Futter aus dem Ferment:
Der Weg vom Bakterienstamm zum Proteinpulver
Julian Schildknecht, MicroHarvest im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: © AdobStock | 1332299023 | thongsook )
Kurz und Bündig
MicroHarvest stellt in nur 24 Stunden ein Proteinpulver aus schnell wachsenden Mikroorganismen her – ohne Gentechnik, mit 60 Prozent Proteingehalt. Der Prozess spart bis zu 98 Prozent CO₂ gegenüber Fleisch und ist bis zu dreimal effizienter als pflanzliche Alternativen. Als Nährstoffquelle dienen Agrar-Nebenprodukte wie Melasse. Zielmärkte sind Pet Food und Aquakultur, perspektivisch auch Humanernährung. Eine eigene Anlage mit 15.000 Tonnen Jahreskapazität ist in Planung.
Wenn Mikroorganismen zu Kraftpaketen werden, braucht es keinen Stall, kein Feld und kaum Zeit – nur clevere Prozesse und einen Blick fürs Wesentliche. Was wäre, wenn hochwertiges Eiweiß binnen eines Tages produziert werden könnte, fast ohne Ressourcenverbrauch – und mit echtem Skalierungspotenzial für Mensch und Tier?
IM+io: Was ist MicroHarvest – und wie ist die Idee dazu entstanden?
JS: MicroHarvest gibt es aus einem einfachen, aber dringenden Grund: Die Welt braucht neue, bessere Proteinquellen. Wir steuern geradewegs auf eine globale Proteinlücke zu – nicht nur beim Menschen, sondern auch in der Tierernährung. Bestehende Optionen wie Fleisch sind nicht nur ressourcenintensiv, sondern auch zunehmend teuer und unzuverlässig. Pflanzenbasiertes Protein ist zwar populär, hat aber in Sachen Nährwert und Verdaulichkeit seine Grenzen. Insekten wiederum sind interessant, aber schwer skalierbar.
Wir bei MicroHarvest setzen deshalb auf Fermentation. Genauer gesagt: Wir nutzen Mikroorganismen als kleine Protein-Powerhouses. Sie wachsen extrem schnell, benötigen kaum Ressourcen und sind unabhängig von klimatischen oder geopolitischen Faktoren. Das Ziel ist, eine skalierbare, nachhaltige und verlässliche Proteinquelle aufzubauen – mit möglichst geringem ökologischem Fußabdruck. Gegründet wurde MicroHarvest von Katelijne Bekers, Luisa Cruz und Jonathan Roberz. Katelijne bringt einen dualen Background aus Wissenschaft und Business mit, Luisa hat über zehn Jahre Erfahrung in der Konzernforschung, und Jonathan kommt aus dem Operations-Bereich. Ich selbst bin vor rund einem Jahr dazugekommen – genau zu dem Zeitpunkt, als das Produkt marktreif wurde und meine Aufgabe ist es nun, es erfolgreich in den Markt zu bringen.
IM+io: Sie haben es schon angedeutet – der Prozess basiert auf Fermentation. Wie funktioniert das genau?
JS: Der Prozess ist im Prinzip vergleichbar mit der Herstellung von Bier oder Joghurt, nur dass wir ihn für eine ganz andere Mission nutzen. Wir arbeiten mit einer Datenbank natürlicher Bakterienstämme, die wir isolieren und auf spezifische Eigenschaften screenen: Sie müssen unter unseren Prozessbedingungen gedeihen und ein Produkt mit hohem Proteingehalt sowie funktionalen Eigenschaften liefern – zum Beispiel Verdaulichkeit oder Palatabilität. Dabei setzen wir keine Gentechnik ein – alles bleibt natürlich. Zwei Stämme haben sich als besonders geeignet herausgestellt: Die wachsen rasend schnell und bringen einen Proteingehalt von über 60 Prozent mit – inklusive wertvoller Vitamine und Mineralstoffe.
Diese Bakterien füttern wir in großen Bioreaktoren – vom halben Liter im Labor bis hin zu industriellen Maßstäben mit bis zu 30.000 Litern. Als Nährstoffquelle dient ein Nebenprodukt aus der Agrarindustrie, zum Beispiel Melasse.
Hinzu kommen Stickstoff und eine präzise Prozesssteuerung – also das richtige Timing, wann welche Komponenten beigemischt werden. Innerhalb von nur 24 Stunden wandeln wir das Ganze in ein hochwertiges Pulver um – das eigentliche Produkt, ein deaktivierter Zellmix mit exzellentem Nährwertprofil.
IM+io: Nur 24 Stunden – das ist unglaublich schnell. Woran liegt das?
JS: Das liegt an zwei Dingen: an den Mikroorganismen selbst und an unserem besonders schlanken Verarbeitungsprozess. Die Bakterien sind sehr schnell wachsend – das ist ihr natürlicher Vorteil. Aber auch unsere Verarbeitung ist minimalinvasiv. Wir nennen das „Minimal Process“: Wir separieren die Zellen vom Wasser, deaktivieren sie durch Hitze, trocknen sie – fertig. Keine komplexe chemische Nachbehandlung, kein Overengineering.
Das Ganze ist so effizient, dass wir mit unserem Verfahren einen Bruchteil der Ressourcen brauchen – im Vergleich zu Fleischproduktion etwa 98 Prozent weniger CO₂. Und auch im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen sind wir zwei- bis dreimal besser, was den ökologischen Fußabdruck betrifft.
IM+io: Wie unterscheidet sich euer Produkt konkret von anderen Proteinquellen wie Soja, Insekten oder Algen?
JS: Wir unterscheiden uns auf mehreren Ebenen. Erstens in der Nährstoffdichte: Unser Protein hat über 60 Prozent Proteingehalt und ist sehr gut verdaulich – das konnten wir in ersten Studien, etwa bei Hunden, bereits nachweisen. Viele pflanzliche Alternativen wie Soja kommen da nicht ran.
Zweitens im Geschmack: Unser Protein bringt einen natürlichen Umami-Flavor mit – leicht würzig, ein bisschen BBQ-Style. Das ist gerade in der Tiernahrung ein Vorteil. In Tests konnten wir zeigen, dass selbst Katzen – die als extrem wählerisch gelten – unser Protein anderen Produkten vorziehen.
Drittens: die Skalierbarkeit. Viele alternative Proteine, etwa Insekten, sind in der Theorie spannend, aber in der Praxis schwer gleichbleibend zu produzieren. Bei uns ist die Qualität konstant – Batch für Batch. Das ist für die Industrie ein echtes Argument.
IM+io: Ihr habt bereits eine Pilotanlage in Portugal. Warum dort?
JS: Das hat sich aus mehreren Gründen ergeben. Luisa, unsere CTO, lebt in Portugal – sie war von Anfang an dabei. Außerdem gibt es dort exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns beim Aufbau helfen konnten. Auch politisch ist das Umfeld innovationsfreundlich. Portugal investiert stark in Zukunftstechnologien, und das merken wir auch bei der Zusammenarbeit mit Behörden und Partnerinstitutionen. Portugal war von Anfang an Teil unserer Struktur – und das mit gutem Grund: Unsere CTO lebt dort, und wir konnten auf ein starkes Netzwerk aus Wissenschaft und innovationsfreundlicher Politik zurückgreifen. Zwei Standorte sind für uns kein Nachteil, sondern Teil unserer DNA. Wir haben von Beginn an Prozesse und Strukturen so aufgebaut, dass internationale Zusammenarbeit selbstverständlich ist. Das macht uns skalierbar – und zukunftsfähig.
IM+io: Sie haben den Screening-Prozess erwähnt. Welche Rolle spielt KI dabei?
JS: Eine große. Wir arbeiten zum Beispiel mit Universitäten zusammen, um unsere Bakterienstämme zu screenen – und setzen dabei auch KI-gestützte Analyseverfahren ein. Gerade bei Deep Research und beim Screening neuer Stämme hilft uns KI, schneller Zusammenhänge zu erkennen und Prozesse zu beschleunigen.
Auch bei der Studienvorbereitung, zum Beispiel bei Verträglichkeitsstudien oder dem Entwickeln neuer Rezepturen, setzen wir KI ein. Unser Team trifft sich regelmäßig, um zu prüfen, wie wir KI noch besser in unsere Prozesse integrieren können – sei es in der Forschung, im Vertrieb oder im Marketing.
KI ist für uns ein echter Enabler – gerade, weil wir ein kleines Team sind und unsere Ressourcen gezielt einsetzen müssen. Durch intelligente Assistenzsysteme können wir einfach schneller lernen und agiler bleiben.
IM+io: Und wie läuft die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen konkret ab?
JS: Wir arbeiten mit mehreren Universitäten zusammen – unter anderem in Wageningen (Niederlande), in Nottingham (UK) und mit einer osteuropäischen Uni, die auf Screening spezialisiert ist. Es ist meistens ein On-Demand-Modell: Wenn wir einen neuen Stamm brauchen oder eine spezielle Fragestellung haben, gehen wir gezielt auf unsere Partner zu. In Nottingham läuft zum Beispiel eine größere Studie zu Geschmack und Verdaulichkeit bei Haustieren. Mit Wageningen haben wir Studien zur Akzeptanz bei Hunden durchgeführt – also ganz konkret im Bereich Hundefutter. Wir versuchen, möglichst effizient zu sein – und nutzen dafür gezielt externe Expertise, wo sie am besten passt. Das ermöglicht uns, trotz begrenzter Ressourcen auf einem sehr hohen Niveau zu arbeiten.
IM+io: Derzeit liegt euer Fokus auf Tiernahrung. Plant ihr, auch in andere Märkte zu expandieren?
JS: Ja, absolut – aber Schritt für Schritt. Im Moment fokussieren wir uns auf zwei große Märkte: Pet Food (insbesondere Hunde- und Katzenfutter) und Aquakultur, also die Fütterung von Lachs und Garnelen. Hier sehen wir die größte Nachfrage und haben bereits Zulassungen, etwa in der EU.
Für die menschliche Ernährung arbeiten wir bereits am Zulassungsverfahren, aber das dauert naturgemäß länger – wir rechnen mit zwei bis drei Jahren, bis wir dort richtig loslegen können. Das Produkt selbst ist dafür vorbereitet, aber regulatorisch braucht es eben Zeit.
Kosmetik oder medizinische Anwendungen sind für uns aktuell kein Thema – wir konzentrieren uns ganz klar auf Tier- und menschliche Ernährung. Unsere Priorität liegt jetzt darauf, unsere Produktionskapazität auszubauen und unsere Position im Proteinmarkt zu stärken.
IM+io: Wo liegen aktuell eure größten Herausforderungen und wie geht ihr damit um?
JS: Die Technik funktioniert – wir wissen, wie es geht, wir haben die Produktqualität, und das Marktfeedback ist sehr positiv. Die größte Herausforderung ist die indirekte Steuerung über externe Produktionspartner – die verlängerten Entscheidungswege machen es manchmal schwer, schnell zu reagieren. Deshalb bauen wir zurzeit unsere erste eigene Fabrik auf.
Wir arbeiten aktuell mit einem großen Lohnherstellenden zusammen – das gibt uns vor allem Geschwindigkeit, um schneller am Markt zu sein, als wenn wir direkt selbst skalieren würden. Wir arbeiten gegenwärtig daran, unsere erste eigene Fabrik zu bauen – mit einer Kapazität von rund 15.000 Tonnen. Wenn das erreicht ist, haben wir volle Kontrolle über Qualität, Timing und Skalierung.
IM+io: Was ist eure Vision – und Ihre ganz persönliche?
JS: Unsere Vision ist klar: Wir wollen eine der weltweit führenden und zuverlässigsten Proteinquellen der Zukunft werden. Es geht nicht nur darum, ein gutes Produkt zu liefern – es geht darum, mitzuhelfen, den weltweiten Proteinbedarf zu decken, ohne den Planeten weiter auszubeuten. Wenn man sich anschaut, welche Schäden durch Überfischung oder industrielle Fleischproduktion entstehen – da braucht es dringend Alternativen. Und genau das wollen wir bieten: Ein Produkt, das gesund ist, das wirkt, das nachhaltig produziert werden kann – und das in großem Maßstab.
Persönlich möchte ich meinen Teil dazu beitragen. Ich liebe es, Dinge aufzubauen – und MicroHarvest ist eines der Projekte, bei dem man merkt: Das kann wirklich etwas verändern. Ich will dabei helfen, das Produkt in die Welt zu bringen, Kund:innen zu gewinnen, Partner:innen zu überzeugen – und am Ende einfach zeigen, dass es funktioniert.