Digitalisierung verläuft exponentiell
Im Gespräch mit Achim Berg, Präsident des Bitkom e.V.
Kurz und bündig
Der Digitalverband Bitkom begrüßt die Pläne der EU-Kommission zur Förderung von Künstlicher Intelligenz, fordert zugleich aber noch größere Anstrengungen in Form von Finanzmitteln und umfangreichen Maßnahmenpaketen, damit Europa die angestrebte weltweite Führungsrolle bei dieser Schlüsseltechnologie auch erreichen kann. Da Europa und ganz besonders Deutschland im harten Wettbewerb mit USA und China um die Spitzenstellung in Forschung, Entwicklung und Anwendung stehen, sei das der einzig zielführende Weg.
Eine aktuelle McKinsey Studie sieht in der Künstlichen Intelligenz (KI) viel Potenzial dafür, zum Wachstumsmotor für die deutsche Industrie zu werden. Bis 2030 könnte das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands durch den konsequenten Einsatz von intelligenten Robotern und selbstlernenden Computern um bis zu vier Prozent oder umgerechnet 160 Milliarden Euro höher liegen als ohne den Einsatz von KI. Wachstumstreiber seien höhere Produktivität und die Schaffung neuer, wertschöpfender Tätigkeitsfelder. Welche Rolle KI tatsächlich als Technologie in Unternehmen spielt und wie mögliche Hebelwirkungen genutzt werden können, haben wir von Achim Berg erfahren.
IM+io: Herr Berg, erleben KI Techniken eher einen kurzfristigen Hype oder sind sie tatsächlich ein Wachstumstreiber mit hohem Transformationspotenzial?
AB: Künstliche Intelligenz steht vor dem Durchbruch und wird sich schon in wenigen Jahren in nahezu jedem Produkt und jeder Dienstleistung wiederfinden. Die damit verbundenen Veränderungen für unsere Wirtschaft und unseren Alltag lassen sich allenfalls mit historischen Weichenstellungen wie etwa der Elektrifizierung oder der Verbreitung des Verbrennungsmotors vergleichen.
IM+io: Folgerichtig spielt dann gerade für Deutschland als Industrieland der erfolgreiche Einsatz von KI eine große Rolle. Auch für Europa insgesamt handelt es sich entsprechend um eine Schlüsseltechnologie. Was ist zu tun, um hier die Kräfte zu bündeln und erfolgreich in der Welt voranzugehen?
AB: Europa und ganz besonders Deutschland waren in den vergangenen Jahrzehnten in der KI-Entwicklung weltweit in der Spitzengruppe. Nun geben Länder wie die USA und China das Tempo vor. Die EU-Kommission hat nicht zuletzt deshalb Ende April Pläne zur Förderung von Künstlicher Intelligenz vorgestellt. Erklärtes Ziel ist es, dass Europa eine Führungsrolle bei dieser Schlüsseltechnologie erreicht. Und dieses Ziel ist richtig gesetzt. Ebenso richtig ist es, dass sich die EU in diesem Bereich engagiert und nicht dabei stehenbleibt, die bereits vorhandenen Maßnahmen in den Einzelstaaten zu koordinieren. Allerdings ist leider auch richtig, dass die angekündigten Maßnahmen noch hinter den hochgesteckten Zielen zurückbleiben. Wer A sagt und an die Weltspitze will, muss auch B sagen und die dazu nötigen Mittel bereitstellen und Maßnahmen ergreifen. Viel wollen und wenig tun – das wird nicht funktionieren. Im internationalen Vergleich bewegt sich Europa mit dreistelligen Millionenbeträgen pro Jahr für KI nicht auf Augenhöhe. Auch gemessen an den europäischen Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung ist der Anteil zu niedrig, wenn man bedenkt, welche herausragende Bedeutung KI für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Wirtschaft quer durch alle Branchen haben wird. Nur einmal zum Vergleich: Allein das Budget für Forschung und Innovation innerhalb des EU-Programms „Horizon 2020“ im Zeitraum 2014 bis 2020 beträgt mehr als 10 Milliarden Euro pro Jahr. Wir müssen weg vom Gießkannenprinzip in der Förderpolitik und hin zu einer Konzentration auf die wichtigsten Technologien mit der größten Hebelwirkung. Und da steht KI ganz vorne. Aber Geld ist nur eine Sache. Natürlich müssen wir deutlich mehr finanzielle Mittel bereitstellen, zugleich muss es uns aber auch gelingen, einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, der neben der KI-Forschung auch die KI-Anwendung ermöglicht. Niemandem ist geholfen, wenn wir vorne Milliarden in die Grundlagenforschung pumpen und dann verbieten, die neuen Technologien auch in der Praxis einzusetzen, zum Beispiel indem man individualmedizinischen Angeboten einen datenschutzrechtlichen Riegel vorschiebt. Ohne regulatorische Flankierung besteht die ganz reale Gefahr, dass die nun angekündigten Investitionen wirkungslos verpuffen.
IM+io: Wo sehen Sie – mit Blick auf den Einsatz von KI – die deutsche Industrie- und Dienstleistungslandschaft in fünf Jahren?
AB: Fünf Jahre sind in der digitalen Welt eine kleine Ewigkeit – wenn man sich einmal vergegenwärtigt, dass das iPhone vor kaum mehr als zehn Jahren eingeführt wurde. Heute hat fast jeder ein solches Gerät in der Tasche. Ich bin mir sicher, dass wir in der KI ähnliche Durchbrüche erleben werden. Zuversichtlich stimmt mich, dass die Hälfte der Unternehmen einer aktuellen Bitkom-Studie zufolge der Meinung ist, dass KI eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft hat. Allerdings sagen gerade einmal elf Prozent, dass KI in ihrem Unternehmen bereits eingesetzt wird, der Einsatz geplant ist oder zumindest darüber diskutiert wird. Das ist deutlich zu wenig. Wo wir in fünf Jahren stehen, wird ganz entscheidend davon abhängen, ob wir das notwendige Tempo aufnehmen. Digitalisierung verläuft exponentiell – wer am Anfang nicht mitkommt, der muss später einen umso steileren Weg gehen.
IM+io: Der Einsatz von KI wird maßgebliche Einflüsse auf die Arbeitswelt haben. Was ist hier zu tun, um vorausschauend zu agieren, um spätere Reparaturnotwendigkeiten zu vermeiden. Wie kann ein Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmern und den der Wirtschaft gesichert werden?
AB: Die Sorge, dass eine neue Technologie Arbeitsplätze vernichtet oder gar zu Massenarbeitslosigkeit führt, ist nicht neu. Ende der 70er Jahre war es die Angst vor dem Computer, in den 80ern dann die vor den Robotern in den Fabrikhallen. Doch ein Blick auf die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hierzulande belegt: Die Sorgen haben sich nicht bewahrheitet, in Deutschland haben wir nach Automatisierung und Digitalisierung aktuell eine historische Rekordbeschäftigung. Durch KI werden sich sicherlich auf längere Sicht Berufsbilder verändern, manche sogar verschwinden. Zugleich entstehen neue Aufgaben. Der Schlüssel liegt in Qualifizierung und Weiterbildung. Die Unternehmen müssen eine Weiterbildungsstrategie rund um die digitalen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter erarbeiten und dafür auch entsprechende Mittel bereitstellen. Die Arbeitnehmer müssen ihrerseits die Weiterbildungsmöglichkeiten nicht nur einfordern, sondern vor allem auch nutzen. Und die Politik muss dafür sorgen, dass überhaupt eine Weiterbildungsfähigkeit hergestellt wird – beginnend mit einer Schulbildung, die die Vermittlung von digitalen Kompetenzen verpflichtend im Lehrplan verankert. Unsere Arbeitswelt wird sich durch KI sicher verändern, und genauso sicher wird sich dadurch unser Leben verbessern. Etwa wenn eine KI unseren Hausarzt bei der Diagnose berät, weil sie problemlos alle täglich erscheinenden 3.000 medizinischen Fachaufsätze verarbeiten und die Erkenntnisse unmittelbar anwenden kann. Oder wenn uns die KI sicher durch den Straßenverkehr steuert. Auch mit den rechtlichen und ethischen Fragen rund um KI müssen wir uns intensiv auseinandersetzen. Ein gesellschaftlicher Konsens ist die Voraussetzung für eine breite Akzeptanz von KI-Systemen, mit denen wir das Leben der Menschen verbessern und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen können.