„Bitcoin und Blockchain lassen noch viele Fragen offen!“
Im Gespräch mit René Peinl, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof
Kontrovers diskutiert
Professor Dr. Peinl ist Wirtschaftsinformatiker an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit aktuellen Entwicklungen der Informatik und Internetgesellschaft.
IM+io: Herr Prof. Peinl, Kryptowährungen werden von Analysten als das neue Gold bejubelt, der Invest in Bitcoins boomt. Handelt es sich hier um einen Geheimtipp für eine nachhaltige Finanzwirtschaft oder Spekulationsgeschäfte?
RP: Bitcoin und viele andere Kryptowährungen basieren auf Proof-of-Work Konsensverfahren, die einen immensen Energiebedarf haben und somit keineswegs nachhaltig, sondern aus ökologischer Sicht unvertretbar sind. Würde das Mining zu Strompreisen geschehen und die ökologischen Folgekosten wie CO2- Ausstoß berücksichtigen oder keine Spekulationsgewinne anfallen, würde sich das Mining längst nicht mehr rentieren. Zudem ist zu bezweifeln, dass Bitcoins eine Alternative zu den herkömmlichen Währungen sein können. Mit Bitcoins sind derzeit nur wenige Transaktionen pro Minute möglich. Dadurch kommt das System schon jetzt, bei der geringen Adoptionsrate, an seine Grenzen. Es ist derzeit völlig unklar, wie das System so weit skaliert werden könnte, dass es mit der 100-fachen Anzahl an Nutzern und Transaktionen zurechtkommt. Das wäre aber nötig, wenn es sich breitflächig durchsetzen soll.
IM+io: Anhänger von Kryptowährungen prophezeien, dass diese in 10 Jahren viel dominanter sein werden, als heute. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Währungen?
RP: Währungen brauchen Stabilität, um sinnvoll eingesetzt zu werden. Aufgrund der hohen Kursschwankungen bei Bitcoin haben bereits einige frühe Adoptoren Bitcoin als Zahlungsmittel wieder abgeschafft. Mir ist derzeit kein Konzept bekannt, um den Kurs zu stabilisieren. Bitcoin ist am ehesten eine Art Aktie. Statt auf eine Firma wettet man bei einer Investition auf eine Technologie.
IM+io: Wird sich durch Bitcoins und andere Kryptowährungen die Finanzwelt verändern, das heißt, auch die Dominanz der Notenbanken zurückgehen?
RP: Ja und nein. Bitcoin profitiert jetzt unter anderem auch davon, dass es in eine rechtliche Grauzone fällt. Sobald die Judikative der Staaten es weltweit schafft, die bestehenden Regeln für Finanzmärkte auch auf Kryptowährungen auszudehnen, fallen viele der aktuellen Anreize weg, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dadurch einige Systeme zusammenbrechen. Bisherige Vorstöße einzelner Staaten haben Bitcoin schon von fast 20.000 US-Dollar Höchststand auf unter 8.000 US-Dollar heruntergezogen. Dennoch werden Weiterentwicklungen der Blockchain- Technologie die Finanzwelt prägen. Es handelt sich um eine junge Technologie mit ungelösten Problemen. Trotzdem hat die Blockchain das Potenzial, unser etabliertes System gründlich auf den Kopf zu stellen. Auch wenn in Zukunft die technischen Voraussetzungen erfüllt werden, bleibt die politische Schiene schwer vorhersagbar. Die Bankenlobby wird viel Arbeit haben, um ihre Pfründe zu schützen. Ein System, das künstlich die Dauer einer Online-Überweisung auf einen Arbeitstag und mehr ausdehnt, bedarf jedoch dringend der Erneuerung.
IM+io: Ganz grundsätzlich gefragt, warum erlebt die Blockchain-Technologie gerade jetzt einen solchen Hype?
RP: Viele Blockchain-Showcases klingen sehr gut, obwohl sie mit etablierten NoSQL Datenbanken wie Cassandra oder Redis genauso gut umgesetzt werden könnten, weil die Blockchain dort gar nicht echt dezentral eingesetzt wird, sondern von einer Organisation kontrolliert wird. Die Unveränderbarkeit lässt sich auch mit anderen Technologien, insbesondere in Verbindung mit entsprechender Hardware, umsetzen.
IM+io: Die Blockchain-Technologie gilt als das Ende der Kopiermaschine. Ist die Blockchain endlich das Verfahren für revisionssichere Belege in der digitalen Welt?
RP: Die viel gelobte (Fälschungs-)Sicherheit von Blockchain Technologie gilt nur für die Basistechnologie. Alles darum herum ist potenziell unsicher, was auch in der Praxis durch erfolgreiche Angriffe mehrfach bewiesen wurde. Wenn eine klassische Bank so viele gelungene Hackerangriffe erlebt hätte, müsste sie längst schließen, weil alle Kunden abwandern.
IM+io: Diese Technologie ist aber als verteilter Datenspeicher für Transaktionen doch effizienter als alle bisherigen Verfahren?
RP: Im Gegenteil, die redundante Datenhaltung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen stellt eine ungeheure Verschwendung dar. Die Informatik kennt kontrollierte Redundanz als Mittel gegen Datenverlust. Dabei geht es aber immer um überschaubare Redundanz um Faktor zwei bis drei, im schlimmsten Fall vielleicht fünf. Bitcoin dagegen ist redundant um Faktor 1000 und mehr. Mit jedem neuen Vollmitglied der Blockchain kommt eine neue vollständige Kopie hinzu.
IM+io: Welche realistische Rolle erwarten Sie für Kryptowährungen und die Blockchain Technologie in Zukunft?
RP: Ich glaube, dass mittel- bis langfristig viele der sinnvollen Anwendungsfälle realisiert und die damit verbundenen Prozesse effizienter und schneller gemacht werden. Auch wir untersuchen in der Forschungsgruppe, wie man auf Grundlage der Blockchain-Technologie Unternehmensanwendungen bauen kann, die die schon genannten Nachteile nicht aufweisen. Ich kann mir zudem gut vorstellen, dass Länder mit weniger etabliertem Bankenwesen als Deutschland schneller Blockchains einsetzen werden, so wie in Afrika das mobile Bezahlen verbreiteter ist als bei uns, obwohl es dort viel weniger Smartphones gibt.