Digitalisierung als Wachstumstreiber für aufstrebende Märkte
Urs Liebau, Jana Smolka, Tom Patzwald, August-Wilhelm Scheer Institut

(Titelbild: © Adobe Stock | 165896391 | bombastic80 )
Kurz und Bündig
Die Nachfrage nach Protein steigt weltweit stark an – bis 2030 um bis zu 72 Prozent (1). Gleichzeitig verursacht die Nutztierhaltung rund 20 Prozent der globalen Treib-hausgase (2). Insekten als alternative Proteinquelle sind deutlich ressourcenschonender: Sie brauchen weniger Fläche, Wasser und erzeugen kaum Emissionen (6,7). Digitale Technologien wie automatisiertes Zählen, transparente Lieferketten und akustisches Monitoring ermöglichen Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit in der Produktion.
Es riecht nach feuchtem Substrat, das Summen ist kaum hörbar – und doch entsteht hier etwas, das unseren Blick auf Nahrung verändern könnte. Zwischen Engpässen in der Landwirtschaft und wachsender Nachfrage drängt eine Frage nach vorn: Wie lässt sich Ernährung zukunftsfähig gestalten, ohne die Belastungsgrenzen des Planeten weiter zu strapazieren?
Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich auf über 9,7 Milliarden Menschen anwachsen. Diese demografische Entwicklung stellt das bestehende globale Ernährungssystem vor immense Herausforderungen. Es gilt nicht nur, mehr Menschen zu ernähren, sondern dies auch auf eine Weise zu tun, die mit den planetaren Grenzen im Einklang steht – also unter Schonung von Ressourcen und Reduktion ökologischer Schäden.
Bereits heute ist die Nachfrage nach Protein hoch – und sie steigt weiter. Laut International Platform of Insects for Food and Feed (IPIFF) könnte der globale Proteinbedarf bis 2030 um bis zu 72 Prozent zunehmen (1). Die derzeitige Nutztierhaltung verursacht jedoch rund 20 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen und trägt erheblich zu Umweltproblemen wie Entwaldung, Überdüngung und Wasserknappheit bei (2). Gleichzeitig ist Lebensmittelverschwendung ein strukturelles Problem: In Deutschland allein entstehen jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle (3).
Die Lösung kann nicht allein in der Ausweitung traditioneller Produktionsmethoden liegen. Denn schon heute trägt unsere Ernährung zu etwa einem Drittel der globalen Treibhausgasemissionen bei (4). Zudem verschärfen der hohe Flächenverbrauch – insbesondere für Futtermittel – und die intensive Tierhaltung den Verlust von Biodiversität in alarmierendem Ausmaß (5).
Der wachsende Markt für alternative Proteine
Alternative Proteinquellen gelten als Schlüsselkomponente für eine nachhaltigere Lebensmittelversorgung. Insbesondere Insekten rücken zunehmend in den Fokus: Sie benötigen weniger Platz, Wasser und Energie als Rinder oder Schweine. Der Vergleich ist eindrucksvoll: Für ein Kilogramm Protein verbraucht eine Kuh rund 30.000 Liter Wasser und verursacht fast drei Kilogramm Treibhausgasemissionen. Insekten dagegen benötigen lediglich 15 Liter Wasser und verursachen nur zwei Gramm Emissionen (6, 7). Auch bei der Flächennutzung ergibt sich ein drastischer Unterschied: Während Kühe 250 Quadratmeter Fläche pro Kilogramm Protein benötigen, reichen Insekten bereits 15 Quadratmeter (6).
Diese Effizienzvorteile könnten genutzt werden, um sowohl ökologische Belastungen zu verringern als auch die Resilienz des globalen Ernährungssystems zu stärken. Doch bislang wird das Potenzial alternativer Proteine nicht ausgeschöpft – unter anderem wegen fehlender digitaler Lösungen in der Produktion und mangelnder Transparenz für Konsumierende.
Der Engpass in der Produktion: Digitalisierung und Skalierbarkeit fehlen
Obwohl die Insektenzucht ein hohes Potenzial für Skalierbarkeit bietet, sind viele Prozesse noch manuell und ineffizient. Gerade in der Frühphase der Entwicklung alternativer Proteinmärkte dominieren kleinere Betriebe mit eingeschränkten Ressourcen. Dies hemmt nicht nur die Expansion, sondern führt auch zu höheren Kosten – etwa bei Heimtierfutter auf Insektenbasis, das häufig teurer ist als konventionelle Produkte.
Die Produktion leidet zudem unter einem Mangel an präzisen Planungsinstrumenten: In der industriellen Insektenzucht schwankt die Zahl der geschlüpften Larven pro Gramm Ei zwischen 30.000 und 50.000 Tieren. Diese Unschärfe erschwert die genaue Berechnung von Futtermenge, Platzbedarf und klimatischen Bedingungen. Da die Larven innerhalb weniger Wochen das 200-Fache ihres Gewichts erreichen, ist ein präziser Startpunkt für die Zucht von zentraler Bedeutung.
Grow Detect AI: Ein Technologiesprung für die Insektenproduktion
An dieser Stelle setzt die Lösung des August-Wilhelm Scheer Instituts an: Grow Detect AI. Gemeinsam mit der FarmInsect GmbH wurde speziell das InsectCounting-System entwickelt, das auf Künstlicher Intelligenz, Sensorik und digitaler Infrastruktur basiert. Darüber hinaus adressiert Grow Detect AI mit eigenständig entwickelten Modulen wie Insectpassport und Acoustic AI die weiteren Herausforderungen in Transparenz und Nachhaltigkeit.
1. InsectCounting: Automatisiertes Zählen für maximale Effizienz
Die von Grow Detect AI entwickelte Lösung InsectCounting nutzt Bilderkennungsalgorithmen in Kombination mit moderner Bildsensorik, um die exakte Anzahl an geschlüpften Larven zu erfassen. Die Zählung erfolgt vollautomatisiert direkt nach dem Schlüpfen. So können Futterpläne präzise angepasst, Raumnutzung optimiert und klimatische Steuerungssysteme zielgerichtet betrieben werden. Ergebnis: höhere Effizienz, geringere Betriebskosten und deutlich weniger Ressourcenverschwendung.
2. Insectpassport: Vertrauen durch digitale Transparenz
Technologische Effizienz allein reicht nicht aus – auch das Vertrauen der Konsumierenden muss gewonnen werden. Insbesondere im sensiblen Bereich der alternativen Proteine ist Transparenz ein zentrales Kriterium für Akzeptanz. Genau hier kommt der digitale Insectpassport zum Einsatz.
Basierend auf Blockchain-Technologie wird eine manipulationssichere Dokumentation aller relevanten Produktionsschritte erstellt. Informationen über Herkunft, Fütterung, Hygienestandards und Verarbeitung sind jederzeit abrufbar – für alle Beteiligten entlang der Lieferkette. Die Technologie schafft Vertrauen, erhöht die Rückverfolgbarkeit und setzt neue Standards für Lebensmittelsicherheit.
3. Acoustic AI: Monitoring für Artenschutz und Forschung
Ursprünglich für die Insektenproduktion entwickelt, lassen sich die Technologien von Grow Detect AI auch in anderen Kontexten anwenden – etwa im Biodiversitätsmonitoring. Die akustikbasierte Komponente „Acoustic AI“ ermöglicht es, Populationen von Fluginsekten in Echtzeit und vollkommen nicht-invasiv zu überwachen. Mikrofone erfassen die artspezifischen Fluggeräusche oder Rufmuster, die von Künstlicher Intelligenz analysiert und interpretiert werden. So lassen sich Rückschlüsse auf Populationsgrößen und Veränderungen ziehen – eine zentrale Voraussetzung für effektiven Artenschutz.
Laut einer Studie von Hallmann et al. (2017) hat die Biomasse von Fluginsekten in den untersuchten Gebieten in den letzten 27 Jahren um rund 75 Prozent abgenommen (9). Die frühzeitige Erkennung solcher Entwicklungen kann helfen, den Rückgang von Insektenbeständen rechtzeitig zu stoppen.
Vom Prototyp zum Systemwandel: Wo Technologie auf Nachhaltigkeit trifft
Grow Detect AI ist mehr als nur eine Technologieplattform – es ist ein ganzheitliches Konzept für ein neues Verständnis von Lebensmittelproduktion. Durch die Integration von Künstlicher Intelligenz, Blockchain und akustischer Sensorik entstehen Systeme, die sowohl ökonomischen als auch ökologischen Mehrwert bieten.
Das Potenzial im Markt ist enorm: Laut Prognosen wird sich das Marktvolumen für Insektenprotein von 1,37 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 auf etwa 2,39 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 fast verdoppeln (8). Die Technologien von Grow Detect AI helfen dabei, diesen Wachstumsmarkt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch verantwortungsvoll zu gestalten.
Regulatorische Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Debatte: Was alternative Proteine (noch) ausbremst
Trotz technologischer Fortschritte und ökologischer Vorteile stehen alternative Proteine weiterhin im Spannungsfeld zwischen Innovation und Regulierung. In vielen Ländern – auch innerhalb der Europäischen Union – herrscht Unsicherheit darüber, wie Insektenprodukte rechtlich eingeordnet werden sollen. Während einige Staaten bereits klare Zulassungsverfahren etabliert haben, befinden sich andere noch in frühen Diskussionsphasen.
Zudem ist die gesellschaftliche Debatte um den Konsum von Insektenprotein stark kulturell geprägt. Zwar steigt die Akzeptanz langsam, doch vor allem in westlichen Ländern bestehen weiterhin psychologische Barrieren gegenüber dem Verzehr von Insekten. Hier kommt der Wert digitaler Transparenzsysteme wie dem Insectpassport besonders zum Tragen: Wenn Konsumierende nachvollziehen können, wie, wo und unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde, sinkt die Hemmschwelle. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Transparenz in der Produktion das Vertrauen in neue Lebensmittel signifikant erhöht – insbesondere dann, wenn Nachhaltigkeit als Wert vermittelt wird.
Darüber hinaus spielt auch die politische Förderung eine entscheidende Rolle. Förderprogramme, steuerliche Anreize oder der Abbau bürokratischer Hürden könnten die Entwicklung nachhaltiger Proteinquellen erheblich beschleunigen. Hier sind nicht nur Technologietreibende gefragt, sondern auch Politik und Gesellschaft als gemeinsame Gestalterinnen eines resilienten Ernährungssystems.