viel Raps in einer Region steht.
IM+io: Wie funktioniert das konkret für die Landwirtinnen und Landwirte? Wie nutzen sie Ihre Plattform?
DL: Das ist ein browserbasiertes Online-Portal, in dem sich die Nutzenden registrieren, ihre Felder einzeichnen und daraufhin individuelle Applikationskarten erhalten. Diese Karten zeigen auf, welche Bereiche einer Fläche stärker oder schwächer sind – etwa aufgrund unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit. Dann heißt es: Den Dünger bitte eher in den fruchtbaren Bereich, dort wird er auch wirklich in Ertrag umgesetzt. In schlechteren Bodenbereichen würde er hingegen verpuffen – das wäre schlecht für Umwelt und Geldbeutel. Diese Karten können direkt an die Maschinen übertragen werden. Die Maschinen wissen dann selbstständig, wie viel sie wo ausbringen sollen. Das spart Zeit, Ressourcen und macht die gesamte landwirtschaftliche Arbeit effizienter und nachhaltiger.
IM+io: Gibt es Möglichkeiten, diese Applikationskarten anzupassen?
DL: Ja, auf jeden Fall. Die Karten, die wir vorschlagen, basieren auf Algorithmen, die die Satellitendaten analysieren. Sie können aber von Landwirtinnen und Landwirten jederzeit angepasst werden. In der Praxis passiert das auch – nicht nur, weil jemand etwas ändern möchte, sondern auch aus Spaß. Es hat zum Beispiel schon Heiratsanträge gegeben, die mit Saatgutmustern ins Feld „gemalt“ wurden.
Aber im Ernst: Es ist ein sehr interaktives Tool. Man kann die Karten personalisieren, verschiedene Saatstärken ausprobieren und diese direkt auf das Traktor-Terminal exportieren. Wir unterstützen dabei nahezu alle gängigen Herstellenden und Dateiformate – das ist ein deutliches Alleinstellungsmerkmal und macht uns besonders kompatibel.
IM+io: Wie reagieren Ihre Systeme auf kurzfristige Änderungen, etwa beim Wetter?
DL: Auch dafür haben wir Lösungen. Mithilfe eines sogenannten „agrirouter“ können Daten in Echtzeit zur Maschine übertragen werden – über eine LTE-Verbindung. Das bedeutet: Selbst während der Traktor auf dem Feld steht, können neue Applikationskarten eingespielt werden, wenn sich zum Beispiel die Wetterlage ändert. So lassen sich Saat- und Düngeentscheidungen noch zielgenauer anpassen. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen dafür nichts neu konfigurieren – das System übernimmt die Aktualisierung automatisch im Hintergrund.
IM+io: Wie herausfordernd war die Entwicklung dieser Technologie?
DL: Sehr. Eine der größten Herausforderungen liegt in der Modellierung selbst. Landwirtschaft ist ein multifaktorielles System. Wachstum hängt von Licht, Wasser, Temperatur, Nährstoffgehalt und vielen anderen Faktoren ab. All diese Variablen in eine stimmige Modelllogik zu bringen – das ist die große Kunst. Die Datenlage verändert sich ständig, die Klimabedingungen ebenfalls, und das beeinflusst die Algorithmen. Für Regionen wie Brandenburg und das Saarland brauchen wir unterschiedliche Trainingsdaten. Und jedes Jahr ist anders – das macht es komplex.
IM+io: Wie genau setzen Sie Künstliche Intelligenz in Ihrer Softwarelösung ein?
DL: Wir verwenden KI-gestützte Algorithmen, um aus den riesigen Datenmengen sinnvolle Informationen abzuleiten – zum Beispiel, welche Kultur auf einem bestimmten Feld wächst, wie sich der Pflanzenbestand über die Zeit entwickelt oder wo Ertragspotenziale besonders hoch oder niedrig sind. Die KI lernt dabei anhand sogenannter Ground-Truth-Daten, also echten Beobachtungsdaten, die wir als Trainingsbasis nutzen.Was besonders herausfordernd ist: Die Vegetation reagiert jedes Jahr unterschiedlich – abhängig von Wetter, Bodenverhältnissen oder Bewirtschaftung. Unsere KI-Modelle müssen sich daher ständig anpassen und weiterlernen. Das passiert bei uns kontinuierlich. Wir entwickeln dafür eigene neuronale Netze und integrieren Machine-Learning-Methoden, um aus historischen wie aktuellen Daten möglichst präzise Vorhersagen und Empfehlungen ableiten zu können.

IM+io: Was bedeutet diese jährliche Anpassung konkret für Ihre KI-Modelle – und wie gehen Sie damit um, wenn in einem Jahr völlig neue Umweltbedingungen auftreten, die es bisher so noch nicht gab?
DL: Das ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen für uns. Unsere Algorithmen müssen sich jedes Jahr neu an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Es reicht nicht, ein Modell einmal zu trainieren und dann dauerhaft anzuwenden – denn jedes Jahr bringt andere Witterungsverläufe, andere Klimabedingungen und andere Wachstumsdynamiken mit sich. Ein gutes Beispiel ist das extrem trockene Frühjahr in Deutschland, das wir aktuell erleben. So eine Ausprägung haben wir in den bisherigen Satellitendaten noch gar nicht gesehen. Das bedeutet, dass unsere Algorithmen diese Konstellation noch nicht gelernt haben – sie müssen sich quasi komplett neu darauf einstellen.
Wir lösen das, indem wir kontinuierlich neue Trainingsdaten einspeisen – also die bereits erwähnten Ground-Truth-Daten – und unsere KI damit regelmäßig weiterentwickeln. Trotzdem stoßen wir an Grenzen, wenn Umweltbedingungen auftreten, die in unseren historischen Datensätzen noch nicht enthalten sind. In solchen Fällen kann der Algorithmus zunächst nicht mit der gewohnten Genauigkeit arbeiten. Deshalb ist es für uns entscheidend, schnell zu reagieren, unsere Modelle flexibel zu halten und laufend mit neuen, verlässlichen Daten zu versorgen. Das macht die Arbeit anspruchsvoll, aber auch sehr dynamisch.
IM+io: Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um? Arbeiten Sie mit Forschungseinrichtungen zusammen?
DL: Ja, wir arbeiten eng mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen – unter anderem mit LUFA-Institutionen, die große Datenbanken zur Bodenbeprobung haben. Diese historischen Daten helfen uns, Algorithmen zu trainieren. Je mehr Daten wir über Biomasseverläufe, Ertragsverhalten oder pH-Werte sammeln, desto besser wird unser System. Wir nutzen auch wissenschaftliche Veröffentlichungen, um neue Korrelationen zu erkennen – auch wenn sie noch nicht praxisreif sind. Vieles ist noch in der Entwicklung, aber genau da liegt auch unser Innovationsanspruch.
IM+io: Gibt es Überlegungen, Ihre KI-Systeme auch anderen zugänglich zu machen?
DL: Ja, wir denken derzeit stark in Richtung Methodologie-as-a-Service. Das bedeutet, dass wir nicht nur Software bereitstellen, sondern auch die Methodik dahinter lizenzieren – für andere Unternehmen, die eigene Algorithmen entwickeln möchten. Warum sollte jede Firma das Rad neu erfinden? Wenn wir mit unserem Know-how helfen können, bessere Entscheidungen zu ermöglichen, profitieren alle davon. Kooperation statt Konkurrenz – das ist ein zukunftsfähiger Ansatz.

IM+io: Bei solch großen Datenmengen stellt sich natürlich auch die Frage nach Datenschutz. Wie gehen Sie damit um?
DL: Datenschutz ist für uns ein zentrales Thema. Wir betreiben eigene Server in Lüdinghausen, in hochsicheren Rechenzentren. Diese sind gekühlt, feuersicher und entsprechen allen Standards. Unsere Systeme sind redundant aufgebaut und wir verzichten weitestgehend auf Cloud-Dienste großer Anbieter, insbesondere aus den USA. Zusätzlich setzen wir auf Pseudonymisierung statt bloßer Anonymisierung – das bietet höheren Schutz. Wir verkaufen keine Daten weiter und dokumentieren alle Zugriffe auf sensible Informationen. Das ist für uns selbstverständlich.
IM+io: Wie ist es mit der Nutzbarkeit des Systems für Landwirtinnen und Landwirte – gibt es da Einstiegshürden?
DL: Die Einstiegshürde ist definitiv da. Es ist eine neue Denkweise und kein Prozess, den man einfach mal schnell nebenbei integriert. Deshalb setzen wir auf enge Betreuung und Schulung – teils über unser eigenes Team, teils über geschulte Vertriebspartnerinnen und -partner. Wer einmal angefangen hat, bleibt aber in der Regel dabei: Unsere Retention Rate liegt bei über 95 Prozent. Der eigentliche Knackpunkt ist, den ersten Schritt zu machen. Jüngere Betriebsleitungen tun sich da oft leichter – das ist ein Generationenthema.
IM+io: Wie unterscheidet sich die Akzeptanz Ihrer Technologie im internationalen Vergleich?
DL: Überraschenderweise ist Deutschland im Bereich Digitalisierung nicht führend. Osteuropa, Skandinavien, Benelux – die sind zum Teil deutlich weiter. Polen zum Beispiel ist ein stark wachsender Markt für uns.
In Deutschland gibt es viele administrative Hürden. Ein klassisches Beispiel: Schlaggrenzen – also Feldgrenzen – werden auf Bundeslandebene verwaltet. Jedes Land hat seine eigene Datenbank, was eine Automatisierung extrem erschwert. Im Ausland ist das zentral geregelt. Diese Zersplitterung hemmt den Fortschritt massiv.
IM+io: Was wünschen Sie sich, damit sich das verbessert?
DL: Ganz klar: Vereinheitlichung. Weniger Bürokratie, mehr zentrale Strukturen. Viele Systeme könnten längst miteinander reden – wenn man sie denn ließe. Es gibt Softwarelösungen, die das technisch könnten. Nur die Politik blockiert hier oft, bewusst oder unbewusst. Der Föderalismus in Deutschland steht uns dabei häufig im Weg.
IM+io: Abschließend gefragt: Wo sehen Sie MyDataPlant in der Zukunft?
DL: Unser Ziel ist es, die führende Anlaufstelle für Precision Farming in Europa zu werden – insbesondere im Bereich Applikationskarten. Darüber hinaus möchten wir unsere Rolle als Kompetenzpartner stärken, unser Know-how in andere Systeme integrieren und über Schnittstellen anderen Unternehmen zur Verfügung stellen. Der Weg dahin führt über Zusammenarbeit, Offenheit und technologischen Fortschritt.