Verborgene Werte:
Transparenz bis zum letzten Ladezyklus
Patrick Zank, VDE Renewables GmbH

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Kurz und Bündig
Der digitale Batteriepass wird ab 2027 für alle großen Fahrzeug- und Industriebatterien in der EU verpflichtend. Er bündelt rund 90 Datenattribute von CO₂-Fußabdruck bis Lebensdauer, macht Nachhaltigkeitsinformationen maschinenlesbar und unterstützt damit Kreislaufwirtschaft, Produktsicherheit und Markttransparenz. Unternehmen, Behörden, Recyclingbetriebe und Verbraucher:innen profitieren gleichermaßen von neuen Möglichkeiten zur Rückverfolgbarkeit und Effizienzsteigerung.
In jeder Batterie steckt mehr als nur Energie – sie erzählt die Geschichte ihres gesamten Lebens. Aber was passiert eigentlich mit ihr, wenn sie ein zweites Leben beginnt? Der digitale Batteriepass macht erstmals transparent, wie sauber, langlebig und rückverfolgbar das Herzstück moderner Fahrzeuge wirklich ist. Wie verändert ein digitaler Pass den Blick auf Herkunft, Wert und Zukunft unserer Akkus?
Der Wandel zur Elektromobilität schreitet mit hohem Tempo voran. Doch je mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, desto wichtiger wird eine Frage: Was wissen wir eigentlich über die Batterie, das Herzstück jedes E-Fahrzeugs? Herstellende, Werkstätten, Recyclingbetriebe, Behörden und nicht zuletzt Verbraucher:innen benötigen Informationen über Herkunft, Zusammensetzung, CO₂-Fußabdruck, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von Batterien. Heute sind diese Daten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg fragmentiert, intransparent oder schlicht nicht verfügbar.
Das erschwert nicht nur die Kreislaufwirtschaft und belastet die Umweltbilanz, sondern wirkt sich auch auf Markttransparenz, Produktsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit aus. Gleichzeitig steigt der regulatorische Druck. Die EU verlangt von der Industrie messbare Fortschritte bei Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit. Genau an dieser Schnittstelle setzt der digitale Produktpass, in diesem Fall der Batteriepass, an. Er soll die relevante Information entlang des Lebenszyklus einer Traktionsbatterie digital verfügbar machen. Was bisher oft analog, verteilt oder gar nicht dokumentiert wurde, wird nun maschinenlesbar, interoperabel und überprüfbar.
Der digitale Batteriepass: Struktur, Funktion und Zielsetzung
Der Batteriepass ist ein digitaler Produktpass, der alle wesentlichen Informationen zu einer Batterie in strukturierter Form abbildet. Ab Februar 2027 wird er gemäß EU-Batterieverordnung für alle in der EU in Verkehr gebrachten Batterien für Elektrofahrzeuge, leichte Verkehrsmittel und industrielle Anwendungen mit einer Kapazität über zwei Kilowattstunden verpflichtend eingeführt. [1]
Technisch handelt es sich um ein digitales Datenobjekt, das über eine eindeutige Kennung mit einer physischen Batterie verknüpft ist. Die zugrunde liegende Architektur basiert auf verteilten Systemdiensten, dezentralen Datenräumen und interoperablen Schnittstellen, wie sie in der Battery Pass Technical Guidance beschrieben sind. [2] Der Zugriff auf die Informationen erfolgt rollenbasiert. Werkstätten, Behörden oder Endkundinnen und Endkunden erhalten jeweils nur die für sie bestimmten Inhalte. Manipulationssicherheit, Datenintegrität und Aktualisierbarkeit über den gesamten Lebenszyklus hinweg gelten als zentrale Anforderungen.
Inhaltlich umfasst der Pass rund 90 Datenattribute, die in sieben thematische Gruppen gegliedert sind. Dazu gehören allgemeine Informationen zur Batterie und zu Herstellenden, Angaben zum CO₂-Fußabdruck, zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, zur Materialzusammensetzung, zur Ressourceneffizienz und Zirkularität, zur Leistung und Haltbarkeit sowie zu Konformitätsnachweisen. [3] Ein wesentliches Merkmal besteht darin, dass sowohl verpflichtende als auch freiwillige Angaben vorgesehen sind.
Vor dem Batteriepass: Analoge Lücken und Insellösungen
Bislang wurden Informationen zu Batterien überwiegend dezentral oder in isolierten IT-Systemen erfasst. Wichtige Daten wie Herkunft, Zusammensetzung, CO₂-Fußabdruck oder Leistungsfähigkeit lagen häufig verteilt bei Herstellenden, Liefernden oder Recyclingbetrieben und waren für Dritte oft weder einsehbar noch überprüfbar. Das führte zu Intransparenz, erschwerte Rückverfolgbarkeit und behinderte eine effiziente Kreislaufwirtschaft. Häufig fehlten standardisierte Anforderungen oder digitale Schnittstellen für den Austausch relevanter Informationen, was die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette stark einschränkte (European Commission, 2023; Battery Pass Technical Guidance, 2023).
Regulatorischer Rahmen –
Die EU-Batterieverordnung
Die rechtliche Grundlage für den Batteriepass bildet die EU-Batterieverordnung (Verordnung (EU) 2023/1542), die im August 2023 in Kraft trat. Sie gilt als eines der ambitioniertesten Nachhaltigkeitsgesetze der Europäischen Union für Industrieprodukte. Mit dieser Verordnung verfolgt die EU mehrere Ziele gleichzeitig. Sie will den gesamten Lebenszyklus von Batterien nachhaltiger gestalten, die Emissionen von CO₂ deutlich verringern, hohe Umwelt- und Sozialstandards in den globalen Lieferketten sicherstellen und digitale Informationssysteme etablieren, die die Rückverfolgbarkeit von Batterien ermöglichen.
Der Batteriepass wird in Artikel 77+78 dieser Verordnung geregelt und ist integraler Bestandteil dieser Strategie. Er adressiert alle Lebenszyklusphasen, von der Rohstoffgewinnung über die Nutzung bis hin zur Wiederverwendung oder zum Recycling, und soll die gesammelten Daten interoperabel und maschinenlesbar verfügbar machen. Die Inhalte müssen dabei „vollständig, korrekt und aktuell“ sein.
Vorteile in der Praxis –
Mehrwert für Unternehmen und Umwelt
Der digitale Batteriepass bietet für die Industrie deutlich mehr als lediglich ein Werkzeug zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Unternehmen können ihn als datengetriebene Plattform nutzen, um Nachhaltigkeitsinformationen entlang der gesamten Liefer- und Produktionskette strukturiert zu erfassen und nachvollziehbar zu kommunizieren. Die CO₂ Emissionen, die bei der Herstellung einer Batterie entstehen, lassen sich dadurch erstmals auf standardisierter und überprüfbarer Basis dokumentieren. Der Informationsgewinn betrifft nicht nur die Fertigung, sondern auch vorgelagerte Lieferprozesse, Energiequellen und Transportketten.
Für Verbraucher:innen entsteht dadurch eine neue Dimension an Produkttransparenz. Wer ein Elektrofahrzeug kauft, kann künftig nachvollziehen, wie emissionsintensiv die darin verbaute Batterie produziert wurde. Das stärkt Vertrauen und fördert eine bewusstere Kaufentscheidung. In Märkten, in denen ESG-Kriterien zunehmend eine Rolle spielen, kann dies zu einem echten Differenzierungsmerkmal werden.
Auch Behörden, Versicherungen oder Flottenbetreibende profitieren von der Verfügbarkeit strukturierter Daten. Informationen zu Produktsicherheit, Konformität oder Umweltverträglichkeit liegen künftig digital und geprüft vor. Prüfprozesse werden dadurch schneller und effizienter. Für Akteure im Mobilitäts- und Versicherungsbereich eröffnen die Leistungs- und Zustandsdaten aus dem Batteriepass neue Möglichkeiten zur Risikoeinschätzung, Restwertanalyse und Lebensdauerprognose.
Lebenszyklus-Bilanz: Ökologie transparent gemacht
Eine besonders relevante Dimension betrifft die ökologische Bilanzierung über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Die Emissionen, die mit der Rohstoffgewinnung, der Produktion und der Nutzung einer Batterie verbunden sind, werden im Batteriepass standardisiert dokumentiert. Dabei kommen international etablierte Normen zum Einsatz. Gerade für Unternehmen mit eigenen Nachhaltigkeitszielen oder ESG-Berichtspflichten entsteht hier eine valide Datenbasis, die über bloße Modellierungen hinausgeht.
Auch im Hinblick auf zirkuläre Geschäftsmodelle bietet der Batteriepass neue Möglichkeiten. Er kann zur Bewertung von Batterien für Second-Life- oder Re-Manufacturing-Anwendungen genutzt werden. Informationen zu Ladezyklen, Zellchemie oder thermischer Belastung werden über den Lebenszyklus hinweg erfasst und stehen für eine Wiederverwendung zur Verfügung. Damit lassen sich gebrauchte Batterien fundierter bewerten, rückverfolgen und sicher in neue Anwendungsbereiche überführen wie etwa als stationäre Speicher in der Energieversorgung.
Recyclingunternehmen wiederum profitieren durch den Zugang zu genauen Informationen über Zellarchitektur, verwendete Materialien und sicherheitsrelevante Komponenten. Das reduziert manuelle Aufwände bei der Demontage, senkt Risiken und ermöglicht eine automatisierte Sortierung.
Studien zufolge lassen sich durch den Batteriepass bis zu 20 Prozent der Kosten in Rücknahme und Demontage einsparen [4]. Gleichzeitig erhöht sich die Rückgewinnungsquote wertvoller Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Nickel, was angesichts globaler Rohstoffabhängigkeiten von strategischer Bedeutung ist. Zudem stärkt er die Transparenz entlang der Wertschöpfungskette.
Digitale Integration: Der Batteriepass als Bindeglied zur Industrie 4.0
Ein besonders zukunftsweisender Aspekt liegt in der tiefgreifenden Verknüpfung mit digitalen Unternehmensprozessen. Der Batteriepass lässt sich mit bestehenden IT-Systemen wie ERP, Supply-Chain-Management, Manufacturing Execution Systems oder Digitalen Zwillingen verknüpfen. Dadurch entsteht ein durchgängiger Datenfluss über alle Lebenszyklusphasen von der Entwicklung über die Produktion bis zur Wiederverwertung. Nachhaltigkeitsdaten werden so integraler Bestandteil operativer Entscheidungen wie in der Produktgestaltung, der Lieferantenauswahl, dem Carbon Accounting oder der Rücknahmelogistik.
Gerade im Kontext von Industrie 4.0, also der umfassenden Digitalisierung und Vernetzung industrieller Prozesse, gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung. Der Batteriepass fungiert hier als digitales Bindeglied zwischen realem Produkt und virtueller Prozesswelt. Er schafft die Grundlage für autonome Systeme, automatisierte Prüfabläufe, vorausschauende Wartung und KI-gestützte Optimierung von Produktionsabläufen.
So kann beispielsweise eine Maschine während der Montage automatisch prüfen, ob eine verbaute Batterie den dokumentierten Spezifikationen entspricht oder ein Logistiksystem den CO₂-Fußabdruck einzelner Chargen – also bestimmter Produktions- oder Liefermengen – berücksichtigt. Diese Anschlussfähigkeit an digitale Industrieprozesse ist ein zentraler Erfolgsfaktor für die Einführung des Batteriepasses. Denn nur wenn der Pass nicht als isoliertes Datenobjekt, sondern als integraler Bestandteil digitaler Wertschöpfungsketten verstanden wird, kann er sein volles Potenzial entfalten. Das betrifft auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, etwa im Rahmen digitaler Lieferketten, plattformbasierter Produktpässe oder sektorübergreifender Datenräume.
Fazit und Ausblick –
Vom Datencontainer zum Werttreiber
Der Batteriepass ist kein Selbstzweck. Er bietet die Chance, Nachhaltigkeit, Transparenz und Digitalisierung systematisch miteinander zu verbinden. Für Unternehmen, die frühzeitig in seine technische und organisatorische Integration investieren, kann er zum echten strategischen Asset werden und dies mit konkretem Nutzen für Effizienz, Innovationskraft und ökologische Glaubwürdigkeit.
Zukünftig könnte der Batteriepass als Blaupause für weitere Produktpässe dienen. In der europäischen Industriepolitik gilt er bereits heute als Modell für andere Sektoren, etwa die Elektronik- oder Textilbranche. Damit steht er symbolisch für eine Wirtschaft, die Nachhaltigkeit und Digitalisierung nicht länger getrennt denkt, sondern konsequent miteinander verknüpft.