Neue digitale Dienstleistungen und Prozessoptimierung in der Logistik durch Deep Learning
Birgit Davidian, Industry Solution Executive Transportation, Microsoft Deutschland GmbH
Kurz und bündig:
Die digitale Transformation ermöglicht durch das Aufbrechen von Daten-Silos und die Erhebung neuer Datenpunkte durch IoT oder externe Datenquellen eine erheblich verbesserte Sichtbarkeit der Datenströme entlang der Supply Chain. Dies bietet Logistikern die Chance, für Kunden neue digitale Dienstleistungen zu entwickeln, die zum einen den originären Logistikprozess berechenbarer macht. Zum anderen kann der Logistiker mit seine vorhandenen Informationen über Verkehrs- und Warenstrome auch eine neue digitalisierte Wertschöpfung erreichen.
Die zielgenaue und sichere Vorhersage der Nachfrage ist ein alter Traum der Logistiker. KI-basierte Prognoseverfahren bieten heute bereits Instrumente zur Reduzierung von Leerfahrten oder der Lagerhaltung. Sind jedoch die Logistik-Prozesse erst einmal digitalisiert, verfügt das Logistikunternehmen über einen Datenschatz, mit dem neue Dienste für traditionelle Kunden und ganz neue Kundengruppen angeboten werden können. Dies können Informationsdienste zu Verkehr, Immobilien, Infrastruktur und Umwelt oder zu Preis- und Margenentwicklungen von Gütern und Diensten sein.
Der Markt für Logistikdienstleistungen steht seit Jahren unter enormem Preisdruck. Insbesondere klassische Logistikleistungen wie Transport, Lagerung und Umschlag sind ein margenschwaches Geschäft, erfordern aber einen hohen Kapitaleinsatz für Ressourcen wie Personal, Lagerfläche, Flurförderzeuge, Lademittel, LKWs, Wechselbrücken und vieles andere. Es gilt daher, diese Produktionsfaktoren optimal auszulasten. Die Tatsache, dass von den laut Kraftfahrtbundesamtes 400 Millionen Fahrten auf deutschen Straßen ein Drittel Leerfahrten sind, zeigt deutlich den Optimierungsbedarf auf. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Logistiker die Potentiale der Digitalisierung sowohl für die Optimierung der klassischen Prozesse als auch für die Entwicklung datengetriebener neuer Geschäftsmodelle untersuchen. Der Einsatz von Big Data sowie Deep Learning bzw. Machine Learning kann hier signifikante Verbesserungen erreichen.
Moderne Prognosesysteme ermöglichen intelligentere Kapazitätsplanung und Ressourcenallokation
Die Prognose der benötigten Ressourcen hat sich für Führungskräfte immer als schwierig erwiesen. Insbesondere in der Logistik ist der Einsatzbedarf über die komplexen Lieferketten hinweg von starker Saisonalität geprägt, die durch Handelsaktivitäten im Endkundengeschäft, wie Weihnachten und Black Friday, aber auch von Faktoren wie Produkteinführungen, Marketingkampagnen, Grippewellen, Schnee-Einbrüche, Dürren, Streiks, Zoll-Änderungen und vielem mehr beeinflusst wird.
Die immer kürzeren Lieferzeitanforderungen, immer komplexere globalisierte Warenströme und neue disruptive Wettbewerber erhöhen den Druck im Logistikmanagement zusätzlich. Betrachtet man nun aber die traditionellen Prognose- Prozesse, zum Beispiel bei der Personaleinsatzplanung, so basiert die Vorhersage typischerweise auf statischen Verfahren wie Fortschreibung der bisherigen eingesetzten Ressourcen, angereichert um Erfahrung, Vermutungen und anekdotische Rückmeldungen. Werden weiter fortgeschrittene Forecasting Modelle, zum Beispiel unter Zuhilfenahme von Operations Research Experten eingesetzt, steigt zwar die Genauigkeit, aber es werden häufig nicht genügend Variablen berücksichtigt, um die Komplexität der Supply Chain abzubilden. Zudem werden im Vorfeld Annahmen getroffen, die sich nicht immer als akkurat erweisen. Ein weiteres Problem stellt sich in der Langwierigkeit der Verfahren: Häufig benötigen die Prognosen mehrere Wochen oder Monate, in denen Teams mehrerer Spezialisten Daten analysieren. Bis die Prognose fertig ist und in den operativen Betrieb übergeben wird, haben sich sehr viele der Grundvariablen bereits deutlich verändert. Zusätzlich ist eine gewisse Vorlaufzeit zur Ressourcenallokation und Anpassung des Betriebs notwendig. Je schneller also die Prognose, desto höher ist die Agilität des logistischen Prozesses. Intelligente Analysen ermöglichen es Unternehmen, über die historische Prognose, die nur das Verhalten der Vergangenheit betrachtet, hinauszugehen zu einer ganzheitlichen, datengetriebenen Prognose unter Einbezug vielfältiger relevanten Einfluss-Faktoren.
So will ein Logistikdienstleister beispielsweise die Mengen der verschiedenen Produkte, die seine Kunden anliefern wollen, zu künftigen Zeiten an verschiedenen Standorten vorhersagen. Dazu verwendet das System von Microsoft für die Bedarfsprognose für Shipping- und Distribution historische Nachfragedaten, um die Nachfrage in zukünftigen Perioden über verschiedene Kunden, Produkte und Destinationen hinweg zu prognostizieren, wie es Abbildung 1 aufzeigt. Ein Unternehmen kann diese Prognosen als Input für ein Allokationswerkzeug nutzen, das den Betrieb optimiert, sowohl das Kapazitätsmanagement, den Einsatz von Produktionsmittel wie Lagermittel, Flurförderzeuge, Container, Wechselbrücken und Fahrzeuge als auch die Routenführung von Lieferfahrzeugen. Die Datenverarbeitungskapazität des Cloud-Computing, statistische Algorithmen, die Optimierungsfähigkeit selbstlernender Systeme sowie je nach Anwendungsfall möglicherweise auch die Zuhilfenahme externer Daten kann Prognosefehler deutlich reduzieren, was enorme Kostenreduzierungen bedeutet.
Diese modernen datenwissenschaftlichen Tools können als eigenständige webbasierte Lösung genutzt werden oder in bestehende Performance- Management-Plattformen integriert werden. Die ständige Echtzeit-Überwachung von – bei Bedarf bis zu Tausenden – externen Quellen wie makroökonomische Trends, Wettermuster und Wirtschaftsdaten in Kombination mit den historischen, eigenen Daten vergangener Transporte und Dienstleistungen liefert so zukunftsorientierte Einblicke mit der Geschwindigkeit des Geschäfts. Die Prognosen passen sich dabei dynamisch an.
Anwendung von Predictive Analytics zur Vorhersage von Verkehrsströmen
Unternehmen aus der Logistikbranche, die Predictive Analytics Lösungen [1] nutzen, können nach eigenen Aussagen eine Steigerung der Prognosegenauigkeit von 80 auf über 90 Prozent und eine Kostenreduktion von 17 Prozent durch geringere Leerfahrten und somit Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich erreichen. Zur Vorhersage von Verkehrsströmen bietet sich neben historischen Daten vor allem die Nutzung der zunehmend vorhandenen Echtzeit-Bewegungsdaten von Fahrzeugen an. Durch Internet-of-Things (IoT) basierte Tracking- Anwendungen und innovative Verkehrs-APIs wie Azure Maps und unsere Zusammenarbeit mit TomTom [2] können Logistiker Touren effizienter planen. In der Seefracht lohnt es sich zum Beispiel, Vorhersagen über Schiffs-Bewegungen und Liegeplätze treffen, um teure Liegezeiten zu reduzieren[3]. Auch im schienengebundenen Güterverkehr wurden mit der Anwendung von Machine Learning positive Erfahrungen gemacht. Hierfür wurden im Prognosemodell neben Netzwerkdaten, monatlichen Kundenbuchungen und täglichen Abweichungen von Ursprungsaufträgen auch Wetterdaten und Wartungsinformationen sowie die Fahrzeug/Container-Attribute sowie Ladungs-/ Produktinformationen und Stationsinformationen berücksichtigt und für die Optimierung verwendet.
Weitere Anwendungsfälle für Predictive bzw. Prescriptive Analytics, beziehungsweise neue Serviceangebote für Logistiker, bestehen in der Verbesserung der Verfügbarkeit der logistischen Produktionsfaktoren durch Predictive Maintenance. Ein Beispiel ist die Vermeidung des Ausfalls der Fahrzeuge durch Analyse von Sensorinformationen zu abweichenden Geräusch- Emissionen und Verbräuchen oder Anwendung von Deep Learning zur Prognose einer notwendigen außerplanmäßigen Wartung. Eine weitere neue Dienstleistung durch Predictive bzw. Prescriptive Analytics ist Predictive Pricing, also die dynamische, vorausschauende Preisfindung in Abhängigkeit von Marktkennziffern, historischen Kundendaten und -verträgen, regionalen Margen und Treibstoffpreisentwicklungen. Prescriptive Analytics ist hier als die Generierung von Handlungsempfehlung auf Grundlage der erkannten Muster, Trends und Anomalien zu verstehen.
Zusammenfassung: Neue digitale Dienstleistungen in der Logistik
Die digitale Transformation ermöglicht durch das Aufbrechen von Daten-Silos und die Erhebung neuer Datenpunkte durch IoT oder externe Datenquellen eine erheblich verbesserte Visibilität entlang der Supply Chain. Zudem eröffnet sie die Möglichkeit, mithilfe agiler Methoden dynamischer auf Disruptionen zu reagieren. All dies bietet Logistikern die Chance, neue digitale Dienstleistungen zu entwickeln. So können Kunden über Apps oder Webservices im Kundenportal proaktiv benachrichtigt werden, wenn Supply Chain Disruptionen stattfinden. Gleichzeitig können bei spezifischen Störungen zum Beispiel bei der Be- und Entladung im Hafen gleich Tarifänderungen und Handlungsoptionen angeboten werden. Über derlei Mehrwertangebote können neue Leistungen monetarisiert werden.
Letztlich verfügen Logistiker bei besserer Ausnutzung ihres Datenschatzes über eine erhebliche Menge von Detailwissen über den Status und Veränderungen der weltweiten Netzwerke, vom Zustand der Straßen und Brücken bis hin zu vielfältigem überregionalen Prozesswissen. Diese Daten könnten angereichert werden durch Kameras und Objekterkennungs-Algorithmen (Cognitive Services) in den Fahrzeugen, um selber Informationsdienste zu Verkehr, Immobilien, Infrastruktur und Umwelt zu etablieren. Selbsterhobene Daten zu Supply Chain Risiken könnten ggf. durch externe, etwa politische Daten ergänzt werden, um diese zum Beispiel an Finanzdienstleister zu verkaufen. Hierfür bieten sich die Daten-Marktplätze für Cloud-Services an [4]. Im Paketgeschäft ist die zunehmende Interaktion mit dem Kunden bereits etabliert durch die Möglichkeit der flexiblen Änderung von Lieferzeitfenster und Zustellort.
Der große Mehrwert ergibt sich durch die Reduktion erfolgloser Zustellversuche, doch auch hier sind aber noch erheblich mehr Dienste durch Erweiterungen des Portfolios im Bereich Retail und Homecare denkbar.