Noch vor einigen Jahren bestand eine wesentliche Geste unserer Kommunikation in Alltag und Beruf im Anschalten: Jetzt sind wir drin. Seit mobile Kommunikation, Flatrates und der Konsum cloudbasierter Inhalte zur neuen Normalität geworden sind, sind wir immer schon vernetzt – umgeben von Maschinen, die uns die Welt immer stärker aus unserer eigenen Warte zeigen wollen. Customization, Personalisierung, Echtzeitkommunikation – dieser Wandel stellt eine Vielzahl von Herausforderung an alle, die bereit sind, in diesem Geschehen eine aktive Rolle zu spielen. Lässt sich diese Welt überhaupt noch mitgestalten? Ja – und konkrete Beispiele dafür gibt es in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen.
„Die Fabrik der Zukunft wird zwei Mitarbeiter haben; einen Menschen und einen Hund. Der Mensch, um den Hund zu füttern; der Hund, um zu verhindern, dass der Mensch die Maschinen berührt.“ Die populäre Anekdote wird Warren Bennis zugeschrieben, Ökonom und Pionier der
Leadership Studies. Sie greift ironisch jenen Wandel auf, den wir im Namen verschiedenster gesellschafts- und technologiepolitischer Leitbilder gerade auf den Weg bringen.
Digitalisierung umfasst weit mehr als die Informatisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen. Ob „Digitale Gesellschaft“, „Industrie 4.0“ oder „Smart Citizenship“ – allen diesen Visionen ist gemein, dass sie das Mensch-Maschine-Verhältnis für eine Welt vernetzter Objekte neu ordnen. Ob, wo und wie autonome Systeme uns ergänzen oder ersetzen, liegt an uns, an der Art und Weise, wie wir dieses Verhältnis gestalten. Und ob wir uns weiterhin an diesen Visionen orientieren – oder unser Verhältnis zur Zukunft an anderen Visionen ausrichten.
Hierzu bedarf es nicht nur eines erweiterten Innovationsbegriffes, um besser zu verstehen, wie kulturelle, politische und technische Innovationen ineinandergreifen. Wir brauchen vor allem einen erweiterten Begriff der Gestaltung, der Prozesse und Systeme erfassen kann. Denn gestaltet werden müssen nicht nur einzelne Produkte und Dienstleistungen, sondern die politischen, rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen der Digitalisierung selbst.
Leadership heisst, sich aktiv an diesem Gestaltungsprozess zu beteiligen, ihn zu strukturieren, die durch Digitalisierung entstehenden Abhängigkeiten zu erschließen, Möglichkeiten der Mitgestaltung zu entwickeln und so greifbar zu machen, dass sie Gegenstand gemeinsamer Reflexion und Entscheidung werden können. Leadership heißt auch, das Unbehagen an der Digitalisierung ernst zu nehmen, den Wandel hin zu einer Welt der Echtzeitkommunikation nicht nur als Chance zu begreifen, sondern als gesellschaftliches Experiment mit ungewissem Ausgang, das ebenso von Ängsten und Erschöpfung begleitet ist wie von Begeisterung und Optimismus. Wie genau wir unsere eigenen Wünsche nach selbstbestimmtem Leben und Arbeiten mit der zunehmenden Autonomie technischer Systeme in Einklang bringen – aus dieser Frage gilt es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu machen, inhaltliche Positionen und Orte der Entscheidung zu bestimmen, Verantwortung für diesen Wandel zu übernehmen.
Leadership als Kritischer Konsum
Digital Leadership ist eine Frage der Wahrnehmung der Digitalisierung – nicht als technischer Logik, sondern als gesellschaftlichem Prozess. Horizont ist nicht der einzelne Betrieb, sondern zunächst der Alltag, Ausgangspunkt nicht der Beginn von Wertschöpfungsketten, sondern ihr Ende. Und am Ende der Wertschöpfungskette steht der Kunde als Souverän – so jedenfalls die Annahme eines in der Auseinandersetzung um gesellschaftlichen Wandel oft aufgegriffenen Modells der Mitgestaltung.
Diese Logik umfasst mehr als kundenzentriertes Denken; sie geht davon aus, dass unsere kollektiven autonomen Entscheidungen einen Strukturwandel initiieren können.
Diese Macht bekommen viele Anbieter von Produkten und Dienstleistungen bereits zu spüren; Markentreue nimmt ab, klassische Vertriebskanäle laufen ins Leere, Investitionen werden begleitet von der Verunsicherung, dass eine “disruptive” Innovation eben diese Investionen wieder zunichte machen. Das ist nicht neu, wird aber durch die Prozesse der Digitalisierung beschleunigt. Und es ist kein Zufall, dass neue Geschäftsmodelle ihr Heil vor allem in den “Predictive Analytics” sehen – das Sammeln von Nutzer/innendaten soll Stimmungen und Trends in potentielle Nachfragen übersetzen helfen, die Unübersichtlichkeit und Unvorhersehbarkeit von Marktgeschehen wieder beherrschbar machen.
Auch das ist nicht neu – erfolgreiche Geschäftsmodelle basieren darauf, dass sie Kundenwünsche kennen, Werbung musste schon immer das Begehren selbst inszenieren und nicht nur über Produkte informieren. Neu ist die nahzu unbegrenzte Skalierbarkeit dieses Geschehens; aus dem Gespräch im Buchladen ist der “recommendation algorithm” eines global agierenden Buchversenders geworden, der Millionen von Empfehlungen abgeben kann und damit auch darüber mitentscheidet, wie weltweit die Bestsellerlisten von morgen aussehen werden.
In der Theorie sollen Kund/inn/en Entscheidungen auf der Grundlage möglichst vieler Informationen treffen können – aus der Sicht eines im Sinne der “Social Entrepreneurship” engagierten Unternehmertums sollten Transparenz, Fairness, die Einhaltung hoher Sozial- und Umweltstandards im Zentrum der Bewertung von Alternativen stehen. Das tun sie nicht; mit der Leadership durch kritischen Konsum ist es auf der Jagd nach Schnäppchen, aber auch in Zeiten sinkender Reallöhne nicht weit her, zumindest in Bezug auf niedrige und mittlere Einkommen.
In Bezug auf den Umgang mit Digitalisierung kommt allerdings hinzu, dass noch völlig unklar ist, inwieweit sich solch kritischer Konsum an bestehenden Modellen überhaupt orientieren kann. Eine Produktionsinszenierung, die nur auf das gute Gewissen der Konsument/inn/en zielt, trägt nur wenig bei zur Schaffung nachhaltiger Prozesse, schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: “Um den Marktanteil wirklich nachhaltiger Produkte optimal zu fördern, ist demnach ein Wertewandel in Bezug auf die Produktionsbedingungen erforderlich.” Was bei Bananen und Kaffee recht gut funktioniert, ist bei Kleidung allerdings schon schwieriger. Öffentlichkeitswirksame Verfahren wie der Prozess pakistanischer Textilarbeiter gegen den Discounter Kik erinnern zwar auf die Notwendigkeit höherer Standards, aber ebenso auf die an die Grenzen der Konsumentensouveränität im Verhältnis zu den durch Freihandelsabkommen geschaffenen Möglichkeiten, Wertschöpfungsketten neu zu organisieren.
Für den Soziologen Harald Welzer bleibt die Vorstellung der Mitgestaltung durch kritischen Konsum daher letztlich ein Paradox. In seinem Aufruf Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand schreibt er, “man sollte die reine Reaktanzmacht, die am Ende der Wertschöpfungskette steht, nicht mit der proaktiven Gestaltungsmacht des politischen Subjekts im demokratischen Gemeinwesen verwechseln”. Selbst wenn das Ende der Wertschöpfungskette ein Ort der Mitgestaltung sein kann – eine kritische Wahl zu treffen ist das eine; mitzuentscheiden, was überhaupt zur Wahl steht, eine ganz andere. Verantwortung allein vom Ende der Wertschöpfungskette auszüben wird nicht reichen.
Leadership als Mitgestaltung der Digitalisierung
Beispiele für Unternehmen, die mit ihren Kunden verbinden, um dann deren Marktmacht im Sinne einer nachhaltigkeitsorientierten Prozessgestaltung zu nutzen, gibt es in allen Branchen. Unternehmen, die dies explizit mit dem Anspruch auf “Digital Leadership” verbinden, allerdings weniger, zumindest wenn Leadership mehr beinhaltet als der Anspruch auf Marktführerschaft durch das Versprechen auf neueste Technologien, schnellste Verbindungen, besten Service. Neben Akteuren in den Bereichen Datenschutzes und IT-Sicherheit, die schon aufgrund ihres Angebots ein umfassendes Vertrauensverhältnis zu ihren Kunden aufrechterhalten müssen, gibt es aber eine Reihe von Beispielen, die zeigen, wie und wo sich eine solche Leadership entwickeln könnte.
Bei den Technologien, mit denen wir unser Leben in der digitalen Gesellschaft organisieren, haben europäische Rahmenrichtlinien de facto globale Standards der Elektronikproduktion geschaffen. Markenhersteller organisieren sich in Verbänden wie der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI), ein globales Netzwerk von Arbeits- und Umweltorganisationen hält kritische Konsument/inn/en über diese Initiativen auf dem Laufenden und macht transparent, wie der Rohstoffhandel in Herkunftsländern organisiert ist. Innerhalb dieses Rahmens tragen Pioniere wie FairPhones und ShiftPhones dazu bei, dass auch in diesem Bereich Wissen um globale Wertschöpfungsketten entsteht. Sie demonstrieren, dass auch bei komplexen Produkten hohe soziale und ökologische Standards möglich sind – wenn die Rahmenbedingungen nicht allein durch Konsument/inn/en, sondern durch makropolitische Akteure gestaltet werden können.
Ohne diese strukturelle Unterstützung kann sich “Digital Leadership” nur schwer entwickeln; Handelskammern und Verbraucherorganisationen aus aller Welt mischen sich daher regelmäßig in europäische Policy-Prozesse ein, denn mit Vorhaben wie REACH, RoHS und WEEE werden die Rahmenbedingungen der Digitalisierung verhandelt.
Noch anspruchsvoller wird es im Umgang mit Finanzprodukten. Doch auch hier zeigen in der “Global Alliance for Banking on Values” aktive Unternehmen, wie Leadership in Zeiten der Digitalisierung aussehen kann. Mehr als um technische Innovationen wie Apps und neue Bezahlverfahren geht es um Transparenz bei der Kreditvergabe, besondere Kriterien bei der Geldanlage oder das Engagement für neue Rahmenbedingungen internationaler Investitionen. Diese Unternehmen bieten nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern nehmen den Wunsch ihrer Kund/inn/en ernst, durch ihre Entscheidungen tatsächliche strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Unternehmerischer Pioniergeist bleibt auch hier gefragt; die Gründung des “fairen” Börsenplatzes IEX, der durch Informations-Verzögerung Manipulationen durch Hochfrequenzhandel verhindern soll, bietet ein aktuelles Beispiel. Allerdings kann wie auch in allen anderen Bereichen ein solches Experiment nur gelingen, wenn es auf Unterstützung trifft; einflussreiche, ebenfalls im Sinne einer “Leadership” engagierte Institutionen wie der Norwegische Staatsfond haben sich dazu bereit erklärt und zeigen, wie sich die Marktmacht institutioneller Akteure mit dem Einfluss individueller Konsument/inn/en verbinden kann, um strukturellen Wandel mitzugestalten.
Offene Innovation, Co-Creation und Participatory Design
Im Umgang mit Fragen der Mitgestaltung kommt seit einigen Jahren, wenn auch laut DIHK von vielen Unternehmen eher zurückhaltend aufgegriffen, das Thema der “Open Innovation” dazu, die strategische Einbindung Externer zur Öffnung von Innovationsprozessen. Wenn die Technologien der Industrie 4.0 das Betriebsprinzip durch eine ortsübergreifende Vernetzung von Geschäftsprozessen in Frage stellen, tun dies Methoden der offenen Innovation aus Interesse an einer Ideenentwicklung, die den Betrieb mit seinen Außenwelten verbindet: Kunden, Zulieferer, zivilgesellschaftliche Akteure sollen sich an F&E-Prozessen beteiligen.
Gerade Start-Ups nutzen diese Möglichkeit, mithilfe von Crowdfunding-Plattformen Einzelne mitentscheiden zu lassen, welche Prototypen überhaupt weiterentwickelt werden sollen. Viele der Videos, die Crowdfunding-Kampagnen begleiten, erinnern an die Lach- und Sachgeschichten des kindgerechtem Wissenschaftsfernsehens: im Bemühen um Unterstützung müssen Erfinder/innen nicht nur erklären, warum die Welt ihre Idee braucht, sondern auch, wie sie funktioniert. Diese Art von Leadership im Umgang mit der Notwendigkeit, technologischen Wandel begreifbar zu machen, findet sich jenseits der Start-Up-Szene selten, auch wenn engagierte Unternehmen sich zunehmend an neuen Vermittlungsformaten wie Kinder-Universitäten, Science Slams oder Wissenswerkstätten beteiligen.
Konfrontiert mit einem solchen, oft als zeitgeistig belächelten Anspruch auf Mitgestaltung, fällt es vielen Unternehmen schwer, Externe in ihre F&E-Prozesse zu integrieren oder gar in die Rolle eines “Community-Organizer” zu schlüpfen, um Nutzer/innen jenseits ihrer Rolle als Konsument/inn/en einzubinden. Hersteller von Geräten wie Smartphones, deren Funktionalität von Software und Online-Plattformen abhängig ist, agieren im Gegenteil oft im Sinne des “Vendor Lock-In” – Kund/inn/en müssen das Ökosystem des jeweiligen Anbieters kaum noch verlassen und verzichten in der Hoffnung auf eine reibungslose Integration von Hard- und Software auf ihren Anspruch auf Mitgestaltung jenseits einer “reinen Reaktanzmacht” (Welzer). Aus Sicht der “Digital Leadership” eine Ironie – ausgerechnet jene Unternehmen, die global für ihre Innovationsführerschaft bewundert werden, legen kaum Wert darauf, gemeinsam mit ihren Kund/inn/en die Rahmenbedingungen der Digitalisierung zu gestalten. Die legendäre Auseinandersetzung zwischen Greenpeace und Steve Jobs zeigt aber auch, wie sinnvoll es ist, wenn eine solches Engement eingefordert wird.
Eine solches Verständnis von Leadership – als gemeinsames Enagement im Rahmen einer durchaus konfliktreichen Auseinandersetzung – widerspricht allerdings vielen Geschäftsmodellen. Die Hoffnung auf die Monetarisierung von Big Data setzt voraus, dass Nutzer/innen nicht nur möglichst viele Daten innerhalb der jeweiligen Infrastrukturen generieren, sondern – wie der Social-Media-Monopolist Facebook – das gesamte Nutzer/innenverhalten auch jenseits der eigenen Plattform auswerten. Der Dokumentarfilm Terms and Conditions May Apply versucht, die aufgrund ihrer Komplexität von den meisten Nutzer/innen “weggeklickten” Lizenzvereinbarungen zum Gegenstand kritischer Auseinandersetzung zu machen, erinnert aber vor allem an die hohen Hürden rechtlicher und technischer Komplexität im alltäglichen Umgang mit der Vernetzung. Noch sind derlei Lizenzvereinbarungen keine echte Schnittstelle zwischen Unternehmen und Nutzer/inn/en. Andererseits: Der “One-Pager” wird ebenso kommen müssen wie andere Formate der Aufklärung. Und die Suche nach alternativen Plattformen hat längst begonnen.
Plattform und Partizipation
Plattform und Partizipation – diese Logik dominiert zwar die Diskussion vor allem durch die logistischen Innovationen der Dienstleister Uber (Mobilität) und AirBNB (Wohnraum) getriebener Geschäftsmodelle. Rund um die Idee dieser Logik führen Nutzer/innen, zivilgellschaftliche Akteure und kleine Unternehmen aber auch Diskussionen zu möglichen Alternativen in der Gestaltung von Plattformen. Und auch wenn der “faire” Börsenplatz IEX sich erst noch bewähren muss – er beweist ebenso wie die zahlreichen Experimente mit virtuellen Währungen wie BitCoin, dass “Digital Leadership” als Mitgestaltung auch in Bezug auf komplexe Prozesse der Digitalisierung möglich ist.
Die Aktivitäten gefeierter Pioniere elektrischer Automobilität wie Tesla, Atieva oder Faraday erinnern daran, wie schnell ein neues, die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfendes Geschäfts- und Organisationsmodell die Spielregeln einer ganzen Branche ändern kann. Gleichzeitig zeigen Beispiele wie der im Zuge der Popularisierung von 3D-Druckverfahren entstandene US-Autohersteller Local Motors, wohin die Reise auch gehen könnte – hin zu einer radikalen Neuordnung des Verhältnisses von Kunde und Unternehmen in einem Unternehmen, das ein Netzwerk aus Mikro-Fabriken aufbaut und über eine offene Co-Creation-Plattform zur Mitgestaltung einlädt. Auch wenn dies zunächst vor allem Versuchsanordnungen sind – “Digital Leadership” findet sich auch hier, in der Suche nach neuen Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit den Möglichkeiten der Digitalisierung.
Prozess und Autonomie
In einer anderen Version der Anekdote zur Zukunft der Arbeit schreibt der Internet-Pionier und Startup-Finanzierer Marc Andreesen: “Die Verbreitung von Computern und des Internet wird zwei Kategorien von Arbeitsplätzen schaffen: Menschen, die Computern sagen, was sie machen sollen, und Menschen, die von Computern gesagt bekommen, was sie machen sollen.” Während sich die Wahrscheinlichkeit, seine Job durch Automatisierung zu verlieren, bereits auf einer Webseite der BBC berechnen lässt, stehen die Strategien vieler Akteure im Umgang mit der “Digitalen Gesellschaft” immer noch am Anfang.
Methoden der offenen Innovation und des Participatory Design setzen hier an, nicht allein, um Produkte und Dienstleistungen gemeinsam zu entwickeln, sondern um durch solche Formate überhaupt Prozesswissen entstehen zu lassen. Ähnlich wie in der Vorstellung einer Bürgerwissenschaft (Citizen Science), aber mit dem expliziten Ziel der Mitgestaltung einer konkreten Innovation, machen sich “Externe” auch ohne Einladung auf an das andere Ende der Wertschöpfungskette. Gerade im Kontext des sich gerade entwickelnden Internet der Dinge entstehen offene Technologieprojekte wie Dowse oder das globale Technologieforum ThingsNetwork, um über experimentelle Installationen herauszufinden, wie technische und soziale Prozesse und damit auch Innovationen ineinandergreifen. Das ist weit mehr als Spielerei – die Sorge vor Internetattacken, die von ungesicherten ‘smarten’ Geräten ausgehen, ist bereits da, ebenso Fragen nach informationeller Selbstbestimmung.
Flankiert durch das industriepolitische Leitbild einer “Industrie 4.0” setzen sich Unternehmen zunehmend mit Fragen der Prozessgestaltung auseinander, vor allem in Bezug auf die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, Datensicherheit, Breitbandverfügbarkeit. Dabei entstehen interessante Organisationsmodelle – der Streaming-Anbieter Spotify etwa ließ sich durch Selbstorganisationsprozesse aus der Welt des Computerspiels inspirieren. Gleichzeitig nimmt das Bewusstsein zu, dass dieser Weg von zahlreichen Konflikten begleitet sein wird.
Open-Innovation-Workshops allein werden diesen Konflikten kaum gerecht werden können; sowohl “Fairness” wie “Kampf” gehören zu den Beispielszenarien einer Böckler-Studie zur Zukunft der Mitbestimmung. Nicht jeder Ruf nach Maschinensteuer wird dabei von einem luddistischen Sturm auf die Maschinen begleitet (auch wenn an dieser Stelle daran erinnert werden darf, dass die Kritik der Finanzwirtschaft durch die Occupy!-Bewegung ihren Anfang nahm mit einer Initiative der Neo-Luddisten der Agentur AdBusters). Dennoch wird es in der Innovations-Diskussion auch darum gehen, in welchem Zusammenhang ein Anspruch auf Mitgestaltung und klassische Mechanismen der Mitbestimmung stehen – nicht allein als Wiederauflage von Debatten einer Humanisierung der Arbeit, sondern um ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Rolle von Erwerbsarbeit.
Die Konsequenzen technologischer Innovationen sind zu weitreichend, um sie entweder einem entpolitisierten Konsum (Smart Home) oder betriebsinternen Auseinandersetzungen um die Verteilung einer Rationalisierungsdividende (Smart Factory) zu überlassen. Kulturelle, politische und soziale Innovation entscheiden, welchen Einfluss technische Innovationen auf Arbeit und Leben haben, ob wir Big Data und Small Data in einen klugen Zusammenhang bringen können. Wenn “Digital Leadership” gefragt ist, dann in dieser Auseinandersetzung.
Niemand muss sich hier auf lang zurückliegendes Ausbildungswissen oder eigen Managementerfahrungen verlassen. Selten gab es soviele Möglichkeiten, sich am Erfahrungsaustausch rund um die Möglichkeiten der Mitgestaltung von Digitalisierungsprozessen zu informieren – ob im Interesse des gesellschaftlichen Wandels oder auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Akteure, die sich zum Beispiel im Namen der “digitalen sozialen Innovation” organisieren, demonstrieren, wie verschiedene Innovationsformen ineinandergreifen. Hier lässt sich einiges lernen von Peer-to-Peer-Prozessen, deren soziale und technische Logiken der Organisation hinter vielen aktuellen Innovationen steckt. Eine weitere Möglichkeit bietet sich in Bezug auf den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Ergänzend zu den Möglichkeiten des Austausches um die Zukunft von Freizeit (Smart Home) und Arbeit (Smart Factory, Industrie 4.0) bietet sich im Kontext der “Smart City” die Möglichkeit, die Prozesse der Digitalisierung wieder in Bezug zu setzen zu unserem gemeinsamen Alltag in der Öffentlichkeit. Internationale Netzwerke wie Open and Agile Smart Cities oder die gerade erst gegründete Barcelona Initiative for Technological Sovereigny (BITS) stellen hierzu neben offenen Technologien eine Vielzahl von Informationen bereit.
Prozesswissen setzt schließlich auch andere Formen der Berichterstattung voraus, die globale Wertschöpfungsketten verstehbar und damit – prinzipiell – mitgestaltbar machen. Journalist/inn/en setzen sich zunehmend mit Fragen der “algorithmic acccountability” auseinander, um die vielen Black Boxes algorithmisierter Prozesse etwa im Zuge der Banken- und Finanzkrise auszuwerten wie die Flugschreiber eines abgestürzten Flugzeugs. Netzpolitisches Engagement und Hacker-Konferenzen schaffen allgemeinverständliches Wissen darüber, wie neue technische Infrastrukturen politisch und rechtlich gestaltet werden können.
Die Frage nach dem “wir”, das den digitalen Wandel auf den Weg bringt, ist letztlich vor allem eine praktische Frage: wer soll sich mit wem über Autonomie in Zeiten der Vernetzung auseinandersetzen? “Digital Leadership” heisst, mit dieser Auseinandersetzung zu beginnen, sich auf sie einzulassen, die gesellschaftliche Dimension der Digitalisierung ebenso ernst zu nehmen wie die Versprechen technologischer Innovation.