Erfolgsgeschichten des 3D-Drucks
Laut Gartner (2015) [1] wird sich der 3D-Drucker-Markt zwischen 2016 und 2019 jährlich jeweils mehr als verdoppeln. Auch Deloitte (2015) [6] teilt diese Einschätzung für das Jahr 2015 und beschreibt sie als allgemeinen Konsens in der Industrie. Der Haupttreiber für den 3D-Druck ist laut den Analysten allerdings nicht der Endkonsument, sondern die industrielle Wirtschaft.
Es ist davon auszugehen, dass der 3D-Druck als Fertigungsverfahren künftig eine wichtige Rolle für unternehmerisches Handeln spielen wird. Durch stetig wachsende Möglichkeiten bei den zu verarbeitenden Materialien, herstellbaren Formen sowie Kapazitätssteigerungen in Bezug auf Menge und Volumen der Erzeugnisse ist zu vermuten, dass in naher Zukunft auch weitere Anwendungsbereiche erschlossen werden. Weniger offensichtlich als in der klassischen Produktion sind hingegen 3D-Druck-Innovationen im Dienstleistungsbereich, bei denen es oftmals nicht nur um die Aktualisierung der zugrundeliegenden Technologie, sondern auch um die Umsetzung der sich daraus ergebenden Geschäftsmodelle geht.
Als klassischer Dienstleistungsbereich stellt der Transport der produzierten Waren den auf die Produktion folgenden, traditionellen Wertschöpfungsbereich der Distribution dar. Der 3D-Druck ermöglicht die digitale Zustellung und das „Nachlagern“ der Produktion. Die Logistikbranche sieht sich zu Recht mit einem großen Wandel konfrontiert, der zu revolutionären Veränderungen führen könnte (Winterhalter et al. 2014) [2]. Die Logistik stellt – in Ergänzung zu bereits prominent diskutierten Anwendungen des 3D-Drucks in der Produktion – eines der vielversprechendsten Geschäftsfelder hinsichtlich einer disruptiven Wirkung additiver Fertigungsverfahren dar. Bereits jetzt ist durch den 3D-Druck ein Zugzwang festzustellen, demnach klassische Wertschöpfungsmodelle der Logistik für das Zeitalter der cyberphysischen Systeme, Industrie 4.0 und des Internets der Dinge weiterentwickelt werden müssen.
Diese „Revolution“ wird in zahlreichen Berichten erkannt und beschrieben, jedoch nicht immer konsequent umgesetzt. So sieht etwa die Deutsche Post DHL Group (2012) [4] im 3D-Druck einen Baustein für Zukunftsszenarien für die Logistik, eine konkrete Integration additiver Verfahren in das Produktportfolio ist jedoch noch nicht erfolgt. Diesen Schritt geht der in Singapur ansässige Logistiker SingPost und wird nach eigener Darstellung schrittweise eine neue Generation von Postämtern eröffnen, in denen 3D-Scan- und 3D-Druck-Services angeboten werden (3ders.org 2014) [5]. Diese Beispiele deuten auf zwangsläufige Veränderungen in den Wertschöpfungsketten hin und regen zu einer Auseinandersetzung mit der Transformation von Geschäftsmodellen im Bereich Logistik an.
Evolution logistischer Wertschöpfungsketten
Der Distributor übernimmt in der klassischen Wertschöpfungskette die Überbrückung der räumlichen Distanz zwischen Hersteller und Abnehmer. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Konzepte zur Effizienzsteigerung und Ausdehnung der Reichweite entwickelt. So sorgt die zentrale Bündelung in dezentralen Standorten (so genannten Fulfillment-Centern) für eine weitreichende globale Abdeckung. Eine Effizienzsteigerung aufgrund von Skaleneffekten wurde insbesondere im Kontext der „Container-Revolution“, also der Einführung von standardisierter Massenlogistik erreicht. Abbildung 1 verdeutlicht diese klassische Wertschöpfungskette anhand der beteiligten Akteure.
In den folgenden Erläuterungen wird insbesondere die Schnittstelle zwischen Unternehmen (B2B) betrachtet, da an Produkte für einen Endkundenmarkt oftmals weitreichendere Anforderungen als eine rein funktionale Eignung gestellt werden. Um diesen Aspekt zu vertiefen, wird nachfolgend die Ersatzteillogistik als Beispiel herangezogen.
Reorganisation der Wertschöpfungskette
Der 3D-Druck stellt die Logistik-Branche vor große Herausforderungen. So scheint die Weiterentwicklung von Absatzwegen im Endkundenbereich bereits absehbar. Die physische Verbindung zwischen Hersteller und Kunde – der Geschäftsfall des Logistikers – könnte künftig durch den digitalen Versand von Produktionsdaten über das Internet überwunden werden. Die Produktion selbst erfolgt dann möglicherweise sogar im „Wohnzimmer“ des Endkunden. Insbesondere die Individualisierung von Produkten und die Fertigung „on-demand“ in Kleinserien bis hin zur „Losgröße 1“ verschieben den Fokus von standardisierter Massenlogistik hin zur Individuallogistik. Das sich daraus ergebende zunehmende Verschwimmen von digitalen und physischen Gütern führt zur teilweisen Ablösung des Distributors durch internetbasierte Dienste (Smart Services). Vier Szenarien veranschaulichen die möglichen Veränderungen im Detail.
Dezentrale Produktion und Verkürzung der Lieferstrecke
Die durch den 3D-Druck ermöglichte Herstellung „on-demand“ eröffnet Produzenten neue Möglichkeiten. Je nach produziertem Gut und Losgröße bieten zentrale Produktionsanlagen keine optimalen Ausgangsvoraussetzungen mehr – gleichzeitig müssen auch weit entfernte Absatzmärkte zeitnah durch nach Kundenwünschen individualisierte Produkte bedient werden.
Die Forderung nach Kosteneffizienz weitet sich so aufgrund der nicht mehr gegebenen Ortsbindung vom Produktionsverfahren auf die komplette Wertschöpfungskette aus, inklusive der Logistik und eventuellen weiteren Intermediären. Die dezentrale Produktion stellt so eine vielversprechende Alternative dar, die es aufgrund der starken Verkürzung von Lieferstrecken und -zeiten zu bedenken gilt (vgl. Abbildung 2). Globale Logistik-Dienstleister, die insbesondere durch die Überbrückung großer Distanzen Umsatz erzielen, sind durch dieses Konzept in ihren gegenwärtigen Geschäftsmodellen gefährdet.
Empowerment des Distributors
In einem weiteren Szenario integriert der Distributor die Produktion unter Nutzung des 3D-Druck-Verfahrens (vgl. Abbildung 3). Im Unterschied zur klassischen Wertschöpfungskette übernimmt er damit zusätzlich die Rolle des Produzenten sowie Teilaktivitäten eines Händlers. Aufgrund der Durchführung von Produktionstätigkeiten vergrößert sich der Anteil des nun integrierten Distributors an der Wertschöpfung. Die Logistik als klassischer Dienstleister in der Distributor-Rolle kann je nach Anwendungsfall somit eine direkte (Service-) Schnittstelle zwischen Kunde und Produktentwickler bieten. Eine Warenbestellung auf Basis eines vorhandenen Vertrags gibt der Kunde in diesem Modell beispielsweise direkt beim Entwickler ab, der daraufhin Produktionsdaten sowie Daten des Kunden an den Distributor übermittelt. Die Funktion des Distributors als „Materialisierungsschnittstelle“ tritt insbesondere im Business-to-Business-hervor und löst gleichzeitig auch den Händler als Intermediär ab. In diesem Sinne handelt der Distributor nun als Service-Dienstleister des Entwicklers. Der Distributor kann als Dienstleister mit den so integrierten Teilbereichen eines Produzenten die eigene Marktposition stärken und nachhaltig sichern.
Als „Materialisierungsschnittstelle“ des Produktentwicklers umfasst das Serviceportfolio des Distributors in Zukunft weit mehr als das reine Transportieren von Gütern und schafft so zusätzliche Unabhängigkeit von einzelnen Märkten und Krisen sowie Flexibilität bei der eigenen Strategieplanung.
Markteintritt lokaler Druckservices
Die Produktion am „Point of Sale“ reduziert die Wertschöpfungskette um die Rollen des klassischen Produzenten und die des Distributors (vgl. Abbildung 4). Neue 3D-Druck-Verfahren sowie kostengünstigere Maschinen ermöglichen es auch kleinen Unternehmen, als Druck-Services zu agieren und vom Entwickler digital zugestellte Produktionsdaten „on-demand“ zu drucken. Während die Rolle des Produzenten zunehmend in die des Entwicklers übergeht, findet die Zustellung der Produktionsdaten zur Produktionsanlage am „Point of Sale“ digital statt. Die Rolle des Distributors ist nicht weiter (zwingend) erforderlich.
Produktion durch „Self-Service“
Obwohl das zuvor erläuterte Wertschöpfungsmodell vielen Restriktionen, wie beispielsweise der notwendigen Fachkenntnis zur Maschinenführung und den weiterhin hohen Investitionskosten unterliegt, stellt das Szenario eine Schlussfolgerung der zunehmenden breiten Verfügbarkeit von 3D-Druckern dar. Die Produktion durch „Self-Service“ integriert die vorhandenen Rollen in zunehmendem Maße und reduziert die Wertschöpfungskette auf ein Minimum, bestehend aus dem Entwickler des Produkts und dem Kunden, der im „Self-Service“ (auf dem eigenen Drucker vor Ort) das Gut materialisiert (vgl. Abbildung 5). Im Vergleich zum klassischen Szenario findet so eine vollständige Transformation von einer produktbezogenen hin zu einer informationsbezogenen Wertschöpfung statt.
Smart Services für die Logistik
Betrachtet man die Logistikprozesse im Detail, so wird nicht nur der Flexibilitätszuwachs durch die Integration des 3D-Drucks offensichtlich. Konzepte wie „just-in-time“, welche die Diskussion um Entwicklungen der Logistikbranche in der letzten Dekade geprägt haben, weichen der Idee von Produktion und Lieferung „on-demand“. Ein solches Modell profitiert nicht nur von der Umgestaltung des Wertschöpfungskonzepts, sondern auch von der Verkürzung der Lieferzeiten. Die Abholung zuzustellender Güter wäre nicht länger erforderlich. In vielen Fällen könnte sogar vollständig „on-demand“ beim Distributor vor Ort produziert werden. So entwickelt sich die Lagerhalle des Logistikers zur 3D-Druck-Station und bietet die Möglichkeit neuer digitaler Dienstleistungen in der Logistik.
Abbildung 6 zeigt den Vergleich zweier modellhafter Logistikprozesse von der Vorbereitung über die Durchführung bis hin zur Fakturierung. Im klassischen Logistikprozess, in dem additive Verfahren nicht integriert sind, findet nach dem Produktdesign die Fertigung und Lagerung der erzeugten Produkte statt. Mit Eingang eines Auftrags wird ein lokaler Logistiker mit der Abholung beauftragt und kümmert sich, im Fall einer globalen Zustellung, um die Übergabe an ein global agierendes Transportunternehmen. Dieses transportiert die Fracht bis zum nächsten größeren Logistikzentrum nahe des Endkunden, wo das Produkt von einem lokalen Logistiker übernommen und anschließend dem Kunden zugestellt wird. Mit der Quittierung der Zustellung und Bezahlung ist der Prozess abgeschlossen. Natürlich behält dieser klassische Logistikprozess insbesondere auf kurzen Strecken seine Bedeutung, doch gerade bei globalen Transportwegen bieten Smart Services für die Logistik eine vielversprechende Alternative.
Im Smart-Logistics-Prozess folgt auf das Produktdesign eine digitale Zustellung der CAD-Daten über das Internet zum 3D-Serviceanbieter und Logistiker. Dieser druckt das Produkt in der gewünschten Stückzahl bereits in kürzester Distanz zum Endkunden und stellt die Lieferung zu. Eine besondere Zeit- und Kostenersparnis ergibt sich hier durch die dezentrale Platzierung des 3D-Druckers in der Nähe des Kunden. So könnte beispielsweise die Lagerhalle eines Logistikers in Teilen zu einem Druckzentrum umfunktioniert werden. Ein Smart Service ergibt sich jedoch erst mit der Integration von umfassender Sensorik und Aktuatorik in den gesamten Logistikprozess. So können Bestellungen bei Bedarf ausgelöst werden (zum Beispiel dann, wenn ein Gerät einen Defekt oder ein Lagerbestand in der Produktion einen Leerstand meldet). Die Produktion des benötigten Gutes geschieht dann automatisiert bei dem geografisch nächsten „smarten“ Logistiker.
Globally Local: Neue Geschäftsideen für KMU
Mit der Transformation in einen Smart Service lassen sich die Transport- und Lagerkosten der Logistik stark reduzieren. Um dies zu gewährleisten, müssen sich Logistiker von reinen Transporteuren zu integrierten Distributoren entwickeln, die unter Berücksichtigung aller verfügbaren Technologien ihren Kunden die flexible, kosteneffiziente und zeitgünstige Zustellung benötigter Güter ermöglichen. Durch diese Transformation entstehen insbesondere im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) neue Geschäftsmodelle, die über die Branche der Logistik hinaus wertschöpfungssteigernde Effekte vermuten lassen. Einerseits steht ein Logistiker mit Hilfe der neuen Technologie als lokal agierender Servicedienstleister für weltweite Kunden zur Verfügung. So erfolgt im Smart-Logistics-Prozess die Zustellung eines benötigten Produkts nicht zwingend mittels großer global agierender Unternehmen, sondern möglicherweise auch durch geographisch günstig platzierte 3D-Druck-basierte Distributoren. Andererseits werden so für hybride Wertschöpfungsmodelle neue Servicemärkte erschlossen. War es bislang oftmals mit hohen Kosten (bis hin zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit) verbunden, für Maschinen und Anlagen eine adäquate Ersatzteilversorgung global zu etablieren, stellt sich die Lage auf Basis des Smart-Logistics-Prozesses gänzlich anders dar. Produzierende Unternehmen könnten von einem solchen Geschäftsmodell aufgrund der sinkenden Kosten ebenfalls profitieren und globale Serviceabdeckung erreichen (vgl. vertiefend für die Ersatzteilversorgung Thomas et al. 2015) [3].
Fazit
Der 3D-Druck – als immer populärer werdendes Fertigungsverfahren – kann, wie zuvor beschrieben, Wertschöpfungsketten verändern und die Anzahl der beteiligten Akteure deutlich reduzieren. Mit additiven Produktionsverfahren ändern sich Geschäftsfeld und strategische Ausrichtung des Logistikers. Nicht mehr der Warenfluss an sich, sondern der Smart Service, rückt in den Vordergrund.
Der physische Transport produzierter Waren, vor allem über große Strecken hinweg, kann durch 3D-Druck substituiert werden. Definiert der Logistiker seine Rolle neu und integriert den 3D-Druck als technologische Innovation in sein Angebotsportfolio, so ergeben sich weitreichende Potenziale, das Geschäftsmodell sowie die Kernkompetenzen zu erweitern.
Zusammenfassend wird der Logistiker in die Lage versetzt,
- Zeit- und Kostenvorteile durch den Wegfall physischer Transportstrecken an seinen Kunden weiterzugeben,
- durch eine Fertigung und Lieferung „on demand“ eine Flexibilisierung und Effizienzsteigerung in Wertschöpfungsketten zu gewährleisten,
- kleine Losgrößen und stark individualisierte Produkte kostengünstig zu produzieren und auszuliefern sowie
- durch geographisch sinnvoll platzierte „3D-Druck-Zentren“ eine zeitnahe Zustellung von Gütern zu gewährleisten.
Vor allem letzterer Punkt verdeutlicht das Potenzial des 3D-Drucks für regional orientierte KMU der Logistikbranche. Diese können Ihr Zustellungsangebot in einer Region am Markt global anbieten und vor allem im Bereich der Ersatzteillogistik Partner globaler Wertschöpfungssysteme werden.
LITERATUR
[1] Gartner: Gartner Says Worldwide Shipments of 3D Printers to Reach More Than 490,000 in 2016. Forecast: 3D Printers, Worldwide. 2015
[2] Winterhalter, S.; Wecht, C.; Gassmann, O.: „Die Zukunft wird gedruckt – Aber wie wird sie verkauft? Geschäftsmodelle für die nächste industrielle Revolution.“ In: IM+io, 01/2014. S. 50-57
[3] Thomas, O.; Kammler, F.; Sossna, D.: „Smart Services: Geschäftsmodellinnovationen durch 3D-Druck“ In: Wirtschaftsinformatik und Management, 6/2015. S. 18-28
[4] Deutsche Post DHL Group: The World in 2050 – A scenario Study, 2012, http://www.dhl.com/en/about_us/logistics_insights/studies_research/logistics_2050.html. Zugriff: 19. Januar 2016
[5] 3ders.org: Singapore Post launches 3D printing service at new concept post office in Suntec City, 04. Oktober 2014, http://www.3ders.org/articles/20141004-singapore-post-launches-3d-printing-service-at-new-concept-post-office-in-suntec-city.html. Zugriff: 19. Januar 2016
[6] Deloitte: 3D printing is a revolution: just not the revolution you think. TMT Predictions 2015
[7] FAZ: Flugzeugteile aus dem Drucker, 14. August 2015, http://www.faz.net/-gqe-86pr4. Zugriff: 19. Januar 2016
[8] VDI: GE startet Massenproduktion von Triebwerksdüsen mit 3D-Druckern, 25. Juli 2014, http://www.ingenieur.de/Themen/3D-Druck/GE-startet-Massenproduktion-Triebwerksduesen-3D-Druckern. Zugriff: 19. Januar 2016
Oliver Thomas, Friedemann Kammler, Novica Zarvic