Forecast Away :
Forecast Away : Planen mit dem Unplanbaren
Christian Jabs, pacemaker.ai im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: © AdobStock | 1088206431 | Bullan )
Kurz und Bündig
Im Mittelpunkt stehen maßgeschneiderte KI-Lösungen für die Industrie, die datenbasierte Prognosen und nachhaltige Entscheidungen ermöglichen. Die Anwendungen reichen von Bedarfs- und Preisprognosen bis hin zur Berechnung von CO2-Emissionen und dem Management von ESG-Daten. Die Software lässt sich flexibel in bestehende IT-Landschaften integrieren und bietet Transparenz, Schnelligkeit und Nachhaltigkeit – individuell angepasst für verschiedene Branchen.
Wenn Prognosen auf den kleinsten Ausschlag reagieren, rückt jede Entscheidung ins Rampenlicht. Wie gelingt es, in einem Meer aus Daten den richtigen Kurs zu setzen und dabei zugleich auf Umwelt und Budget zu achten? Welche Chancen entstehen, wenn smarte Algorithmen mehr sehen als bloße Trends?
IM+io: Stellen Sie bitte Ihr Unternehmen kurz vor und erzählen Sie, wie es entstanden ist.
CJ: Wir sind pacemaker.ai, und wie der Name schon vermuten lässt, steht bei uns die Künstliche Intelligenz im Mittelpunkt – genauer gesagt maschinelles Lernen. Wir sind ein Softwareunternehmen und bauen Lösungen für die Industrie, die auf den Prinzipien von Machine Learning basieren. Die Idee für die Gründung entstand direkt aus der Praxis: Als ich noch für den Vertrieb bei thyssenkrupp zuständig war, sind wir immer wieder an die gleichen Herausforderungen gestoßen, gerade beim Thema Cashflow und hohe Lagerbestände. Wie in vielen anderen Industriebetrieben hängen bei uns die eigenen Planungen stark von den Bedarfsprognosen der Herstellenden und Kundschaft ab. Uns wurde klar, dass wir besser werden wollten – weniger Bestände, mehr Cashflow, mehr Transparenz. Die Frage war: Wie können wir mit modernen Mitteln wirklich besser werden?
Nach einigen Überlegungen war für mich klar: Wenn wir die Zukunft maximal gut kennen würden, könnten wir unser Unternehmen noch viel schlanker aufstellen. Ohne Lagerrisiko, ohne unnötige Transporte – aber das ist natürlich in der Praxis illusorisch. Doch mit den heutigen Möglichkeiten im Bereich Künstliche Intelligenz und der dafür notwendigen Computing Power sind wir dem Ziel schon deutlich nähergekommen. Unsere Software analysiert historische Daten, erkennt Muster, sucht nach Abweichungen und hilft Unternehmen dabei, ihre zukünftige Nachfrage so präzise wie möglich vorherzusagen. Wir sind dabei keine Plug-and-Play-Lösung, sondern entwickeln für jede Kundin und jeden Kunden ein individuelles Produkt, das exakt zu deren Anforderungen passt.
IM+io: Was unterscheidet Ihre Software von anderen KI-Lösungen für die Industrie?
CJ: Unser Ansatz ist: Wir bauen Industrial AI, also KI-Lösungen aus der Industrie, für die Industrie. Das heißt, wir gehen nicht mit einer Standardlösung an den Markt, sondern nehmen uns die Zeit, gemeinsam mit der Kundschaft zu verstehen, welche Faktoren wirklich relevant sind. Beispielsweise spielt bei einem Forecast für die Automobilbranche ganz anderes Wissen hinein als für die Chemieindustrie oder die Lebensmittelbranche. Wir schauen uns genau an, welche internen und externen Daten Einfluss haben – von Förderprogrammen der Regierung bis hin zu aktuellen Leasingkonditionen oder regionalen Wetterdaten. Wir bringen dieses Wissen in die Modelle ein, damit sie auch tatsächlich in der jeweiligen Branche funktionieren.
Außerdem haben wir in den letzten Jahren eine eigene Event-Datenbank aufgebaut, in der wir die Auswirkungen unvorhersehbarer Ereignisse – sogenannte Black-Swan-Events – systematisch erfassen. Das können zum Beispiel geopolitische Krisen, der Brexit, eine Pandemie oder der blockierte Suezkanal sein. Solche Ereignisse haben enormen Einfluss auf Lieferketten, Materialpreise und Nachfrage. Unsere Modelle können diese Effekte einpreisen und so Prognosen deutlich verbessern. Genau das unterscheidet uns von vielen anderen am Markt.
IM+io: Wie sieht ein typisches Projekt mit Ihnen aus – vom Start bis zum laufenden Betrieb?
CJ: Der typische Ablauf beginnt bei uns immer mit einem sogenannten Data Thinking Workshop. Wir setzen uns mit den Kundinnen und Kunden zusammen und klären, was das Ziel ist: Um welche Art von Forecast geht es? Wie granular sollen die Vorhersagen sein? Reden wir über Wochen, Monate oder Quartale? Welche Daten stehen intern zur Verfügung und welche externen Daten sind relevant? Im Anschluss folgt eine Onboarding-Phase, die im Durchschnitt etwa sechs Wochen dauert.
In dieser Zeit beschäftigen sich unsere Data Scientists intensiv mit den Daten des Unternehmens, bereinigen sie, suchen nach Anomalien und oder gleichen Mustern und besprechen im engen Austausch mit der Kundschaft Auffälligkeiten. Wir bringen auch externe Faktoren mit ein – etwa Bauanträge im Bausektor, Förderprogramme, Rohstoffpreise oder Wetterdaten, je nach Branche. Nach Abschluss dieser Phase wird das individuelle Modell in den Live-Betrieb überführt. Unsere Lösungen laufen als Software-as-a-Service, also im monatlichen Abo, und werden stetig weiterentwickelt. Neue Features oder Verbesserungen werden wie bei einem Streamingdienst automatisch eingespielt.
IM+io: Welche Branchen profitieren heute schon von Ihren Lösungen, und gibt es Bereiche, wo Sie noch Wachstumspotenzial sehen?
CJ: Unsere Kundschaft ist sehr breit gefächert. Angefangen haben wir im Automobilsektor, später kamen Luft- und Raumfahrt, Chemie, Bauwirtschaft, Logistik und der Fashion-Bereich dazu. Wir haben in den letzten Jahren auch Unternehmen übernommen, darunter ein Machine Learning Unternehmen aus Münster und ein Sustainability Unternehmen aus Luxemburg. Dadurch konnten wir unser Know-how und unsere Datenbasis weiter ausbauen.
Besonders stark vertreten sind aktuell die Logistikbranche und die Baubranche, weil dort der Bedarf an genauen Vorhersagen besonders groß ist. Aber unsere Modelle sind im Prinzip für jede Branche geeignet, in der Prognosen und effiziente Planung eine Rolle spielen. Ein schönes Beispiel ist die Bäckereiindustrie – da kann es entscheidend sein, zu wissen, wie viele Laugenbrezeln am Wochenende verkauft werden, wenn ein Fußballspiel ansteht.
Herausfordernd ist der Eintritt in Bereiche wie den Defense-Sektor, also Verteidigung und Militär. Hier wären unsere Lösungen zwar hochrelevant, gerade in der Logistik für Kasernen oder Einsätze, aber die Hürden, dort Projekte zu starten, sind bislang sehr hoch. Insgesamt sehen wir in vielen Industrien noch enormes Potenzial, gerade da, wo die Unsicherheiten in der Planung in den letzten Jahren massiv zugenommen haben.
IM+io: Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten mit der Qualität und Aktualität ihrer Daten. Wie gehen Sie damit um?
CJ: Das ist tatsächlich ein Dauerthema, und viele Unternehmen denken zunächst, sie seien noch nicht „ready“ für Künstliche Intelligenz, weil die Datenlage vermeintlich schlecht ist. Aus unserer Erfahrung ist das aber meist unbegründet. Für die meisten unserer Anwendungsfälle reichen historische Verkaufs- oder Logistikdaten völlig aus – also ganz grundsätzliche Informationen wie: Was wurde wann, in welcher Menge und an wen geliefert? Diese Daten liegen in jedem Unternehmen vor, allein schon aus buchhalterischen Gründen.
In unserer Data-Thinking-Phase analysieren wir gemeinsam mit der Kundschaft die vorhandenen Daten, bereinigen sie und machen sie nutzbar für das Training der Modelle. Wir sind dabei auch flexibel, was die Formate angeht: Ob SAP, Data Lake, Excel-Tabelle – wir können mit allem umgehen. Das Wichtigste ist, dass wir gemeinsam den Datenbestand anschauen und die notwendigen Grundlagen schaffen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Anfangshürde oft niedriger ist als befürchtet. Schon mit ein bis zwei Jahren historischen Daten können wir in der Regel starten und Mehrwert bieten.
IM+io: Wie integrieren Sie externe Einflussfaktoren und unvorhersehbare Ereignisse in Ihre Prognosen?
CJ: Neben den klassischen Unternehmensdaten beziehen wir zahlreiche externe Einflüsse in unsere Prognosen ein. Dazu gehören Wirtschaftsdaten, Förderprogramme, Zinsen, Wetter oder regionale Besonderheiten. Vor allem aber arbeiten wir, wie erwähnt, mit einer eigens aufgebauten Event-Datenbank, die mitunter Black-Swan-Events miteinbezieht. Wenn ein solches Ereignis eintritt, analysieren wir sehr genau den Impact auf die relevanten Märkte und passen unsere Modelle entsprechend an. Das kann sogar in Echtzeit geschehen, wenn das Event in unserer Datenbank vorhanden ist. Bei ganz neuen, unternehmensspezifischen Ereignissen arbeiten wir eng mit den Kundinnen und Kunden zusammen, um den Effekt schnellstmöglich ins Modell einzubauen. So sind unsere Vorhersagen nicht nur statistisch genau, sondern auch sehr nah am echten Marktgeschehen.
IM+io: Wie funktioniert die Einbindung in die bestehende IT-Landschaft der Unternehmen?
CJ: Unsere Lösungen sind bewusst so gestaltet, dass sie sich nahtlos in bestehende IT-Umgebungen integrieren lassen. Wir holen uns die benötigten Daten in der Regel automatisiert über Schnittstellen, beispielsweise aus SAP-Systemen oder aus einem Data Lake. Aber wir können auch mit einfachen Excel-Tabellen oder anderen Formaten arbeiten, je nachdem, was im Unternehmen vorhanden ist. Das gibt uns und der Kundschaft maximale Flexibilität.
Die Ergebnisse können dann auf verschiedene Arten bereitgestellt werden: als Excel-Tabelle, über unser eigenes Frontend, als App oder direkt integriert in bestehende Tools wie Celonis oder Tableau. Wir passen uns da ganz den Wünschen und Anforderungen der Nutzenden an. Das Ziel ist immer, dass die Lösung nicht als „Fremdkörper“ empfunden wird, sondern sich in den gewohnten Arbeitsalltag einfügt und für alle zugänglich ist.
IM+io: Wie stellen Sie sicher, dass die Nutzenden Ihrer Tools die Prognosen und Empfehlungen auch wirklich verstehen und anwenden können?
CJ: Ein großes Anliegen von uns ist, dass unsere Werkzeuge keine Blackbox sind. Wir legen großen Wert auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse. In unseren Dashboards kann jeder Schritt der Prognose nachvollzogen werden: Welche Daten hatten den größten Einfluss auf den Forecast? Wie stark haben einzelne Variablen gewirkt? Welche externen Ereignisse wurden berücksichtigt? Wir erklären all das direkt im Tool und geben unseren Nutzenden die Möglichkeit, selbst in die Details zu gehen.
Unsere Erfahrung zeigt: Der Erfolg einer Software steht und fällt mit der Akzeptanz bei den Anwenderinnen und Anwendern. Nur wenn sie die Ergebnisse verstehen und nachvollziehen können, werden sie die Tools wirklich nutzen. Deshalb investieren wir viel in verständliche Visualisierung, transparente Erklärungen und regelmäßigen Austausch mit der Kundschaft.
IM+io: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in Ihrer Entwicklung?
CJ: Nachhaltigkeit ist für uns mehr als nur ein Schlagwort. Wir verbinden damit zwei Dinge: zum einen wirtschaftliche Vernunft und zum anderen ökologische Verantwortung. Unsere Produkte helfen Unternehmen, Bestände zu senken, Cashflow zu optimieren und dadurch Ressourcen zu sparen – das schont nicht nur das eigene Budget, sondern auch die Umwelt.
Zudem haben wir eine eigene Sustainability-Management-Plattform entwickelt, mit der Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck auf verschiedenen Ebenen erfassen, auswerten und im Blick behalten können. Wir bieten nicht nur das Reporting von Nachhaltigkeitsdaten gemäß EU-Regularien und Standards an, sondern unterstützen auch dabei, die Emissionen proaktiv zu senken – beispielsweise durch intelligentes Forecasting von Transport- und Produktionsprozessen. Wir betrachten Nachhaltigkeit ganzheitlich und führen dabei die Berechnung und Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte in einer Lösung für unsere Kundschaft zusammen.
IM+io: Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft äußern könnten: Wo sehen Sie die Entwicklung von pacemaker.ai?
CJ: Wir wollen unsere Plattform zu einem echten One-Stop-Shop für datengetriebenes nachhaltiges Unternehmensmanagement machen. Das heißt: Unsere Kundschaft soll nicht mehr mit verschiedenen Dienstleistenden sprechen oder unterschiedliche Tools kombinieren müssen, sondern alles zentral steuern können – von der Planung über das Forecasting bis hin zum Nachhaltigkeitsmanagement. Wir wollen zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften und wirtschaftlicher Erfolg kein Widerspruch sind.
Technologisch sehen wir uns auf einem sehr guten Weg. Wir werden weiter daran arbeiten, noch mehr externe Datenquellen intelligent einzubinden, die Algorithmen zu verfeinern und unsere Lösungen noch intuitiver und zugänglicher zu gestalten. Das Ziel ist: Unternehmen helfen, bessere, schnellere und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen – auf Basis von Künstlicher Intelligenz und visueller Datenkultur.