Immer häufiger nutzen Unternehmen Crowd Innovation als Instrument, um schnell an viele kreative Lösungsansätze für ihre Problemstellungen zu kommen. Diese Art der Innovation verspricht vielfältige Ideen, niedrige Einstiegskosten, Multiplikator-Effekte, Motivation und Treue, kosteneffektive F&E sowie eine Steigerung der Innovationskultur im Unternehmen. Doch damit ein Crowd Innovation-Projekt auch erfolgreich ist, müssen im Projektansatz verschiedene Grundsätze beachtet werden.
1. Einleitung
Wie erfindet man einen Tricorder? Leonard McCoy, Board-Arzt des Raumschiffs Enterprise, kann mit seinem Tricorder sekundenschnell Diagnosen stellen, ohne seine Patienten auch nur berühren zu müssen. Der Chiphersteller Qualcomm will diese Vision einer Fernsehserie nun Realität werden lassen. Zusammen mit der X Price Foundation hat er jüngst einen Wettbewerb ins Leben gerufen, in dem jeder Teilnehmer seine Ideen für einen Tricoder einreichen kann. Eine technologische Innovation wird hier nicht mehr im Forschungslabor eines einzelnen Unternehmens getrieben, sondern von der breiten Masse der Internetbevölkerung, der „Crowd“ [2,6]. Diese ständig wachsende Gruppe von Freiwilligen wird zunehmend von Unternehmen im Rahmen von Crowd Innovation Projekten für die Entwicklung von innovativen Produkten und Konzepten genutzt.
Die Idee, die Massen zu mobilisieren und zu nutzen, ist keinesfalls neu. So bewarb die britische Regierung unter Königin Anne bereits 1714 einen Preis, den „Longitude Prize“, um mit einer einfachen und praktisch anwendbaren Methode den Längengrad der aktuellen Position eines Schiffs präzise zu bestimmen. Das Board of Longitude bot £ 20.000, was umgerechnet heute ca. £ 35 Millionen [9] entspräche, als Preisgeld. Hunderte Bürger nahmen an dem Projekt teil und überlegten sich verschiedene Lösungen für das Problem, worauf das Preisgeld unter den Gewinnern aufgeteilt wurde. Mit dem Internet und der damit verbundenen Möglichkeit, mit geringem Kostenaufwand eine große Menschenmenge zu mobilisieren, entstanden in den letzten Jahren viele dahingehende Initiativen. So finanzierte zum Beispiel das Pharmaunternehmen Eli Lilly die Forschungs- und Entwicklungsplattform InnoCentive, der Computerhersteller Dell eröffnete die unternehmenseigene Ideenplattform IdeaStorm zur Weiterentwicklung seiner Produkte und der Spielzeugfabrikant Lego bat die Crowd über das Portal „Design By Me“, neue Produkte aus seinen Legosteinen zu entwickeln.
Diese und viele weitere Beispiele illustrieren die Möglichkeiten des Konzepts, durch Veröffentlichung von Problemstellungen Ideen und Lösungen aus der Crowd zu generieren. Durch die weitgehende Verbreitung des Internet ergibt sich eine schier unerschöpfliche Quelle frischer Ideen und Lösungen bei einem gleichzeitig überschaubaren Aufwand.
Aber: Nicht alle Initiativen sind erfolgreich und an die positiven Beispiele reiht sich eine Vielzahl an gescheiterten Ansätzen, die Crowd für das eigene Unternehmen produktiv einzusetzen. Um zu verstehen, wie Crowd Innovation von Unternehmen sinnvoll eingesetzt werden kann, haben wir Interviews mit globalen Experten im Crowd Innovation Umfeld geführt. Wir fragten nach Methodik, Prozessen und Best Practices zur Nutzung von Crowd Innovation und kombinierten die Erkenntnisse mit gängiger Literatur [1,13] sowie unseren Projekterfahrungen.
2. Ansatz für erfolgreiche Crowd Innovation Projekte
Die Erfolgsquote von Crowd Innovation Projekten hängt maßgeblich von den definierten Zielen und der herangezogenen Vorgehensweise ab. Allgemein kann die Herangehensweise für Crowd Innovation Projekte, wie in Abbildung 1 dargestellt, mithilfe von fünf Hauptschritten strukturiert werden: Definieren, Vorbereiten, Ausführen, Analysieren und Implementieren.
2.1 Definitionsphase
Im ersten Schritt, der Definitionsphase, sollte mit einer „Strategic Fit“- Analyse begonnen werden. Diese legt einerseits offen, ob Crowd Innovation überhaupt in die übergreifende Strategie der Organisation passt und andererseits, ob Crowd Innovation potenziell bessere Ergebnisse als traditionelle Methoden erzielen wird. Die Analyse des „Strategic Fit“ basiert typischerweise auf den Zielen und strategischen Roadmap der Organisation und evaluiert in einer Fit-Gap Analyse die fehlenden Ressourcen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Unternehmenskultur und die bestehenden Prozesse zu evaluieren. Unternehmen mit einer offenen Kultur neigen dazu, neue Ideen intensiv zu diskutieren, was wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass Crowd Innovation Ideen auch wirklich angenommen und umgesetzt werden, erhöht. Nicht zuletzt ist in dieser Phase die Problemstellung selbst ein wichtiger Faktor: Je komplexer das Problem und je mehr internes Wissen notwendig ist, um das Problem zu verstehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass alternative Methoden bessere Ergebnisse liefern können.
2.2 Vorbereitungsphase
In der Vorbereitungsphase werden Ziele und Problemstellung detailliert dargestellt, die Zielgruppe definiert und die geeignete Plattform ausgewählt. Darüber hinaus werden Motivationsansätze sowie Kommunikationsstrategie festgelegt und definiert, wie eventuell vorhandenes geistiges Eigentum geschützt werden kann. In diesem Schritt gilt es, die Rahmenbedingungen für das Crowd Innovation Vorhaben festzulegen, und daher wird dieser Schritt häufig als die wichtigste Phase erachtet:
- Was soll erreicht werden?
Die Ziele des Crowd Innovation Projekts müssen definiert werden. Diese Ziele können sehr konkret sein und auf die Lösung eines klar umrissenen Problems hinauslaufen [4]. Die Fragestellung kann aber auch sehr offen definiert sein, um mehr Kreativität in den Lösungsansätzen zuzulassen. BMW hat z.B. für die Suche nach dem Motorrad der Zukunft, wie Abbildung 3 darstellt, nur vier sehr allgemeine Kriterien vorgegeben, um der Kreativität der Crowd keine Grenzen zu setzen. - Wer wird angesprochen?
Die Definition der Zielgruppe hängt sehr eng mit der zu lösenden Fragestellung zusammen. Vor allem ist zu überlegen, ob ein breites Publikum oder ein kleinerer Kreis von Experten angesprochen werden soll. Zur Generierung vieler kreativer Ideen ist es grundsätzlich sinnvoll, eine breit gefächerte Zielgruppe zu haben, während es für gezielte Problemstellungen auch von Vorteil sein kann, eine kleinere Gruppe mit speziellem Expertenwissen anzusprechen. Für letzteren Ansatz hat Albert Meige, CEO von PRESANS, gemeinsam mit seinem Team einen Softwarealgorithmus entwickelt, der, basierend auf Peer-Reviews, wie zum Beispiel Zitierungen in akademischen Veröffentlichungen und Mitarbeit an relevanten Projekten, nach einem bestimmten Expertenprofil sucht [7]. - Wie kann die definierte Zielgruppe erreicht werden?
Nachdem die Zielgruppe definiert wurde, muss festgelegt werden, wie diese am besten erreicht werden kann. Für Unternehmen stellt sich primär die Frage, ob eine Plattform unter eigenem Brand erstellt, oder eine im Markt etablierte Plattform genutzt werden soll, wie Abbildung 2 zeigt. Viele der etablierten Plattformen haben sich auf spezielle Problemlösungsbereiche festgelegt und die Crowd, mit der sie zusammenarbeiten, entsprechend aufgebaut [3]. 99designers spezialisiert sich zum Beispiel für innovative Designs vor allem von Firmenlogos und Websites, während Innoget vor allem Ingenieure anspricht, um technologische Probleme zu lösen. Es gilt: je konkreter ein Problem, desto gezielter kann der richtige Partner ausgewählt werden.Abbildung 2: In den unterschiedlichen Variationen des Crowd Sourcing aktive Unternehmen - Wie wird die Crowd motiviert?
Häufig werden bei Crowd Innovation Initiativen die Teilnehmer durch monetäre Anreize motiviert. Aber monetäre Anreize sind nur ein Ansatz von vielen. Die Crowd kann grundsätzlich sowohl durch externe Anreize wie monetäre Prämien oder Anerkennung als auch durch die Freude am Ausführen der Aufgabe selbst motiviert werden. Dabei ist für viele Teilnehmer die Aussicht, in einem Projekt eines Unternehmens involviert zu sein, das ihnen wirklich am Herzen liegt, ein wichtiger Motivationsfaktor, sagt Jordi Ràfols, Marketing Manager von Innoget [11]. So ist diese intrinsische Motivation der Hauptantrieb für viele Innovatoren, zur Lösung einer Problemstellung beizutragen. Diesen Punkt unterstreichend legte Sanjukt Saha, CEO von One Billion Minds, eine Problemstellung mit medizinischem Bezug in Indien genauer dar: in Indien werden Tabletten oft in einzelnen Streifen, ohne die Verpackung, verkauft. Die Detailerläuterungen des Medikaments, inklusive der Nebeneffekte, sind auf der Rückseite der Streifen aufgedruckt. Drückt man die Tabletten einmal heraus, ist der Aufdruck auf der Rückseite nicht mehr lesbar und es entsteht ein Risiko für den Anwender. „An einer Problemstellung wie dieser zu arbeiten ist ein sehr großer Motivationsfaktor für die Crowd, weil die Lösung eine immense Wirkung auf das Leben vieler Menschen haben wird“, erklärte Saha [12]. - Wie wird die Kommunikation mit der Crowd ausgestaltet?
Die Kommunikationsstrategie ist ein essenzieller Faktor für den Erfolg einer Crowd Innovation Initiative. Die Kommunikation beginnt mit der Beschreibung der Problemstellung, welche konkret und klar formuliert sein muss. Es sollen keine Zweifel in der Crowd entstehen, ob eine Idee tatsächlich das beschriebene Problem löst oder nicht. Des Weiteren sollte über die Kommunikation mit den Teilnehmern sowie der Teilnehmer untereinander während der Projektlaufzeit entschieden werden. Häufig hat es sich als Vorteil erwiesen, ein Forum zum Austausch von Ideen der Teilnehmer untereinander bereitzustellen. Bei BMW’s Motorrad der Zukunft war gerade der Austausch der Teilnehmer untereinander ein entscheidender Faktor zur Steigerung der Qualität. Durch diesen Austausch wurden die Teilnehmer motiviert, Ideen einzureichen, die noch besser waren als die bereits veröffentlichten. - Wie kann geistiges Eigentum geschützt werden?
Unternehmen müssen sicherstellen, dass durch Crowd Innovation Projekte keine vertraulichen Informationen der Organisation nach außen gelangen und dass das geistige Eigentum des Endergebnisses bei der Firma liegt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die veröffentlichten Informationen genau selektiert werden. Das vorhandene Risiko ist zudem gut zu kontrollieren, wenn ein passender vertraglicher Rahmen angewandt wird. Sanjukt Saha, CEO von One Billion Minds, schlägt zum Beispiel einen zweistufigen Prozess für die Ausführung von Crowd Initiativen vor [12]. Saha regt an, während der ersten Runde nur generische Informationen zu veröffentlichen, um Innovatoren zunächst zu filtern. Nach der ersten Runde werden die Teilnehmer für die zweite Runde ausgewählt. Diese müssen spezifische Verträge unterzeichnen, bevor im zweiten Schritt des Innovationsprozesses mehr Informationen durch das Unternehmen preisgegeben werden.
3. Ausführungsphase
Während der Ausführungsphase werden Problemstellungen veröffentlicht, mit der Crowd kommuniziert und Lösungsvorschlage sowie Ideen gesammelt. Abhängig von der gewählten Plattform und Kommunikationsstrategie kann der Dialog zwischen den Teilnehmern limitiert, moderiert oder uneingeschränkt freigegeben werden. Werden Ideen innerhalb der Gruppe offen diskutiert, so können Netzwerk-Effekte auftreten, die zur Verbesserung der Ideen beitragen. Da die Erfinder wissen, dass viele andere User ihre Ideen sehen werden, haben sie zusätzliche Motivation, etwas Außergewöhnliches zu produzieren. Ein wichtiger Faktor ist außerdem die Begleitung der Ausführungsphase durch Vertreter des Unternehmens. Dazu sollte ein Top Manager als Projektchampion involviert sein, der die Initiative von der Definitionsphase bis zur schlussendlichen Einführung des neuen Prozesses oder Produkts begleitet.
Das Analysieren, Filtern und Auswählen des besten Lösungsansatzes aus dem Portfolio an gesammelten Ideen ist eine weitere große Herausforderung eines Crowd Innovation Projekts. Eine Best Practice ist es, das Problem auf Basis von bereits zu Projektbeginn klar definierten Kriterien zu bewerten. Die damit verbundene Analyse kann entweder von internen oder externen Teams durchgeführt werden und auf quantitativen oder qualitativen Evaluierungsmerkmalen beruhen. Der Sieger des Wettbewerbs wird nach Abschluss der Analyse entsprechend der Motivationskriterien verkündet und belohnt.
Mit der Auswahl einer Lösung ist der Prozess allerdings noch nicht abgeschlossen. Während der Implementierungsphase wird die Innovation im Unternehmen umgesetzt und je nach Projekt am Markt eingeführt. Wesentliche Erfolgsfaktoren dieser Phase sind die Übertragbarkeit der entwickelten Innovation auf das Unternehmen, sowie die Sicherstellung einer schnellen Produkteinführung. Das Unternehmen selbst muss bereit sein, die Lösung oder Idee anzunehmen und umzusetzen. Die Transparenz des Projektes innerhalb der Organisation ist daher essentiell um die Zustimmung der Mitarbeiter für eine erfolgreiche Umsetzung zu gewinnen, unterstreicht auch Christian Hirsig, CEO von Atizo [5].
4. Insights für das Top Management
Crowd Innovation kann erfolgreich eingesetzt werden, um neue Ideen zu sammeln und Problemstellungen zu lösen. Ergebnisse dieser Studie sowie die umfangreiche Projekterfahrungen von Arthur D. Little zeigen, dass Unternehmen in sechs Aspekten von Crowd Innovation profitieren können, wenn die Grundsätze, die in diesem Artikel erläutert wurden, durchgängig angewandt werden:
- Vielfältige Ideen: Crowd Innovation schafft ein breiteres Bild und einen größeren Zustrom an neuen Ideen, verglichen mit traditioneller F&E.
- Niedrige Einstiegskosten: Crowd Innovation Initiativen können anfangs schlank aufgestellt und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt ausgeweitet werden.
- Multiplikator-Effekt: Eine neue Idee, ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung werden in der Organisation besprochen, was zur Generierung zusätzlicher Ideen führt.
- Motivation und Treue: In den Innovationsprozess involvierte Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter führen zu einer höheren Motivation sowie Produkttreue
- Kosteneffektive F&E: Crowd Innovation, als Teil des F&E-Portfolios, ist ein effizienter und kosteneffektiver Weg, um den Innovationsnachschub sicherzustellen und die Produktivität von F&E zu steigern.
- Innovationskultur: Mit der Zeit kann die Kultur einer Organisation in Richtung einer offeneren und innovativeren Umwelt verändert werden.
Crowd Innovation bietet Unternehmen einen Weg, Ideen und Lösungen für komplexe Fragestellungen zu generieren, wodurch neue Möglichkeiten gefördert werden. Die so generierten Ideen müssen im Unternehmen angenommen und erfolgreich implementiert werden, um die Früchte von Crowd Innovation ernten zu können. Die Best Practices zur Umsetzung, welche hier dargelegt wurden, können als Leitfaden für Unternehmen dienen, die erwägen, Crowd Innovation einzuführen.
Durch Crowd Innovation können Lösungen für Problemstellungen und innovative Konzepte entwickelt werden. Wir sind gespannt zu erfahren, wann mit Hilfe von Crowd Innovation der Tricorder mithilfe von Fiktion zu einer Realität werden wird!
LITERATUR
[1] Chesbrough, H. W.: Open Innovation: The New Imperative for Creating and Profiting from Technology. Boston: Harvard Business School Press. 2003
[2] Estellés-Arolas, E., González-Ladrón-de-Guevara, F.: “Towards an integrated crowdsourcing definition.” Journal of Information Science. 2012
[3] Gassmann, O.: Crowdsourcing: Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz. München. Carl Hanser Verlag GmbH & CO. KG. 2010
[4] Gassmann, O., Enkel, E.: „Open Innovation: Die Öffnung des Innovationsprozesses erhöht das Innovationspotenzial.“ zfo, Ausgabe 3/2006, S. 132-138
[5] Hirsig, C.: CEO Atizo [Interview]. 2012. (06.06.2012)
[6] Howe, J.: “The Rise of Crowdsourcing.” Wired. Ausgabe 14/2006
[7] Meige, A.: Vorsitzender und Gründer PRESANS [Interview]. 2012. (06.07.2012)
[8] Monaco, D.: Director of Business Development Yet2.com [Interview]. 2012. (22.06.2012)
[9] Officer, L. H., Williamson, S. H.: Purchasing Power of British Pounds from 1245 to Present. s.l. MeasuringWorth. 2011
[10] Petavy, F.: CEO Eyeka [Interview]. 2012. (15.06.2012)
[11] Rafols, J.: Marketing Manager Innoget [Interview]. 2012. (14 06 2012)
[12] Saha, S.: CEO One Billion Minds [Interview]. 2012. (13 06 2012)
[13] Slowinski, G.: Reinventing Corporate Growth. Gladstone: NJ: Alliance Management Press. 2004
Fabian Doemer, Andreas Deptolla, Fabian Sempf, Stefan Peintner