Die offensichtlichen Facetten der Digitalisierung lassen sich in den Gegenständen und Produkten unseres täglichen Lebens leicht erkennen. Produkte und Dienstleistungen werden digital oder um digitale Funktionen erweitert. Für die Unternehmen bedeutet diese Form der Digitalisierung enormes Potenzial. Jedoch kommt dies nicht ohne Herausforderungen. Die Verschmelzung von digital und analog bedeutet auch eine Konfrontation zweier unterschiedlicher Herangehensweisen. Der wohl größte Unterschied liegt in der Geschwindigkeit. Die schnelle, flexible Welt der Softwareentwicklung steht im klaren Gegensatz zu langwieriger, traditioneller Produktentwicklung in großen Unternehmen. Dies gilt auch für die Entwicklung völlig neuer Technologien und Innovationen: Die Zyklen in digitaler und analoger Welt unterscheiden sich immens. Unternehmen finden sich an genau dieser Schnittstelle wieder und stehen vor der schwierigen Aufgabe, beide Seiten zu vereinen. Die Lösung liegt zwangsläufig darin, bestehende Strukturen und Prozesse an die erhöhte Geschwindigkeit anzupassen und selbst zu digitalisieren. Kurz gesagt: Nicht nur neue Produkte und Dienstleistungen werden digital, sondern vor allem der Weg dorthin.
Digital sein, heißt agil sein
Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen der Entwicklung von Software und konventionellen Produkten und Dienstleitungen liegt nicht alleine in der Realisierung. Er liegt auch an der Art und Weise, wie Software entwickelt wird. Was 2001 unter den Leitsätzen des Agile Manifesto[1] festgehalten wurde, hat sich mittlerweile in Form von Methoden wie beispielsweise Scrum als Standard für Softwareentwicklung etabliert. Eine Herangehensweise, die Kunden zentriertheit, Kollaboration, und Iteration in den Fokus rückt, um letztendlich schneller zu erfolgreichen und zu vermarktenden Ergebnissen zu kommen. Auch wenn Agilität mittlerweile zum Schlagwort in verschiedenste Unternehmensbereichen und Industrien geworden ist, greift die tatsächliche Anwendung in der Praxis meist zu kurz. Der Gedanke der Agilität reicht deutlich weiter als vereinzelte Kampagnen, Initiativen oder Prozessoptimierungen. Vielmehr ist Agilität ein Thema, das die gesamte Unternehmenskultur betrifft und in dieser verankert werden muss.

Abbildung 1: Nicht nur für Software Entwicklung relevant: Die vier Grundprinzipien der Agilität legen den Fokus auf flexible, offene Prozesse.
Offenheit und Kollaboration
Ein Kernprinzip der Agilität ist die frühe Einbindung des Endkunden in den Entwicklungsprozess und die direkte Integration des Feedbacks in die weitere Ausarbeitung des Produkts – bereits weit vor der eigentlichen Markteinführung. Neben einer starken Kundenzentriertheit bringt dies vor allem den Vorteil, dass insbesondere die letzten Schritte der Entwicklung beschleunigt werden. Das kontinuierliche Feedback der Nutzer zu Produktkonzepten oder Prototypen hilft dabei, die Ausgestaltung des finalen Ergebnisses zu fokussieren. Die Arbeit an den für den Kunden wichtigen Elementen oder Funktionen wird priorisiert; die „letzte Meile“ wird erleichtert. Gleichzeitig kann die Akzeptanz des Kunden für das Produkt im jeweiligen Entwicklungsstand abgewogen werden, um den Zeitpunkt der Markteinführung darauf abzustimmen.
Diese Form der Kollaboration erfordert eine Kultur der Offenheit, die gerade große Unternehmen vor Herausforderungen stellt. Da traditionelle Entwicklungsprozesse seit jeher von Geheimhaltung und starrer Kompetenzverteilung geprägt sind, ist eine Öffnung nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen.
Innovationsmanagement als Startpunkt
Eine solche Öffnung und Kollaboration mit externen Akteuren im größeren Maßstab ist nur mit den richtigen Werkzeugen realisierbar. Digitale Kollaborationsplattformen mit den passenden Analyse- und Kontrollmöglichkeiten sind dafür kaum mehr wegzudenken. Die Frage nach einer Öffnung über solche Plattformen lautet also weniger „ob“ als „wie“. Die Antwort auf diese Frage ist stark abhängig vom jeweiligen Unternehmen. Die Tatsache, dass die Überschneidung von digitaler Agilität und etablierten Strukturen jedoch an ganz bestimmten Stellen zur Geltung kommt, rückt manche Unternehmensbereiche stärker in den Fokus als andere. Gerade in großen Konzernen geht es um die Rolle des Wegbereiters für die digitale Entwicklung der gesamten Organisation. Am besten dazu geeignet: Das Innovationsmanagement. Per Definition befasst sich das Innovationsmanagement – oder vergleichbare Funktionen innerhalb der Organisation – mit zukünftigen Entwicklungen und nimmt dabei ganz bewusst eine Perspektive ein, die jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen blickt und Flexibilität für externe Trends oder neue Technologien beinhaltet. Genau diese Aspekte der Offenheit und Reaktionsfähigkeit finden sich auch in den Grundsätzen der Agilität wieder. Mit den passenden Methoden und digitalen Werkzeugen können diese noch weiter ausgebaut werden.
Praxisbeispiel: Postbank Ideenlabor
Wie sich agile Prinzipien in der Praxis umsetzen lassen, zeigt unter anderem das Beispiel der Postbank. Mit Hilfe des Postbank Ideenlabors (siehe Abbildung 2), einer digitalen Innovationsplattform, wird die direkte Zusammenarbeit mit Externen an verschiedenen Stellen im Entwicklungsprozess ermöglicht. In offenen Kollaborationsprojekten mit Kunden werden Bedürfnisse und Wünsche identifiziert und diskutiert, welche wiederum als Grundlage für die Entwicklung neuer Finanzprodukte dienen. Ganz im Sinne des Leitmotivs der Agilität bleibt es nicht alleine dabei, sondern verfolgt die Öffnung entlang des gesamten Innovationsprozesses. Auch frühe Produktkonzepte oder digitale Prototypen werden direkt zur Verbesserung an die Kunden gegeben. Deren Feedback ist entscheidend für die weitere Ausgestaltung und Markteinführung. Denn erfolgreiche Innovation ist nur das, was tatsächlich auch vom Markt akzeptiert wird. Die offene Interaktion mit den Nutzern im Ideenlabor erlaubt es, diese Akzeptanz vorab abzuwägen. Mit dem Ideenlabor wird die existierende, interne Innovationsarbeit natürlich nicht ersetzt. Vielmehr ist es ein zentraler Kanal nach außen, auf den das Innovationsmanagement zurückgreifen kann. Was das Ideenlabor dabei von Marktforschungsinstrumenten, Fokusgruppen oder anderen klassischen Methoden unterscheidet, ist der Maßstab und die Geschwindigkeit, die durch spezialisierte Software ermöglicht wird: Feedback muss nicht einzeln evaluiert werden, sondern wird durch das Nutzerverhalten auf Relevanz geprüft und vorselektiert. Diskussionen werden durch intelligente Sortieralgorithmen automatisch zielführend gesteuert. Profilinformationen und Antworten der Nutzer können analysiert werden, um bestimmte Personengruppen gezielt anzusprechen. Öffnungsgrade können projektabhängig flexibel definiert werden, um sowohl offene Kollaboration als auch Vertraulichkeit zu ermöglichen. Mit diesen und anderen Funktionen schafft Software wie die des Postbank Ideenlabors die notwendige Infrastruktur, um Kollaboration digital, offen und vor allem skalierbar zu machen – mit tausenden von Menschen.

Abbildung 2: Das digitale Ideenlabor der
Postbank bindet Kunden in einem offenen Innovationsprozess zur agilen Produktentwicklung ein
Agile Innovation
Für eine konsequente Ausrichtung des Innovationsmanagements an die agilen Prinzipien
können die etablierten Vorgehen in der Softwareentwicklung als Leitfaden dienen. Die Fokussierung auf Individuen und Interaktionen an Stelle von definierten Prozessen zeigt sich in Entwickler-Teams oft in Form einer f lexiblen Aufgaben- und Rollenverteilung, die zum einen enge, projektbezogene Zusammenarbeit ermöglicht und zum anderen individuelle Stärken oder Kompetenzen effektiv einzubringen vermag. Beispielsweise sieht die Scrum-Methode keinen klassischen, zentralisierten Projektplan vor, sondern eine gemeinsame Planung von Sprints, in der Aufgaben so verteilt werden, dass Ergebnisse möglichst effizient umgesetzt werden können. Agile Innovation ist daran angelehnt. Über direkte Interaktion mit den relevanten Stakeholdern innerhalb sowie außerhalb des Unternehmens können bestimmte Kompetenzen oder Profile identifiziert und anschließend gezielt involviert werden, beispielsweise bei der Lösung technischer Hürden oder dem Finden von Anwendungsfällen für neue Technologien. Die Voraussetzung dafür: Vernetzung und Informationsaustausch.

Abbildung 3: Die strukturierte, zielführende Kollaboration mit einer Vielzahl an Personen ist ein Wechselspiel aus kreativer Diskussion und Konsolidierung
Die Ausrichtung auf funktionierende, nutzbare Software anstelle von ausführlicher technischer Dokumentation, lässt sich ebenfalls auf das Innovationsmanagement übertragen. Die frühzeitige Entwicklung eines Minimum Viable Products oder testbaren Prototypen kann auch hier dazu beitragen, das gesamte Projekt schneller erfolgreich abzuschließen. Viele Unternehmen nutzen bereits Accelerator-Initiativen, um Ideen möglichst effizient umzusetzen. Doch der Schritt, diese Prototypen in die Hände der Kunden zu geben und mit deren Feedback agil weiterzuentwickeln, wird in den meisten Fällen noch nicht gewagt. Auch hierfür bedarf es allen voran Kanälen, die Feedback nicht nur einzusammeln, sondern es auch priorisieren und einen zielführenden Verbesserungsprozess abbilden können.
Die Flexibilität auf Veränderungen zu reagieren statt vordefinierten Plänen blind zu folgen ist in der Softwareentwicklung unerlässlich. Nicht zuletzt, weil Trends, Nutzerbedürfnisse oder Marktanforderungen in diesem schnelllebigen Umfeld noch weniger vorhersehbar sind als in anderen Bereichen. Die Flexibilität, mit der in Software-Teams oft tagesaktuell Ressourcen verteilt oder Aufgaben angepasst werden, lässt sich
in der Arbeit mit produktions- oder planungsintensiveren Produkten nicht vollständig übertragen. Eine Möglichkeit, um die Reaktionsfähigkeit dennoch auch in der Innovationsarbeit großer Unternehmen zu verankern, liegt darin, den Innovationsprozess grundlegend iterativ aufzubauen. Die frühe Betonung eines klaren, umsetzbaren Ergebnisses wird dabei zu Gunsten eines anfänglich weiten Gestaltungsraums mit fortschreitender Konkretisierung in den Hintergrund gerückt. Diese Konkretisierung erfolgt nicht nur im klassischen Sinne des Innovationstrichters. Auch innerhalb dessen einzelner Phasen wird vom weiten Gestaltungsraum auf ein Ziel hingearbeitet – und im Sinne der Iteration gegebenen falls noch einmal von vorne begonnen. Um diese Komplexität und die organische Arbeitsweise zielführend abzuwickeln, bedarf es auch hier Unterstützung in Form digitaler Werkzeuge, die fluide zwischen kreativem Freiraum und strukturierter Konsolidierung variieren können.
Das vierte Prinzip des „Agile Manifesto“ ist in Bezug auf Innovation das wichtigste: Kollaboration mit den Kunden. Eine Auf hebung der strikten Grenze, die unternehmensintern von extern trennt, hat im Innovationsmanagement bereits stattgefunden. Open Innovation Ansätze, Entwicklungskooperationen oder Inkubatorenprogramme haben sich branchenübergreifend etabliert und bewiesen. Hinsichtlich Kollaboration, wie sie in der agilen Softwareentwicklung beispielsweise bei der gemeinsamen Definition von Roadmaps oder Funktionserweiterungen erfolgt, gehen sie jedoch nicht weit genug. Der Großteil der Ansätze ist trotz Informationsaustausch darauf ausgelegt, interne und externe Schritte weiterhin zu trennen und im Idealfall gute externe Ideen, Konzepte oder gar Start-ups zu internalisieren. Ein langfristiger Dialog auf Augenhöhe entsteht nur in den seltensten Fällen. Doch genau dadurch definiert sich wahre Kollaboration. Erst wenn sich Kunden kontinuierlich und wirkungsvoll in interne Entwicklungsarbeit einbringen können, ist agile Innovation möglich. Dies gilt sowohl für die „letzte Meile“, als auch in den frühesten Phasen des Innovationsprozesses. Es ist nicht nur Offenheit für externe Akteure gefragt, sondern auch die Offenheit, dem Input intern genügend Stellenwert und Entfaltungspotenzial einzuräumen. Soll diese Kollaboration nicht nur langfristig, sondern auch im großen Maßstab über verschiedene Stakeholder-Gruppen hinweg erfolgen, ist auch hierfür eine passende, digitale Infrastruktur unerlässlich.
Der Weg zum Ökosystem
Die Öffnung des Innovationsprozesses für Kollaboration mit Kunden ist der erste Schritt hin zu einem vernetzten Ökosystem für Innovation. Denn neben Kunden gibt es noch eine Vielzahl weiterer Personen, die relevantes Wissen oder Kompetenzen besitzen, jedoch aktuell noch nicht involviert werden: Mitarbeiter, Zulieferer, Start-ups oder die Öffentlichkeit. Die Form der Einbindung unterscheidet sich dabei je nach Personengruppe und Stelle im Innovationsprozess. Während Kunden vor allem die der konkreten Ausgestaltung der Produkte bereichern können, bieten Zulieferer beispielsweise Fachwissen zum Erschließen von Innovationen im Bereich Produktion oder Material.
Die Herausforderung liegt darin, Stakeholder nicht nur zu integrieren, sondern die daraus entstehende Vielzahl verschiedener Initiativen und Kanäle zu verknüpfen. Ein Ökosystem für Innovation zeichnet sich dadurch aus, dass das Unternehmen auf alle relevanten Personen zugreifen kann und potenzielle Innovationen je nach Situation an der dafür passenden Stelle weiterverfolgt werden. Eine Produktidee, die zum Beispiel von Zulieferern angestoßen wird, wird also nicht exklusiv mit diesen ausgearbeitet, sondern auch in der Kollaboration mit den Kunden konkretisiert. Dies gilt für Daten und Informationen, die an den einzelnen Punkten generiert werden. Die großen Fortschritte im Bereich Big Data und Artificial Intelligence werden auch das Innovationsmanagement verändern. In einem Ökosystem für Innovation müssen diese Daten daher zunächst zugänglich und nutzbar gemacht werden. Diese Durchlässigkeit lässt sich nur bewerkstelligen, wenn alle Formen der Kollaboration auf zwei gemeinsamen, grundlegenden Säulen auf bauen: Agilität und eine einheitliche, digitale Infrastruktur.
LITERATUR
[1] Manifesto for Agile Software Development, http://agilemanifesto.org