Künstliche Intelligenz: Henne oder Ei?
Wie eine Implementierung im Unternehmen gelingen kann
Ein Kommentar von Heinrich Arnold, Detecon
Kurz und bündig:
Die technologischen Veränderungen, die die Informations- und Telekommunikationsindustrie derzeit durchläuft, ist geprägt von Verunsicherung und der Frage, wie KI in einem Unternehmen implementiert werden kann. Dr. Heinrich Arnold, CEO von Detecon, plädiert für agile bereichsübergreifende Teams, aufgebaut wie ein Lab, die konkrete Use Cases in einem Unternehmen identifizieren und alte Strukturen aufbrechen dürfen – ohne Sanktionen oder Kennzahlen.
Derzeit durchläuft die Informations- und Telekommunikationsindustrie eine ganze Reihe technologischer Veränderungen, von denen die Künstliche Intelligenz eine der maßgeblichen ist. Doch wie implementiert ein Unternehmen diese Technologie? Prof. Dr. Heinrich Arnold, CEO von Detecon, sieht darin eine Henne-Ei-Problemstellung wie zu den Anfängen des Cloud Computings und plädiert für bereichsübergreifende Teams, für die bestimmte Standardabläufe im Unternehmen nicht gelten.
Keine andere Branche durchlebt in so kurzer Zeit so viele Hypes und angebliche Megatrends wie die Informations- und Telekommunikationsindustrie. Aktuell zeigt der bekannte Hype Cycle von Gartner mehr als 30 Technologiethemen in unterschiedlichen Umsetzungsstadien. Angefangen von Smart Dust im Anfangsstadium bis hin zu Virtual Reality, das auf dem besten Weg ist, in den Alltag einzuziehen. Eine ganze Reihe dieser Hype-Lösungen verschwindet allerdings wieder, bevor sie wirklich in die produktive Phase kommen. Ein Thema aber wird ganz sicher unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen: Künstliche Intelligenz, kurz KI – jedoch nur, wenn Unternehmen lernen, wie sie KI-Lösungen sinnvoll in ihre Prozesse und Innovationszyklen integrieren können. KI oder im erweiterten Sinne die Künstliche Intelligenz der Dinge (AIoT, Artificial Intelligence of Things) lösen gemeinsam mit Technologien wie AS (Autonomous Systems) und AR (Augmented Reality) regelrechte Technologieschocks aus, da sie Echtzeiteffekte und Prognosemechanismen in gewaltigen Größenordnungen verändern werden. Damit stellen sie natürlich auch die wesentlichen Herausforderungen für Forschung und Kompetenzentwicklung dar, um die entscheidenden, unternehmenskritischen Anforderungen für das zukünftige digitale Geschäft in Deutschland und Europa beherrschen zu können.
Nutzen von KI steht außer Frage
Ob Automobilindustrie, Gesundheits- oder Finanzbranche oder der Logistiksektor: Sie alle versprechen sich große Dinge durch KI. Einige Branchen erklären KI mittlerweile sogar als elementar für die Umsetzung der eigenen Strategie oder sehen künstliche Intelligenz als unabdingbar für die Transformation ihres Unternehmens. Den Nutzen von KI-Systemen jedenfalls stellt bereits heute kaum ein Unternehmen mehr in Frage – was KI von manch anderem Hype-Thema unterscheidet. In der Praxis jedoch steckt die Umsetzung von KI-Projekten in vielen Firmen noch in den Kinderschuhen. Sie fragen sich: Wie kommt KI in mein Unternehmen? Wie und in welchen Unternehmensbereichen gehe ich KI-Projekte an? Es fehlt schlichtweg an praxisnahem Knowhow, geschweige denn, dass Strategien existieren. Dies ist ein Grund, warum sich Unternehmen beim konkreten Einsatz von KI-Systemen zurückhalten. Vieles, was als KI deklariert wird, bekommt nur den KI-Stempel. In Wahrheit sind es klassische Big-Data- oder Business Intelligence-Lösungen. KI krankt also noch an dem Huhn- oder- Ei-Phänomen, was ein wenig an die Anfänge des Cloud Computings erinnert. Bis zu dessen Start lag die IT weitgehend in den Händen der IT-Abteilung. Sie gab vor, welche Software angeschafft wird und wer sie betreibt. Die Fachseiten mussten oftmals die „Kröte schlucken“, die ihnen die IT-Experten vorlegten. Und die betrachteten Cloud Computing zunächst als rein technisches Thema: das Teilen von Rechen- und Speicherkapazitäten oder die Verarbeitung von Echtzeitdaten in Echtzeit. Dies allein griff aber zu kurz. Was die IT-Abteilungen dann zu spüren bekamen. Denn die Fachbereiche holten sich Software aus der Cloud ins Haus, die ihre Prozesse besser abbildeten und einfach bedienbar war. Bekannt als „Schatten-IT“.
KI-Projekte sind Teamarbeit
Der KI droht ein ähnliches Schicksal. Es sei denn, die Unternehmen verstehen, dass die Einführung von KI-Lösungen keinesfalls eine Frage allein von IT-Spezialisten, Programmiercodes und Algorithmen ist. Die Unternehmen müssen sich vielmehr fragen, für welche Zwecke sie Algorithmen überhaupt anwenden wollen und wie sie die dazugehörige Wertschöpfung auch in die Praxis übertragen können. Die innerbetriebliche Initiative für KI-Projekte muss von der Herausforderung eines Fachbereichs ausgehen. Denn hier stecken die konkreten Use Cases. Der Fachbereich sollte dafür seinen ersten Anlaufpunkt nicht nur in der IT haben, sondern bei einem KI-Experten. Die sind jedoch längst Mangelware. Laut dem Markforschungsunternehmen IDC wollten rund 70 Prozent der deutschen Firmen in 2018 KI-Projekte umsetzen. Der KI-Forscher Sven Körner schätzt aber, dass es zwar weltweit rund 10.000 KI-Experten gäbe, der Bedarf aber etwa eine Million betrage. Wie kaum eine andere Technologie zuvor, brauchen die auf das eigene Unternehmen abgestimmten KI-Lösungen ein Team unterschiedlicher Experten aus verschiedenen Bereichen eines Unternehmens – sowie sinnvollerweise auch die Kompetenz externer Forschungs- und Innovationslaboratorien. Denn meist verfügen weder Fachbereiche noch IT-Abteilungen allein über das komplette Know-how, KI-Projekte sinnvoll anzustoßen. Zu hoffen auf die Existenz eines Einzelgenies mit Statistikstudium und tiefen Erfahrungen bei Künstlicher Intelligenz, das die neuesten Methoden des Design Thinking beherrscht, die aktuelle Lambda-Architektur konfiguriert und das Domänen-Wissen und Erfahrungen mitbringt, ist eher unrealistisch. Entscheidend ist vielmehr die Beteiligung an globalen Allianzen und innovativen Ökosystemen, welche gerade auch aus europäischer Sicht einen sinnvollen Weg darstellen, um nicht nur einen Gegenpol zu amerikanischen und chinesischen Aktivitäten zu setzen, sondern die Digitalisierung ganzer Wertschöpfungsketten durch die Verzahnung von Forschung und Innovation bis hin zur Implementierung praxisgerecht und rechtskonform sicherzustellen. Was zählt, ist die Praxisnähe: In einem Use Case zum Beispiel hat Detecon gemeinsam mit dem Kundenservicebereich eines Unternehmens die Effizienz des Kundenservice gesteigert. Dazu haben wir eine KI-Lösung in ein bestehendes Kundenservice-System integriert. Dies hilft den Mitarbeitern, gezielter auf Kundenanfragen zu reagieren. Wenn eine Frage per E-Mail, Social Media oder Live Chat eingeht, wird diese Frage vom KI-System analysiert und an den zuständigen Mitarbeiter weitergeleitet. Gleichzeitig erhält der Mitarbeiter wertvolle Meta-Daten der Anfrage – wie Priorität, Art oder Sentiment – und basierend darauf eine KI-Empfehlung zur Beantwortung der Frage.
Vorhandene Strukturen in Frage stellen
Auch wenn manche Berater empfehlen, einfach mit KI zu experimentieren und sich im ersten Schritt auf schnelle Erfolge zu konzentrieren, geht bei KI der Schuss schnell nach hinten los. Daher brauchen KI-Projekte agile Teams, die ihre Köpfe zusammenstecken, Ideen und Lösungen entwickeln und nach Umsetzung wieder in neuer Konstellation zusammenkommen. Der beste Ansatz ist es, interessierte Mitarbeiter eines Fachbereichs aus dem Kerngeschäft abzustellen, die sich dann vorgabefrei den innovativen Themen widmen können. Sie müssen alte Strukturen in Frage stellen und gegebenenfalls aufbrechen dürfen. Diese Teams können zum Beispiel wie ein Lab aufgebaut sein. Detecon selbst hat entsprechende Engineering Center aufgebaut, in denen Experten für Cybersecurity, Design Thinking, Analytical Intelligence und Internet of Things Use Cases für den Einsatz von KI entwickeln. Diese Teams dürfen an den Standardabläufen des Unternehmens vorbeiarbeiten und können bestehende Regeln auch kurzfristig außer Kraft setzen. Nur so kann Erneuerung gelingen beziehungsweise besteht eine echte Chance auf Erweiterung des Portfolios. Ein geeigneter Anwendungsfall der Fachseite ist allerdings die Voraussetzung dafür, dass ein KI-Projekt gelingt. Beispiel Versicherungsbetrug: In diesem Fall hat ein großer Versicherer nach einer KI-Lösung gesucht, die aus den vorhandenen Daten, wie Zahlungsströmen, typische Strukturen erkennt, die auf Betrugsfälle schließen lassen. Der KI-Experte definiert dann zusammen mit dem Fachbereich, welche Daten für die Lösung dieses Anwendungsfalls benötigt werden und wie diese Daten im Regelbetrieb zu bekommen wären, wobei diese Daten gleichermaßen aus dem Unternehmen selbst kommen können oder durch Daten aus externen Quellen angereichert werden müssen. Dafür wiederum muss das Team die IT-Abteilung einbeziehen, die weiß, wo welche Daten liegen, sowie ob und wie sie sich mit vorhandenen Kapazitäten verarbeiten lassen. Zudem brauchen solche Teams einen erhöhten Grad an Experimentierfreiheit und die Möglichkeit, sich ohne vordefinierte Ertragskennzahlen zu bewähren. Sie müssen auch mal ohne Sanktionen zu fürchten, scheitern dürfen. Letztlich steht jeder Erfolg auch auf der Schulter von zwischenzeitlichen Misserfolgen – auch im wahren Leben. In allen Fällen konnte man beobachten, dass die Wirkung von KI in den beobachteten Zielparametern Größenordnungsänderungen bewirkt, z.B. bzgl. Effizienz, Reichweite, Aufwand pro Vorgang usw. Teilweise Veränderungen um den Faktor 1000. Solche Größenordnungsänderungen sind nicht aufzuhalten. Sie werden die Wirtschaftswelt prägen.