„Man geht so gerne zum Anwalt, wie man zum Zahnarzt geht“
Im Gespräch mit Jan Ginhold, Gründer der Legal Tech-Plattform Geblitzt.de
Kurz und bündig
Das Berliner Start-Up Geblitzt.de bietet die kostenfreie Überprüfung von Vorwürfen aus Bußgeldbescheiden an. Mit Hilfe einer speziell entwickelten Software und der Zusammenarbeit mit Partnerkanzleien, wird dadurch der Zugang zum Recht für viele Verbraucher erst möglich. Die Stärkung des Verbraucherschutzes war einer der Hauptgründe für die Entwicklung des Portals. Als Geblitzt.de 2012 ins Leben gerufen wurde, gab es den Begriff Legal Tech noch nicht. Heute ist es eines der bekanntesten Legal Tech-Portale in Deutschland.
Wann wurden Sie zuletzt geblitzt? Waren Sie damit beim Anwalt? Die Legal Tech-Plattform Geblitzt.de bearbeitet Bußgeldverfahren – ganz kostenfrei. Das funktioniert nur, weil ihre So ware die Prozesse verschlankt und digitalisiert. Was den Anwalt analog viel Zeit kostet, wird dadurch beschleunigt. Der Verbraucher muss sich anmelden, die Unterlagen zuschicken und abwarten. Die Idee des Unternehmens: mit Digitalisierung und Standardisierung zu vollkommen neuen Geschä sideen und -modellen. Für viele wird der Zugang zum Recht erst dadurch möglich.
IM+io: Herr Ginhold, Sie sind ursprünglich nicht aus der Rechtsbranche. Wie kamen Sie zu der Idee von Geblitzt.de? Erzählen Sie uns bitte die Gründungsgeschichte.
JG: Mein Gründungspartner Christoph Lattreuter kam Ende 2012 zu mir und wollte ein Projekt entwickelt haben, mit dem man Verkehrsrechtsmandate im Internet generieren könnte. Im Prinzip die klassische Auftragsarbeit: Seite aufbauen und gucken, dass wir Kunden gewinnen. Wir haben uns dann nochmal zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, wie wir diese Idee verbessern können. Es ging darum, potenzielle Kunden mit einem vorliegenden Bußgeldvorwurf durch ein konkurrenzloses (wettbewerbsfähiges) Angebot, zu überzeugen. Es ging darum Mehrwerte zu schaffen. Sowohl für die Firma, die das ganze betreibt, als auch für den Verbraucher. Denn erst, wenn alle in einer win-win-Situation sind, funktioniert so ein Projekt. Der einfachste Start war natürlich eine Dienstleistung günstiger anzubieten als die Konkurrenz und wie kann man eine Dienstleistung günstiger oder gar kostenlos anbieten? Indem man die Kosten reduziert. Die Kosten reduziert man, indem man Strukturen verschlankt, digitalisiert. Kostenfaktoren, die digital abzubilden sind eben digital abgebildet. Damit kommt man zu komplett anderen Prozessen, die analog in einer Anwaltskanzlei viel Geld kosten, aber digital sehr wenig.
IM+io: Was ist das Alleinstellungsmerkmal Ihrer Legal Tech-Plattform Geblitzt.de?
JG: Das Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir eine Software verwenden, die wir im Laufe der Jahre entwickelt haben. Diese führt dazu, dass die Fallbearbeitung in den Anwaltskanzleien so stark verschlankt wird, dass wir tatsächlich diese Dienstleistung – die Prüfung eines Bußgeldverfahrens auf Basis der jeweils angeforderten Ermittlungsakte – auch ohne eine Rechtsschutzversicherung kostenfrei anbieten können. Das ist im Wesentlichen das Alleinstellungsmerkmal.
IM+io: Wie zeichnet sich Ihr Legal Tech-Unternehmen nun genau aus, welche Fälle werden übernommen?
JG: Im Moment bearbeiten wir Fälle, wenn es sich um Geschwindigkeitsüberschreitungen, um Rotlichtverstöße, um Abstandsverstöße oder um das klassische Handy am Steuer handelt. Diese Abläufe sind in der Kanzlei nämlich quasi deckungsgleich und weichen nur an einem bestimmten Punkt voneinander ab. Sie lassen sich alle gleich in der Software darstellen. Generell ist es so, dass Geblitzt.de die kostenfreie Prüfung von Bußgeldvorwürfen nach Verkehrsverstößen anbietet, aber eben auch nur dann, wenn es sich wirklich schon um ein Bußgeldverfahren handelt. Vor allem aus Selbstschutz für unsere potenziellen Mandanten, denn wenn man gegen ein Verwarngeld vorgeht, wird überhaupt erst ein Bußgeldverfahren automatisch eröffnet. Das heißt, es macht an der Stelle für den Betroffenen schlussendlich keinen Sinn. Es sei denn man war nicht der Fahrer oder kann nachweisen, dass irgendjemand anderes gefahren ist.
IM+io: Sie haben den Kostenfaktor bereits angesprochen. Gibt es noch weitere Punkte, die es für einen Nutzer beziehungsweise möglichen Antragsteller besonders interessant machen Geblitzt.de zu nutzen?
JG: Generell ist es so: wir sind ein Internetprojekt. Ich sage immer: man geht so gerne zum Anwalt, wie man zum Zahnarzt geht. Das ist erstmal unangenehm. Wir sind aber online, das heißt man gibt bei uns seine Daten einfach online ein. Es ist sehr einfach und es ist jederzeit verfügbar. Man kann uns sein Problem sofort übergeben und hat keinen Stress. Auch stellt sich nicht die Frage, ob der Anwalt, den man gerade gefunden hat, gut oder schlecht ist. Unsere Anwälte sind alle gleich gut und haben eine Expertise von tausend Fällen. Das heißt, man kann sicher sein, dass man Qualität bekommt. Wir sind immer verfügbar und das kann ein Anwalt so eigentlich nicht bieten.
IM+io: Stichwort Anwalt: Wird der Anwalt denn durch Legal Tech in Zukunft überflüssig, und wenn ja wieso?
JG: Darauf kann man nur mit Jein antworten. Der Anwalt wird in Bereichen, in denen er eine Dienstleistung erbringt, die zukünftig auch von einer Software zu erbringen wäre, irgendwann nicht mehr gebraucht. Das Problem ist, dass die allermeisten Tätigkeiten, die aktuell von Anwälten durchgeführt werden, zu diesem Dienstleistungsbereich gehören. In diesem werden in Zukunft mit großer Sicherheit keine Anwälte mehr tätig sein. Für die eigentliche Prüfung des Verfahrens werden aber selbstverständlich immer noch Anwälte gebraucht werden. Auch wir arbeiten mit Anwälten zusammen. Sie geben eine Bewertung der jeweiligen Aktenlage ab. Man braucht also immer noch Anwälte, aber eben nur weniger – sehr viel weniger.
IM+io: Würden Sie uns nun bitte im Anschluss noch einmal genau erklären, wie eine solche Prüfung bei Geblitzt.de abläuft ?
JG: Ich erkläre das aus der Perspektive des Nutzers. Der Nutzer meldet sich bei uns auf der Plattform Geblitzt.de an und reicht dort seine Unterlagen ein. Im Anschluss bekommt er eine Vollmacht für den Anwalt, der dann bei der Bußgeldstelle seine Bußgeldakte anfordert und entsprechend bewertet. Diese Vollmacht muss er unterschreiben und zusammen mit dem Bescheid uns zukommen lassen. Diese Dokumente werden dann bei uns digitalisiert, damit wir digital weiterarbeiten können. Das heißt, wir speichern alle notwendigen Positionen in einer Datenbank. Wir wissen jetzt jeweils: wer ist der Mandant, was wird ihm vorgeworfen, und von wem. Dieser Datensatz wird per Knopfdruck an die entsprechende Anwaltskanzlei übergeben. So können wir hunderte Fälle an einem Tag bearbeiten. Mit Annahme der Fälle durch die Kanzleien werden dann automatisch an alle Bußgeldstellen, die dort digitalisiert hinterlegt sind, die Einsprüche versandt. Damit ist der Anwalt erstmal gegenüber der Bußgeldstelle bestellt. Irgendwann muss dann die Bußgeldstelle die Akten schicken. Das ist der Idealzustand.
IM+io: Aber läuft es denn auch immer so reibungslos ab, wie Sie es gerade beschrieben haben?
JG: Es gibt im Laufe dieses Verfahrens immer verschiedene Dinge, die passieren können. Zum Beispiel könnte nach einer bestimmten Zeit, die das System erwartet, die Akte von der Bußgeldstelle fehlen. Wenn das passiert, geht automatisch beim Anwalt eine Erinnerung auf, dass im System etwas fehlt. Die Software erinnert den Anwalt daran, sich darum zu kümmern. Eine Akte könnte aber auch unvollständig ankommen. Der Anwalt kann dann die entsprechenden fehlenden Dokumente im System markieren und zusammenklicken. Anschließend geht wieder automatisch ein Schreiben an die jeweilige Bußgeldstelle raus. Jeder einzelne Schritt wird nur per Knopfdruck durchgeführt. Der Aufwand für den Anwalt, bis zu dem Zeitpunkt das ihm die vollständige Akte digital vorliegt, liegt nahe null. Alles andere, bei dem normalerweise viel Personal gebraucht wird, erledigt die Software.
Der Umgang mit dem Bußgeldverfahren orientiert sich selbstverständlich an den normalen, gewohnten Arbeitsabläufen der Anwälte, diese werden eben nur digital dargestellt. Das führt dazu, dass die Anwälte wesentlich mehr Fälle bearbeiten können. In der gleichen Zeit, in der sie vorher einen Fall bearbeitet haben, können sie jetzt bis zu 20 Fälle bearbeiten.
IM+io: Das bringt uns zur nächsten Frage. Ist denn eine Verbesserung durch Ihre Dienstleistung garantiert, beziehungsweise erkennbar?
JG: In Einzelfällen machen natürlich auch bei uns Anwälte mal Fehler. Generell ist es aber so, dass wir über die uns verfügbare Menge an Daten zu anderen Resultaten kommen können als der klassische Anwalt um die Ecke. Wir können über unsere Software besser abschätzen, wann es sich lohnt einen Prozess zu verschieben. Wir können auch Tendenzen in der Rechtsprechung von Richtern und die Menge an Fällen nachvollziehen. Das machen wir bisher nur rudimentär, weil wir die Software noch weiter verfeinern müssen. Das Ziel ist es aber, diese Folgenabschätzung in Zukunft zu automatisieren und dem Anwalt irgendwann bewertete Handlungsalternativen vom System vorzuschlagen. Mit Hilfe der Software wäre das bei uns theoretisch möglich.
IM+io: Der Bundesverband deutscher Start- Ups e.V. hat Mitte November 2018 ein Positionspapier veröffentlicht. Laut diesem leisten Legal Tech-Unternehmen – wie Geblitzt.de – einen wichtigen Beitrag zum Verbraucherschutz. Allerdings seien Legal Tech-Unternehmen aufgrund der aktuellen Gesetzeslage derzeit in Rechtsunsicherheit. Was sagen Sie dazu und wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?
JG: Es spiegelt unsere Meinung wider. Die Problematik besteht darin, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) niemals für Legal Tech-Unternehmen ausgelegt war. Nun ist es aber so, dass die Rechtsdienstleistung an sich nicht präzise im Gesetz definiert ist. Was ist denn eine Rechtsdienstleistung? Wenn man das ganz eng auslegen würde, dann wäre auch schon die Steuerprüfungsoftware, mit der Sie am Jahresende Ihre Steuererklärung machen, eine Rechtsdienstleistung. Es fehlt schlicht und ergreifend eine eindeutige Definition, was eine Rechtsdienstleistung ist, und folglich Klarheit, welche Dienstleistungen unter das RDG fallen. Solange diese Rechtsunsicherheit besteht, solange werden sich Legal Tech Unternehmen in einer gewissen rechtlichen Grauzone bewegen. Die meisten versuchen dieser Grauzone zu entkommen, indem sie Anhaltspunkte, die auf eine Geltung des Rechtsdienstleistungsgesetzes hindeuten könnten, vermeiden – auch wir. Deshalb beschäftigen wir keine eigenen Anwälte, sondern kooperieren lediglich mit unabhängigen Kanzleien.
IM+io: Wie schätzen Sie ganz grundsätzlich die Chancen für Legal Tech in Europa und besonders in Deutschland ein?
JG: Um die Chancen für Legal Tech in Deutschland zu verbessern, engagieren wir uns an mehreren Fronten. Es gibt zum Beispiel im Bundestag einige Initiativen, verschiedener Parteien, die das Thema Legal Tech auf ihre Agenda gesetzt haben. Dort gibt es das Bewusstsein, dass Legal Tech Verbraucherrechte mittel- und langfristig stärkt und deswegen im Fokus stehen sollte. Wir unterstützen diese politischen Initiativen wo immer möglich. Nach meiner Einschätzung wächst das Bewusstsein für die Vorteile von Legal Tech bei den Politikern und Parteien. Das heißt, es wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine Novellierung des RGD geben. So gibt es mittlerweile erste Vorschläge, von verschiedenen Initiativen, wie diese Novellierung aussehen könnte. Aus unserer Sicht sind schon jetzt gute Ansätze erkennbar. Der Ball ist zumindest ins Rollen gebracht. Sicherlich wird eine Umsetzung nicht schon im nächsten Jahr auf der politischen Agenda stehen. Ich bin aber zuversichtlich, dass mittelfristig die Rechtsunsicherheit behoben wird, in der wir uns aktuell bewegen. Es wird klare Normen geben, an denen sich alle Unternehmen orientieren können, um die Rechte der Verbraucher auch sinnhaft weiter zu stärken.