IM+io: Herr Professor Krcmar, 2013 wurde das Nationale E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) ins Leben gerufen. Welche konkreten Aufgaben hat dieses Kompetenzzentrum übernommen und wer sind die Treiber innovativer Entwicklungen?
HK: Ziel des NEGZ ist es, die Forschung und Lehre sowie Wissensvermittlung im Bereich der Transformation und Modernisierung von Staat und Verwaltung zu fördern, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in der anwendungs- und gestaltungsorientierten Forschung und Entwicklung von Anwendungslösungen transdisziplinär zu vernetzen und Innovationsprozesse im Bereich der staatlichen Modernisierung und Verwaltungstransformation Ebenen übergreifend und auch im internationalen Kontext wissenschaftlich zu begleiten. Durch das Zusammengehen von NEGZ e. V, und ISPRAT (Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie e. V.) zum 20.6.2016 arbeiten nun fast 100 institutionelle, persönliche und wissenschaftliche Mitglieder daran, einen Beitrag zur Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten, und dies zum nachhaltigen Nutzen für Bürgerinnen und Bürger.
IM+io: Sie fordern unter anderem eine effizientere Organisation von Forschung und Lehre im Bereich E-Government. Warum ist dies wichtig, wenn es doch vor allem darum geht, die PS auf die Straße, das heißt die E-Government Angebote in die Kommunen und zum Bürger, zu bringen?
HK: Damit es vorangeht, bedarf es des Verständnisses, wie das funktionieren kann, aber auch wohin die Straße führt und ob es wirklich nur darum geht, möglichst schnell zu sein. Konkret: die Frage ist, wie der Staat unter den Rahmenbedingungen der Digitalen Transformation aussehen soll. Dazu ist ein Diskurs unter allen Beteiligten erforderlich, damit die unterschiedlichen Sichten auf Innovation, Stand der Dinge und Reflexion eingebracht werden können. Um E-Government und Staatsmodernisierung voranzubringen, müssen die beteiligten Interessengruppen aber auch verschiedene Wissenschaftsdisziplinen wie Verwaltungswissenschaften, Recht, Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik, um nur einige zu nennen, zusammengebracht werden, damit Forschung und Lehre helfen, die Chancen zu gestalten und Risiken zu erkennen, aber auch die Ausbildung der Mitarbeiter voranzubringen.
IM+io: Sie haben einmal das NEGZ als Denkfabrik, Projektträger und Bildungsplattform beschrieben. Was konnte bislang erreicht beziehungsweise realisiert werden?
HK: Wir haben diesen Dreiklang in einer Fülle an Formaten umgesetzt, von denen ich nur einige aufführen möchte:
– Die Herbsttagung „Staatsmodernisierung“ ist ein offenes Veranstaltungsformat für Mitglieder und Gäste aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Inhalte umfassen Keynotes von prominenten Akteuren des E-Governments, die Vorstellung aktueller Studien und Forschungsprojekte, interaktive Workshops sowie „Slams“ zu innovativen Themen. Die Herbsttagung 2017 wird am 29. November in Berlin stattfinden und sich dem Schwerpunktthema Europa widmen.
– Die Roundtables bieten Experten und Entscheidern die Möglichkeit zum Diskurs im Dialog mit der Wissenschaft und dienen der Erarbeitung von Stellungnahmen, beispielsweise zu den Themen „E-Rechnung“ und „Employer Branding“.
– Stammtische sind ein regelmäßiger Treffpunkt für Mitglieder und ausgewählte Gäste in Berlin, angereichert durch Kurzvorträge aus Wissenschaft und Praxis zu aktuellen Themen und Fragestellungen des E-Governments.
– NEGZ Exkursionen ermöglichen einen „Blick hinter die Kulissen“ zu aktuellen Themen und Entwicklungen des E-Governments.
– Die CIO-Konferenzen richten sich an IT-Entscheider des öffentlichen Sektors und behandeln jeweils aktuelle Themen wie beispielsweise „IT-Kooperationen“ und „Kritische Informationssysteme des öffentlichen Sektors“.
– Regionalkonferenzen sind ein neues Format: die erste findet am 20. September 2017 in Kiel im Rahmen der digitalen Kieler Woche statt.
Darüber hinaus stellen wir unsere Arbeitsergebnisse breit zur Verfügung. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungsprojekte von ISPRAT und NEGZ sowie interdisziplinäre Veröffentlichungen sind auf isprat.net und negz.org veröffentlicht und stehen dort zum Download zur Verfügung.
IM+io: In einer von NEGZ getriebenen Studie zeigt sich, dass einheitliche und durchsetzbare E-Government Angebote sich am besten an sogenannten Lebenslagen orientieren. Dazu gehören Stationen wie Geburt, Kinderbetreuung, Berufsausbildung, Studium und Zuwanderung. Auf dieser Basis wurden 100 Verwaltungsleistungen ausgewählt, die bundesweit gültig abrufbar werden sollen. Faktisch präsentieren sich aber die E-Government-Angebote nach wie vor heterogen. Welche Hürden müssen hier abgebaut werden?
HK: Das Verständnis der einzelnen Kunden, hier also der Bürger oder Unternehmen, steht im Vordergrund, um zielgruppengerechte und vor allem durchgängige Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Die Ausrichtung an Lebenslagen von Bürgern und Unternehmenslagen von Unternehmen stellt den ersten Schritt der Kundenorientierung dar. Verbundportale sollen helfen, diese Angebote von unterschiedlichsten Stellen aus nachzufragen. Meiner Meinung nach ist aber neben der Heterogenität vor allem die mangelnde Durchgängigkeit im Sinne von End-to-End Lösungen zu beklagen. Hier, an der Zusammenarbeit der an der Bearbeitung einer Lebenslage beteiligten Verwaltungen, gilt es anzusetzen.
IM+io: Zum Digital-Gipfel im Juni 2017 hat das NEGZ im Rahmen des Innovation Labs die praktische Anwendbarkeit der Blockchain-Technologie illustriert. Werden Bund, Länder und Kommunen mit der Auseinandersetzung mit diesen ganz neuen technologischen Möglichkeiten nicht vollständig überfordert?
HK: Bei den Blockchain-Technologien geht es vor allem darum, in realistischen Szenarien zu zeigen, wie praktikable Lösungen für reale Probleme aussehen. Das haben RegioIT, Fortiss, NEGZ und die Universität Speyer am Beispiel der Zeugnisausstellung gezeigt und zugleich ermöglicht, die Chancen und Herausforderungen am konkreten Fall zu diskutieren. Nein, eine vollständige Überforderung war da nicht festzustellen, aber auch keine vollständige Begeisterung, sondern großes Interesse, diese Ansätze besser zu verstehen.
IM+io: Wo soll und kann Deutschland am Ende dieses Jahrzehnts im Bereich E-Government aus Ihrer Sicht stehen. Was muss dafür getan werden?
HK: Damit Deutschland im E-Government an der Spitze von Bereitstellung und Umsetzung steht, bedarf es des Mutes zur Umsetzung der Erprobungsräume, um neue Ansätze zu zeigen, der kritischen Reflexion des Erreichten, der Betonung von Interoperabilität der Verfahren und einer Architektur- und Effizienzorientierung im IT-Bereich, vor allem aber des Willens, zügig zu handeln.