Start mit Stolpern:
Was Biotech-Innovationen zum Scheitern bringt
Max Pöhlmann, Ralf Huss, BioM Biotech Cluster Development GmbH

(Titelbild: © Adobe Stock | 500828800 | Panithan )
Kurz und Bündig
Biotechnologische Innovationen sind komplex, kapitalintensiv und risikobehaftet. Ihre Entwicklung erfordert interdisziplinäre Forschung, regulatorische Expertise und unternehmerisches Know-how. Start-ups treiben Ideen voran, Konzerne skalieren. Fehlen Gründungskultur, Kapitalzugang und gesellschaftliche Akzeptanz wird das Potenzial gebremst. Für echte Wirkung braucht es klare Rahmenbedingungen, Mut und Ausdauer.
Ein Wirkstoff ist entdeckt, das Labor überzeugt – und dann? Biotechnologische Ideen brauchen Jahre, Millionen und Geduld, bevor sie Menschen erreichen. Viele scheitern nicht am Potenzial, sondern an Strukturen, Prozessen oder Erwartungen. Warum ist gerade in diesem Feld der Weg von der Forschung zur Anwendung so steinig? Und was braucht es, damit mehr Innovation wirklich wirksam wird?
Kaum eine Branche steht so sehr für Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel wie die Biotechnologie. Ihre Innovationskraft reicht weit über die Entwicklung neuer Medikamente hinaus. Sie umfasst mögliche Lösungen für globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ernährungssicherheit oder Ressourcenschonung. Doch biotechnologische Innovationen sind meist komplex, langwierig und risikobehaftet. Ihre Entwicklung verläuft anders als in vielen anderen Branchen – und nur unter bestimmten Bedingungen kann ihr Potenzial gesellschaftlich wirksam werden.
Innovation in der Biotechnologie –
ein besonders anspruchsvolles Terrain
Im Unterschied zu vielen anderen Industriezweigen basieren Innovationen im medizinischen Biotech-Sektor auf einer hochspezialisierten Forschung, deren Ergebnisse sich oftmals nicht unmittelbar in Produkte oder kommerzielle Lösungen übersetzen lassen. Sie beginnt meist mit molekularen oder zellulären Grundlagenforschungen, oft gestützt durch komplexe Plattformtechnologien im Labormaßstab. Diese Erkenntnisse müssen zunächst präklinisch validiert, in ein umsetzbares Konzept überführt, anschließend klinisch geprüft und letztlich in marktfähige Produkte skaliert werden – ein Prozess, der je nach Produkt zehn Jahre oder länger dauern kann und häufig mit enormen Kosten verbunden ist. Wenig überraschend schafft es nur ein Bruchteil der Ideen und Innovationen durch diesen Prozess bis zu einem erfolgreichen Markteintritt.
Wichtig ist auch zu verstehen, dass eine zielgerichtete Forschung dabei die absolute Voraussetzung ist, nicht ein zufälliges Nebenprodukt. Biotechnologische Innovationen „passieren“ daher nicht willkürlich. Sie erfordern systematische, zu Beginn oft öffentlich geförderte Grundlagenforschung, verbunden mit transnationalem Know-how und gezieltem marktorientierten Technologietransfer.
Interdisziplinarität als zentrales Innovationsprinzip
Erfolgreiche Biotechnologie entsteht oft an Schnittstellen – etwa zwischen Naturwissenschaften, Informatik und Ingenieurwesen. Diese Interdisziplinarität ist kein optionales Extra, sondern zunehmend ein zwingender Erfolgsfaktor. Die Notwendigkeit der (interdisziplinären) Kollaboration erklärt auch, warum es im Bereich der Biotechnologie häufig zu einer sogenannten Clusterbildung kommt. Die Nähe zu Forschungsinstituten und anderen akademischen Einrichtungen sowie zu Unternehmen mit ähnlichem Fokus sind oftmals essenziell, um den Zugriff auf ausreichend Talente und Know-how zu sichern. Gute Beispiele sind hier etwa der Großraum Boston, das Golden Triangle in Großbritannien oder auch das Bayerische Biotechnologiecluster mit seinem Zentrum in Martinsried bei München.
Trotz ihres Potenzials gibt es in Europa kaum Programme, die naturwissenschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven systematisch verknüpfen – etwa in der Bioökonomie. Erfolgreiche Translation braucht Verständnis für beides – Wissenschaft und Markt. Während Einrichtungen wie die Harvard Business School gezielt Führungskräfte für Biotech-Unternehmen ausbilden, fehlt es im deutschsprachigen Raum noch an strukturierten Aus- und Weiterbildungsformaten, die forschungsnahe Gründer:innen von Startups auch unternehmerisch qualifizieren. Forschende eignen sich betriebswirtschaftliche Kenntnisse häufig autodidaktisch an oder verzichten aus Kostengründen auf die Unterstützung externer Fachleute mit wirtschaftlichem Know-how und unternehmerischer Erfahrung – was nicht selten zu Missverständnissen mit Investierenden oder zu falsch gesetzten Prioritäten führt.
Innovationsprozesse mit besonderer Risikostruktur
Die medizinische Biotechnologie zeichnet sich durch besonders lange und risikobehaftete Entwicklungszyklen aus. Softwarelösungen sind oft in Monaten marktreif – Biopharmazeutika brauchen dafür meist über zehn Jahre. Hinzu kommt: Ein großer Teil der klinischen Projekte scheitert. Klinische Studien, bestehende regulatorische Anforderungen oder produktionstechnische Hürden, wie eine kostengerechte Herstellung mit hoher Produktqualität, führen dazu, dass nur ein Bruchteil der gestarteten Projekte die Marktreife erreicht. Und wenn ein Produkt schließlich erfolgreich ist, dann befindet es sich in der Regel nicht mehr in der Hand der ursprünglichen Gründerinnen und Gründer.
Mut, Ausdauer und Risikokapital sind Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Vermarktung biotechnologischer Erfindungen. Dies macht die biopharmazeutische Biotechnologie für klassische Investoren mit kurzfristigem Renditefokus und beschränkter Risikobereitschaft wenig attraktiv. Vielmehr braucht es spezialisiertes und überwiegend privates Risikokapital, das wissenschaftliches Potenzial erkennt, realistisch bewertet und vor allem langfristig begleitet.
Struktur der Branche: Innovation aus Start-ups, Skalierung durch Konzerne
Biotech-Unternehmen unterscheiden sich strukturell deutlich von Firmen anderer Innovationsfelder. Die Branche ist überwiegend auf Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M&A) ausgerichtet, und der Innovationsprozess ist häufig zweigeteilt: kleine forschungsnahe Start-ups treiben technologische Entwicklungen voran, während große Pharmaunternehmen mit dem notwendigen Kapital, einem passenden Portfolio, globaler Infrastruktur, regulatorischer Expertise und Marktzugang die Zulassung, Weiterentwicklung und Kommerzialisierung übernehmen.
Diese funktionale Aufgabenteilung ist keine Schwäche, sondern eine Konsequenz aus der Komplexität der Produkte und Prozesse. Sie erfordert allerdings klar definierte Übergabepunkte und ein gegenseitiges Verständnis für die jeweilige Rolle im Innovationsökosystem. Gründende, die zu lange an der eigenen Idee festhalten, scheitern genauso häufig wie jene, die in der Hoffnung auf das schnelle Geld an den erstbesten Interessenten verkaufen. Große Unternehmen unterstützen diese Übergänge zunehmend durch eigene Inkubationsprogramme und strategische Partnerschaften.
Regulatorik: Notwendige Sicherheit, aber eine große Hürde
Biotechnologische Produkte, insbesondere im medizinischen und biopharmazeutischen Bereich, unterliegen umfangreichen regulatorischen Anforderungen. Zulassungsverfahren, Sicherheitsnachweise, Qualitätsstandards – all dies ist notwendig, um Sicherheit und Wirksamkeit zu garantieren, stellt jedoch gleichzeitig eine erhebliche, meist finanzielle Herausforderung dar, insbesondere für kleinere Unternehmen.
Regulierung soll kein Innovationshemmnis sein, sondern Teil des Innovationsprozesses. Voraussetzung ist jedoch, dass regulatorische Prozesse schnell, effizient, transparent und innovationsfreundlich gestaltet sind. Internationale Harmonisierung, digitale Einreichungsverfahren und dialogorientierte Behördenstrukturen müssen dazu beitragen, Innovation zu fördern, ohne Sicherheit zu gefährden oder das Vertrauen in eine zukunftsweisende Branche zu untergraben.
Gesellschaftliche Akzeptanz: Vertrauen als Innovationswährung
Ob mRNA-Impfstoffe, gentechnisch veränderte Pflanzen oder zellbasiertes Fleisch – viele biotechnologische Anwendungen stoßen häufig auf Skepsis in der Bevölkerung. Dieser Argwohn hat oft emotionale, kulturelle oder historische Ursachen und kann Innovation dennoch erheblich verzögern oder verhindern.
Eine offene und transparente Kommunikation kann hier hilfreich sein. Biotechnologische Entwicklungen müssen verständlich erklärt und transparent vermittelt werden.
Nur wenn Wissenschaft und Unternehmen komplexe Zusammenhänge greifbar machen, lassen sich Ängste abbauen und Akzeptanz fördern. Wissenschaftskommunikation, gesellschaftlicher Dialog und transparente Aufklärung sind essenziell, um Vertrauen zu schaffen – und damit gesellschaftlichen Nutzen zu ermöglichen.
Gerade bei disruptiven Technologien reicht es nicht, nur Fakten zu liefern – es braucht aktive Formate des Austauschs, die emotionale Aspekte ernst nehmen. Leider wird dieses Thema noch zu oft unterschätzt und alte Vorurteile halten sich auch heute hartnäckig. Das gesellschaftliche Bild von einer pharmazeutischen Industrie, der vorgeworfen wird, mit Krankheiten enorme Gewinne zu erzielen und wenig innovativ zu sein, bleibt auch heute noch überwiegend negativ.
Skalierbarkeit als industrieller Erfolgsfaktor
Biotechnologische Prozesse, die im Labor funktionieren, müssen für industrielle Anwendungen und globale Produktion skaliert werden können – ob bei der Herstellung von Medikamenten, Bioplastik oder synthetischen Kraftstoffen. Diese Skalierung ist technisch anspruchsvoll, erfordert spezialisierte Anlagen, erfahrene Produktionspartner und langfristige Investitionen. Ein fortschreitender technologischer Reifegrad (TRL) allein reicht nicht aus – die Umsetzung und auch die Zeit entscheiden.
Wichtig ist zudem die frühe Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen, die mit zunehmender Skalierung komplexer und kostspieliger werden können. Fehlende Standardisierung kann Skalierungsprojekte erheblich verzögern oder sogar scheitern lassen.Damit biotechnologische Verfahren in die Praxis übergehen, braucht es skalierbare Plattformen, erfahrene Beteiligte und gezielte Investitionen in Fachkräfte und Infrastruktur.
Enorme gesellschaftliche Chancen
Trotz komplexer Herausforderungen eröffnet die Biotechnologie wegweisende Perspektiven für zentrale gesellschaftliche Zukunftsfragen. In der Medizin ermöglichen biotechnologische Innovationen personalisierte Therapieansätze, präzisere Diagnostik und flexible Impfstoffentwicklungen – entscheidende Faktoren für die Bewältigung bisher unheilbarer Erkrankungen und die Stärkung der globalen Gesundheitsresilienz. Der gezielte Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Big Data beschleunigt die Wirkstoffforschung und schafft die Grundlage für eine individualisierte und effizientere Versorgung. Darüber hinaus leisten biotechnologische Verfahren einen maßgeblichen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, etwa durch CO₂-neutrale Produktionsprozesse, neue Ansätze in der Kreislaufwirtschaft und innovative Lösungen für die globale Ernährungssicherheit.
Was es braucht, sind Mut, Kapital und
politischer Wille
Damit aus exzellenter Forschung auch gesell-
schaftlich wirksame Innovationen entstehen, braucht es in Deutschland einen kulturellen Wandel: Junge Wissenschaftler:innen müssen ermutigt werden, ihre Ideen unternehmerisch zu verfolgen und Start-ups zu gründen. Während in den USA das Scheitern als wertvolle Lernerfahrung gilt, wird es hierzulande noch zu oft stigmatisiert. Um das enorme wissenschaftliche Potenzial besser zu nutzen, müssen wir eine Gründungskultur etablieren, die Mut belohnt, Unternehmergeist fördert und den Transfer von Wissen in die Anwendung aktiv unterstützt.
Außerdem ist der Zugang zu ausreichend Kapital entscheidend – idealerweise verbunden mit passenden Investmentanreizen und einem tiefen Verständnis für die langfristigen Entwicklungszyklen der Branche. Nicht zuletzt erfordert es politischen Willen, verlässliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen – durch strategische Förderprogramme, den Ausbau spezialisierter Infrastrukturen, Unterstützung von Public-Private-Partnerships, steuerliche Erleichterungen und eine starke internationale Positionierung des Standorts. Um ihr gesellschaftliches Potenzial zu entfalten, braucht Biotechnologie klare politische Rahmenbedingungen – und echten Willen zur Umsetzung.