Biotechnologie – klug vernetzt oder kläglich abgehängt?
Sandra Ehlen, Chefredakteurin IM+io

Deutschland liebt seine Industrie. Und es liebt seine Wissenschaft. Aber was es noch immer zu wenig beherrscht, ist das Zusammenspiel beider. In kaum einem Technologiefeld ist das gerade so offensichtlich – und so gefährlich – wie in der Biotechnologie. Hat Deutschland seinen Status als Apotheke der Welt noch?
Während die USA mit Wagniskapital nur so um sich werfen und China milliardenschwere Biotech-Hubs aus dem Boden stampft, laboriert Deutschland an alten Systemgrenzen: Hier die akademische Forschung, dort die Wirtschaft – gehemmt durch Bürokratie, Sicherheitsbedenken und ein Bildungssystem, das Innovationen oft ausbremst, bevor sie überhaupt in Fahrt kommen.
Dabei hat Deutschland bereits oft gezeigt, dass es geht. BioNTech ist das Paradebeispiel: Ein Spin-off der Universität Mainz, entstanden aus langjähriger Grundlagenforschung, klug vernetzt mit dem Know-how industrieller Partner, gepusht durch mutige Finanzierungsmodelle. Ein globales Vorzeigeprojekt, das beweist, was möglich ist, wenn Wissenschaft, Unternehmertum und Politik an einem Strang ziehen.
Aber es gibt auch die andere Seite. Die Geschichte von CureVac mahnt zur Vorsicht. Auch hier: ein vielversprechendes deutsches Biotech-Unternehmen mit mRNA-Fokus, eng verknüpft mit der Universität Tübingen. Doch im entscheidenden Moment fehlten industrielle Partner, regulatorische Agilität – und vielleicht auch strategische Weitsicht. Der Impfstoff kam zu spät, mit zu geringer Wirksamkeit. Das Potenzial verpuffte. Heute hinkt CureVac dem Markt hinterher – trotz wissenschaftlicher Brillanz.
Was trennt Erfolg von Misserfolg? Oft ist es nicht das Labor, sondern das System dahinter: die Frage, wie gut es Forschung erlaubt, wirtschaftlich zu denken – und wie schnell Industrie bereit ist, akademisches Wissen in unternehmerischen Mut zu übersetzen.
Was fehlt, ist ein strategisches Ökosystem: eines, das kluge Talente, mutige Gründende, erfahrene Unternehmen und visionäre Investierende nicht nur vernetzt, sondern systematisch zusammenarbeiten lässt. In den USA gibt es Boston, in China Suzhou – und in Deutschland Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig, München. Die vollständige Liste würde diese Kolumne schnell sprengen. Denn hierzulande bauen die Universitäten ihre eigenen Biotech-Hubs auf, anstatt auf ein gemeinsames Zentrum mit kritischer Masse zu setzen.
Warum ist Vernetzung und kritische Masse wichtig? Innovation entsteht an den Schnittstellen von Wissenschaft und Industrie – durch Reibung, Herausforderung, Zusammenarbeit. Doch wer in Deutschland diese Schnittstelle betritt, stößt oft auf mehr Formulare als Fördernde.
Was wäre der Perspektivwechsel? Nicht mehr nur unsere Forschung schützen, sondern sie wirksam machen. Nicht auf Impulse aus China oder den USA warten, sondern eigene Spielregeln definieren. Deutschland hat Talente, Technologien und Ressourcen – aber auch den Willen zur echten Verzahnung? Statt Verwaltungsdenken braucht es eine Ermöglichungskultur: mit flexibler Forschungsförderung, erleichterten Ausgründungen und starken Public-Private-Partnerships, die Kooperationen beschleunigen.