IM+io: Herr Dr. Abolhassan, Sie haben als Informatiker in mehreren IT- und Telekommunikationsunternehmen innovative Ansätze sich durchsetzen oder auch scheitern sehen. Handelt es sich bei RPA lediglich um einen Hype oder entsteht hier ein neues Softwarekonzept zur Unternehmenssteuerung?
FA: Robotic Process Automation ist mehr als ein kurzfristiger Hype. Davon bin ich fest
überzeugt. McKinsey hat die zwölf wichtigsten Zukunftstechnologien untersucht. Die Robotertechnik ist dabei auf Platz 5 gelandet – hinter dem mobilen Internet, der künstlichen Intelligenz, dem Internet der Dinge und der Cloud. Aus den Produktionshallen sind Roboter längst nicht mehr wegzudenken. Wir alle
kennen die Schweiß- und Montageroboter, die die Autohersteller schon seit Jahren nutzen. 2015 waren weltweit 1,6 Millionen von diesen Industrierobotern im Einsatz. In zwei Jahren sollen es bereits eine Million mehr sein. Und mit RPA halten die Roboter nun Einzug ins Büro. Auch hier werden sie eng mit den Menschen zusammenarbeiten. Sie können die Unternehmen dabei unterstützen, noch produktiver und effizienter zu werden, mehr Zeit für das Wichtigste zu haben: den Kunden. Daher wird sich der RPA-Markt rasant entwickeln: Laut PricewaterhouseCoopers (PwC)-Prognose von zuletzt 183 Millionen US-Dollar auf rund fünf Milliarden Dollar in 2020. Software-Roboter werden unsere Arbeitswelt in den kommenden Jahren grundlegend verändern.
IM+io: Wie profitieren die Firmen vom RPA-Einsatz?
FA: Mit Hilfe der Software-Roboter können Unternehmen langweilige und lästige Routineaufgaben agil automatisieren. Denn RPA ahmt manuelle Bürotätigkeiten nach – also etwa Tastatureingaben und Mausklicks. Überall, wo Brüche zwischen IT-Systemen überbrückt werden müssen, kann die Technologie sehr gut genutzt werden. Die Roboter können selbständig Rechnungen erstellen oder Aufträge beziehungsweise Kündigungen bearbeiten. Prozesse, die häufig anfallen und klaren Regeln folgen, bieten sich besonders an. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ändern sich die Stammdaten eines Kunden, müssen sie häufig in mehreren Datenbanken manuell gepflegt werden. Ein stumpfer Copy-and-Paste-Prozess, der jeden Tag x-mal anfällt. RPA überträgt die Daten wie von Geisterhand. PwC schätzt, dass RPA die Produktivität
von Unternehmen um bis zu 30 Prozent steigern und die Kosten um bis zu 75 Prozent senken kann. Kein Wunder: Schließlich ist ein Roboter theoretisch in der Lage, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag zu arbeiten. Und wenn der Workflow sauber definiert ist, tut er das ermüdungs- und fehlerfrei.
IM+io: Wie gehen Sie mit etwaigen Vorbehalten der Mitarbeiter um?
FA: Mit Respekt. Entscheidend ist die Frage: Wie bereite ich sie auf ihre „neuen, virtuellen Kollegen“ vor? Wie gehe ich mit ihren Sorgen um? Wie qualifiziere ich sie für neue, spannendere Aufgaben? Denn die Produktivitätssteigerungen führen einer Studie der Information Services Group (ISG) zufolge nicht zu massenhaften Jobverlusten, was viele Arbeitnehmer verständlicherweise zunächst befürchten. Nein, laut der Studie können die Firmen ihr Personal dank RPA anderweitig einsetzen: Mitarbeiter, die sich bisher mit eintönigen, repetitiven Tätigkeiten herumschlagen mussten, können sich demnächst auf höherwertige Aufgaben konzentrieren – beispielsweise auf die Beratung von Kunden.
IM+io: Wenn Sie das können …
FA: Richtig! Das heißt auch, dass Mitarbeiter bereit sein sollten, sich weiterzuentwickeln. Und um ehrlich zu sein, ist das nichts Neues in der Wirtschaftswelt. Weiterentwicklung ist ein permanenter Prozess. Wir als Führungskräfte müssen sie dabei unterstützen. Hier haben wir
bei der Telekom übrigens auch im Service schon gute Ansätze: Wir haben beispielsweise einen eigenen Bereich Qualifizierung bei HR geschaffen.
Doch die betriebliche Weiterbildung allein genügt nicht. Deshalb wollen wir auf Konzernebene
mit der Politik über das Modell der „Bildungsteilzeit“ sprechen. Mitarbeiter, deren Job durch die Digitalisierung bedroht ist, qualifizieren sich mit staatlicher Unterstützung weiter. Aber bei RPA geht es nicht nur um Unterstützung und Arbeitserleichterung für den einzelnen Mitarbeiter. Firmen sind auch in der Lage, ein größeres Arbeitsvolumen zu bewältigen, indem Mensch und Maschine eng zusammenarbeiten. Da der Robotereinsatz leicht skalierbar ist, lassen sich Lastspitzen mit RPA leichter abfedern. Auch das kommt den Mitarbeitern wieder zugute. Wettbewerbsfähigkeit sichert Arbeitsplätze.
IM+io: Trotz aller Vorzüge der RPA-Technologie – Kritiker halten sie nur für einen besseren Workaround. Hätten die Unternehmen IT-Systeme, die miteinander kommunizieren könnten, bräuchten sie keine Software-Roboter. Was entgegnen Sie?
FA: In der Theorie ist es so. In der Praxis sind durchgängige, perfekt vernetzte IT-Systeme in der Regel ein Wunschdenken. Die meisten Unternehmen haben eine über Jahrzehnte gewachsene
Struktur und in Folge auch eine heterogene IT-Landschaft – Legacy-Systeme eben. Daher lassen sich Brüche zwischen den einzelnen IT-Systemen gar nicht vermeiden. Das kenne ich nur allzu gut aus 30 Jahren Praxiserfahrung in der Industrie und auch aus dem eigenen Haus. Außerdem sind grundlegende Änderungen aufwendig und langwierig. Die IT-Architektur ist entsprechend der Organisation meist sehr komplex. Bis die IT-Abteilung eine große Lösung entwickelt und ausgerollt hat, dauert es. Das kostet nicht nur viel Zeit, die Unternehmen im Digitalzeitalter mit ihren schnellen Angreifern ohnehin nicht haben, sondern auch viel Geld.
IM+io: Mit RPA geht’s schneller und billiger?
FA: Ja, mit RPA können die IT-Systeme mit Unterstützung der Fachabteilungen relativ schnell – bei Entwicklungszeiten von 8 – 16 Wochen – überbrückt werden. Aber nicht nur das. Eine intelligente Kombination aus RPA und klassischer IT bietet auch völlig neue Möglichkeiten. So lassen
sich statt einer großen Transformation sehr agil kleine Verbesserungen bauen, so genannte Microservices.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Unser RPA-Team baut aktuell eine neue App für unseren Field Service – gemeinsam mit unserer IT-Abteilung. Die IT stellt die Schnittstelle, das RPATeam baut die App im agilen Modus. Und was mit klassischer IT nicht geht, erledigen wir mit einem Software-Roboter. Aber wie gesagt, all das klappt nur, wenn man die Mannschaft mitnimmt, ihre Sorgen ernst nimmt und Lösungen für erweiterte oder andere Tätigkeitsfelder findet!
IM+io: Telekommunikationsunternehmen stehen weltweit im Wettbewerb, besondere und zuverlässige Serviceangebote für Kunden sollen hier den Unterschied machen. Gleichzeitig gilt es, eine Vielzahl operativer Prozesse zu managen. Ist hier die Automatisierung von Prozessen und Aufgaben über RPA eine Lösung?
FA: Auf jeden Fall! RPA kann dabei helfen, den Kunden noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Wenn Software-Roboter Seite an Seite mit Servicemitarbeitern arbeiten, können TK-Unternehmen,
aber auch Firmen anderer Branchen, Anfragen schneller und zielgerichteter beantworten – vielleicht schon beim ersten Kontakt. Sie können zudem mehr Anrufe annehmen, mehr E-Mails beantworten und mehr Aufträge bearbeiten. Durch den Einsatz von Software-Robotern steigen also nicht nur die Ressourcen im Kundenservice. Auch die Qualität wird besser, weil die Wartezeit sinkt und die Erstlösungsquote steigt. Außerdem entlasten sie die Kundenbetreuer von einfachen, administrativen Routineaufgaben. Sie können
sich wieder voll und ganz auf den Kunden und seine individuellen Anliegen konzentrieren. Das müssen die Mitarbeiter im Arbeitsalltag aber erst erfahren und erleben, sprich diese Erleichterung selbst spüren. Sonst können wir keinen Nutzen daraus ziehen.
IM+io: Was halten Sie von Chatbots?
FA: Auch Chatbots haben das Potenzial, uns künftig bei Routineaufgaben zu unterstützen. Sie können immer wiederkehrende, einfache Kundenfragen automatisiert beantworten und den Kollegen aus Fleisch und Blut so den Rücken für komplexere Anliegen freihalten. Aber auch hier brauchen wir eine positive Erfahrung – intern wie extern. Die Kunden selbst müssen erleben, dass ihnen ein Chatbot wirklich weiterhelfen kann. Das braucht seine Zeit. Unsere Schwester T-Mobile Austria
und unsere Zweitmarke Congstar setzen bereits solche virtuellen Assistenten ein. Auch bei uns laufen erste Tests mit dieser neuen Technologie. So experimentieren wir in der Störungsbearbeitung schon mit einem Chatbot.
IM+io: Wie weit sind die Chatbots schon?
FA: Noch stoßen diese Kommunikationsroboter bei komplizierteren Fragen an ihre Grenzen. Doch durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz werden sie immer vielseitiger. Sie werden aus den Kundendialogen der Call Center Agents selbständig lernen und sich kontinuierlich verbessern. Auch diese Technologie sorgt dafür, dass Kundenanliegen demnächst schneller und besser gelöst werden können. Denn die
Erfahrungen des selbstlernenden Systems werden letztlich dem gesamten Serviceteam zur Verfügung stehen. Ich glaube an den Mehrwert solcher Lösungen, wenn man sie mit Sinn und Verstand einführt und allen Beteiligten die Vorzüge aufzeigen kann.
IM+io: Zu den großen Kostenblöcken der Telekommunikationsunternehmen gehören u. a. jene, die die Datensicherheit und -integrität sicherstellen, Kosten für die Servicemitarbeiter, Marketing und auch Hard- und Software. Wie kann hier die neue Technologie helfen?
FA: Natürlich kann RPA Prozesse im Office nicht nur schneller und besser, sondern auch
günstiger machen. Deutsche Unternehmen geben in vielen Industrien den Ton an, und das soll auch so bleiben. Darum müssen wir schauen, wie wir unsere Kosten in den Griff kriegen. Hierbei ist die Automatisierung ein ganz wichtiger Hebel. Sie hilft, die Ausgaben – gerade für Routineaufgaben, die zigtausend Mal am Tag durchgeführt werden müssen – erheblich zu reduzieren, aber gleichzeitig das Wissen im Unternehmen zu halten – anders als beim Outsourcing. Wie erwähnt, gehen Experten davon aus, dass die Kosten mittels RPA um bis zu drei Viertel gesenkt werden können. Die Automatisierung macht’s möglich. Aber – ganz wichtig – einen Prozess nur zu digitalisieren, wäre zu kurz gesprungen. Zunächst muss er optimiert bzw. standardisiert werden. Sonst machen sie aus einem schlechten analogen, nur einen schlechten digitalen Prozess.
IM+io: Bei der Telekom bearbeiten 36.000 Mitarbeiter die Serviceanfragen von 42 Millionen Mobilfunk- und 20 Millionen Festnetzkunden. Was ist Ihr Plan für die Zukunft, damit die Telekom, wie von Ihnen gefordert, „nicht nur die deutsche Meisterschaft, sondern auch die Champions League gewinnt“?
FA: Es genügt heute nicht mehr, als Kommunikationsanbieter das beste Netz und die besten Produkte zu haben. Hier haben wir unsere Hausaufgaben schon gemacht. Um sich heute im Markt von der Konkurrenz abzuheben, müssen sie ihren Kunden auch den besten Service bieten …
IM+io: Und was ist für Sie bester Service?
FA: Wenn wir die Erwartung unserer Kunden nicht nur erfüllen, sondern übertreffen – nicht
nur manchmal, sondern immer. Zwar sind wir heute schon gut, aber noch deutlich davon entfernt,
unsere Kunden jedes Mal zu begeistern. Darum haben wir uns ehrgeizige Ziele gesteckt: Wir wollen null Beschwerden, null geplatzte Termine bei den Servicetechnikern, keine unnötigen Weiterleitungen an der Hotline. Ich weiß, das klingt unerreichbar. Aber wenn man besser werden will, muss man die Latte nun einmal hochlegen. Die Null als Maßstab. Wir nennen das „Prinzip Zero“. Das deklinieren wir für alle relevanten Themen in unserem Kundenservice durch. Denn Service ist nicht nur eine Frage von Prozessen und Systemen, sondern vor allem auch eine Frage der Haltung. Nur begeisterte Mitarbeiter schaffen begeisterte
Kunden. Und gleichzeitig wollen wir mit Serviceprodukten auch weiter wachsen – mit individuellen Lösungen und innovativen Produkten.
IM+io: Wie wollen Sie diese Herkulesaufgabe meistern?
FA: Erstmal braucht man ein gemeinsames Ziel und einen Masterplan. Beides haben wir.
Das Wichtigste aber ist, und deswegen betone ich es nochmal: Man muss die Mannschaft mitnehmen.
Große Aufgaben wie die Champions League zu gewinnen kann man nur gemeinsam mit seiner Mannschaft und deren Know-how. Für den italienischen Erfolgscoach Carlo Ancelotti ist eine weitere Sache ganz entscheidend:
Dafür sorgen, dass die notwendigen Dinge auch erledigt werden. Sie brauchen nicht nur einen Masterplan auf dem Reißbrett, sie müssen ihn auch umsetzen. Das ist auch bei uns so: Schließlich betreffen die Veränderungen die komplette Servicekette. Deshalb haben wir eine mehrjährige Umsetzungsphase eingeplant. Aber das Ziel ist klar: erstklassiger Service – nicht meistens, sondern immer.
IM+io: Wie hilft Ihnen die Robotic Process Automation konkret dabei, den Service der Telekom zu verbessern?
FA: Wir beschäftigen uns bei der Telekom schon seit drei Jahren mit der RPA-Technologie. Im März 2015 haben wir dann die ersten Software-Roboter installiert. Inzwischen betreiben wir eine der größten Roboter-Farmen Europas. Unser Servicebereich hat diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben, bereits über 100 Prozesse haben wir erfolgreich automatisiert. Und fast nochmal so viele sind derzeit in Entwicklung. Die Frontend Assistenten unterstützen unsere Mitarbeiter bei 1,8 Millionen Geschäftsfällen – nicht im Jahr, sondern jeden Monat. Konkretes Beispiel: Wenn ein Kunde anruft und neue Zugangsdaten benötigt, haben unsere Service-Mitarbeiter diese bislang selbst verschickt. Jetzt können sie per Mausklick den entsprechenden ServiceBot starten, der diese Aufgabe übernimmt. Und schon kann sich der Mitarbeiter
um das Anliegen des nächsten Kunden kümmern. Selbst Faxe müssen dank Software-Robotern mit Texterkennung nicht mehr manuell bearbeitet werden. Sogar bei der Überprüfung der korrekten Anschaltung nach Massenumschaltungen oder der Information des Kunden bei Störungen (siehe Artikel „Frontend Assistenten entlasten bei Routineaufgaben im Telekom Service“, S. 42) unterstützen Assistenten unsere Servicemitarbeiter. Und die nächste Evolutionsstufe haben wir bereits eingeläutet. Zum Beispiel in der Entstörung: Hier wollen wir künftig mithilfe Künstlicher Intelligenz und Big Data Analytics akute Störungen gezielter beseitigen.
IM+io: Was braucht es für einen erfolgreichen RPA-Einsatz?
FA: Ich wiederhole mich: Ganz wichtig ist es, die Mitarbeiter auf diese Reise mitzunehmen. Die Digitalisierung gelingt nur mit vereinten Kräften. Wenn jeder seine Rolle kennt und ausfüllen kann. Dafür haben wir im Service unter anderem das Programm „Fit@Digitization“ gestartet.
Damit entwickeln wir unsere Mitarbeiter weiter und bauen uns neue Digitalisierungsexperten auf. So profitieren am Ende des Tages Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen von der Digitalisierung im Allgemeinen und den Software-Robotern im Speziellen. Wenn wir die Dinge einfach anders machen, gewinnen wir auch mit unserem Service die Champions League.